Streik im Sozial- und Erziehungsdienst – bisher ein mageres Ergebnis und eine vertane Chance einer bildungspolitischen Diskussion

imagesDie Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die kommunalen Arbeitgeber haben sich am 30.09.2015 auf Nachbesserungen der Schlichtungsempfehlung verständigt.  Die Beschäftigten haben nun zu entscheiden, ob diese Nachbesserungen des zuvor von ihnen abgelehnten Schlichterspruches, wirklich eine Aufwertung ihrer Arbeit bedeutet. Das Verhandlungsergebnis ist unter https://www.soziale-berufe-aufwerten.de/w/files/medien/09/verhandlungsergebnis-sue-30-09-2015.pdf nach zu lesen.

Zu Beginn des Arbeitskampfes im Sozial- und Erziehungsdienst wurde von vielen Akteuren aus dem gewerkschaftlichen Umfeld auf die Notwendigkeit einer bereit angelegten bildungspolitischen Diskussion in Dortmund unter Federführung von ver.di und der GEW hingewiesen.

Bereits in der ersten Streikwoche hatten rund 10 000 Beschäftigte der Sozial- und Erziehungsdienste in NRW die Arbeit niedergelegt. Eine machtvolle Demonstration vor allem der Frauen, die sich gegen die steigenden Anforderungen in ihrem Beruf, mit ihrer qualitativ guten Ausbildung für eine gesellschaftlich wichtige Arbeit bei schlechter Entlohnung, wehrten. Sie wehrten sich auch dagegen, dass ihre Berufe immer noch mit der familistischen Ideologie versehen werden, bei der Kinder, Alte und Kranke in der Familie eben durch die Frauen ohne Entgelt versorgt werden sollen. Frauen, die nicht mehr einsehen, dass sie als pädagogische Facharbeiterinnen für ihren gekonnten Umgang mit Kindern viel weniger Geld erhalten als die Facharbeiter für den gekonnten Umgang mit Maschinen.

Doch standen in Dortmund mehr die Klagen unpolitischer Eltern über die ständigen Betreuungsausfälle in den städtischen Kitas im Vordergrund, begleitet von Aussagen des Oberbürgermeisters Ulrich Sierau wie: „Da muss ver.di höllisch aufpassen, dass sie nicht mit der GDL in einen Topf geworfen wird,“ mit denen er in den aktuellen Chor von „gewerkschafts – bashing“ mit einstimmt.

Eine Sternfahrt mit Fahrrädern und Inlinern aus den Dortmunder Vororten zur Reinoldikirche, eine Mahnwache vor dem Dortmunder Rathaus, Demonstrationen, ein Nordstadtspaziergang oder ein Elternabend sind ja recht nette Aktionsformen, die auch die Motivation der Streikenden fördern können, aber eine notwendige, stadtweite Diskussion über den Wert der Bildung für die nachfolgende Generation müsste doch etwas anders aussehen.

Beim Kita-Streik gehen nicht nur Erzieherinnen in den Ausstand. Eine ganze Branche fordert bundesweit eine Aufwertung ihrer Berufe. Aufwertung, das bedeutet unterm Strich zuallererst mehr Geld für die Berufsgruppen Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Kinderpflege, Heilpädagogik oder Beschäftigte in Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Doch es sollten nicht nur die schlechten Bedingungen beklagt, sondern es sollte der Stellenwert der Bildung thematisiert werden, der den Kindern und Jugendlichen tagtäglich auch in Dortmund eingeräumt werden muss und der ihre konkrete Lebenssituation prägt.

Es muss einen Wechsel auch in der kommunalen Bildungspolitik gefordert werden die bisher nicht gewappnet ist, gegen die nächsten Einsparungspläne im Bildungsbereich auf der Bundesebene die schon in den Schubladen liegen und angesichts der Schuldenbremse von allen Parteien mitgetragen werden, gegenzusteuern. Dazu kommt, dass die staatlichen Schulen immer mehr dem Einfluss der Wirtschaft ausgesetzt werden und sie sich sogar einem Ranking stellen. So wurde eine Dortmunder Grundschule in der Nordstadt, die „beste Schule Deutschlands“. Wobei doch die staatlichen Schulen besonders für die Kinder von Arbeitnehmern und Arbeitslosen gleiche Qualität, Ausstattung und Chancen bieten sollten.

Brennende Themen, die in Dortmund seit Jahren unbearbeitet liegen geblieben sind, wie z.B. die

  • U-3 Versorgung
  • Situation der Tagesmütter
  • Materielle/bauliche Ausstattung der Schulen und des Ganztagsangebotes
  • Personelle Engpässe und Ausfall von Unterricht
  • Inklusion
  • Dauerkrise der Jugendverwaltung
  • Situation in der Jugendhilfe
  • Jugendberufshilfe, duales Ausbildungssystem
  • Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsnot
  • Außerschulische Kinder- und Jugendarbeit
  • Konflikte und Chancen bei der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule
  • Sicherheitsvorrang und Kriminalisierung innerhalb der Ausrichtung der Jugendhilfe
  • Kriminalisierung eigenständiger Jugendbewegungen, immer dann wenn sie von links kommen, während eine rechte Szene in der Vergangenheit von Justiz, Politik und Polizei regelrecht hochgepäppelt wurde
  • Fehlen offener Jugendangebote und selbstorganisierter Jugendarbeit
  • Schulsozialarbeit als Dauerbaustelle, was die Inhalte, Ausstattung und Eingenständigkeit angeht Sinn und Zweck
  • Offene Ganztagsschule (OGS) als angeflanschtes pädagogisches Angebot unter der Knute der Schulverwaltung

und

die Situation der pädagogischen Fachkräfte in kirchlichen Einrichtungen und Betrieben der Initiativen was die Tarifbezahlung, Mitbestimmung und Vertretungsmöglichkeit angeht, müssen unbedingt aufgegriffen werden.

Solche Themen hätten in gut vorbereiteten Veranstaltungsreihen die Kolleginnen und Kollegen in den Sozial- und Erziehungsdiensten wirksam unterstützen, ihre Anliegen in ein kommunalpolitisches Umfeld einbetten, neue bildungspolitische Schwerpunkte entwickeln können und hätte der Anti-Gewerkschaftsstimmung und der vorgeblich von Streiks genervten Bevölkerung etwas entgegenzusetzen.

 

Weitere Infos: https://gewerkschaftsforum.de/streiks-bei-den-sozial-und-erziehungsberufen-die-feminisierung-des-arbeitskampfes-schreitet-voran/

Bild: badische.de