Mit Wertschätzung meint die IG BCE-Führung nicht, Wertschätzung errungen durch Klassenkampf sondern durch praktizierte optimale Sozialpartnerschaft, mit dem Ergebnis: Gewährung von Vorteilen an die Mitglieder!
Sie veröffentlichte zu den Ergebnissen der letzten Tarifverhandlungen folgenden Bericht: IG BCE: „Ein starkes Zeichen“ https://igbce.de/igbce/abschluss-in-der-chemie-237658
Während es in der BRD ökonomisch und sozial für immer mehr Lohnabhängige bergab geht und sich deshalb der Druck von Mitgliedern auf ihre Gewerkschaftsfunktionäre häuft, Widerstand durch Streiks zu organisieren, was wir besonders bei verdi sehen, die inzwischen einen Kurs eingeschlagen hat, den man am ehesten als konfliktive Sozialpartnerschaft bezeichnen könnte, geht die IG BCE-Führung den Weg der totalen Sozialpartnerschaft:. Konflikte, Streiks ausgeschlossen! Das klingt nach Volksgemeinschaft – vorerst in einer Branche.
Man muß sich die Frage stellen, wer vor allem von diesem Weg der totalen Sozialpartnerschaft profitiert. Natürlich vordergründig die Mitglieder der IG BCE, die mindestens einen Tag Urlaub im Jahr mehr haben als die übrigen KollegInnen, später dann sicher weitere Privilegien. Aber zur Hauptsache haben die Hauptamtlichen der IG BCE was davon! Denn eine höhere Zahl an Mitgliedern, die ihnen die Arbeit“geber“ verschaffen sollen, sichert ihnen ihre hohen Gehälter. Und sie brauchen keine Streiks zu führen, was ja für einen Funktionär sehr anstrengend sein kann, besonders, wenn sich die Streiks häufen.
Wir wissen das, weil wir mit Gewerkschaftsfunktionären zusammen arbeiten, die überaus gestreßt sind während Streiks!
Sie sind dann begeistert bei ihrer Sache, beim Klassenkampf. Aber sie leben und lieben diesen Streß, weil sie nicht an Sozialpartnerschaft orientiert sind sondern wie die Mitglieder den Klassenkampf wollen!
Für einen Funktionär der IG BCE wäre das wohl eine Horrorvorstellung!
Aus dem Artikel der IG BCE: „Ein starkes Zeichen“ dringt der Stolz hervor „erstmals einen Mitgliedervorteil vereinbart zu haben“ und damit „ein neues Kapitel in der Tarifpolitik aufgeschlagen“ zu haben.
IGBCE-Chef Michael Vassiliadis macht das besonders deutlich, wenn er erklärt: „Damit senden die Arbeitgeber ein klares Zeichen der Wertschätzung an diejenigen Beschäftigten, die mit ihrem gewerkschaftlichen Engagement Tarifverträge erst möglich machen.“ Und die Kollegin Maria Schwarz, Betriebsratsvorsitzende bei B.Braun Pharma in Berlin, pflichtet ihm bei: „..Zusammen haben IGBCE und Arbeitgeber unter Beweis gestellt, dass unsere Sozialpartnerschaft weiterhin einen hohen Wert hat.“
Daß sie damit eine weitere Spaltung in den Belegschaften erzeugen, ist den Verhandlern wohl nie in den Sinn gekommen. Und daß sie damit gegen ein Urprinzip der Gewerkschaftsbewegung verstoßen, daß seit Anfang galt: Einigkeit macht stark! Aufgabe der Gewerkschaften ist die Aufhebung der Konkurrenz der Lohnabhängigen! Was die IG BCE macht, ist das Gegenteil: Spaltung!
Man stelle sich diese Situation vor einigen Jahren vor: Die deutschen Arbeitergeberverbände fordern alle 16 DGB-Gewerkschaften auf, ihnen die Listen ihrer Mitglieder auszuliefern. Die Mitglieder hätten einen Lachkrampf gekriegt ob dieser Unverschämtheit und die Vorstände hätten so eine Ansinnen empört zurückgewiesen. Heute schafft die IB BCE-Führung Verhältnisse, wo genau dies passiert. Daß die sechs Führungen der DGB-Gewerkschaften die neoliberale Politik der SPD und der anderen Parteien unterstützen ist offenkundig. Sie befinden sich damit auf der Gegenseite. Und im Sumpf – wenn man eine Bezeichnung dafür finden will.
Die Haltung und Praxis der Organisierten und auch der Hauptamtlichen gegenüber den Nichtorganisierten kann nur sein, diese durch Argumente und kämpferisches Vorbild zu überzeugen! Stattdessen geht die IG BCE-Führung den Weg, ihre Mitglieder durch die Geschäftsleitungen mit Privilegien bestechen zu lassen!
Bemerkenswert ist auch, daß jedoch die Arbeit“geber“seite immerhin das Moment der Spaltung der Belegschaft sieht.
Der Arbeit“geber“verband der Chemieindustrie (BAVC) sieht das von seinem Klassenstandpunkt aus: Daß es Unruhe im Betrieb zwischen IG BCE-Mitgliedern und Unorganierten geben könnte. Deshalb sträubten sich die Kapitalisten bisher. Denn Unruhe ist ein Störfaktor bei der Profiterzielung.
Ich weiß, es kommt das Argument mit den Trittbrettfahrern! Wir ärgern uns über sie: Die Mitglieder zahlen ihren Beitrag und die Unorganisierten profitieren von den Lohnerhöhungen. Aber wie ist der Ausweg in dieser Situation? Der Ausweg sind wir selbst, die Organisierten. Indem wir Überzeugungsarbeit leisten, meinetwegen auch an das schlechte Gewissen appellieren, daß sie Trittbrettfahrer sind. Der Ausweg liegt auf keinem Fall beim Arbeit“geber“, daß der Mitglieder besser stellt als Nichtmitglieder! Erstens hieße das, die Lösung dem Klassengegner zu überlassen und zweitens, KollegInnen werden dazu gebracht einzutreten „nur“ wegen materieller Vorteile. Denn die Gewerkschaften sind nicht nur für die aktuelle Verbesserung (*) des Lebensstandards da sondern sie sind vor 160 Jahren in der Bekämpfung der Ursachen ihres Elends entstanden, des Kapitalismus also für die Erkämpfung eines sozialistischen Endziels.
Diese Gewerkschaftsauffassung ist nicht mehr in den Köpfen der IG BCE-Führer (und auch nicht in den Köpfen der Delegierten des Gewerkschaftstages). Daher macht man Druck auf die Kapitalisten, das Wohlverhalten der IG BCE mit einer Sonderprämie zu honorieren. Der Kapitalistenverband ist dem widerwillig nachgekommen, die IG BCE kündigt an, in dieser Richtung weiterzubohren, wohl mit weiteren freien Tagen und auch materiellen Vergünstigungen, damit sich die Mitgliedschaft für den Beschäftigten wirklich lohnt – über den erreichten einen Tag hinaus!
Ich muß mir echt Mühe geben, das Denken von Herrn Vassiliadis und der Kollegin Maria Schwarz, zu verstehen. Als ich Anfang der 1960er in die ÖTV eintrat, war ich ja nicht mit kommunistischen Genen ausgestattet in die Gewerkschaft eingetreten sondern mußte erst durch die Erfahrungen in Betrieben lernen, daß man sich im Kollektiv gegen die Zumutungen und Ungerechtigkeiten von Arbeit“geber“seite besser wehren kann.
Was ich aber verstehen konnte war das Sozialpartnerdenken in kleinen Betrieben, die ich auch kennenlernte. Der Inhaber kannte alle seine Leute, womöglich schon den Vater oder den Bruder. Und zum Geburtstag bekam man einen Handschlag und den Nachmittag frei. Daß in so einem Betrieb nicht Klassenkampf angesagt war sondern Harmonie und eine Art Sozialpartnerschaft, war für mich das Selbstverständliche und Gegebene.
Sozialpartnerschaft in Kleinbetrieben, in denen der Inhaber womöglich noch mitarbeitet und jeden persönlich kennt ist was ganz Anderes als in Großbetrieben, wo die Geschäftsleitung bestenfalls noch den Betriebsratsvorstand kennt. Wo die Beschäftigen nur noch „Human“kapital sind. Diese Logik der Sozialpartnerschaft endet dann bei dem Stolz des IG BCE-Chefs Vassiliadis und der Kollegin Maria Schwarz.
Die IG BCE hat seit über 50 Jahren nicht mehr gestreikt – mit einer Ausnahme: Der Streik 2011/2012 in der kleinen Chemie-Firma Neupack (in Hamburg-Stellingen und Rotenburg/Wümme, Herstellung zB von Plastikbechern).
Das Nichtstreiken hatte einen guten Grund: die großen Chemie-Konzerne hatten exorbitante Gewinne und gaben von diesen gern und reichlich an die Belegschaften ab und erkauften sich damit den sozialen Frieden. Im Gegensatz dazu sieht es in den kleinen Betrieben in den letzten Jahrzehnten durchaus nicht rosig aus. Viele aus Belegschaft von Neupack hatten zum Teil seit elf Jahren keine Lohnerhöhung bekommten und wurden dadurch zu Aufstockern bei den Job-Centern. Die Wut war so groß, daß sie in kurzer Zeit sich zu 80 Prozent organisierten und die IG BCE-Führung in Hannover so lange drängten, bis diese einem Streik nach einem Haustarifvertrag zustimmten. Wobei das ein schwieriger Prozeß war, da die Belegschaft den Hintergrund von über 12 Nationen hatte – aber die Wut einte alle, sodaß sie in die IG BCE eintraten.
Die Streikführung der IG BCE (580 000 Mitglieder) glaubte, den Neupack-Inhaber Jens Krüger, schnell zur Sozialpartnerschaft zu zwingen.
Der war aber halsstarrig und beharrte auf seinem „Herr im Hause Standpunkt“.
Nach drei Monaten Erzwingungsstreik kapitulierte die IG BCE-Führung, taktischeweise nicht durch Streikabbruch sondern durch Umschwenkung auf einen Flexi-Streik (Von den KollegInnen schnell in Flexi-Verarschung umbenannt).
Der Neupack-Streik – eine kurze Analyse (**)
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/der-neupack-streik-eine-kurze-analyse/
Kann es sein, daß die IG BCE-Führung höchstens mal mit Streik droht: „Wir haben auch Streik in unserem Werkzeugkasten“, aber den Werkzeugkasten geschlossen hält – weil sie sich an den Neupack-Streik erinnern, der derart in die Hose gegangen ist?
Wir nahmen im Jour Fixe Info am 25.4.24 zur Tarifpolitik der IG BCE schon mal Stellung!:
Tariflich abgesicherter Eigener Weg der IG BCE: Mehr Geld vom Arbeit“geber“ für Nichtstreiken
https://gewerkschaftslinke.hamburg/2024/04/25/tariflich-abgesicherter-eigener-weg-der-ig-bce-mehr-geld-vom-arbeitgeber-fuer-nichtstreiken/
Die IG BCE sieht ihren Weg als nachahmenswert und preist ihn den anderen DGB-Gewerkschaften an. Warten wir ab, ob andere Gewerkschaften die IG BCE nachahmen!
(*) Streikintensive Tarifrunde 2023. Trotzdem sinkende tarifliche Reallöhne
https://kommunisten.de/rubriken/kapital-a-arbeit/9012-streikintensive-tarifrunde-2023-trotzdem-sinkende-tarifliche-realloehne
(*) Reallöhne um 4,0 Prozent gesunken
https://kommunisten.de/rubriken/kapital-a-arbeit/8832-realloehne-um-4-0-prozent-gesunken
(**) Das Buch von Jour Fixe Gewerkschaftslinke zum Neupack-Streik:
9 Monate Streik bei Neupack
https://diebuchmacherei.de/produkt/9-monate-streik-bei-neupack
(Der Titel des Buches ist zwar„9 Monate Streik bei Neupack“ aber nur 3 Monate waren Erzwingungsstreik, der Rest Flexi-Verarschung)
Der Beitrag erschien auf Jour Fixe – Gewerkschaftlinke Hamburg – Unterstützung eigenständiger, selbstbewusster, gewerkschaftlicher Kämpfe (gewerkschaftslinke.hamburg) und wird mit freundlicher Genehmigung hier gespiegelt. Bild: IG BCE