Öffentliche Beschäftigungspolitik: die tiefe Arbeitsmarktkrise erfordert neue politische Lösungen!

Zentrale Herausforderungen der Corona-Krise

Die Corona-Krise hat (nicht nur) Österreich erschüttert und eine Vielzahl an neuen Problemen verursacht bzw. bestehende verschärft. Zwei davon sind von besonderer gesellschaftlicher Relevanz: die zentrale Bedeutung robuster öffentlicher und v.a. sozialer Infrastrukturen zur Bewältigung von Krisen auf der einen und der dramatische Anstieg der Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Damit sind zwei zentrale Herausforderungen angesprochen, von deren Bewältigung die weitere Entwicklung in entscheidendem Maße abhängt. Eine anhaltend hohe Langzeitarbeitslosigkeit verursacht tiefe soziale Spaltungen in der Gesellschaft, die ihre Stabilität auf Dauer gefährden können. Unter vorgeblichem Kostendruck reduzierte öffentliche Infrastrukturen können schon im Normalbetrieb ihre Aufgaben der Daseinsvorsorge nur ungenügend erfüllen, sind im Krisenfall schnell überfordert und erschweren dessen Bewältigung. Ein Ausbau scheint daher unerlässlich. Ansätze zur Lösung dieser beiden Problembereiche sind von strategischer Bedeutung, nicht nur, um die Auswirkungen der Corona-Krise abzufedern, sondern auch, um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Mit einer mutigen öffentlichen Beschäftigungspolitik zur Schaffung von Arbeitsplätzen in zentralen Bereichen der öffentlichen und sozialen Infrastruktur kann auf beide Problemlagen zugleich reagiert werden.

Langzeitarbeitslosigkeit als strukturelles Problem

Was den Arbeitsmarkt betrifft, so hat die Corona-Krise zum einen die Verletzlichkeit von bestimmten Teilen der Beschäftigung, wie bspw. in EPUs oder Kleinbetrieben, gezeigt, die in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Sie können solche Krisen ohne Rücklagen nicht überstehen. Zum anderen zeigt sich seit Jahren an der hohen Langzeitarbeitslosigkeit, dass reine Arbeitsmarktpolitik, also die Vermittlung und auch Qualifizierung von Arbeitslosen, an ihre Grenzen stößt. Langzeitarbeitslosigkeit ist größtenteils kein Mismatch-Problem, also dass offene Stellen aufgrund fehlender Qualifikation oder regionaler Arbeitskraft-Engpässe nicht besetzt werden können. Es gibt einfach nicht genug Arbeitsplätze.

Langzeitarbeitslosigkeit ist längst zu einem strukturellen Arbeitsmarktproblem geworden, das sich unabhängig von konjunkturellen Zyklen etabliert hat, wie mittlerweile auch die OECD feststellt. Es sind vor allem Ältere, gering Qualifizierte, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderte, ethnische Minderheiten und AlleinerzieherInnen, die davon in überproportionalem Ausmaß betroffen sind. Aber auch für Jugendliche haben sich die Berufseinstiegschancen schon im Gefolge der Finanzkrise 2009 und des schwachen Wirtschaftswachstums danach dauerhaft verschlechtert. Für diese schon davor gefährdeten Gruppen hat die Corona-Krise zu einem weiteren bedenklichen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt.

Die Grenzen reiner Arbeitsmarktpolitik

Dies verweist grundlegend auf die prinzipiellen Begrenzungen von aktiver/aktivierender Arbeitsmarktpolitik. Deren Wirksamkeit wird (auch darauf verweist die OECD) zuvorderst durch den konkreten Arbeitskräftebedarf von Unternehmen bestimmt, der im Kapitalismus nicht nur von konjunkturellen Schwankungen abhängt. Dazu kommen auch Faktoren wie ein intensivierter und verschärfter Wettbewerb auf stagnierenden Märkten, technologiebasierte Rationalisierung durch Digitalisierung sowie Formen der Unternehmenssteuerung, die mit permanenter Restrukturierung, Intensivierung und Flexibilisierung von Arbeit, verschärften Leistungspolitiken, schlanken Belegschaften und dem Outsourcing von Teilen der Produktion, aber auch von Dienstleistungen eine bessere finanzielle Performance erreichen wollen. Da existiert wenig Spielraum für die Rekrutierung von Gruppen, die gerade deshalb als vulnerabel bezeichnet werden müssen, weil sie diesen zunehmend restriktiven (Leistungs-)Anforderungen nicht (mehr) entsprechen können.

Öffentliche Beschäftigung und gesellschaftlicher Bedarf an Arbeitsplätzen

Die Reintegration von benachteiligten Gruppen am Arbeitsmarkt ist demnach eher eine Frage der Quantität von verfügbaren Arbeitsplätzen, aber auch ihrer Qualität. Die Corona-Krise hat dieses Problem noch weiter verschärft. Da der (Arbeits-)Markt nicht in der Lage ist, die notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen, braucht es eine groß angelegte politische Initiative zur Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst.

Dabei geht es nicht um eine Art „Beschäftigungstherapie“, also die bloße Umwandlung von offizieller in eine Art versteckter Arbeitslosigkeit in Form von Unterbeschäftigung durch Aufblähung des öffentlichen Dienstes. Es geht vielmehr darum, dringend notwendige Personalinvestitionen in wichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge zu tätigen, die einen gesellschaftlichen Bedarf decken. Dieser gesellschaftliche Bedarf lässt sich auch wissenschaftlich belegen.

Im Pflegebereich geht eine Studie der Gesundheit Österreich bis 2030 von einem Zusatzbedarf von 26.500 Arbeitsplätzen (Vollzeitäquivalente) und einem Ersatzbedarf (Pensionierungen) von ca. 33.000 Arbeitsplätzen aus. Im Schulbereich fordern BildungswissenschafterInnen seit Jahren eine Aufstockung des Personals. Bedarfsschätzungen für zusätzliches Personal an Schulen zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen auf Basis des sog. Sozialindexes (Index der sozialen Benachteiligung zur Messung der sozialen Belastung von Schulen) ergeben, dass der Zusatzbedarf an (unterstützendem) Personal in Schulen (Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, zusätzliche Lehrkräfte, Sozial-/FreizeitpädagogInnen, …) mindestens 10.000 zusätzliche Vollzeitäquivalente beträgt, rechnen also mit einem Mehrbedarf von mindestens 10 Prozent.

Eine Berechnung der Arbeiterkammer für den Kinderbetreuungsbereich sieht einen Zusatzbedarf von 21.000 Vollzeitäquivalenten (Erhöhung der Betreuungsplätze für unter Dreijährige auf 40 Prozent bundesweit, Ausweitung der Öffnungszeiten auf Vollzeit, zweites kostenloses Kindergartenjahr, zusätzliche pädagogische Fachkraft). Allein in diesen drei wichtigen Bereichen der sozialen Infrastruktur wären das insgesamt 90.500 Arbeitsplätze in Vollzeitäquivalenten, die durch eine mutige öffentliche Beschäftigungspolitik geschaffen werden könnten. Auch der aufgrund der Klimaerwärmung dringend notwendige Ausbau des öffentlichen Verkehrs erfordert einen höheren Personalbedarf. Mit der Deckung dieses, wie auch die Forschung zeigt, beträchtlichen Personalbedarfs in den öffentlichen und sozialen Infrastrukturen könnte die Arbeitslosigkeit in Verbindung mit gezielten Umschulungen für diese Stellen entscheidend gesenkt werden. Erfahrungen zeigen zudem, dass solche Umschulungsprogramme eine erhöhte Erfolgswahrscheinlichkeit aufweisen, wenn am Ende der Bildungsmaßnahmen (mehr oder minder) gesicherte und stabile Beschäftigungsmöglichkeiten in Aussicht stehen.

Und diese Arbeitsplätze sind tatsächlich (krisen)sicher, attraktiv, nachhaltig (emissionsarm) und gesellschaftlich relevant. Eine solcherart ausgerichtete öffentliche Beschäftigungspolitik würde also Arbeitsplätze in Bereichen schaffen, in denen ein gesellschaftlicher Bedarf existiert, und gleichzeitig die sozial-ökologische Transformation voranbringen (Klimaschutz etc.).

Ein neuer New Deal

Die Corona-Krise hat bestehende Problemlagen dramatisch verschärft und neue geschaffen. Eine außerordentliche Situation, wie die jetzige, erfordert auch außerordentliche, mutige Maßnahmen. Dazu ist durchaus auch das Durchbrechen von im gesellschaftlichen Diskurs etablierten Tabus notwendig, wie etwa auch die Vorschläge zu einer Beschäftigungsgarantie, und nicht „more of the same“.

So neuartig wie der Virus, der uns in diese Situation gebracht hat, sollten auch die Lösungswege sein. Und es gibt dafür historische Vorbilder, aus deren Erfahrungen durchaus Anregungen für heute gewonnen werden können. Denn Roosevelts in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts in den USA auf den Weg gebrachter New Deal stellt geradezu ein Paradebeispiel dafür da, wie das mutige und ehrgeizige Beschreiten neuer Wege Auswege aus extremen Situationen ermöglichen kann. Wer hätte sich damals, nach dreijähriger tiefster wirtschaftlicher (und auch sozialer) Depression und Massenarbeitslosigkeit, vorstellen können, dass über staatliche Beschäftigungsprogramme innerhalb von nur vier Jahren (1933–1937) die Beschäftigung um acht Millionen gesteigert werden kann.

… und die Rolle des Staates

Und auch in der Corona-Krise hat der davor jahrzehntelang vielgeschmähte Staat plötzlich wieder an Konturen gewonnen. Er hat sich als handlungsfähiger Hauptakteur und Garant der Krisenbewältigung erwiesen. Diese eindrückliche Erfahrung sollte nicht auf die jetzige Krisensituation beschränkt bleiben. Der Staat ist (in Verbindung mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft) auch der wichtigste Akteur, um die Weichen in Richtung einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen und nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung zu stellen und dadurch auch aus der jetzigen tiefen Wirtschaftskrise zu kommen. Er ist prädestiniert dafür, diese großen, aber notwendigen Investitionen zu ermöglichen. Klar ist aber auch, dass dies mit einem durch strikte Austeritätspolitik finanziell eingeschränkten Staatshaushalt nicht möglich ist.

Fazit

Mit einer an gesellschaftlichen Bedarfen ausgerichteten öffentlichen Beschäftigungspolitik könnten entscheidende Beiträge zur Realisierung gleich mehrerer gesellschaftlich wünschenswerter Ziele geleistet werden:

  • die Krisensicherheit der Gesellschaft dauerhaft zu erhöhen;
  • die Arbeitslosigkeit entscheidend zu senken;
  • die Qualität der sozialen Infrastrukturen langfristig zu stärken;
  • den dringend notwendigen Übergang zu einer nachhaltigen sozialökologischen Transformation unserer Gesellschaft in Angriff zu nehmen.