Anfang September 2021 sind die Tarifverhandlungen im Einzelhandel in fünfter Runde erneut ergebnislos beendet worden. Jetzt ruft die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für Donnerstag, den 9. September zu landesweiten, ganztägigen Streiks in den Handelsbranchen auf. Im Hinblick auf die neuen Verhandlungen, die am Freitag, dem 10. September beginnen, wollen auch Beschäftigte des Groß- und Außenhandels erneut den Druck erhöhen.
Gefordert wird nicht nur eine Erhöhung der Löhne, sondern auch ein rentenfestes Mindestentgelt von 12,50 Euro pro Stunde und dass die Tarifverträge wieder allgemeinverbindlich für die gesamte Branche gelten.
Zur Kundgebung in Dortmund werden Streikende aus rund 160 Betrieben erwartet.
Anfang März 2021 hatte die Tarifkommission von ver.di ihre Tarifforderungen für den nordrhein-westfälischen Einzel-, Groß- und Versandhandel beschlossen. Gefordert wird eine Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um 4,5 Prozent plus 45 Euro im Monat. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll 12 Monate betragen. Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft ein rentenfestes Mindestentgelt von 12,50 Euro pro Stunde für die rund 513.000 sozialversicherungspflichtig und die rund 212.000 geringfügig Beschäftigten im NRW-Einzelhandel.
Umsatzwachstum in der Branche
Die Umsätze im Einzelhandel in NRW sind trotz der Krise im vergangenen Jahr real um 4,0 Prozent gestiegen. Die Branche konnte im elften Jahr in Folge ein Umsatzwachstum verzeichnen. Das Umsatzplus ist keineswegs ausschließlich auf den Versand- und Internethandel zurückzuführen, auch der Umsatz im stationären Einzelhandel ist im vergangenen Jahr preisbereinigt um 2,5 Prozent gestiegen.
Nur ein Drittel der Betriebe im Handel noch tarifgebunden – 80 Prozent wenden keinen Tarifvertrag an
Die Umsatzentwicklung könnte eigentlich eine gute Voraussetzung für ver.di sein, um bei den Tarifverhandlungen einen großen Schluck aus der Pulle zu nehmen. Könnte sein, wäre da nicht die große Tarifflucht im Handel. Nur noch knapp ein Drittel der Betriebe im Handel ist bundesweit noch tarifgebunden und 80 Prozent der Betriebe im Einzelhandel wenden keinen Tarifvertrag an, auch weil die Tarifverträge seit dem Jahr 2000 nicht mehr allgemeinverbindlich für die gesamte Branche sind.
Seit nun mehr über 20 Jahren fliehen im Riesenwirtschaftsbereich Handel mit seinen 5,1 Millionen Beschäftigten immer mehr Betriebe aus der Tarifbindung. Waren im Jahr 2000 in NRW noch 56 Prozent der Betriebe und 74 Prozent der dort arbeitenden Menschen tarifgebunden, so sank die Zahl bis heute auf 32 Prozent der Betriebe und 60 Prozent der Beschäftigten.
Tarifverträge des Einzelhandels sind für allgemeinverbindlich zu erklären
Ver.di fordert die Unternehmen auf, wie seit 20 Jahren nicht mehr üblich, gemeinsam die Tarifverträge des Einzelhandels für allgemeinverbindlich zu erklären, doch die aber möchten nur über Einmalzahlungen statt linearer Tariferhöhungen verhandeln.
Während die Geschäfte bei den Lebensmitteln, Möbeln, Drogerieartikeln, Baustoffen oder Pharmaprodukten brummen, läuft es bei den Mode/Textilanbietern und Schuhverkäufern nicht so gut.
Für die kriselnden Sparten möchten die Unternehmen gerne Öffnungsklauseln für den Tarifausstieg, obwohl bei der verbliebenen Tarifbindung von 20 Prozent der Betriebe im Einzelhandel längst ein kritisches Maß erreicht ist. Zu den Unternehmen ohne Tarifbindung gehören z.B: Edeka, REWE, dm, Rossmann, Obi, Thalia, Amazon, Zalando, Hornbach, C&A, Kik und Woolworth.
Jetzt im Einzelhandel streiken
Vor diesem Hintergrund wäre es angebracht, dass ver.di die Sorgen und Nöte der Beschäftigten offensiv aufgreift, die gestiegene Motivation und das gewachsene Selbstbewusstsein der Mitglieder nutzt, um bei dieser Tarifverhandlung zu klotzen und nicht wie bei den vorherigen Verhandlungen im Dienstleistungsbereich nur zu kleckern.
Wie sagte noch die Kollegin im Supermarkt, als sie auf die aktuellen Tarifverhandlungen angesprochen wurde: „Eigentlich wäre es total clever, jetzt im Einzelhandel auch mal länger zu streiken“.
Quellen: ver.di, WAZ, Neues Deutschland, arbeitsunrecht.de Bild: ver.di nrw