„Dienstleistungswüste“ Deutschland – Sklaverei?

Wie wir alle nebenberuflich zu unbezahlter „Zwangsarbeit“ für Dienstleistungsunternehmen genötigt werden – und damit ungewollt Arbeitsplätze vernichten

Von Wilhelm Neurohr

„Ein „willfähriger Handlanger“ ist jemand, der ohne Bedenken, in würdeloser Weise, bereit ist zu tun, was ein anderer von einem fordert“.

„Sklaverei ist die Praxis der Zwangsarbeit und der Einschränkung der Freiheit. Sie ist auch ein Regime, in dem eine Klasse von Menschen – die Sklavenhalter – eine andere – die Sklaven – zur Arbeit zwingen und deren Freiheit einschränken kann“.

„Wie die digitale Welt uns Zeit, Geld, Kraft, Nerven und Lebenszeit kostet – und verblödet“

Haben Sie eigentlich mal die Stunden zusammengerechnet, die Sie monatlich für unentgeltliche Arbeiten zugunsten zahlreicher Dienstleistungsunternehmen auf eigene Kosten aufwändig verbringen, weil diese ihre früheren Service-Leistungen alternativlos immer mehr auf uns als zahlende Kunden abwälzen? Ob für Banken und Sparkassen, für Bahn und Busunternehmen oder Fluggesellschaften, für die Post und Lieferdienste, für die Telekommunikations-Unternehmen und die IT-Branche, für Hotels und Touristikunternehmen, für die Supermärkte mit Selbstbedienungskassen, für die Versandunternehmen und den Online-Handel, für Arztpraxen und Apotheken, Behörden und Finanzämter, für die Abfallentsorgungs- und Recyclingunternehmen durch (teils unsinnige) Mülltrennung, und, und, und. Was anfangs vor 30 Jahren beim Post-Konzern begann, endet noch lange nicht an der Selbstbedienungskasse im Supermarkt. In der „Dienstleistungswüste Deutschland“ sollte über diese Form der modernen „Sklaverei“ gesprochen werden.

Kundenorientierung war gestern

Was früher von fair bezahlten Bediensteten der privaten und öffentlichen Unternehmen als kostenloser Service mit angeboten wurde, ist zwecks Profitsteigerung und Kosteneinsparung immer mehr auf uns als Kunden abgewälzt worden, als unbezahlte Arbeit zu Lasten unserer Freizeit und ohne Kostenausgleich. Und wir leisten bereitwillig mit digitalem und zeitlichem Einsatz und Aufwand unseren Beitrag zum dortigen Personalabbau und zur Service-Verschlechterung für uns, die uns als vorteilhafte Verbesserung verkauft wird. (Schon vor 50 Jahren hat der Möbelhändler IKEA die Käufer daran gewöhnt, die Möbel selber zu transportieren und aufzubauen für einen geringfügigen Kostenvorteil und erlangte damit sogar Kultstatus).

Dies ist ein viel zu wenig betrachtetes Kapitel der „Dienstleistungswüste Deutschland“ mit ihrem teils ärgerlichen Automaten- und Hotline-Unwesen und Digitalisierungszwang, der uns als Nutzer zur Selbstausbeutung veranlasst und zugleich zur Vernichtung von Arbeitsplätzen oder zu prekärer Beschäftigung in den jeweiligen Branchen sorgt. Durch die Privatisierungswelle bei öffentlichen Dienstleistungsunternehmen beschleunigte sich diese negative Entwicklung, die uns als positive Zukunft verkauft wird.

Kehrseite: Verlust und Prekarisierung von Arbeitsplätzen

Dass die Anbieter von Dienstleistungen viele ihrer Tätigkeiten zunehmend auf uns selber als Kunden, Bürger oder Nutzer von Dienstleistungen unbezahlt abwälzen, hat auch eine skandalöse Kehrseite: Die unsere Online-Bestellungen erledigenden Paketboten und Lieferanten beispielsweise arbeiten bekanntlich als prekär Beschäftigte unter extremem Zeitdruck mit extremen physischen und psychischen Belastungen bei schlechter Bezahlung für teils unseriöse Subunternehmer.

Und im übrigen Dienstleistungswesen mit seiner Digitalisierung verbleiben unsichere Beschäftigungen des „digitalen Prekariats“ als „digitale Nomaden“, die prekäre Plattformarbeit oft daheim leisten, mit finanzieller Ausbeutung und sozialer Kontrolle unter Umgehung des Arbeitsrechtes. Das wäre ein eigenes Thema, neben der hier thematisierten Sicht auf unsere eigene arbeitsintensive Vereinnahmung in der digitalisierten Dienstleistungsgesellschaft, die nur scheinbar eine Zeitersparnis und vermeintliche Kostenersparnis mit sich bringt.

Ausgrenzung von Millionen Menschen bei der Daseinsvorsorge

Ebenso dürfen wir bei der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags nicht die Ausgrenzung älterer und digital nicht versierter Menschen sowie einkommensschwacher Bürgergeldempfänger oder aus überschuldeten Haushalten vergessen, von denen fast 3 Mio. vollständig offline leben und zwischen Bildschirm und Einsamkeit den Anschluss verlieren. Dadurch haben sie keinen Zugang zur allgemeinen Daseinsvorsorge, wie der Sozialverband VdK beklagt. Das Filialnetz der Banken wird immer dünner, Poststellen werden geschlossen und Arzttermine sind nur noch online vereinbar. Sozialkontakte gehen vollends verloren.

„Früher ging man zur Bank, zog eine Nummer beim Arzt und sprach mit einem Menschen. Heute klickt man durch Portale, wartet auf eine TAN, bestätigt einen Code. Arzttermine, Fahrkarten, Behördengänge – alles läuft inzwischen digital. Doch wer nicht mithalten kann oder will, bleibt außen vor.“ (Keven Nau in regional.Heute.de). Was die einen Freiheit oder Fortschritt nennen, ist für viele ältere Menschen ein kalter und anonymer Ort der Unsicherheit und Fehleranfälligkeit und führt zur sozialen Ausgrenzung.

Stehen Aufwand und Nutzen in rechtem Verhältnis?

Aber auch jüngere Altersjahrgänge sowie Otto Normalbürger sind teilweise überfordert, je komplexer und umfangreicher sowie wartungsanfälliger die Dienstleistungsportale, Systeme und Anforderungen mitsamt Datenschutzvorkehrungen werden, in denen sich jeder zwangsweise und zeitaufwändig einarbeiten muss, weil er ohne dem die benötigten oder gewünschten Dienstleistungen nicht mehr erhält. Und überall dort, wo Verträge, Dokumente, Unterlagen oder umfangreiche Policen etc. von den Dienstleistern nicht mehr in Papierform zugestellt werden, sind wir selber zum kostspieligen Ausdruck solcher Unterlagen gezwungen, um nur einige wenige von vielen weiteren Zumutungen und Verschlechterungen zu erwähnen.

Die Ärgernisse mit endlos langen Wartezeiten bei oft kostenpflichtigen Hotlines (neuerdings mit KI-Chatbot im „Kundenservice“) anstelle direkter telefonischer Auskünfte kommen noch obendrauf, die unsere Zeit rauben und wo wir den Informationen der Dienstleistungsanbieter hinterherlaufen müssen. In den meisten Fällen stehen Aufwand und Nutzen in keinem akzeptablen Verhältnis, auch wenn wir uns das selber einreden nach jahrelangen Gewöhnungseffekten – weil wir es nicht mehr anders kennen und nicht hinterfragen. Wir werden zunehmend am PC zu allerlei zeitraubenden Arbeiten eingespannt, die vorher die Anbieter der Dienstleistungen für uns erledigt hatten, wie es sich eigentlich gehört. Die Vorteile für uns sind überschaubar und die Nachteile überwiegen zumeist.

„Zwangsarbeiter“ am selber auszustattenden Arbeitsplatz?

Die Anbieter zwingen uns dazu, dass wir ihnen dabei einen Teil ihrer Arbeit unentgeltlich abnehmen, den vorher ihr eigenes Personal erledigt hatte, so dass wir quasi ersatzweise zu ihren Arbeitnehmern werden, mehr unfreiwillig als freiwillig. Normalerweise stellt ein Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitsmittel wie PC, Dienst-Handys und Schreibtisch für seine Arbeitnehmer zur Verfügung und sorgt für Wartung und Aktualisierung der Hard- und Software sowie für eine leistungsgerechte Bezahlung unter Anrechnung der aufzuwendenden Arbeitszeit. Nicht so für uns „Zwangsarbeiter“ (oder scheinselbständigen Subunternehmer), die wir tagtäglich für die von uns als Kunden kontaktierten Dienstleistungsunternehmen mit eigener digitaler und auch physischer Arbeitserledigung in Anspruch genommen werden, ohne dafür einen Kostenausgleich oder nennenswerten Preisnachlass zu erhalten.

Für Dutzende Unternehmen und Behörden erledigen wir immer mehr Teilaufgaben schon im Vorfeld und arbeiten uns dafür in immer mehr Bedienungsprogramme und komplexe Anweisungen ein. Dafür  beschaffen wir uns auf eigene Kosten die Technik und teuren Abonnements etc. oder nehmen längere Wege in Kauf, wenn Filialen oder Geldautomaten aufgegeben wurden usw. Der einzige „Gewinn“: Unsere Dienstleister überschwemmen uns aus Dank dafür mit täglichen Werbe-Emails, die bestenfalls lästig sind und Zeit stehlen beim Löschen.

Kunden gewähren Dienstleistern zinslose Kredite wegen vermeintlicher Preisvorteile

Sogar zinslose Kredite gewähren wir unseren cleveren Auftragnehmern in denjenigen Fällen, wo z.B. für Flüge und Bahnkarten oder Hotelbuchungen vermeintliche Preisnachlässe oder „Frühbucher-Rabatte“ nur bei großzügigen Vorauszahlungen für längere Zeiträume gewährt werden. Undurchschaubare und verwirrende Preisgestaltungen mit angeblichen „Schnäppchen“ verleiten zu irrationalen Zugeständnissen der Kunden an ihre raffinierten Dienstleister. Obendrein benötigen wir für Flugbuchungen etc. die teure Visa-Card, die wir bereitwillig anschaffen. Und ohne Bezahlung über Paypal oder Klarna laufen kaum noch Bestell-Vorgänge.

Das nehmen wir alles wie selbstverständlich hin, weil unser Bewusstsein für diese schleichenden Vorgänge mit Umkehr der Dienstleistungs- und Arbeitsverhältnisse zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern getrübt ist, obwohl wir regelrecht missbraucht werden. Diese Fehlentwicklung begann teilweise schon vor Jahrzehnten und führte zu einem Gewöhnungseffekt, zumal die jüngere Generation die frühere Dienstleistungskultur nicht mehr kennengelernt hat und von der digitalen Welt der Dienstleister und ihren neuen, aber fragwürdigen Geschäftsmethoden vereinnahmt ist.

Dienstleistungsgesellschaft erzwingt immer mehr Lebenszeit am Bildschirm

Es stellt sich die Frage: Wie wird die Zukunft sich entwickeln? Werden wir die explosionsartige Ausbreitung der digitalen Welt in der ausufernden Konsumgesellschaft so meistern, dass wir mehr Vorteile gewinnen, als Nachteile erleiden? Allein nur mit dem Löschen unerwünschter Emails verbringt ein Mensch bis zu seinem 75. Geburtstag durchschnittlich 8 Monate seiner Lebenszeit (und gerade mal 14 Tage mit Küssen), wie die Digital-Therapeutin Anita Eggler feststellte. Immer mehr Zeit soll der Bürger trotzdem in der Dienstleistungsgesellschaft am Bildschirm und Handy verbringen für all seine notwendigen Alltagserledigungen? Wie viele Lebensjahre kommen dafür am Ende zusammen, eine zweistellige Zahl?

Müssten wir nicht vielmehr den zunehmenden Digitalisierungswahnsinn stoppen? Denn er macht dumm und krank, wie aktuelle Untersuchungen zum exzessiven Smartphon-Gebrauch bei Jugendlichen zeigen, mit Auswirkungen für die Bildungsentwicklung. Aber auch bei Älteren kann der Medienkonsum und die Bildschirmabhängigkeit für die digitale Erledigung der lebensnotwendigen Alltags- und Dienstleistungsgeschäfte zu gesundheitlichen Folgen wie Schlafstörungen, psychische Probleme wie Depressionen sowie Zunahme von Kurzsichtigkeit führen. Von der digitalen Suchtabhängigkeit erst gar nicht zu reden. Die Schätzungen zur digitalen Sucht  nach Handy und Smartphone reichen von 2% bis 6% Betroffener. Dies sollte mit in Betracht gezogen werden bei den Tendenzen und Zwängen, immer mehr Dienstleistungsgeschäfte digital auf Bürger und Kunden einschließlich Jugendliche abzuwälzen.

Es begann vor über 30 Jahren bei der Post

Als vor 30 Jahren das bis dahin zuverlässige öffentliche Dienstleistungsunternehmen Bundespost mit der schrittweisen Privatisierung in die drei Unternehmen Postdienst, Telekom und Postbank aufging, brüstete sich die „DHL-Group“ damit, als Aktiengesellschaft von der Behörde zum „Weltmarktführer“ aufgestiegen zu sein (nach Übernahme des US-amerikanischen DHL-Unternehmens). Für die Kunden war das hingegen als Abstieg erlebbar und als Einstieg in die deutsche Dienstleistungswüste.

Postfilialen wurden geschlossen, Briefkästen abgebaut, Porto erhöht, die immer unzuverlässigeren Briefzustellungen eingeschränkt und der Paketdienst auf Paketshops und Packstationen mit Automaten umgestellt, so dass sich heute die Kundenbeschwerden auf Rekordhöhe bewegen. Nun werden die Pakete (notfalls mit dem Rollator) selber irgendwo abgeholt und hingebracht und die Briefe und Dokumente gefälligst elektronisch gefertigt – nach erforderlicher Anschaffung eines PC oder Smartphones (auch von Seniorenheim-Bewohnern)?

Unser unbezahlter Einsatz im Sortierdienst

Dabei waren die treuen Kunden ihrem Postdienstleister (als damaligem Monopolisten) schon früher arbeitsteilig behilflich und nahmen ihrem Staatsunternehmen Arbeit im Sortierdienst ab: Mit der Einführung der fünfstelligen Postleitzahl vor über 30 Jahren sollten die Postkunden (Privat- und Geschäftskunden) den Postbeamten bei der internen Postsortierung und -zuordnung helfen und Arbeit abnehmen, indem 40 Mio. dicke Postleitzahlbücher mit fast 1.000 Seiten Umfang und 1,3 kg Gewicht an die 60 Mio. Kunden „im schreibfähigen Alter“ und an 3 Mio. Geschäftskunden verteilt wurden, damit diese künftig selber aus den 28.000 Postleitzahlen die nummerierten Zielorte ihrer Briefempfänger heraussuchen und auf den Briefen vermerken. Wir alle wurden quasi zu unbezahlten Postbeamten im Sortierdienst. Das Gehalt eines Postsortierers in Deutschland liegt bei einem Stundenlohn von 13 bis 17 € bzw. 2.400 € im Monat. Haben wir den anteilig bekommen?

Für das anfangs kostenlose Postleitzahl-Buch mussten wir ab 2005 auch noch 6,95 € bezahlen, statt einen Bonus für unsere unterstützende Arbeitserleichterung zu erhalten. Das Buch gab es ab 2005 nur in einer kostenpflichtigen Auflage von 3 Millionen Stück. Etwa einmal je Quartal erschien eine aktualisierte CD-ROM mit den Postleitzahlen. Das Porto wurde dadurch nicht billiger, sondern das Ganze diente auch der Vorbereitung der Privatisierung, die den Postkunden heute teuer zu stehen kommt. (Heute geht durch die Digitalisierung das Aufsuchen der Postleitzahlen schneller, könnte aber deshalb auch vom Dienstleister selber übernommen werden). Auch das gedruckte Telefonbuch wurde durch die elektronischen Suchfunktionen oder die Nummernspeicherungen per Smartphon überflüssig und damit auch das frühere „Fräulein vom Amt“, das die Telefonverbindungen vermittelte, durch die automatische Vermittlung 1966 ersetzt. Das wurde zum später ausgeweiteten Geschäftsfeld von Telekom.

Telekom enttäuschte vielfach ihre Kunden

Im Bewertungsportal „Trustpilot“ äußerten viele Telekom-Kunden Enttäuschung wegen negativer Erfahrungen mit Service und Kundenservice, wegen schlechter Erreichbarkeit, aggressiven Verkäufern und inkompetenten sowie unfreundlichen Mitarbeitern, ferner wegen langer Wartezeiten, nicht eingehaltene Termine und Vertragsversprechungen, versteckter Kosten, Schwierigkeiten bei Kündigungen. Aber auch technische Mängel (schlechte Netzabdeckung, langsame Internet-Geschwindigkeiten, wiederholte Probleme) wurden zahlreich vorgebracht. Vorherige Service-Leistungen wurden umfassend auf die Kunden abgewälzt, die sich in die immer komplizierttere Telekommunikationstechnik einarbeiten mussten.

Viel Zeit, Nerven und Geduld sowie Aktionen wurden den Kunden also abverlangt, die beim neuen Telefon- oder Internetanschluss oder Kabelanschluss mit TV selber die Installation der Geräte wie Festnetztelefon, Router, Splitter, Modem, Anschlussdosen etc. und spezielle Verbindungskabel nach Handbuch oder telefonischer Anweisung vornehmen müssen. Das gelang  nicht nur mancher betagten Seniorin nicht, so dass notfalls persönliche Installation zu Hause gegen Bezahlung angefordert werden musste.

Früher gehörte es zum Standardservice des Anbieters, das neue Telefon mitsamt Zubehör auch direkt zu Hause zu installieren, zu verbinden und zu testen. Das ist in Zeiten der Digitalisierung der Kommunikationsmedien obsolet, wo jeder ein kleiner Fernmeldetechniker sein soll? (Man stelle sich vor, beim Autokauf soll der Käufer selber die Benzinleitungen unter der Motorhaube anschließen und die komplizierte Elektronik im PKW nach Handbuchanweisung zum Laufen bringen, bevor er losfährt).

Tausendfache Kunden-Reklamationen wurden einfach nicht bearbeitet

In 2008 berichtete der Spiegel über einen „Skandal erster Güte“, weil Telekom Zehntausende Kunden-Reklamationen unbearbeitet liegen ließ und die Kunden davon nichts erfuhren. Im gleichen Jahr wurde über eine Überwachungsaffäre bei Telekom berichtet sowie über Korruptionsfälle bei Telekom in Österreich (2011). Schon in 2000 gab es große Anlegerklagen wegen des Börsengangs und Kursverlusten der T-Aktie und wegen aktueller Datenschutzprobleme bei T-Mobile US.

Für die Kunden und Nutzer ist die digitale Kommunikationswelt des so aufgestellten Konzerns dadurch nicht einfacher und verlässlicher, sondern komplizierter und zeitaufwändiger geworden, entgegen allen Service- und Heilsversprechungen. Noch weniger „mit Ruhm bekleckert“ hat sich die Postbank, die anfangs neben jedem Postschalter flächendeckend residierte, mit persönlichen Ansprechpartnern, und deshalb Kunden lockte. Doch das war einmal.

Bankgeschäfte per Internet: Geldinstitute wälzen am meisten auf ihre Kunden ab

Die heute kaum noch erreichbare Postbank als eine Pionierin des Online-Bankings endete nach Integration in die (zeitweilig kriminelle) Deutsche Bank zum Ärger der Bankkunden im Postbank-Chaos: Filialschließungen, Geldautomaten-Abbau, mangelhafte Kundenbetreuung und Probleme beim Online-Banking infolge misslungener IT-Umstellung. Im Bankwesen und bei den Sparkassen insgesamt sind durch das Online-Banking die gesamten Geldtransaktionen und Buchungsvorgänge, die früher von den Geldinstituten erledigt wurden, auf die Kunden abgewälzt worden, mitsamt erhöhten Risiken und erforderlichen Präventionsmaßnahmen gegen Missbrauch. Pionier des Online-Bankings war die Noris-Bank im Jahr 1980, also bereits vor 45 Jahren.

Der zunehmende Missbrauch beim Online-Banking durch Betrugsmaschen oder Täuschung (wie Pishing, Social Engineering oder Identitätsmissbrauch) mit 64% Betroffenen führt manchmal zu Geldverlusten, da die Banken nicht in jedem Falle haften. Dennoch stieg in Deutschland der Anteil der Online-Nutzung bei Bankgeschäften von 8 % im Jahr 1998 auf 84 % im Jahr 2024, weil die Banken immer weniger herkömmliche Alternativen dazu anbieten oder Gebühren für nichtdigitale Überweisungen etc. quasi als Strafe für den Mehraufwand erheben. Der Mehraufwand soll dagegen bei den Kunden verbleiben, die man dafür mit ständigen Gebührenerhöhungen und knauserigen Zinsen vergütet.

Vor dem Computerzeitalter wurden Bankgeschäfte ausschließlich über Vordrucke wie etwa Überweisungsträger oder Zahlscheine abgewickelt. Diese Vordrucke dienten den Kreditinstituten als Buchungsbeleg für die Verbuchung auf den beteiligten Girokonten. Durch die Einführung elektronischer Zahlungssysteme wie etwa dem elektronischen Massenzahlungsverkehr hat insbesondere der beleggebundene Zahlungsverkehr an Bedeutung verloren und wird wohl irgendwann ganz abgeschafft, was viele bedauern.

Sinkende Personalkosten, aber steigenden IT-Kosten im Bankwesen

Filialbanken verlieren gegenüber Direktbanken, die von dem veränderten Kundenverhalten profitieren aufgrund von deren Bereitschaft, auf Vor-Ort-Service und -Beratung zu verzichten und sich selber Informationen zu beschaffen. Der Anteil der Personalkosten im Bankwesen sank dadurch von 65% auf 45% und der Anteil der IT-Kosten stieg von einem Viertel auf die Hälfte der Gesamtkosten, so ermittelte die Hans-Böckler-Stiftung in einer Untersuchung. Mit den Filialschließungen und dem rigorosen Abbau der Geldautomaten sowie eingeschränktem Beratungsservice und erhöhten Gebühren sind nicht nur die Kundendienstleistungen minimiert und der Personalabbau und die Gewinne maximiert worden, sondern das bargeldlose Bezahlen mit der mittelfristigen Abschaffung des Bargeldes überhaupt forciert worden (obwohl andere Länder davon wieder abgekehrt sind).

Umfragen der Postbank von 2025 zufolge wollen jedoch nur 9,7% komplett auf das Bargeld verzichten, während sich 64% an den Geldautomaten mit Bargeld versorgen und 14% an der Ladenkasse beim Einkaufen. Demnach müsste die Automatendichte wieder erhöht statt reduziert werden. Stattdessen lässt man uns Kunden weit laufen oder fahren zum nächsten Geldautomaten oder Supermarkt und zwingt uns zu Online-Tätigkeiten, die zuvor das Sparkassenpersonal für uns erledigte. (Das wäre so ähnlich, als wenn die Lehrer in der Schule zu ihrer Entlastung die Eltern in der Klasse verpflichten würden, die Klassenarbeiten ihrer Kinder selber zu korrigieren, bevor sie die Noten ihrer Kinder erhalten). Die Bankkunden lassen sich einiges gefallen.

Kundenzufriedenheit im Bankwesen nachrangig?

Die örtlichen Sparkassen und Volksbanken mit ihrer viel gepriesenen Kundennähe und ihrem einstmals guten Ruf, schließen sich durch Fusionen immer mehr regional zusammen und passen ihre Geschäftspolitik denen der Privatbanken an. Klar definierte Verkaufsziele und -vorgaben haben Vorrang vor Kundenzufriedenheit, so die Untersuchungsergebnisse der Hans-Böckler-Stiftung. Damit geraten die Sparkassen und Volksbanken in den Verdacht, nicht mehr so fair und verlässlich wie früher zu sein (z.B. auch bei der Zinspolitik). Eigentlich sollte man annehmen, dass für jedes Unternehmen die Kunden das A und O sind. Doch eine Studie von 2020 legt nahe, dass die meisten Banken mit sich selber beschäftigt sind. Dabei wünschen sich laut einer PwC-Studie die Bankkunden relevante Informationen und Interaktion mit ihrer Bank. Die Kundenzufriedenheit bleibt häufig hinter den Erwartungen zurück.

In vielen Banken und Sparkassen „nimmt die Kundenbetreuung Züge von Fließbandarbeit an: Standardprodukte sollen möglichst reibungslos und in großen Mengen verkauft werden, mit Nachteilen für Beschäftigte und Kunden“. Zu diesem Ergebnis kam eine frühere Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung schon in 2010. Die Kundenberater hätten fast keine Spielräume mehr bei ihrer Arbeit. „Egal ob Groß- oder Volksbank: Inzwischen steuern fast alle die Arbeit in ihren Filialen nach amerikanischem Vorbild“. Für die Kunden verheißt das nichts Gutes, die gezwungen sind, immer mehr Serviceleistungen selber zu substituieren. Die Betreuung kleiner und mittlerer Privatkunden sowie lokaler Unternehmen wird für viele Geldinstitute immer unattraktiver. Man möchte sich am liebsten von dieser lästigen Klientel trennen, weil man sie als Kunden nicht mehr will. Der Dienstleistungsgedanke wird den Bankern immer fremder, aber auch den übrigen (einschließlich öffentlichen) Dienstleistern.

Droht uns Mehrarbeit durch die Verheißung der digitalen Verwaltung?

Das im Jahr 2017 in Kraft getretene „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen – Onlinezugangsgesetz (OZG)“ – verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten (eigentlich schon bis 2022). Zum einen müssen deshalb Verwaltungsleistungen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene digitalisiert werden. Zum anderen muss eine IT-Infrastruktur geschaffen werden, die jeder Nutzerin und jedem Nutzer den Zugriff auf die Verwaltungsleistungen angeblich „mit nur wenigen Klicks“ ermöglicht. Die Nutzerorientierung hat bei der OZG-Umsetzung oberste Priorität, so lautet das großspurige Versprechen. Das heißt, alle Digitalisierungsprozesse sind an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer, also der Bürger und Kunden, auszurichten. Ist das aber tatsächlich der Fall?

Eine umfassende Digitalisierung und Vereinheitlichung der deutschen Verwaltung kann nur im Zusammenspiel von Bund, den 16 Bundesländern und den circa 11.000 Kommunen gelingen. Dafür müssen die Beteiligten auf ganz neue Art zusammenarbeiten – über Ressortgrenzen und Verwaltungsebenen hinweg. Das beinhaltet einen immensen Koordinationsaufwand, der bislang noch nicht oder nur in Teilbereichen zu ausgereiften Ergebnissen geführt hat. Wir wirkt sich das für uns als Bürger aus bei der freiwilligen oder zwangsweisen Nutzung der künftig digitaler Dienstleistungen? Ist nicht in Wirklichkeit Mehrarbeit und Mehraufwand für uns zu befürchten, bis die zu koordinierenden Systeme der verschiedenen Verwaltungsebene und Fachbehörden wirklich ausgereift sind? Und wälzen nicht damit die Behörden viele Arbeitsvorgänge von den Bediensteten auf uns Bürger ab statt uns zu entlasten?

Profitieren auch wir von der „Verwaltungsvereinfachung“?

Höchstwahrscheinlich werden wir als Bürger und Steuerzahler wie schon bisher immer mehr in die Verpflichtung genommen, den Sachbearbeitern in den Verwaltungen, Behörden und Finanzämtern einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen und damit deren Stelle einzusparen zugunsten einer „schlanken Verwaltung“ mit angeblich beschleunigter Bearbeitung. Unter dem Versprechen der „Entbürokratisierung“ und „Verwaltungsvereinfachung“ wird uns die digitale Verwaltung mit dem „E-Government“ schmackhaft gemacht, obwohl für uns als Bürger und Kunden damit vielfältige Mehrarbeit auf uns zukommt bei digitalen Antragstellungen etc. für die verschiedenen Anliegen und Rechtsgebiete. Manche Behördenleistungen wollen wir eigentlich gar nicht, sondern diese werden uns per Gesetz auferlegt.

Viele Kommunalverwaltungen schaffen in dem Zuge zugleich Gebührenzahlungen per Bargeld komplett ab um ihre interne Aufwände betriebswirtschaftlich zu verringern und zwingen zu Online-Zahlungen, obwohl viele Ältere dazu nicht in der Lage sind und somit abgehängt werden. Profitieren auch wir insgesamt von der „Verwaltungsvereinfachung“ oder macht sich vor allem die Verwaltung selber ihren bürokratischen Alltag dank unserer Mitarbeit einfacher? Damit werden wir selber zu kleinen Bürokraten in eigener Sache.

Steuerzahler nehmen Finanzbeamten viel Arbeit ab

Wer als Steuerzahler seine Steuererklärung selber über das Elster-Programm elektronisch statt per Papierform abwickelt (diese Alternative wird wohl bald abgeschafft), hat lange Jahre warten müssen, bis das umständliche Elster-Programm als Plattform und mit seiner Navigation so ausgereift war, dass es wirklich benutzerfreundlich wurde. Software-Ergonomie und „Barrierefreiheit“ im Netz ist ein Fremdwort. Die Probleme beim Anmelde- und Identifikationsprozess im Zusammenhang mit den Zertifikatsdateien sowie der Kontakt zum Kundenservice lassen weiterhin zu wünschen übrig, ebenso fehlende Hinweise bei Falscheingaben sowie mangelnde Korrekturmöglichkeiten.

Es verbleiben die komplizierten und erklärungsbedürftigen Formulare und die fehlenden Steuertipps. Angeblich erhält der Antragsteller den Steuerbescheid und die Steuererklärung schneller, kann aber dennoch zwischen 6 Wochen und 6 Monaten dauern. (Wir müssen Verzugszinsen zahlen, wenn wir unsere Steuererklärung zu spät abgeben, während sich das Finanzamt viel Zeit lassen kann ohne Zinszahlungen an uns). Fazit: Der Steuerzahler nimmt vor allem den Finanzbeamten erhebliche Arbeit ab, während sich die Vorteile in Grenzen halten oder kaum erkennbar sind. Die Hauptarbeit wird auf die Antragsteller abgewälzt, die mit den unübersichtlichen Formularen und dem finanzrechtlichen Fachvokabular ungeschult zurechtkommen.

 

 

 

 

 

 

 

Bildbearbeitung: L.N.