Wie kommen die Armen zu ihrem Recht? Zur Umsetzung sozialer Menschenrechte in der Grundsicherung

Armut hindert Menschen an der Wahrnehmung ihrer Rechte. Wer arm ist, muss sich vor allem um die Sicherung materieller Ressourcen kümmern. Diese Priorität sowie strikte Vorgaben von außen – etwa durch die Sozialbehörden – schränken den Entscheidungsspielraum der Betroffenen erheblich ein. In Armut lebende Menschen haben weniger Möglichkeiten, selbstbestimmt Ziele zu entwickeln und umzusetzen – dabei gilt gerade das in unserer Gesellschaft als normal und erstrebenswert und ist Kern der menschenrechtlich garantierten Selbstbestimmung.

Die Dokumentation will auf Möglichkeiten hinweisen, wie der hohe Stellenwert der sozialen Menschenrechte in internationalen Vereinbarungen wie dem UN-Sozialpakt auch im täglichen Leben der Leistungsberechtigten und in der Rechtsumsetzung der Grundsicherung in Deutschland besser realisiert werden kann.

Armut hat für die davon Betroffenen große Auswirkungen: Hohe Stressfaktoren, Hoffnungslosigkeit und ungesunde Ernährung führen zu Erkrankungen und geringerer Lebenserwartung. Armut schränkt die Möglichkeiten ein, am sozialen Leben teilzunehmen – etwa durch Kultur, Sport, ehrenamtliche Tätigkeit, Austausch mit anderen Menschen –, weil angesichts existenzieller Probleme nicht genügend Geld, Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen.

Auch strikte Vorgaben von außen – etwa durch die Sozialbehörden – schränken den Entscheidungsspielraum der Betroffenen erheblich ein. So können etwa die Jobcenter in den Eingliederungsvereinbarungen mit Arbeitsuchenden sehr detaillierte Vorgaben festlegen, im Zweifelsfall auch ohne deren Zustimmung. Dies alles kann zu einem Rückzug aus gesellschaftlichen Bezügen führen. Doch auch die öffentliche Abwertung und Ausgrenzung, die Arme häufig erfahren, treibt sie in die Isolation. Arme Menschen erleben sich selbst oft als machtlos und ihre Beteiligung am politischen Leben als nicht gewollt. Sie können ihre politischen und bürgerlichen Rechte nur eingeschränkt wahrnehmen.

Empfehlungen

Die Empfehlungen beruhen auf den Diskussionsergebnissen der Teilnehmer_innen der beiden Fachtage. Generell wird von ihnen angemerkt: trotz verstärkter Fach- und öffentlicher  Diskussionen und mehrfacher Überarbeitung des SGB II („Rechtsvereinfachung“) gibt es immer noch viele faktische und rechtliche  Barrieren, die es Menschen in der Grundsicherung erschweren, zu ihrem Recht zu kommen. Diese Hindernisse sollten dringend überprüft und abgebaut werden:

– Die Jobcenter sollen den Zugang zu Informationen zur Antragsstellung verbessern und hierbei auf die spezifische Situation vor Ort eingehen.

– Menschen in der Grundsicherung brauchen mehr unabhängige Beratung und Begleitung.

– Kompetente, tatsächlich zuständige und persönlich erreichbare Ansprechpartner_innen in den Jobcentern sind dringend nötig – Hotlines reichen nicht aus.

– Es sollten direkte Beziehungen im Hilfe Prozess ermöglichen werden, um Sachverhalte unkompliziert persönlich klären zu können und das gegenseitige Verständnis zwischen den Hilfesuchenden und den Mitarbeiter_innen der Jobcenter zu verbessern.

– Entscheidungen müssen schneller getroffen werden, um Rechtssicherheit zu schaffen.

– Die Jobcenter sollten standardmäßig Eingangsbestätigungen für eingereichte Unterlagen erteilen.

– Die Regelsätze müssen an die tatsächlichen Bedarfe angepasst werden.

– Es dürfen keine Sanktionen verhängt werden, die das menschenwürdige Existenzminimum kürzen.

– Beratungsscheine sollten durch die Sozialgerichte schneller ausgestellt und die Prozesskostenhilfe sollte erhöht werden.

– Für die Kosten der Unterkunft muss eine Lösung gefunden werden, die nicht das  Existenzminimum aus den Regelsätzen angreift.

– Bevor die Jobcenter „Aufforderungen zur Kostensenkung“ verschicken, sollten sie prüfen, ob bezahlbarer Wohnraum tatsächlich verfügbar ist.

– Einkommensarmen muss ein diskriminierungsfreier Zugang zu bezahlbarem Wohnraum ermöglicht werden.

– Die Politik ist gefordert, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und den Bestand an Sozialwohnungen auszubauen.

– Die Konzepte der Angemessenheit bedürfen einer Überprüfung.

– Ein Verbandsklagerecht zur Klärung grundsätzlicher Sachverhalte sollte eingeführt werden.

– Die Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft muss anhand tatsächlicher Zugänglichkeit von Wohnraum und Nettokaltmieten geprüft werden.

– Solange nicht unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen werden kann, sollten die  Heizkosten in voller Höhe übernommen werden.

– Die Stromkostenpauschale sollte sachgerecht anhand der durchschnittlichen Verbrauchskosten nach Haushaltsgröße ermittelt werden.

– Es bedarf aktiver Hilfen durch die Jobcenter bei der Wohnungssuche nach einer Aufforderung zur Kostensenkung.

– Gegen Diskriminierung am Wohnungsmarkt sollte konkret vorgegangen und Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden.

 

 

 

Quelle: Deutsche Institut für Menschenrechte
Bild: Sozialberatung Oldenburg
weitere Infos:  
https://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Harald_2018/Doku_Wie_kommen_die_Armen_zu_ihrem_Recht_bf.pdf