Millionen sind stärker als Millionäre – Für eine antimilitaristische und nachhaltige Orientierung der IG-Metall-Industriepolitik

Von Andreas Buderus

Die Industriekonferenz der IG Metall (IGM) Mitte September markierte einen wichtigen Moment der gewerkschaftlichen Selbstverständigung. Vor über 250 Betriebsräten, Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern haben die beiden Spitzenfunktionäre der Gewerkschaft, Christiane Benner und Jürgen Kerner, die Bedeutung industrieller Arbeit für Wohlstand, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt betont. Benner erinnerte daran, dass »Millionen stärker sind als Millionäre«, und forderte eine Industriepolitik mit Gestaltungsanspruch, finanziert durch höhere Steuern für Vermögende. Kerner wiederum hob hervor, dass die Zukunft von Industriearbeit eine Frage des politischen Willens sei: Standort- und Beschäftigungssicherung, Tarifbindung und Investitionen in erneuerbare Energieträger gehörten zu den Stellschrauben für »gute Arbeit«.

Leerstelle Militarisierung

Die Botschaften von Benner und Kerner sind klar: Industriearbeit gilt als systemrelevant, sie soll erhalten und erneuert werden. Doch die entscheidende Leerstelle bleibt die Frage der Militarisierung. Während die IGM-Spitze den Erhalt industrieller Wertschöpfung und von Arbeitsplätzen zu Recht betont, drängt die Kriegswirtschaft auf die Tagesordnung: Bundes- und Landespolitik, Konzerne und Verbände drängen darauf, Rüstung als »Zukunftsindustrie« zu verankern. Rheinmetall und andere Kriegskonzerne melden Rekordgewinne, die Bundesregierung plant ein Aufrüstungsprogramm historischen Ausmaßes.

Die Satzung der IG Metall verpflichtet die Organisation ausdrücklich auf andere Ziele: den Einsatz für Frieden, Völkerverständigung, Abrüstung, demokratische Kontrolle der Wirtschaft und Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien. Schon in den 1980er Jahren formulierte die Gewerkschaft, dass sie Rüstungskonversion – also die Umwandlung militärischer in zivile Produktion – befördern müsse. Diese Grundsätze sind kein formales Beiwerk, sondern Resultat der antifaschistischen Erfahrung der Arbeiterbewegung und der bitteren Niederlage in der Weimarer Republik, als Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu spät und zu halbherzig gegen Militarismus, Kriegsvorbereitung und Faschismus opponierten.

Gerade in dieser historischen Perspektive stellt sich heute die Frage: Hält die IG Metall angesichts der weltweiten Kriege an ihren eigenen Ansprüchen und Zielen fest, oder bewegt sie sich in Richtung einer Mitverwaltung des Militarismus? Die aktuelle Forderung der IG Metall Küste nach einer Übergewinnsteuer für die Rüstungsindustrie verdeutlicht das Dilemma: Einerseits greift sie zu Recht die Profiteure des Krieges an, andererseits bleibt sie im Rahmen einer Politik, die die Existenz und Expansion der Rüstungsproduktion affirmiert, statt ihre Vergesellschaftung und ihre Umwandlung in zivile und gesellschaftlich sinnvolle Produktion einzufordern.

Damit steht die Gewerkschaft an einem Scheideweg: Folgt sie der Kriegsregierung 2.0 weiter in den rüstungskeynesianistischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, oder nimmt sie ihre eigenen Satzungsziele ernst – für eine vergesellschaftete antimilitaristische und ökologisch nachhaltige Industriepolitik?

Debatte um »Übergewinnsteuer«

Die IG Metall Küste hat Mitte September 2025 ein politisches Signal gesetzt: Sie fordert eine Übergewinnsteuer für Rüstungskonzerne. Hintergrund sind die enorm gestiegenen Profite von Rheinmetall, Hensoldt oder Leonardo seit Beginn des ­Ukraine-Krieges. Während die Beschäftigten in allen Branchen mit Inflation, steigenden Energiepreisen und wachsender Unsicherheit kämpfen, feiern die Rüstungskonzerne Börsenrekorde – gestützt durch milliardenschwere Staatsaufträge, also durch Steuergelder. Bezirksleiter Daniel Friedrich formulierte es scharf: »Rüstungskonzerne machen Rekordgewinne – nicht wegen Innovation oder Risiko, sondern wegen Krieg und staatlichen Aufträgen. Das darf keine Lizenz zum Gelddrucken sein.«

Der Vorschlag der IG Metall Küste sieht vor, dass Gewinne, die mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegen, mit einem zusätzlichen Steuersatz von 50 Prozent belegt werden sollen. Friedrich verweist auf historische Vorbilder: Während der Weltkriege seien Übergewinne in den USA, Großbritannien und Frankreich mit bis zu 95 Prozent besteuert worden. Auch die Energiekrise 2022/23 habe gezeigt, dass solche Sondersteuern gesellschaftlich durchsetzbar sind.

Die Forderung ist ohne Zweifel populär – sie setzt an einem verbreiteten Gerechtigkeitsempfinden an. Doch aus marxistischer Perspektive bleibt sie ambivalent. Denn die Übergewinnsteuer greift nicht die Eigentums- und Machtverhältnisse an, die diese Profite hervorbringen. Sie stellt lediglich sicher, dass ein Teil der Kriegsgewinne abgeschöpft und für »gesellschaftliche Aufgaben« wie Bildung, Transformation oder Soziales verwendet wird. Damit wird die Rüstungsproduktion jedoch nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil als unvermeidlicher Bestandteil der ökonomischen Ordnung akzeptiert.

Mehr noch: Die Gewerkschaft bewegt sich mit dieser Forderung in den Bahnen einer kriegskeynesianistischen Logik, die von der Bundesregierung längst verankert ist. Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) spricht offen von einem »Investitionsbooster«, der mit Steuergeldern und Sonderfonds vorrangig den Ausbau des Rüstungssektors subventioniert. Die neue Schuldenpolitik priorisiert Aufrüstung gegenüber Klimaschutz und Infrastruktur. Während Panzer, Munition und Kampfflugzeuge ohne Budgetbegrenzung finanziert werden, stehen Mittel für Schulen, Krankenhäuser oder den ökologischen Umbau unter »Finanzierungsvorbehalt«.

In dieser Konstellation wirkt die Übergewinnsteuer wie ein Feigenblatt. Sie macht den Rüstungsboom nicht rückgängig, sondern tarnt ihn als »sozial gerecht«. Statt das kriegsgetriebene Produktionsmodell in Frage zu stellen, akzeptiert die IG Metall Küste damit die Logik des Militarismus und beschränkt sich auf dessen Umverteilungseffekte.

Der entscheidende blinde Fleck bleibt dabei die Eigentumsfrage. Vom gewerkschaftlich klassenautonomen Standpunkt aus ist es eben nicht entscheidend, ob ein kleiner oder größerer Teil der Rüstungsprofite in die öffentliche Kasse fließt, sondern ob diese Profite überhaupt entstehen dürfen – also ob die Rüstungsproduktion als solche akzeptiert und staatlich gepampert oder vergesellschaftet, konvertiert und überwunden wird. Eine Steuerpolitik, die lediglich Kriegsgewinne abschöpft, bedeutet in letzter Konsequenz die politische Anerkennung des Rüstungssektors als legitimer Teil der Wertschöpfung. Damit gerät die Gewerkschaft in Widerspruch zu ihren eigenen Satzungszielen.

Wenn also Gewerkschafter wie IGM-Bezirksleiter Küste Daniel Friedrich betonen, es gehe um »Solidarität und Verantwortung in Krisenzeiten«, so ist zu fragen: Solidarität mit wem? Verantwortung gegenüber wem? Eine Politik, die die Rüstungskonzerne als gegeben hinnimmt und nur ihre Extraprofite besteuern will, läuft Gefahr, zur sozial verbrämten Begleitmusik einer Militarisierungspolitik zu werden, die im Kern kapitalistische Klasseninteressen absichert.

Kriegskeynesianismus

Militär- bzw. Rüstungskeynesianismus ist keineswegs neu. Schon im Zweiten Weltkrieg wurde diese Form der Wirtschaftspolitik geprägt: Aufrüstung und Krieg beseitigten in den USA und in Großbritannien die Massenarbeitslosigkeit der 1930er Jahre, das Wachstum lag zeitweise bei über 17 Prozent jährlich. Auch die Nachkriegsjahrzehnte waren davon geprägt: In den USA machten Militärausgaben bis in die 1970er Jahre hinein die Hälfte des Bundeshaushalts aus. Doch schon damals war klar: Der militärische Konjunkturzyklus erzeugte keine nachhaltige Wohlfahrtsentwicklung, sondern verschob gesellschaftliche Ressourcen auf zerstörerische Bahnen.

Heute knüpft die deutsche Regierung offen an diese Tradition an. Die Aufhebung der Schuldenbremse für militärische Zwecke markiert einen historischen Einschnitt. Lars Klingbeil nennt sich selbst »Investitionsminister«, vermeidet jedoch jeden Hinweis auf zivile Infrastrukturprojekte. Der einzige konkrete »Investitionsbooster« betrifft steuerliche Vorteile für Erweiterungen im Rüstungssektor. Damit ist Deutschland in einer Phase angekommen, die Beobachter als »vorkeynesianischen, von konservativen Kräften tolerierten Militarismus« bezeichnen. Keynesianische Wirtschaftspolitik – die eigentlich in Form von öffentlichen Aufträgen soziale Infrastruktur, Verkehr oder Bildung fördern sollte – wird auf den Rüstungsbereich reduziert. Das Militär gilt als einzige akzeptierte Form staatlicher Nachfragepolitik. Die Folgen sind absehbar:

– Ökonomisch: Rüstungsausgaben schaffen keine nachhaltigen Produktivkräfte. Waffen sind unproduktive Güter – sie verkörpern gesellschaftliche Arbeit, die in ihrer Zerstörung enden muss. Studien zeigen seit Jahrzehnten, dass mit derselben Investitionssumme in Bildung, Gesundheit oder Wohnungsbau zwei- bis dreimal so viele Arbeitsplätze entstehen könnten wie in der Rüstungsindustrie. Jeder Arbeitsplatz in der Waffenproduktion ist also nicht nur teurer, sondern auch volkswirtschaftlich ineffizient.

– Sozial: Militarisierung geht mit Sozialabbau einher. Während Milliarden für Panzer und Kampfflugzeuge bereitstehen, werden Renten, Krankenhäuser oder Kitas der Schuldenbremse unterworfen. Militärkeynesianismus bedeutet damit die Priorisierung von Tod und Zerstörung vor Leben und Daseinsvorsorge.

– Politisch: Wer die Wirtschaft auf Rüstung ausrichtet, plant den Krieg. Waffen, die produziert werden, wollen eingesetzt werden. Militarisierte Ökonomien erzeugen nicht nur materielle Abhängigkeiten, sondern auch ideologische: Sie verschieben das gesellschaftliche Klima in Richtung »Kriegstüchtigkeit« und autoritäre Formierung.

Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich offen auf diesen Kurs festgelegt. Das neue Grundgesetz zur Schuldenpolitik schreibt die Priorisierung von Militärausgaben über alle anderen Staatsaufgaben fest. Kommentatoren sprechen von einem »dauerhaften Bekenntnis zum Militärkeynesianismus«, das die Klimaziele unmöglich macht.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist dieser Weg nicht nur falsch, sondern auch illusionär. Er verschleiert die tiefere Ursache der Krise: den tendenziellen Fall der Profitrate und die Überakkumulation von Kapital. Rüstungsausgaben wirken kurzfristig als Ventil für überschüssiges Kapital – sie schaffen Nachfrage für Waren, die keine zivilen Märkte finden. Doch sie lösen das Grundproblem nicht, sondern verschärfen es. Militärkeynesianismus ist eine Sackgasse: Er mag kurzfristig Konjunktur und Aktienkurse stützen, er zementiert jedoch Krieg als Strukturprinzip des Kapitalismus. Er ist nicht der Ausweg aus der Krise, sondern Ausdruck ihres destruktiven Charakters.

Alternative: Vergesellschaftung

Die Debatte um eine Übergewinnsteuer zeigt: Mit bloßen fiskalischen Korrekturen wird das Grundproblem nicht gelöst. Die Satzung der IG Metall weist einen anderen Weg. Dort ist festgeschrieben, dass die Gewerkschaft für »die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum« einzutreten hat und dass sie sich für Frieden, Völkerverständigung und Abrüstung einzusetzen verpflichtet. Diese Grundsätze sind Resultat der antifaschistischen Erfahrung: Militarismus, Profitgier und die Schwäche der Arbeiterbewegung trugen wesentlich zum Scheitern der Weimarer Republik und zum Aufstieg des Faschismus bei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus bestand ein antifaschistisch-kapitalismuskritischer Konsens – bis hinein in das Ahlener Programm der CDU von 1947, in dem festgestellt wurde, dass »das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden ist. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.«

Vergesellschaftung bedeutet: Produktionsmittel werden der privaten Profitlogik entzogen und unter demokratische Kontrolle gestellt. Für die Rüstungsindustrie heißt das, ihre Ressourcen und Belegschaften aus der Logik der Kriegsprofite zu lösen und in den Dienst gesellschaftlicher Bedürfnisse zu stellen – Mobilität, erneuerbare Energieträger, Gesundheit, Pflege. Die IG Metall könnte hier eine Vorreiterrolle spielen. Statt die »Zeitenwende«-Rhetorik zu begleiten, müsste sie die Eigentumsfrage offensiv stellen: Wem gehört die Industrie – Konzernen und Aktionären oder der Gesellschaft?

Die Idee der Konversion ist seit Jahrzehnten in der Gewerkschaftsbewegung präsent. Sie kann verschiedene Formen annehmen, sei es Produktionskonversion, bei der Waffenfabriken zu zivilen Fabriken werden, Humankonversion, bei der Beschäftigte aus der Rüstungsindustrie in zivile Bereiche wechseln, oder finanzielle Konversion, bei der Gelder entsprechend umgeleitet werden.

Schon in den 1980er Jahren gab es zahlreiche betriebliche Arbeitskreise der IG Metall, die mit Vorschlägen für »alternative Produktion« ­Stillegungen abwehren wollten. Legendär bleibt das Beispiel von Lucas Aerospace in Großbritannien: Arbeiterinnen und Arbeiter entwickelten Pläne für gesellschaftlich nützliche Produkte – ein direkter Angriff auf das kapitalistische Direktionsrecht und zugleich Beweis, dass Belegschaften die besseren Ideen haben.

Heute ist die Frage wieder hochaktuell. In Florenz beispielsweise hat die Belegschaft des Autozulieferers GKN seit 2021 den Betrieb besetzt und einen eigenen Plan für Konversion entwickelt: Statt Entlassungen und Schließung fordern sie eine Überführung in Gemeineigentum und die Umstellung auf Produkte für die Energiewende und nachhaltige Mobilität. In Osnabrück droht die Übernahme des VW-Werks durch Rheinmetall. Beschäftigte und Initiativen fordern: »Busse statt Panzer« – also eine Umstellung auf nachhaltige Mobilität.

Beide Fälle zeigen: Konversion ist keine abstrakte Utopie, sondern eine realistische Strategie, die Beschäftigte selbst formulieren. Sie verbindet Arbeitsplatzsicherung mit gesellschaftlicher Verantwortung – und steht in offenem Widerspruch zum Kurs des Militärkeynesianismus.

Im Kern geht es um einen Systemgegensatz: Kapitalistische Profitmaximierung bedeutet, dass Produktion einzig der privaten Aneignung von Gewinn dient. Produkte – ob Panzer oder SUVs – werden hergestellt, solange sie maximale Rendite versprechen. Ihre gesellschaftlichen und ökologischen Folgen sind zweitrangig. Vergesellschaftete Produktion dagegen orientiert sich am gemeinsamen Fortschritt der Gesellschaft und am Schutz des Planeten. Sie fragt nicht nach dem höchstmöglichen Profit, sondern nach dem höchsten gesellschaftlichen Nutzen: sichere Arbeitsplätze, klimaneutrale Mobilität, Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur.

Konversion ist daher nicht nur ein technischer Umbau, sondern eine politische Entscheidung: Soll menschliche Arbeit Zerstörung oder Leben dienen? Waffenproduktion schafft Profite, indem sie Tod vorbereitet. Vergesellschaftete Konversion schafft Produkte, die Zukunft sichern.

Die gesellschaftliche Lage ist paradox: Auf der einen Seite liegen vielfältige Konzepte, technologische Möglichkeiten und gewerkschaftliche und Belegschaftserfahrungen für eine sozial-ökologische Konversion vor – vom Lucas Aerospace-Plan in den 1970ern bis zu GKN Florenz und Osnabrück heute. Auf der anderen Seite erleben wir eine Entwicklung, die Konversion in ihr Gegenteil verkehrt: Zivile Industrien – Automobil, Maschinenbau, Halbleiter – werden zunehmend in die Rüstungslogik hineingezogen.

Während Gewerkschafter in den 1980ern mit Nachdruck forderten: »Schwerter zu Pflugscharen«, erleben wir heute die Umkehrung: Pflugscharen zu Schwertern – »Konversion pervers«. Zivile Betriebe werden »konvertiert«, aber nicht zum Nutzen der Gesellschaft, sondern für die Kriegsproduktion. Automobilzulieferer liefern Militärfahrzeuge, Stahlwerke produzieren Panzerstahl, Forschungsgelder für Energiewende und Transformation werden umgeleitet, um Drohnen und Raketen zu entwickeln.

Neuer Burgfrieden

Die »Konversion pervers« ist nicht einfach ein Betriebsunfall, sondern nachgewiesener volkswirtschaftlicher Irrsinn und ein politisches Armutszeugnis. Denn die Gewerkschaften – und allen voran die IG Metall – verfügen trotz aller Schwächungen immer noch über reale Organisationsmacht und über das Spezialistenwissen ihrer Mitglieder und Betriebsräte. Sie hätten es überhaupt nicht nötig, sich in die Profitmaximierungslogik des militärisch-industriell-digitalen Komplexes und seiner Steigbügelhalter in den Regierungen einzureihen. Die parallel geführte Debatte um eine »Übergewinnsteuer« wirkt dabei wie eine Nebelkerze: Sie soll den Eindruck erwecken, der Rüstungsboom lasse sich irgendwie »sozial zähmen«. Tatsächlich kann sie aber nicht verdecken, dass Gewerkschaften mit ihrem Schweigen oder ihrem aktiven Zutun zur »Konversion pervers« und damit zur Fütterung der Kriegsbestie beitragen. So wird aus ökonomischem Unsinn ein politischer Offenbarungseid: der erneute Burgfrieden, der – historisch belegt – stets in Verrohung, Krieg, Zerstörung, Verstümmelung und massenhaften Tod mündet. Genau dadurch wird die Preisgabe eigener Ziele und Möglichkeiten nicht nur zum Verrat an der eigenen Geschichte – schlimmer noch: zur kapitulantenhaften Selbstaufgabe.

Das Kapital »ernährt« sich zunehmend von Ressourcen, die es nicht selbst schafft: von öffentlichen Mitteln, von der Zukunft der nächsten Generationen, von der Zerstörung ökologischer Grundlagen. Es produziert nicht mehr in erster Linie Waren für menschliche Bedürfnisse mit realem Gebrauchswert, sondern Waren, die nur durch Vernichtung – durch Krieg – ihren profitschöpfenden »Sinn« erhalten.

Statt Übergänge zu einer neuen, zukunftsfähigen Gesellschaft zu schaffen, verzehrt das System seine Grundlagen – ökonomisch, ökologisch, sozial: Die Rüstung bindet Kapital in unproduktiven Sektoren und treibt die Verschuldung voran. Das Militär zerstört Ressourcen, die für die Energiewende nötig wären. Und Beschäftigte werden in Kriegsproduktion gedrängt, während zivile Bereiche verfallen.

Gerade deshalb ist Konversion heute notwendiger denn je. Sie stellt die Eigentumsfrage: öffentliche Kontrolle statt privater Kriegsprofite. Sie sichert Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Sektoren. Sie setzt gesellschaftliche Ressourcen dort ein, wo sie gebraucht werden – für den Fortschritt der Gesellschaft und den Erhalt des Planeten.

Zurück zu eigenen Ansprüchen

Die IG Metall ist nicht irgendeine Organisation. Mit immer noch knapp zwei Millionen Mitgliedern, tiefer Verankerung in den Schlüsselindustrien und einer stolzen Geschichte antifaschistischer und antimilitaristischer Kämpfe trägt sie eine Verantwortung, die weit über Tarifpolitik hinausreicht. Ihre Satzung verpflichtet sie ausdrücklich zu Frieden, Völkerverständigung, Abrüstung und Vergesellschaftung. Genau daran muss sie sich messen lassen. In ihren Grundsatzerklärungen formuliert die IG Metall immer wieder hohe Ansprüche: Demokratie stärken, Transformation gestalten, gute Arbeit sichern. Auf der aktuellen Industriekonferenz betonten Christiane Benner und Jürgen Kerner, Industriepolitik müsse im Interesse der Beschäftigten gestaltet werden.

Doch ausgerechnet die zentrale Frage – die Kriegsertüchtigung und Militarisierung der Industrie – bleibt ausgeklammert. Statt dessen schiebt die Führung die Debatte um eine »Übergewinnsteuer« vor. Anstatt ihre reale Organisationsmacht und das enorme Spezialistenwissen der Mitglieder und Betriebsräte zu nutzen, beschränkt sich die IG-Metall-Führung aktuell noch darauf, die Militarisierung zu verwalten. Kerner sprach auf der Handelsblatt-Tagung »Wirtschaftsfaktor Rüstung« – ausgerechnet am 1. September, dem Antikriegstag! – über Zertifizierungsverfahren, die Unternehmen beim Einstieg in die Waffenproduktion zu beachten hätten. Nicht die Frage »Wie stoppen wir diese Entwicklung?« sondern »Wie begleiten wir sie?« stand im Zentrum. Diese Haltung markiert einen Rückschritt hinter die eigene Geschichte. In den 1980er Jahren formulierte die IG Metall klare Positionen gegen die Militarisierung. Noch bis in die frühen 2000er Jahre hinein war die Orientierung eindeutig: Rüstung schafft keine Zukunft, Konversion ist notwendig.

Damals wie heute gilt: Wer meint, im herrschenden kapitalistischen System einen »sozialen Frieden« um den Preis von Kriegsproduktion erkaufen zu können, landet am Ende wieder bei Krieg, Zerstörung und Tod. Die IG Metall muss sich entscheiden: zwischen ihrer Satzung und einem verordnetem »There is no alternative!«. Zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und den erneuten nationalistischen Sirenengesängen der Kriegstreiber. Zwischen Frieden und Krieg. Will sie zum verlängerten Arm des Rüstungsbooms werden – oder knüpft sie an ihre eigenen Satzungsziele an, die eine klare antimilitaristische Orientierung verlangen?

Darum muss der Appell lauten: IG Metall, nimm deine eigenen Ansprüche ernst! Keine Anpassung an die Kriegslogik, keine Nebelkerzensteuer, kein Burgfrieden. Statt dessen: antimilitaristische Klassenpolitik, vergesellschaftete Industriepolitik, sozial-ökologische Konversion.

 

Der Autor:

Andreas Buderus ist Mitinitiator der gewerkschaftlichen Basisinitiative »SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden«.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien in der https://www.jungewelt.de/ und wird mit freundlicher Genehmigung des Autors hier gespiegelt.
Bild: IGM