Keiner solle frieren: Mit diesem Versprechen sicherte die Bundesregierung Bedürftigen die Übernahme ihrer gestiegenen Heizkostenabschläge mittels Bürgergeld und Sozialhilfe zu. Manch ein Jobcenter sieht das anders und kürzt den Menschen munter die Hilfen. Die mit kommunaler Sparvorgabe erzeugte Existenznot sollen private Tafeln ausgleichen. Doch die sind selbst am Limit.
Die längst auf Vorkriegsniveau gesunkenen Gaspreise an der europäischen Börse und die „Energiepreisbremsen“ sind bei vielen Mietern in Deutschland noch nicht angekommen. Vor allem arme Menschen leiden weiter unter hohen Abschlägen für Heizung und Warmwasser. Wie viel sie abdrücken sollen, liegt am Versorgungsunternehmen, nicht an ihnen.
Laut politischem und medialem Tenor sollen Sozialämter und Jobcenter Bedürftige nicht auf diesen Kosten sitzen lassen. Doch vielerorts passiert das Gegenteil: Behörden verweigern unter Berufung auf undurchsichtige Berechnungen, schwammige Kann-Regelungen oder alte Richtlinien die Übernahme der Heizkostenabschläge ― und treiben Menschen in teils dramatische Existenznot.
Wucherabschläge
Das belegen zahlreiche Fälle aus ganz Deutschland, die der Autorin vorliegen, zum Beispiel aus Magdeburg. Dort erhöhte ein Fernwärmeversorger im vergangenen Herbst die Abschläge teils exorbitant um das Vier- bis Fünffache. In einem Fall zum Beispiel soll ein Alleinstehender, der seinen Namen nicht öffentlich lesen will, seit November 2022 statt wie bis dahin knapp 80 nunmehr gut 350 Euro pro Monat zahlen. Und das ist nicht der einzige Fall dieser Art aus Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt.
Allerdings: Für die Anhebung der Heizkostenabschläge können die Betroffenen freilich nichts. Die besonders drastische Teuerung in Magdeburg hat offenbar der Energieversorger Getec zu verantworten. Der Konzern betreibt in Magdeburg ein Biomasseheizkraftwerk und beliefert von dort Mietwohnungen innerhalb und außerhalb der Stadt mit „grüner“ Fernwärme.
In Potsdam etwa sorgte Getec mit einer Vervielfachung der Abschläge im Herbst 2022 für Unmut. Ähnliches praktizierte das europaweit agierende Unternehmen auch in Lübeck. Dort wehrten sich jeweils Vermieter als direkte Kunden des Konzerns gegen dessen Preiswucher. In Magdeburg passierte dies jedenfalls nicht medienwirksam, und falls intern, dann offensichtlich erfolglos.
Kürzung nicht einmal angekündigt
Nach anfänglicher Übernahme der Teuerung geht das Magdeburger Jobcenter ― wie bundesweit noch weitere Behörden ― seit Januar 2023 nun dazu über, die Übernahme dieser Abschläge nach Weiterbilligungsanträgen zu verweigern. Dem Alleinstehen gesteht es beispielsweise noch etwas mehr als 100 Euro pro Monat zu.
Die Folge: Betroffene sollen den Rest des Abschlags aus ihrem Regelsatz finanzieren, von dem sie auch noch leben und ihre Strom- und Telefonrechnungen begleichen müssen. Es liegt auf der Hand, dass dies Betroffene in existenzielle Not treibt.
Damit nicht genug: Das Jobcenter soll die Leistungsbezieher vorab nicht einmal über diese Kürzung informiert, sondern sie mittels Bescheid vor vollendete Tatsachen gestellt haben. Selbst dieser sei in einigen Fällen verspätet eingegangen. Die derart Sanktionierten stellten nach eigenen Angaben erst nach der Überweisung fest, dass die Summe viel zu gering war. Zu Hartz-IV-Zeiten erhielten Betroffene immerhin eine sogenannte Kostensenkungsaufforderung und mit dieser ein halbes Jahr Karenzzeit.
„Gehen Sie zur Tafel“
Betroffene berichteten von einem weiteren Skandal: Sachbearbeiter der Behörde hätten sie bei Vorsprache an private karitative Einrichtungen verwiesen haben. Ein Bedürftiger berichtet, im Jobcenter habe man „mit den Achseln gezuckt und mich zur Tafel geschickt, um nicht hungern zu müssen“. Ihm wurde erklärt: „Wir setzen nur die Richtlinie der Stadt Magdeburg um, wenn es nicht reicht, müssen sie eben zur Tafel gehen.“
Ein solcher Verweis wurde schon vor Jahren von Gerichten für rechtswidrig erklärt. Denn Tafeln sind keine staatlichen, sondern private Charity-Einrichtungen, die nicht verpflichtet sind, jeden, den der Staat in Existenznot treibt, mit Essen zu versorgen. Zudem sind die Tafeln in Deutschland aufgrund wachsenden Andrangs derzeit heillos überlastet. Viele nehmen niemanden mehr auf, auch in Sachsen-Anhalt.
Die Tafeln rufen seit Jahren um Hilfe, denn die Zahl der Bedürftigen in Deutschland, die sich das Essen nicht mehr leisten können, wächst kontinuierlich. Das staatliche Coronamanagement sorgte für einen weiteren Anstieg der Armut und wachsenden Ansturm. Den Rest besorgt nun die aktuelle Kriegspolitik der Bundesregierung.
Vergangenen Sommer meldete der Dachverband dann einen nie erlebten Ansturm. Ein Drittel aller Ausgabestellen müssten Notleidende zurückweisen, hieß es. Im Jahr 2022 hätten gut zwei Millionen Menschen eine Tafel aufgesucht, berichtete Die Welt. Der Chef des Dachverbandes mahnte erneut: Der Staat dürfe nicht seine Aufgabe, Notleidende zu versorgen, an die ehrenamtlichen Tafeln abgeben. Doch genau das passiert offenbar zunehmend.
Abgewimmelt: Schuld sei die Kommune
Bei Nachfragen von Betroffenen stahl sich das Jobcenter Magdeburg aus der Verantwortung. Schuld sei allein die Stadt Magdeburg, denn sie gebe die Obergrenzen für Heizkosten vor. Dorthin müssten sich die faktisch Sanktionierten wenden. Auf der Website der Stadt Magdeburg fand sich Mitte März 2023 jedoch nur eine alte Richtlinie aus dem Jahr 2021, die die gestiegenen Heizkosten naturgemäß nicht berücksichtigt. Es ist unklar, an welchen Werten sich das Jobcenter orientiert und wie diese zustande kamen.
Das Problem mit den Zuständigkeiten ist seit Langem bekannt. Während Sozialämter generell kommunale Behörden sind, ist das bei Jobcentern anders: Die Regelsätze, die seit Januar für Alleinstehende 502 Euro betragen, sind Bundesleistungen. Hier untersteht ein Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Miet- und Nebenkosten sind hingegen eine kommunale Angelegenheit. Die Kommune, hier die Stadt, legt fest, wie viel Miete sie Bedürftigen höchstens zubilligt. Sie muss dafür alle zwei Jahre ein neues Konzept vorlegen.
Diese Zweiteilung der Zuständigkeit führt nach Erfahrung der Autorin seit Beginn der Hartz-IV-Reform 2005 immer wieder zu einem Hin- und Herschieben der Verantwortung, zumal das Bundesgesetz den Sozialbehörden weite Ermessensspielräume einräumt. Sie nämlich sollen entscheiden, was ein „angemessener Verbrauch“ ist. Die Jobcenter entscheiden oft aufgrund interner Weisungen oder Absprachen, manchmal wohl auch nach Befindlichkeit des jeweiligen Sachbearbeiters.
Rechtswidrige Willkür
Um Licht ins Dunkel der Gründe für die offensichtlich viel zu niedrig angesetzten Obergrenzen für die Heizkosten zu bringen, fragte die Autorin bei der laut Jobcenter zuständigen Stadt Magdeburg an. Begehrt wurde die Übermittlung der noch unveröffentlichten neuen Richtlinie samt Konzept, außerdem eine Stellungnahme zu der Praxis, Betroffene nicht vorab zu informieren und sie an die privaten Tafeln zu verweisen.
Ein neues Konzept existiert demnach noch gar nicht, man arbeite noch daran, wie Stadtsprecher Michael Reif auf Nachfrage mitteilte. Die Stadt habe den Sozialbehörden jedoch vorab bereits Richtwerte übermittelt. Reif erklärte zudem, dass mit dem Bürgergeld eine einjährige Karenzzeit für die Übernahme „unangemessen hoher“ Mieten gilt. Die Heizkosten gehörten aber nicht dazu. Dies habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) per Kompromiss mit der Opposition, also CDU und AfD, beschlossen. „Dies hat zur Folge, dass seit dem 1. Januar 2023 nur angemessene Heizkosten übernommen werden“, so Reif.
Abgesehen davon, dass mit dem Begriff „angemessen“ schon seit der Einführung von Hartz IV viel Schindluder von den Kommunen betrieben wurde: Die Betroffenen vorab nicht darauf hinzuweisen, dass und warum ihre Heizkosten „unangemessen“ hoch seien und ihnen nicht mal eine Frist einzuräumen, rechtfertigt das jedoch nicht. So teilte BMAS-Sprecherin Parissa Chagheri auf Nachfrage mit: „Für eine Beschränkung der Anerkennung der Aufwendungen auf das angemessene Maß ist nach wie vor eine Kostensenkungsaufforderung erforderlich.“
Mit anderen Worten: Das Vorgehen der Stadt Magdeburg und weiterer Kommunen, aus denen der Autorin Fälle zugetragen wurden, ist schlicht rechtswidrige Willkür, mit der die Behörden die Bedürftigen von heute auf morgen in blanke Existenznot treiben.
Für die vor vollendete Tatsachen gestellten Betroffenen mag eine weitere Anmerkung des Stadtsprechers wie Hohn klingen: Die auf diese Weise urplötzlich Sanktionierten sollten ihr Problem mit dem Vermieter besprechen. Der aber gibt die Forderungen des Versorgers nur weiter.
Hartz IV mit neuem Namen
Das Fazit zum „neuen“ Bürgergeld ist ernüchternd. Versprochen hatte die Ampelregierung aus SPD, FDP und den Grünen vollmundig zahlreiche Erleichterungen für Bedürftige. Geringere Sanktionen, weniger Repressionen, mehr Kulanz und Augenhöhe sollten sie erfahren.
Herausgekommen ist Hartz IV mit einem schöneren Namen. Die Erhöhung der Regelsätze um knapp 12 Prozent wiegt die Preissteigerungen, insbesondere für Grundbedürfnisse wie Essen und Strom, nicht ansatzweise auf. An der bisherigen Willkür und akribischen Pfennigfuchserei nach Ermessen, gerne zum Nachteil der Betroffenen, hat sich ersichtlich auch nichts geändert.
Während die Steuergelder im reißenden Strom in die Taschen der Pharma-, Rüstungs- und Energiekonzerne fließen, nimmt der Staat den Ärmsten den letzten Brotkanten weg.
Die von Staats wegen seit drei Jahren so viel beschworene „Solidarität“ gilt, wie gehabt, in Wahrheit nur für Wohlbetuchte. Arme hatten noch nie eine Lobby im Dauerwettbewerb um Erfolg, Macht und Geld ― ein alternativloses Muss im globalen Kapitalismus.
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Die Autorin:
Susan Bonath, geboren in der DDR, arbeitet seit 2004 als freie Journalistin und berichtet seit 2010 für die junge Welt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Kapitalismuskritik, Arbeit und Soziales. Sie lebt in Sachsen-Anhalt.
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