Schon über zwei Wochen vor der Sitzung der Großen Tarifkommission am 31. Mai 2022, die über die Annahme des Verhandlungsergebnisses entscheiden sollte, hieß es in der Presse, die Gewerkschaft und die Telekom hätten sich auf ungefähr 5 Prozent und Einmalzahlungen geeinigt und beide Seiten seien „relativ zufrieden“ (golem/news 12.5.22). In der Mitgliedschaft bekam das Ergebnis keine Jubelstürme. Dennoch kam es zur Annahme trotz Kritik an den Einmalzahlungen für die unteren Entgeltgruppen, der erneut langen Laufzeit von 24 Monaten und vier Leermonaten.
Vor dem Hintergrund anhaltender Marktanteilsverluste, Verschuldung für den Glasfaserausbau und Preiskonkurrenz setzte das Management bereits seit längerem vor allem auf Personal- und Kostenmaßnahmen (statista 27.4.22/handelsblatt 24.2.22/golem.de 28.4.22). Investitionen sind dringend erforderlich angesichts der vielen Funklöcher und Ausfälle. Doch in einem privatisierten Unternehmen und in den anderen privaten Telekommunikationskonzernen geht es vor allem darum genug Gewinne einzustreichen, um die Vorstände und die Aktionär*innen zu bedienen und nicht darum, dem insgesamt wachsenden Bedarf und steigenden Datenverkehr für alle gerecht zu werden.
Seit Jahren greift die Telekom dabei auf Einsparungen aller Art zurück. Jedoch spart der Vorstand nicht bei seinen eigenen Gehältern. Mitten in die Tarifrunde fiel die Hauptversammlung, wo der Vorstandsvorsitzende Höttges zum bestbezahlten Konzernchef mit 9,1 Mio. Euro Jahresfixgehalt gemacht wurde und die Vergütungen für Aufsichtsrät*innen und die diesjährige Dividende ebenfalls erhöht wurden. Das Unternehmen steht gut da, nicht nur in den USA. Das bereinigte Betriebsergebnis stieg in Deutschland mit 3,6 Prozent auf 9,5 Milliarden Euro. Die Forderung von ver.di nach 6 Prozent Lohnerhöhung bezeichnete ein Gastredner auf der Streikdemonstration der Telekom-Kolleg*innen in Berlin angesichts der steigenden Inflation als „Kompromiss“.
Das Ergebnis
Nach vier Leermonaten bekommen die Beschäftigten der unteren Entgeltgruppen 3,1 Prozent, die oberen 2,7/2,9 Prozent. Im nächsten Jahr erhalten alle Beschäftigen 2,1 Prozent. Als „Ausgleich“ für die Leermonate werden zweimal 500 Euro brutto an die unteren Entgeltgruppen zusätzlich gezahlt. Auszubildende und duale Studierende erhalten zwei Erhöhungen um 35 bzw. 41 Euro und zweimal 100 Euro im ähnlichen Zeitraum.
Angesichts der Inflation und der noch mehr steigenden Verbraucherpreise (stastista April 2022 +16%) hatten sich viele Kolleg*innen mehr erhofft. Mit dem geringeren Lohnabschluss bot der Vorstand aber noch einige weitere Punkte an, die im Falle der Nicht-Annahme wahrscheinlich wieder vom Tisch sein sollten. Somit wurde der Druck, dem Ergebnis zuzustimmen erhöht, zumal die Verhandlungskommission die Annahme bereits öffentlich empfohlen hatte. Eine höhere Ausbildungsquote für 2022 und 2023 und die Verlängerung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen für die meisten der Betriebe sind wichtige Zusicherungen. Jedoch ist es auch für den Vorstand von Interesse, angesichts der Demografie im Betrieb und dem Einsatz neuer Technologien mehr junge Menschen in den Betrieb zu holen und auch selbst auszubilden.
Kompensation
Immer wieder hebt der Telekom-Vorstand das Damoklesschwert der Kündigungen und Verlagerungen und macht so Druck auf die Beschäftigten, geringere Lohnabschlüsse hinzunehmen. Angesichts der jährlich verkündeten Abbaupläne und der schmerzhaften Erfahrungen mit Standortschließungen und Verlagerung von Arbeit an billige Dienstleister und/oder ins Ausland haben viele Kolleg*innen Angst, dass jederzeit ihr Arbeitsplatz nicht mehr sicher sein könne. Bei der DT IT – wo eine Ausgründung ansteht – gilt dieser jedoch nicht. Hier wird ein enormer Druck auf die Verhandlungen zum Kündigungsschutz im Herbst bestehen. Verzicht schafft keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil, der Vorstand wird dadurch nur ermutigt, weitere Maßnahmen aufzulegen.
Man kann davon ausgehen, dass der Telekom-Vorstand einer höheren Ausbildungsquote nicht wegen plötzlich wieder gefundenem sozialem Gewissen oder nur aufgrund des gewerkschaftlichen Drucks von zweieinhalb Warnstreiktagen zugestimmt hat, sondern dass der Aufbau von Fachkräften – wenn möglich preiswerter – auch sowieso Teil der Unternehmensstrategie ist, auch wenn jahrelang Personalabbau betrieben wurde und dies weiter angedroht wird.
Durchsetzungsfähigkeit
Tarifrunden sind keine Selbstläuferinnen. Ein Tarifergebnis wird nicht am Verhandlungstisch erreicht, sondern durch das Kräfteverhältnis bestimmt. Ohne eine gewerkschaftliche Macht im Betrieb würde kein Management sich gezwungen sehen, überhaupt zu verhandeln. Ob zweieinhalb Warnstreiktage ausreichen, um dieses Verhältnis zu messen, ist fraglich. Eine etwas gesunkene Beteiligung, wenn es wie im Warnstreik eher noch um symbolische Aktionen geht, kann keine Prognose dafür sein, wie ein Streik fortgesetzt werden würde. Die Beteiligung würde sicherlich steigen, wenn nicht bereits Ergebnissen im Vorfeld zugestimmt und auf Streikdelegiertenversammlungen regelmäßig über die Strategie und die Schwierigkeiten in den Betrieben diskutiert würde. Verhandlungen hinter verschlossener Tür und Absprachen der Verhandlungsführung ohne Rückkopplung mit den ver.di-Mitgliedern bestärken nicht das Bewusstsein, dass es jetzt gerade auf jeden ankommt, sich zu organisieren und zu beteiligen. Die Schuld den Kolleg*innen selbst zu geben, lenkt von der Verantwortung der Gewerkschaftsführung ab, um den Organisationsgrad zu kämpfen, auch wenn viele Beschäftigte aktuell öfter zu Hause oder im Außendienst arbeiten. Eine Mitgliederoffensive und Diskussionen im Betrieb sollten sofort beginnen und nicht erst wenige Wochen oder Monate vor der ersten Verhandlung. Einige Fachbereiche wie Gesundheit und Soziales, in den Krankenhäusern mit Teamdelegiertenstrukturen, die regelmäßig Diskussionen zu Forderungen und Organisierung im Betrieb, und auch Zwischenständen zu Verhandlungen durchführten, bieten Ansätze zu einer besseren Einbeziehung der Kolleg*innen. Sie führen auch zu mehr Beteiligung und sogar – wie zum Beispiel bei der „Berliner Krankenhausbewegung“ 2021, die monatelang vorbereitet wurde – zu tausenden neuen Gewerkschaftsmitgliedern. Solche Ansätze sollten sogar noch weiter ausgebaut werden, so dass sich Kolleg*innen nicht nur als aktiver Teil der Gewerkschaft verstehen, sondern im Fall eines Arbeitskampfes über regelmäßige Streikversammlungen und Delegiertenkonferenzen das Heft selbst in der Hand halten.
Aufarbeitung
Leider hat es bei der Telekom – wie fast überall – einen Rückgang an gewerkschaftlicher Aktivität gegeben. Seit dem siebenwöchigen Streik gegen die Zerschlagung der Telekom 2007, wurde die Ausgangslage erschwert. Für die Konzernleitung war das ein entscheidender Schritt, um ihre Profite zu erhöhen und einen weiteren Keil in den gewerkschaftlich gut organisierten Betrieb zu treiben. Damals fehlte es an der Organisierung kollektiver Diskussion durch die Streikenden selbst, wie der Kampf gewonnen werden könne, sowie der Durchsetzung von Solidaritätsstreiks in weiteren Telekom-Betrieben. Stattdessen wurde das Ergebnis der Schlichtung schöngeredet. Die Geschäftskundensparte wurde gleich zu Beginn mit einem sehr guten Haustarifvertrag aus dem Streik genommen. Die Folge war eine demoralisierende Wirkung für eine Schicht von Aktiven.
Allerdings kann der Zustand relativer Schwächung nicht aufgelöst werden, indem in jede Tarifrunde mit routinemäßigen Warnstreiks gegangen wird und davon ausgegangen wird, dass man sich mit weniger als der Hälfte einer relativ bescheidenen Forderung zufriedengeben muss.
So wird das Gefühl bei den Kolleg*innen nur verstärkt, dass es sich nicht lohnt, sich aktiv in der Gewerkschaft zu engagieren. Mit dem sozialpartnerschaftlichen Ansatz nimmt die ver.di-Führung zudem auch immer die Perspektive des Konzernvorstands ein, anstatt diese Marktlogik zu durchbrechen und eine weitergehende Perspektive wie z.B. die Forderung nach Rückführung in die Öffentliche Hand unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten aufzuwerfen.
Angriffe des Konzerns auf unsere Tarife oder auch erneute Pläne von Stellenabbau in einzelnen Bereichen können auf dieser Grundlage nicht richtig abgewehrt werden. Ein Ausweg daraus kann sein, wenn man in Vorbereitung auf die nächste Tarifrunde einen Kurswechsel hin zu einer klassenkämpferischen Ausrichtung gibt. Es ist nötig, Diskussionen in allen Betriebsgruppen zu führen, in denen das Ergebnis nicht schöngeredet wird, sondern in denen diskutiert wird, dass es dieses Mal nicht gelungen ist, einen Reallohnverlust abzuwehren und wie die gewerkschaftliche Kampfkraft erhöht werden kann. Es muss eine Perspektive aufgezeigt werden, dass die Gewerkschaft für die nächste Runde vorbereitet ist, auch in den Erzwingungsstreik zu gehen, um die Reallohnverluste wieder wettzumachen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es gibt viele neue Herausforderungen, aber wir können sie nur angehen, indem mehr Diskussionen an der Basis organisiert werden und ehrliche Bilanz gezogen wird.
Die nächste Auseinandersetzung kommt bestimmt
Spätestens wenn die Betriebskostenabrechnungen eintreffen, werden sich Beschäftigte nicht nur bei der Telekom fragen, ob die Tarifrunde nicht zu zurückhaltend begangen wurde. Natürlich kann nicht jedes Mal das Maximum mobilisiert oder erreicht werden. Dann sollte diskutiert werden, woran es lag und wie es verbessert werden kann, um sich beim nächsten Mal den Reallohnverlust zurückzuholen – ohne pauschal Kolleg*innen zu beschimpfen, die nicht teilgenommen haben, sondern stattdessen ihnen eine Perspektive aufzuzeigen.
Wer profitiert?
Wenn der Vorstand sagt, er könne aufgrund des Konkurrenzdrucks nicht mehr zahlen, ausbilden oder Leute beschäftigen, dann spricht das gegen ein System, in dem öffentliche Infrastruktur wie die Telekommunikation dem sogenannten freien Markt und damit dem Prinzip schneller Gewinne und Konkurrenz ausgeliefert wird. Die Produktivitätssteigerungen in der Branche könnten ein Hebel sein, Preise für private Nutzer*innen und die Arbeitszeit für die Beschäftigten bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu senken. Die Gewinne ließen sich für nötige Investitionen für einen nachhaltigen und umweltschonenden Ausbau verwenden. Der Konkurrenzdruck verursacht eine Menge Verschwendung, zum Beispiel mehrere Milliarden pro Jahr für Werbung und den parallelen Bau von Netzen und Transportketten. Ein gut und demokratisch geplantes staatliches Unternehmen könnte dies beenden. Dann würden die entscheiden, die die Netze bauen, die Endgeräte produzieren und Anschlüsse verwalten und nutzen, welche Investitionen gesellschaftlich sinnvoll sind und wie eine flächendeckende Versorgung aller mit guter und bezahlbarer Telekommunikationsinfrastruktur ermöglicht werden kann.
Vernetzung
Um einen Kurswechsel in den Gewerkschaften anzustoßen und sich auf zu erwartende härtere Angriffe von Seiten des Kapitals vorzubereiten, ist es nötig, dass sich kämpferische Kolleg*innen vernetzen. Die VKG ist ein Ansatz dafür. Auf einer Konferenz am 8./9. Oktober in Frankfurt a.M. soll diskutiert werden, wie der Kampf gegen Preissteigerungen und Sozialabbau aussehen müsste und wie wir Vorschläge gemeinsam in die Gewerkschaften und die Betriebe hineintragen können. Hier wird es auch die Möglichkeit für Kolleg*innen bei der Telekom geben, sich auszutauschen. Meldet Euch gern, wenn ihr Interesse an der Konferenz oder an der Vernetzung habt.
Alexandra Arnsburg, Beschäftigte bei DTS GmbH, Mitglied des ver.di-Landesbezirksfrauenrats Berlin-Brandenburg (Funktionsangaben dienen nur der Kenntlichmachung der Person)
Der Beitrag erschien am 02.06.2022 auf https://vernetzung.org/. Bild: verdi.de