Streiks bei den Sozial- und Erziehungsberufen – die Feminisierung des Arbeitskampfes schreitet voran

imagesIm Mai 2009 streikten bundesweit über 11.000 Erzieherinnen. Allein in NRW blieben Einrichtungen in 26 Städten geschlossen. In Dortmund dauerte der Streik 17 Tage lang. Dann wurde u.a. vereinbart, dass es künftig eine neue Entgelttabelle mit 16 Tarifgruppen und eine Gehaltserhöhung von durchschnittlich 120 Euro brutto geben wird.

Das Ergebnis war auch in der ver.di -Tarifkommission umstritten. Zwar konnten die mit der Ablösung des Bundesangestellten-Tarif (BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) begründeten Einkommensverluste weitgehend ausgeglichen werden, aber die langjährig Beschäftigten profitierten kaum davon. Auch die geforderten Verbesserungen beim betrieblichen Gesundheitsschutz lassen bis heute noch weitgehend auf sich warten.

Nun hatte ver.di die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes erneut zum Warnstreik aufgerufen, mit großem Erfolg. In fast allen 102 städtischen Kindertagesstätten blieben die Türen zu, rund 7 000 Kinder mussten in Dortmund anderweitig untergebracht werden. Gefordert wird neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchschnittlich 10 Prozent mehr Geld. Das ist auch bitter nötig.

Eine Kinderpflegerin mit staatlicher Anerkennung und mindestens vier Jahren Berufserfahrung verdient derzeit 2.376 Euro brutto. Wenn ver.di sich durchsetzt, steigt das Gehalt auf 2.692 Euro. Bei einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung und entsprechend verantwortlicher Tätigkeit, zum Beispiel als Gruppenleiterin, sieht ver.di einen Sprung von 2.703 auf 2.921 Euro vor.

Nur 40 Prozent der Erziehrinnen haben einen Vollzeitarbeitsvertrag, im Osten sind es nur 25 Prozent. Viele von ihnen müssen durch einen Zusatzjob ihr Einkommen aufbessern.

So ist es auch zu verstehen, dass der Frauenanteil bei den Vollzeitarbeitsplätzen in diesem Bereich immer noch bei 95 Prozent liegt und für Männer sind diese Berufe scheinbar unattraktiv.

Die materielle Aufwertung der sozialen Berufe ist schon lange überfällig.

Nach Angaben von ver.di arbeiten im Sozial- und Erziehungsdienst 722 533 Personen. Rund ein Drittel davon ist bei Kommunen tätig, der überwiegende Teil bei kirchlichen Trägern. Die Kirchen orientieren sich bei der Bezahlung am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den dort bestehenden Eingruppierungsregelungen. Deshalb ist das, was ver.di mit den Arbeitgebern vereinbart, auch relevant für kirchliche oder private Träger. Wir sollten deshalb nicht vergessen, dass die Streikenden auch für die Kolleginnen bei den Kirchen, Verbänden und Initiativen Verbesserungen durchsetzen konnten, die ja selbst nicht offensiv ihre Arbeitnehmerrechte ausüben dürfen, geschweige in den Streik treten können.

Seit dem August 2013 haben Kinder, vom ersten Lebensjahr an, einen gesetzlichen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege, dies ist in § 24, Absatz 2 SGB VIII geregelt.

Damals fehlten bundesweit rund 200 000 Plätze für Kleinkinder und die entsprechenden Erzieherinnen. Mit Schnellausbildungen, Anwerbung von Tagesmüttern und Rückgriff auf Ehrenamtliche von dem neu eingeführten Bundesfreiwilligendienst (für 40 Wochenstunden erhalten diese Frauen dann 336 Euro Taschengeld), sollte die Lücke gestopft werden. Damit wurde gleichzeitig auch die Arbeit in den Tageseinrichtungen weiter abgewertet und das Bild von Frauen, die als Spieltanten, mit den Kindern fröhliche Lieder trällern weiter in die Öffentlichkeit transportiert.

Das Eintrittsalter der Kinder in Tagesbetreuungen ist seit dem immer weiter nach unten gewandert. Für viele Kinder heißt das, gerade in dieser, für ihre individuelle Entwicklung so bedeutenden Lebensphase, verbringen sie mehr Zeit in der Kita, als später in der Grundschule.

Eine frühkindliche qualifizierte Bildung und professionelle Kinderbetreuung ist bei den Trägern der Einrichtungen und Arbeitgebern der Erzieherinnen vehement einzufordern.

Doch die meinen, von ihnen könnte man nicht beides verlangen, den Kita-Ausbau und gleichzeitig höhere Gehälter zahlen. Sie spielen damit die Bedürfnisse der Eltern nach mehr Plätzen gegen die Gehaltserhöhung der Erzieherinnen aus.

Dabei wäre die Aufwertung der Arbeit der Kolleginnen an vorderster Stelle bei der zukünftigen frühkindlichen Bildungspolitik anzusiedeln, auch deshalb, weil derzeit jede dritte Erzieherin schon über 60 Jahre alt ist und unter den jetzigen Bedingungen kaum ein Anreiz für den Nachwuchs besteht, diesen Beruf anzustreben.

Da die Streiks in den Tageseinrichtungen den Arbeitgebern kaum etwas kosten und die so den Druck verstärken können, werden die Gewerkschaften darauf angewiesen sein, den Streik als bildungspolitische Auseinandersetzung breit in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Gewerkschaften müssen dafür sorgen, dass bei der jetzigen Auseinandersetzung die Frauenbewegung, Verbände und Organisationen und soziale Bewegungen einbezogen werden und klar diskutiert werden muss, was uns die Bildung der Kinder und Jugendlichen wert ist.

Der Streik im Sozial- und Gesundheitsbereich 2009 hatte schon deutlich gezeigt, dass die derzeitige gewerkschaftliche Power ganz klar von den Frauen ausgeht und das mit Erfolg. Nicht nur die erkämpfte Entgelterhöhung zeigt das, sondern ihr gewachsenes Selbstvertrauen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. So haben die Frauen z.B. im Einzelhandel oder im traditionell gewerkschaftsfernen Dienstleistungs- und Gesundheitsbereich eindrucksvolle Arbeitskämpfe geführt, die die männlichen Gewerkschaftsfunktionäre aus den klassischen Blaumannbereichen kalt erwischt haben.

So soll es auch bei der derzeitigen Auseinandersetzung sein.

 

Quellen: ver.di, waz

Bild: badische.de