SIPRI-Bericht: Weltweite Rüstungsumsätze erreichen neuen Rekordstand

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Die globale Rüstungsindustrie hat im Jahr 2024 so viel verdient wie noch nie. Laut neuen Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) stiegen die Umsätze der 100 größten Waffen- und Militärdienstleistungsunternehmen auf 679 Milliarden US-Dollar – ein Zuwachs von 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Verantwortlich für diese Entwicklung sind vor allem die anhaltenden Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, geopolitische Spannungen und stetig steigende Militärhaushalte.

Erstmals seit 2018 konnten alle fünf größten Rüstungsunternehmen ihre Einnahmen steigern. Insgesamt nahm die Branche in nahezu allen Weltregionen Fahrt auf. Einzige Ausnahme war Asien und Ozeanien, wo interne Probleme in der chinesischen Rüstungsindustrie die Entwicklung bremsten. Die übrigen Regionen verzeichneten deutliche Zuwächse, die sich vielerorts in rasch wachsenden Produktionskapazitäten, neuen Tochterfirmen oder Übernahmen widerspiegelten.

USA: Wachstum trotz struktureller Probleme

Mit 334 Milliarden US-Dollar entfällt knapp die Hälfte der globalen Rüstungsumsätze auf die USA. Die meisten der 39 US-Unternehmen in den Top 100 verzeichneten 2024 steigende Einnahmen, darunter Branchengiganten wie Lockheed Martin oder Northrop Grumman. Doch hinter der Dynamik verbirgt sich eine andere Realität: Viele der zentralen Rüstungsprogramme leiden unter erheblichen Verzögerungen und Kostenexplosionen. Der F-35-Kampfjet, das nukleare U-Boot der Columbia-Klasse oder die neue Sentinel-ICBM sind nur einige Beispiele für milliardenschwere Projekte, deren Zeitpläne ins Wanken geraten.

Diese Engpässe, warnt SIPRI-Forscher Xiao Liang, könnten die militärische Planung der USA beeinträchtigen – und ihre Bemühungen erschweren, die enormen Verteidigungsausgaben effizienter zu gestalten.

Europa rüstet auf – und stößt an Grenzen

Auch in Europa hinterlässt Russlands Angriffskrieg deutliche Spuren. Die veränderte Sicherheitslage hat einen neuen, tiefgreifenden Aufrüstungsschub ausgelöst. Die 26 größten Rüstungsunternehmen mit Sitz in Europa steigerten ihre Umsätze im Jahr 2024 um 13 Prozent. Besonders ins Auge fällt die tschechische Czechoslovak Group: Mit einem Umsatzwachstum von 193 Prozent wurde sie zum größten Gewinner der Rangliste – vor allem dank umfangreicher Munitionslieferungen an die Ukraine. Auch das ukrainische Staatsunternehmen JSC Ukrainian Defense Industry verzeichnete ein deutliches Plus.

Doch dieser erneute Aufrüstungskurs selbst wirft Fragen und Sorgen auf. Während Europa seine militärischen Kapazitäten rasch ausbaut, wächst zugleich die Befürchtung, dass sich der Kontinent dauerhaft in eine Rüstungslogik hineinbewegt. Viele Expertinnen und Experten warnen, dass eine solche Entwicklung politische Ressourcen bindet, gesellschaftliche Prioritäten verschiebt und das Risiko weiterer Spannungen erhöht. Gleichzeitig geraten Unternehmen unter Druck, ihre Produktion immer weiter hochzufahren – häufig schneller, als langfristige Strategien und demokratische Debatten es zulassen.

Russland: Binnenmarkt federt Sanktionen ab

Trotz weitreichender Sanktionen und einem Mangel an Fachkräften verbuchten auch Russlands große Rüstungsunternehmen deutliche Zuwächse. Rostec und die United Shipbuilding Corporation steigerten ihre Umsätze um 23 Prozent, getragen vor allem vom eigenen Staat, der massive Mengen an Waffen bestellt. Während die Exporte einbrachen, blieb der Inlandsmarkt so groß, dass die Einnahmen insgesamt stiegen. Dennoch warnt SIPRI, dass der Fachkräftemangel künftig die Modernisierung und Innovationskraft des Sektors beeinträchtigen könnte.

Asien und Ozeanien: China bremst, andere steigen auf

In der Region Asien/Ozeanien zeigte sich ein gemischtes Bild. Während China aufgrund von Korruptionsskandalen, verschobenen Beschaffungen und einem drastischen Einbruch bei NORINCO einen Rückgang von 10 Prozent verzeichnete, legten Japan und Südkorea kräftig zu. In Südkorea stieg etwa der Umsatz des Hanwha-Konzerns um 42 Prozent, insbesondere dank einer wachsenden Nachfrage aus Europa.

Naher Osten: Bedeutender Aufstieg einer neuen Rüstungsregion

Im Nahen Osten meldete SIPRI einen neuen, allerdings höchst fragwürdigen Rekord: Zum ersten Mal schafften es neun Unternehmen aus der Region in die Top 100 der weltweit größten Rüstungsfirmen. Dass ausgerechnet in einer Zeit eskalierender Konflikte so viele Hersteller aus dem Mittleren Osten aufsteigen, wirkt wie ein bedrückendes Sinnbild dafür, wie sehr Kriege und Unsicherheit wirtschaftliche Anreize schaffen.

Besonders die israelischen Rüstungsunternehmen steigerten ihre Umsätze um 16 Prozent – und das, obwohl die internationale Kritik an Israels Kriegführung in Gaza immer lauter wurde. Doch auch türkische und emiratische Firmen profitierten von der wachsenden Nachfrage. Der türkische Rüstungssektor festigte seine Stellung mit insgesamt fünf Unternehmen in den Top 100 – ein weiterer Hinweis darauf, wie lukrativ die anhaltende Militarisierung für die Industrie geworden ist, während die humanitären Folgen in den betroffenen Regionen weiter eskalieren.

Weltweiter Trend: Aufrüstung wird zur Normalität

Auch Länder wie Indien, Deutschland oder Indonesien verzeichnen steigende Umsätze. Und mit SpaceX tritt nun sogar ein Raumfahrtunternehmen in die Top 100 ein – ein Symbol dafür, wie breit und technologiegetrieben moderne Aufrüstung geworden ist.

SIPRI betont, dass dies erst der Anfang einer Datenreihe ist, die bis zum SIPRI Yearbook 2026 führen wird. Doch schon jetzt zeichnet sich ein besorgniserregender Trend ab: Die Welt rüstet auf – schneller und umfassender als in den vergangenen Jahrzehnten.

Hinter all diesen Zahlen stehen jedoch nicht nur Unternehmen, Staaten und Militärstrategien, sondern vor allem Menschen. Menschen, die in Konflikten leben müssen. Menschen, die ihre Heimat verlieren. Menschen, die hoffen, dass Regierungen Wege finden, Konflikte anders zu lösen als durch Waffen.

Der neue SIPRI-Bericht ist daher mehr als eine wirtschaftliche Analyse. Er ist ein Spiegel dafür, wie weit sich die Welt von nachhaltigem Frieden entfernt hat – und wie dringend ein Umdenken wäre.

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Quellen:

SIPRI Top 100 arms producers see combined revenues surge as states rush to modernize and expand arsenals

Sipri Jahrbuch

 

 

 

 

 

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