Seit Jahrzehnten verändern informations- und kommunikationstechnische Systeme die Arbeitswelt, immer schneller, immer radikaler. Es ist ein umfassender Prozess der digitalen Transformation im Gange, der die gesamte Gesellschaft und insbesondere die betriebliche Arbeitsrealität erfasst hat.
Die mit Industrie 4.0, Big Data und Data Mining aufgeworfenen Fragen sind nicht völlig neu. Sie werden aber in einer neuen Radikalität gestellt. Zu diesen Fragen gehört weiterhin diejenige nach dem Schutz der Beschäftigten bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten und nach der Eindämmung der möglichen Leistungs- und Verhaltenskontrollen. Die betrieblichen Interessenvertretungen haben sehr viele Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt, aber die damit verbundenen Herausforderungen sind immer nur gewachsen.Waren anfangs die Datenschutzprobleme auf wenige Arbeitsplätze beschränkt, waren wenige Jahre später schon nahezu alle Arbeitnehmer betroffen. Speicherten Personalinformationssysteme zunächst nur wenige personenbezogene Daten, so fallen heute in den Betrieben digitale Daten an – auf Schritt und Tritt und bei allem, was man tut: Beim Betreten des Betriebs, beim Telefonieren, beim Bezahlen in der Kantine, beim Betreten von Räumen, beim Arbeiten an Maschinen oder Dokumenten. Es entstehen riesige Datensätze darüber, wer was wann wo gesagt, getan oder geschrieben hat. Genau das bezeichnet der Begriff Big Data: ungeheure Datenmengen, die in kürzesten Intervallen an allen möglichen Stellen entstehen. Big Data ist in der Personaldatenverarbeitung angekommen und verschärft die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern.
Arbeit wird immer stärker und immer schneller digitalisiert. Besonders die Zusammenarbeit findet zunehmend in hochkomplexen digitalen Kooperationssystemen und innerbetrieblichen sozialen Netzen statt. In ihnen werden alle Aktionen und Interaktionen in ungeheurer Dichte erfasst und gespeichert. Es entsteht der innerbetriebliche soziale Graph, der lückenlos die direkten und indirekten Beziehungen zwischen den Beschäftigten auf vielfältige Weise auf Vorrat festhält. Er bildet das im Unternehmen bestehende soziale Netz und die in der Belegschaft bestehenden informellen Beziehungen ab. Das ist seit langem Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse, deren Methoden jetzt aber auf einem unvorstellbar großen Datenmaterial angewendet werden können. Mit ihrer Hilfe lassen sich verblüffend deutliche Aussagen zur Stellung Einzelner sowie von Gruppen, zur Qualität von Teilnetzwerken und des Gesamtnetzwerkes treffen; zwischen Einzelnen und Gruppen lassen sich Vergleiche ziehen. Zum heutigen Zeitpunkt existieren zwar die umfassenden Datensammlungen im sozialen Graphen bereits; ihre Auswertungen sind aber erst im Entstehen. In manchen Fällen werden sie eher dafür genutzt, dem Einzelnen den Wert seines sozialen Interagierens widerzuspiegeln. Verfolgt man aber die kurze Entwicklungszeit der derzeit verfügbaren Produkte, dann ist leicht zu erkennen: Die Netzwerkanalyse, also der Blick auf das Gesamtnetz und die dort abgebildeten Zusammenhänge, gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Den Betroffenen sind zumeist weder die bloße Existenz dieser umfassenden Datensammlungen noch die Möglichkeiten der Netzwerkanalyse bekannt, ebenso wenig die Qualität der netzwerkanalytischen Aussagen. Was da entsteht, könnte tatsächlich über die bisherigen Formen der Kontrolle und Überwachung des Einzelnen weit hinausgehen. Die umfassende Auswertung des sozialen Graphen kann aus der Perspektive des technisch Möglichen zukünftig dazu genutzt werden, in die Belegschaft hineinzuhorchen, um sie in gewisser Weise elektronisch zu vermessen.
Aus juristischer Sicht stehen großen Vorratsdatensammlungen und deren zweckfreier Auswertungen einschlägige datenschutzrechtliche Grundsätze und Verbote entgegen. Hinzu kommen Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshof, die an die Zulässigkeit von Vorratsdatenspeicherungen ebenfalls einen engen und strengen Maßstab anlegen. Diese eindeutige rechtliche Situation setzt den technisch möglichen Auswertungen großer Bestände personenbezogener Daten enge Grenzen. Diese Situation bleibt auch unter dem ab Mai 2018 geltenden neuen europäischen Datenschutzrecht grundsätzlich unverändert. Neu ist allerdings, dass Datenschutzverstöße künftig nach der Europäischen Datenschutzgrundverordnung mit hohen Geldbeträgen sanktioniert werden können. Dies wird möglicherweise und aus Sicht der Beschäftigten hoffentlich ein Umdenken bei den Verantwortlichen nach sich ziehen.
Quelle und Bild: Heinz-Peter Höller, Peter Wedde: Die Vermessung der Belegschaft (pdf), Mitbestimmungsreport Nr. 10, Januar 2018 /Hans-Böckler-Stiftung