„Kollege Hoffmann, Sie irren“ – Illusionäre Hoffnungen in bezug auf TTIP und zweifelhafte Analysen zum Arbeitsrecht

13040_org»Kollege Hoffmann, Sie irren!«

Illusionäre Hoffnungen in bezug auf TTIP und zweifelhafte Analysen zum Arbeitsrecht.

Ein offener Brief an den DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann

Von Werner Rügemer:

Sehr geehrter Herr Kollege Hoffmann, anlässlich des Besuchs von US-Präsident Barack Obama bei der gerade zu Ende gegangenen Hannover-Messe erklärten Sie: Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) müssten auch von den USA anerkannt werden, das würde Druck auf die US-Bundesstaaten ausüben, damit die Normen umgesetzt werden. Außerdem hätten die USA im bereits ausverhandelten Abkommen zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP) schon gefordert, dass die ILO-Kernnormen anerkannt werden.

Kollege Hoffmann, Sie irren. 

Sehr geehrter Herr Kollege Hoffmann, anlässlich des Besuchs von US-Präsident Barack Obama bei der gerade zu Ende gegangenen Hannover-Messe erklärten Sie: Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) müssten auch von den USA anerkannt werden, das würde Druck auf die US-Bundesstaaten ausüben, damit die Normen umgesetzt werden. Außerdem hätten die USA im bereits ausverhandelten Abkommen zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP) schon gefordert, dass die ILO-Kernnormen anerkannt werden.

Kollege Hoffmann, Sie irren. Die Würfel für die Ablehnung der ILO-Normen beim Verhandlungspartner USA sind längst gefallen. Beginnen wir mit der TPP, welche die USA mit südamerikanischen und asiatischen Staaten beschlossen haben. Da haben sich, im Unterschied zu Ihrer Behauptung, die USA nicht auf die ILO-Normen festgelegt. Im Kapitel 19 »Trade and Labour« fängt es zwar gut an: »Alle Unterzeichnerstaaten werden in ihren Gesetzen und Regulierungen und damit verbundenen Praktiken die folgenden Rechte übernehmen und aufrechterhalten, wie sie in der ILO-Erklärung enthalten sind: Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts auf kollektive Tarifverträge; Abschaffung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit; Abschaffung von Kinderarbeit und, für die Zwecke dieses Abkommens, das Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit sowie die Abschaffung von Diskriminierungen in Hinsicht auf Beschäftigung und Beruf.«1

Aber so gut sich das anhört – der Text täuscht etwas vor. Es werden hier nämlich nicht die originalen acht zwischen 1930 und 1999 vereinbarten ILO-Kernarbeitsnormen2 herangezogen, sondern die »ILO-Erklärung von 1998«. Sie legt vier »Grundrechte« fest, die nur auf die acht Kern­arbeitsnormen der ILO hinweisen und auch nicht deren verbindliche Ausführungsbestimmungen enthalten. Mit diesem »Mindestsozialsockel« will man angesichts der Globalisierung auf »die Vielfalt der Verhältnisse, Möglichkeiten und Präferenzen jedes Landes achten«. Dabei dürfe auch »der komparative Vorteil eines Landes durch diese Erklärung (…) in keiner Weise in Frage gestellt werden«.3 Damit bezieht man auch die Staaten ein, die die wichtigen ILO-Normen bisher nicht ratifiziert haben. Zum »komparativen Vorteil eines Landes« gehören bekanntlich auch niedere Arbeitsstandards. So wurde aus Kernarbeitsnormen der ILO eine unverbindliche Absichtserklärung.

ILO-Arbeitsrechte verwässert

Die ILO-Kernarbeitsnormen enthalten jeweils eine ganze Reihe von Ausführungsbestimmungen, die in der »Erklärung« und im TPP-Vertrag fehlen. Haben Sie das bemerkt, Kollege Hoffmann? Das sei an drei ILO-Kernarbeitsnormen verdeutlicht. 1. Beim Recht auf Vereinigungsfreiheit (Koalitionsfreiheit) der Beschäftigten in unabhängigen Gewerkschaften heißt es im Original: »Die Behörden haben sich jedes Eingriffes zu enthalten, der geeignet wäre, dieses Recht zu beschränken oder dessen rechtmäßige Ausübung zu behindern« (ILO-Norm 87, Artikel 3, 2) und »Die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Rechte dürfen weder durch die innerstaatliche Gesetzgebung noch durch die Art ihrer Anwendung geschmälert werden« (Artikel 8, 2).4 Die USA haben diese Norm nicht ratifiziert. Sie tolerieren dagegen gewerkschaftsfeindliche »Right to work«-Gesetze, die inzwischen von 26 ihrer Bundesstaaten, also mehr als der Hälfte, beschlossen wurden. Und Washington duldet ebenso das freie Agieren der Dienstleistungsbranche Union Busting: Deren Vertreter dürfen im Auftrag der Unternehmensführung die Verfahren zur Wahl einer Belegschaftsvertretung behindern, mit dem Ziel, die Wahl scheitern zu lassen.

2. Beim Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge heißt es in der ILO-Kernarbeitsnorm, dass die Beschäftigung eines »Arbeitnehmers« nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob er Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Und es ist nicht erlaubt, dass »Arbeitgeber oder von einer Organisation von Arbeitgebern abhängige (»gelbe«, W. R.) Organisationen von Arbeitnehmern ins Leben rufen oder Organisationen von Arbeitnehmern durch Geldmittel oder auf sonstige Weise unterstützen«.5 Die USA haben diese Norm nicht ratifiziert.

3. Bei der Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit heißt es in der ILO-Kernarbeitsnorm 29, dass die Häftlingsarbeit nicht zum Gewinn für private Unternehmen dienen darf.6 Die USA haben diese Norm nicht ratifiziert, weil sie ihren umfangreichen Gefängnisindustriekomplex aufrechterhalten wollen, der Teil der Konzernwirtschaft ist.

Die USA haben von den acht ILO-Kernarbeitsnormen nur zwei ratifiziert, die drei genannten gehören nicht dazu. Trotzdem können sich die USA und andere Staaten nun mit Hilfe der Erklärung von 1998 auf die Normen berufen, ohne sie ratifiziert zu haben und also ohne sie einhalten zu müssen. Aber auch europäische Staaten, die die acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert haben, werden durch die Erklärung von den Ausführungsbestimmungen entbunden.

TPP: Weitere 177 Arbeitsrechte fehlen

Der DGB ist auch in den ILO-Gremien vertreten. Haben die Abgesandten des Gewerkschaftsdachverbands noch nie von der Augenwischerei in der ILO-Erklärung von 1998 gehört, Kollege Hoffmann? Erstens sind darin nicht die vier Verwaltungsnormen enthalten, die das Handeln der Arbeitsaufsichtsbehörden regeln. Vor allem aber zweitens: In der Erklärung sind die 177 »technischen« ILO-Normen nicht enthalten.7 Der Begriff »technisch« klingt neutral und eher unwichtig, aber diese Normen haben es in sich. Sie regeln wesentliche Arbeitsrechte, zum Beispiel: Kündigungsschutz im allgemeinen sowie für Schwangere und Behinderte im besonderen; Recht auf bezahlten Urlaub; auf Kranken-, Arbeitslosigkeits-, Arbeitsunfähigkeits- und Rentenversicherung; Recht auf Schutz vor Gefahren am Arbeitsplatz (chemische Stoffe, Strahlung, Lärm, Erschütterungen); Recht auf Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheit; Recht auf geregelte Arbeitszeiten, Pausen und Nachtarbeit; Rechte für Haushaltshilfen, indigene Arbeiter und Arbeitsmigranten; Rechte und Pflichten von privaten Arbeitsvermittlern. Die USA aber haben von den 177 technischen Normen nur elf ratifiziert – und keine der genannten.

Alle diese ILO-Normen werden im Vertrag zur TPP kursorisch zusammengefasst: »Jeder Staat soll/wird Gesetze und Regulierungen übernehmen und aufrechterhalten und für entsprechende Praktiken sorgen, die akzeptable Arbeitsbedingungen hinsichtlich Mindestlöhnen, Arbeitszeiten und beruflicher Sicherheit und Gesundheit beinhalten.«8 Das ist reichlich unbestimmt und steht noch unter einem weiteren Vorbehalt: Jeder Vertragsstaat kann selbst bestimmen, was »akzeptabel« ist. Damit das ganz klar ist, heißt es ergänzend: »Kein Staat darf auf einen anderen Staat einwirken, um dort die im Vertragswerk vereinbarten Arbeitsrechte umzusetzen.«9

Der DGB liegt also falsch, wenn er davon ausgeht, die USA hätten im TPP-Abkommen den ILO-Kernarbeitsnormen zugestimmt. Außerdem, Kollege Hoffmann: Sie lassen die »technischen« Normen vollkommen außer acht, obwohl sie zum Kernbestand des deutschen und europäischen Arbeitsrechts gehören. Im Unterschied zu den USA haben die EU-Staaten im Durchschnitt zumindest etwa 80 der »technischen« Normen ratifiziert.

Private Schiedsgerichte

Im TPP-Abkommen geht es in dem Kapitel zu Arbeitsrechten hauptsächlich um »Koopera­tion«.10 Beschäftigte und Unternehmer sollen ihre gemeinsamen Interessen in neuen Verfahren und Gremien herausarbeiten. Haben Sie dieses Kapitel gelesen, Kollege Hoffmann? Zu den 24 Aufgaben der Kooperation gehören folgende: Schaffung von Arbeitsplätzen; Förderung von produktiver und qualitätsvoller Beschäftigung; Förderung von Wachstum, das zahlreiche Arbeitsplätze mit sich bringt; Förderung von nachhaltigen Unternehmen. Das sind im Prinzip gute Ziele. Doch ihre Durchsetzung im gewerkschaftlichen Sinne bleibt unwahrscheinlich, denn nirgends ist von einer Stärkung der Mitbestimmung die Rede, im Gegenteil. Instrumente der Kooperation sollen mit TPP sein: gemeinsame Seminare, Dialoge, digitale Plattformen, Best practice-Listen,11 gemeinsame Studienreisen und Forschungen. Weitere Aufgaben werden darin gesehen, »Humankapital« zu entwickeln und die »Employability«, also die Fähigkeit, am Berufs- und Arbeitsleben teilzunehmen, zu optimieren. Das klingt doch sehr nach bekannten Unternehmerwünschen.

Zur Kooperation der Beschäftigten mit den »Arbeitgebern« gehören »alternative Streitschlichtungen«. Gemeint ist damit die von Arbeitgeberseite geförderte Praxis, dass Beschäftigte bei Kündigungen und anderen Konflikten nicht vor Gericht gehen, sondern sich einem vom Unternehmen beauftragten Moderator anvertrauen. Schließlich sollen alle Staaten Arbeitsräte (labour councils) gründen, die aus Regierungs- und Behördenvertretern bestehen und von Beschäftigten und «Arbeitgebern» benannt werden sollen. Beide sollen bei diesen Räten Kontaktstellen einrichten, die eine geregelte Kommunikation organisieren. Wenn es einmal nicht zu einer Einigung käme, sollen auch hier außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren genutzt werden.

Neben den von Ihnen, Kollege Hoffmann, zu Recht angeprangerten privaten Schiedsgerichten soll also auch auf unterer Ebene eine neue Bürokratie eingerichtet werden, die bisherige Formen der Konfliktaustragung, auch die in staatlichen (Arbeits-)Gerichten, ersetzt. Das läuft somit auf private Schiedsgerichte im Kleinen hinaus! Haben Sie das nicht bemerkt?

Druck auf die US-Bundesstaaten?

Sie behaupten weiter: Wenn die US-Regierung die ILO-Kernarbeitsnormen im Abkommen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) anerkennen würde, dann könnte sie Druck auf die US-Bundesstaaten ausüben, die noch schlechtere Arbeitsgesetze haben als der Zentralstaat. Auch hier liegen Sie falsch. Das Hauptproblem besteht bekanntlich schon darin, dass alle bisherigen US-Regierungen und das Parlament die wesentlichen ILO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert haben. Und schon gar nicht waren bisherige Freihandelsabkommen wie NAFTA mit Kanada und Mexiko für die USA Anlass, wenigstens diese Normen zu ratifizieren. Deshalb herrscht für die große Mehrheit der einfacheren Beschäftigten in den USA das Unternehmerrecht von »Hire and fire«, also einstellen und rauswerfen bei Bedarf. Deshalb darf sich die Union-Busting-Branche frei betätigen. Auch deshalb ist der Organisationsgrad der Beschäftigten in der Industrie von 35 Prozent nach dem Zweiten Weltkrieg auf sechs Prozent abgesunken und sinkt weiter. Nirgendwo sonst in den westlichen entwickelten Volkswirtschaften sind Arbeiter und Arbeitslosen so arm wie in den USA, gemessen sowohl an der absoluten Kaufkraft wie auch am Verhältnis zu den politisch gehätschelten und einflussreichen 0,01 Prozent der Superreichen.¹²

Kollege Hoffmann, US-Regierungen üben auf US-Bundesstaaten keinen Druck aus. Der US-Kongress hat schon 1947 mit dem Taft-Hartley-Gesetz den US-Bundesstaaten das Recht gewährt, abweichende Arbeitsgesetze zu beschließen. Noch nie hat eine US-Kabinett Druck ausgeübt, um das zu ändern – es ist ja gesetzlich geschützt.

US-Rentensystem vor Bankrott

Lohnabhängige in den USA haben auch als Rentner keine guten Aussichten. 2014 beschloss der US-Kongress, dass die 1.400 Rentenfonds die vereinbarten Rentenzahlungen kürzen dürfen, wenn sie sonst in den nächsten zehn bis 20 Jahren absehbar in die Pleite gehen. Deshalb wird der Rentenfonds Central States Pension Fund (CSPF) wahrscheinlich ab 1. Juli 2016 als erster die Renten kürzen, weil er sonst im Jahre 2025 bankrott wäre. Die 250.000 betroffenen Ruheständler erhalten nach der noch ausstehenden Genehmigung durchschnittlich 23 Prozent weniger. Der CSPF ist in sechs US-Staaten die Rentenversicherung der Transportarbeiter. Der staatliche Rentensicherungsfonds Pension Benefit Guaranty Corporation (PBGC) soll in solchen Situationen einspringen. Aber ihm droht für das Jahr 2025 selbst die Pleite. Schon wenn er nur den jetzt bereits schwächelnden Rentenfonds CS FP retten sollte, wäre er überfordert.

Laut dem PBCG erfüllen gegenwärtig etwa 140 Rentenfonds die Voraussetzung dafür, wegen absehbarer Insolvenzen die Erlaubnis zur Kürzung der Renten zu beantragen.13 Die Verbraucherschutz-Organisation Pension Rights Center prognostiziert: »Das wird die Schleusen für weitere Kürzungen öffnen.« Diese Situation entstand zum einen im Ergebnis gesunkener Löhne, aber zum anderen in der Finanzkrise seit 2008. Die Rentenfonds haben auf gesetzlicher Grundlage das Geld ihrer Versicherten vielfach in US-Wertpapieren angelegt, die sich als hochspekulativ und weitgehend wertlos erwiesen. Während Washington den betrügerischen AIG-Versicherungskonzern mit über 185 Milliarden Dollar vor der Pleite rettete, wird unter der Obama-Regierung der staatliche Pensionssicherungsfonds nicht gestüzt, obwohl das weniger kosten würde.

Konzerne drängen auf TTIP

Obama hat während der diesjährigen Hannover-Messe versichert, mit dem TTIP würden die Standards nicht gesenkt, sondern erhöht. Die Standards für die vor den Schiedsgerichten allein klageberechtigten Privatinvestoren werden gewiss erhöht, aber für die abhängig Beschäftigten und die Gewerkschaften ist das Gegenteil programmiert. Das geht nicht nur aus dem Arbeitsrechtskapitel im TPP-Vertragstext hervor. Es stimmt übrigens fast wörtlich auch mit dem Kapitel »Trade and Labour« im CETA, dem entsprechenden Abkommen zwischen Kanada und der EU, überein.

Die Banken und Unternehmen keines Staates sind mit der US-Wirtschaft so eng verbunden wie die der Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt – außer denen der Bahamas, der Cayman Islands und denen Luxemburgs. Aber auch die großen Geldhäuser und Konzerne bis hinein in den spezialisierten Mittelstand in der gesamten Europäischen Union sind mit dem transatlantischen Wirtschaftsraum so eng verflochten wie mit sonst keiner Region: durch Handel, gegenseitige Niederlassungen, Eigentumsanteile und auch Lobbyisten. Europäische Unternehmen drängen seit spätestens zwei Jahrzehnten verstärkt in die USA, vor allem in die Right to work-Bundesstaaten mit ihren Niedriglöhnen. Aus Deutschland nutzen das vor allem die Bank-, Auto-, Pharma-, Telekommunikations- und Maschinenbaufirmen. Und sie tun das umso mehr, seitdem sie Marktanteile in der Ukraine und in Russland sowie Anlagemöglichkeiten in den überschuldeten EU-Krisenstaaten verlieren.

Transatlantikabkommen stoppen!

Kollege Hoffmann, warum sind Sie immer noch der Bundesregierung verpflichtet, und auch Konzernen wie VW, BMW, Daimler, BASF, Bayer, Telekom, Deutsche Post, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Commerzbank, RWE und E.on? Diese TTIP- und CETA-Drängler bauen die hier noch vergleichsweise guten und sicheren Arbeitsplätze weiter ab und wollen in den USA die dortigen Nischen noch leichter nutzen.

Die westliche Freihandelspolitik und die globale Praxis der Konzerne sind auf die Absenkung der Arbeitsrechtsstandards ausgerichtet. Das gilt für die Kernregionen USA und Europäische Union genauso wie für die schwächeren Freihandelspartner in Südamerika, Afrika und Asien. Diese Politik kann und will, trotz anderslautenden Versprechen, auch kein Plus an bezahltem Arbeitsvolumen schaffen, im Gegenteil. Der Wunsch von zig Millionen Menschen, mehr arbeiten zu können, wird immer weniger erfüllt. Der forcierte Freihandel wird zudem mit der Digitalisierungs- und Automatisierungseuphorie verbunden. Damit soll die Arbeitskraft weiter individualisiert, entmachtet, ausgepresst, verschlissen und schlechter bezahlt werden. Damit sollen auch Bedingungen geschaffen werden, um der Umsetzung von Arbeitsrechtsnormen, sowohl kollektiver wie individueller Art, den Boden zu entziehen.

Zu Beginn des CETA-Arbeitsrechtskapitels heißt es: Internationaler Handel »kann zu Vollbeschäftigung und anständiger Arbeit beitragen«.14 »Anständige Arbeit« (decent work) ist ein rechtlich unbestimmter Begriff, der von Unternehmen neuerdings gern verwandt wird. Doch Arbeitslosigkeit und unanständige Arbeit waren in der EU und in den USA und in ihren neuen Investitionsregionen noch nie so verbreitet wie heute. Auch in Unternehmen, an denen der deutsche Staat beteiligt ist – Post, Bahn, Lufthansa, Telekom, Fraport – werden unanständige Arbeitsverhältnisse ausgebaut und bekanntlich etwa von der Telekom in den USA genutzt. Kollege Hoffmann, soll mit TTIP plötzlich das Gegenteil möglich sein?

Die Internationale Arbeiterorganisationen war im Rahmen des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden. Sie griff einige der schon während des Krieges aufgekommenen Forderungen der Arbeiterbewegung auf und beschloss erste internationale Arbeitsrechtsnormen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die ILO eine Sonderorganisation der UNO. Seitdem sind die Allgemeinen Menschenrechte die Grundlage für die Arbeitsrechtsnormen. Doch in der ILO, in der Regierungen, Unternehmenslobbys und Gewerkschaften vertreten sind, wurden letztere schwächer. Die laue ILO-Erklärung von 1998 war der globalisierungsgetriebene Sündenfall. Auch wenn die EU-Staaten ungleich mehr ILO-Normen ratifiziert haben als die USA, so gelten diese Vereinbarungen, auch wenn sie ratifiziert wurden, in der Praxis immer weniger. Durch »Reformen« des Arbeitsrechts wie die »Hartz«-Gesetze in Deutschland werden sie unterhöhlt, ebenso durch die Regierungen jetzt in Frankreich und Italien und durch die Troika von EZB, IWF und Europäischer Kommission in Griechenland.

TTIP ist ein Anlass, dass sich Gewerkschaften auf der Grundlage auch der Menschenrechte neu aufstellen, national und global, meinen Sie nicht, Kollege Hoffmann? Dazu gehört das klare Bekenntnis: Nein zu TTIP!

Anmerkungen

1 Siehe www.mfat.govt.nz/assets/_securefiles/Trans-Pacific-Partnership/Text/19.-Labour-Chapter.pdf

2 Das sind die Normen 87, 98, 29, 105, 100, 111, 138 und 182; siehe www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/kernarbeitsnormen/lang–de/index.htm

3 Siehe www.ilo-berlin/documents/normativeinstrument/wcms_193727.pdf

4 Siehe www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c087_de.htm

5 ILO-Norm 98, Artikel 1, 2a und 2, 2: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c098_de.htm

6 »Die zuständige Stelle darf Zwangs- oder Pflichtarbeit zum Vorteile von Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen weder auferlegen noch zulassen» (ILO-Norm 29, Artikel 4, 1).

7 www.ilo.org/berlin/lang—de/index.htm. Dort anklicken: Arbeits- und Sozialstandards, danach anklicken: Alle Konventionen

8 TPP, Chapter 19: Labour, 19.3.1 Labour Rights: https://medium.com/the-trans-pacific-partnership/labour-66e8e6f4e8d5#.wq28f99uw

9 TPP, Chapter 19.3.2, auf derselben Website

10 TPP, Chapter 19.10 «Cooperation» ebenda

11 Ranking der als vorbildlich erachteten betrieblichen Praktiken.

12 The American Middle Class is no longer the World›s richest, in: New York Times vom 22.4.2014

13 One of the nation‹s largest pensions funds could soon cut benefits for retirees, in: Washington Post vom 20.4.2016

14 Siehe CETA, Chapter 24 «Trade and Labour», Article 1: www.international.gc.ca/tradeagreement-accords-commerciaux/agr-acc/ceta-aecg/text-texte/24.aspx?lang=eng

 

Quelle: Werner Rügemer, Junge Welt

Bild: dgb