Die großen Gewinner des Onlinebooms sind die Versandhändler und die Logistikbranche. Der traditionelle Einzelhandel ist der Verlierer, dort waren bisher auch die Hochburgen der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten.
Kaum eine andere Branche ist so elementar von strukturellen Veränderungen betroffen, wie der Einzelhandel. Hier wird ein erbitterter Konkurrenzkampf ausgetragen, das Übliche in einem Wachstumsmarkt. Dieser Kampf wird hauptsächlich über den Lohn und die Arbeitsbedingungen, auf dem Rücken der Beschäftigten, ausgetragen.
Für die Gewerkschaften bietet diese Branche aber ein schwieriges Terrain, weil hier sehr viele Beschäftigte z.B. befristet arbeiten, zur Teilzeit gezwungen und auf Überstunden angewiesen sind.
Am Beispiel von zwei Großen in dieser Branche sollen die Veränderungen der Arbeitsbedingungen und der Gewerkschaftsarbeit dargestellt werden.
Nach den Untersuchungen der Hochschule Niederrhein wurde 2013 mehr als jeder vierte Euro für Medien, Tonträger und Computer incl. Zubehör ausgegeben. Der Anteil der Ausgaben für Bücher liegt sogar bei 40 Prozent. Prognosen für das Wachstum von Onlinekäufen im „Non-food-Bereich“ gehen von einem Anstieg von heute 9 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2020 aus.
Die rund drei Millionen Beschäftigen im Einzelhandel müssen nicht nur gegen das Internet ankämpfen, die Ausbreitung von Shopping Centern, Discountern und Riesensupermärkten machen ihnen zusätzlich zu schaffen. In den vergangenen fünf Jahren haben 10 Einzelhandelsfirmen wie z.B. Praktiker, Quelle, Neckermann, Karstadt, Woolworth, Schlecker und Hertie mit zusammen 80 000 Beschäftigten das Insolvenzverfahren beantragt. Die fallenden Löhne in Deutschland haben zusätzlich noch die Nachfrage in diesem Bereich gesenkt. Der Wettbewerb wurde dort härter und die Konzentration in einigen wenigen Konzernen vorangetrieben.
Der Druck auf die Beschäftigten ist noch härter geworden, das Personal wurde ausgedünnt und die Bezahlung geringer. 1,2 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel erhielten 2012 ein Entgelt unterhalb der Niedriglohngrenze. Vollzeitstellen wurden abgebaut und der Anteil der Minijobs stieg auf 33 Prozent.
Da die Gewerkschaftsarbeit in diesem Bereich heftig bekämpft wird, gibt es auch kaum eine Vertretung, so wundert es nicht, dass die Mehrzahl der Beschäftigten falsch eingruppiert ist.
Amazon
Der Gründer von Amazon, Jeff Bezos, hat sich vorgenommen, das größte Online-Kaufhaus der Welt zu schaffen, in dem es einfach alles zu kaufen gibt. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er einen eigenen Kosmos geschaffen, einen Kosmos der Superlative:
Das Unternehmen
Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz des Unternehmens um 22 Prozent auf rund 56,06 Milliarden Euro. In Deutschland wurde ein Umsatz im Jahr 2013 von 7,7 Milliarden Euro gemacht. Da Amazon steuerlich gut beraten wird, ist amazon.de eine 100-prozentige Tochter von der europäischen Holding in Luxemburg. Rund 500 Millionen Euro pro Jahr werden als Lizenzgebühren an eine Tochterfirma unter Umgehung der OECD-Leitlinien überwiesen, so dass schon mal diese 500 Millionen Euro Gewinn steuerfrei bleiben.
Deutschland ist mit der amazon.de der wichtigste Auslandsmarkt für Amazon. Gemessen am Gesamtumsatz des deutschen Online-Handels im Jahr 2012, der nach dem Bundesverband des Deutschen Versandhandels bei 27,5 Milliarden Euro lag, erzielt Amazon ein fast ein Viertel des gesamten deutschen Online-Versandhandelsumsatzes.
Auch der Börsenwert hat sich extrem entwickelt: Lag der Marktwert im Jahr 2006 noch bei rund 10 Milliarden US-Dollar waren es 2013 bereits 155 Milliarden.
Seit 2010 gibt es das Amazon Logistikzentrum in Werne mit rund 1000 Arbeitsplätzen. Viele der Beschäftigten kommen aus dem Raum Dortmund.
Die Beschäftigten
Derzeit arbeiten weltweit etwa 90 000 Beschäftigte in rund 100 Niederlassungen bei Amazon. In Deutschland sind in den neun Versandzentren rund 15 000 Stammbeschäftigte tätig, davon arbeiten 9 000 unbefristet und 6-7 000 befristet. Je nach Bedarf werden ca. 14 000 „Saisonkräfte“ z.B. zum Jahresende eingestellt.
Da Amazon sich beharrlich weigert, den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag anzuwenden, kommt durch das Sparen an den Personalkosten viel Geld in die Kasse
- der 10,11 Euro pro Stunde Einstiegslohn entspricht 1.698 Euro brutto monatlich – würde nach Tarif gezahlt wären es 2.098 Euro.
- der Urlaub beträgt 28 Tagen gegenüber tariflich 30 Tagen.
- das Urlaubsgeld entfällt, nach Tarif müssten 1.182 Euro gezahlt werden.
- Weihnachtsgeld gibt es Höhe von 400 Euro, nach Tarif müssen es 1.311 Euro sein.
- es gilt die 38,75 Stundenwoche für die gewerblich tätigen Beschäftigten, die 40 Stundenwoche für Angestellte und Auszubildende anstelle von tariflichen 37,5 Stunden in der Woche.
- gemessen an den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels würden die Beschäftigten jährlich rund 9 000 Euro mehr erhalten.
Einige Beispiele für die Arbeitsbedingungen bei Amazon:
- extrem hoher Leistungsdruck, die Packer legen täglich bis zu 25 km Laufweg zurück.
- ständige Überwachung und Sanktionierung durch Kameras und Scanner. Wer mal 5 Minuten lang nichts „gepickt“ hat, bekommt eine Mahnung auf den Scanner gesandt, wer mal zu spät aus der Pause kommt, kann mit einer Abmahnung rechnen.
- durch die Befristung der Stellen erzeugt Amazon permanent Angst und droht, dass der Standort geschlossen werden könnte.
- es gibt immer wieder Stichtage, an denen einen Anzahl von befristeten Beschäftigten entlassen werden.
- ob die Leistung besser oder schlechter bezahlt wird, entscheidet das Unternehmen.
- betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftliche Durchsetzung von Belegschaftsinteressen oder kollektive Rechtsansprüche der Beschäftigten, die sich aus Tarifverträgen ergeben, sind nicht vorgesehen.
- die riesigen Firmengelände sind eingezäunt und streng bewacht, die Beschäftigten müssen durch Sicherheitsschleusen, nach dem ihre Habseligkeiten im Spind verstaut wurden, sie dürfen nichts mit hineinnehmen.
- jeder muss die Amazon eigene Sprache lernen. Aus Warenverräumern werden „Receiver“, aus Packern „Stower“ und Entlassung wird „RampDown“ genannt
und Amazon hat einen außergewöhnlichen hohen Krankstand von 15-20 Prozent der Belegschaft.
Mühseliger Aufbau der Gewerkschaftsarbeit
Amazon Deutschland behauptet, dass sie kein Händler, sondern ein Logistiker sind. So lenkt man davon ab, dass es gar keinen Tarifvertrag gibt und man auch keinen will.
Die vielen Gesprächsangebote der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di blieben ohne Reaktion.
Der Amazon Konzern nennt Gewerkschaften „dritte Partei“ und macht dadurch deutlich, dass er sie erst gar nicht in die Bettriebe hereinlassen will, ganz so wie es in den USA üblich ist.
Der Tarifstreit mit Amazon wird für ver.di zum Risiko: Scheitert die Gewerkschaft in ihrem Kampf um die Mitarbeiter, droht ihr eine dauerhafte Schwächung. Anderseits kann ver.di nicht zulassen, dass sich der Marktführer der Tarifbindung verweigert und eine Abwärtsspirale im gesamten Handel in Gang bringt.
Erfreulich sind die vielen Gewerkschaftsbeitritte und die ganz neuen Streikerfahrungen bei den Beschäftigten von Amazon. An drei Standorten wurde mit Organizing-Projekten begonnen.
Dass Amazon mit harten Bandagen kämpft, sieht man daran, dass Unterschriften gesammelt, mit denen sich Beschäftigte gegen ver.di aussprechen. Rund 1000 sollen mittlerweile zusammengekommen sein. Im Aufruf distanzieren sich die Unterzeichner damit „von den derzeitigen Zielen, Argumenten und Äußerungen der ver.di, die in der Öffentlichkeit über Amazon und damit über uns verbreitet werden“. Angeblich ist der Aufruf allein von Beschäftigten getragen, doch gibt es genügend Hinweise, dass das Management die Aktion unterstützt und lenkt.
In der Vorweihnachtszeit 2014, der umsatzstärksten Zeit, legten die Beschäftigten an mehren Standorten die Arbeit nieder. Sie wollen erreichen, dass Amazon Tarifverhandlungen mit ver.di aufnimmt. Amazon weigert sich weiterhin, einen Tarifvertrag abzuschließen.
So werden im in diesem Jahr weitere Arbeitskämpfe bei Amazon notwendig sein.
Post AG
Jeder kennt das: an manchen Tagen liefern mehrere Paketzusteller in einer Straße gleichzeitig ihre Waren aus und blockieren die Fahrbahn. Genau so, wie verschiedene Briefzusteller gleichzeitig im Haus anschellen und einen kollegialen Plausch halten.
Nach aktuellen Schätzungen sind rund 50 000 Fahrzeuge bundesweit unterwegs, die man etwa 5 000 Express-, Post-, Paket- und Kurierdiensten zuordnen kann.
Eine der größten Firmen ist hier die DHL, die Tochterfirma der deutschen Post AG, die sich mittlerweile an der Strategie von Amazon ein Beispiel nimmt und versucht, wo eben möglich, die Lohnkosten zu senken.
Das Unternehmen
Die Deutsche Post AG mit Sitz in Bonn ist das größte Logistik- und Postunternehmen der Welt. Das Unternehmen, seit 2009 firmiert es unter dem Namen Deutsche Post DHL, entstand 1995 durch Privatisierung der früheren Bundesbehörde Deutsche Bundespost und ist seit dem Jahr 2000 Bestandteil des deutschen Leitindexes DAX an der Frankfurter Wertpapierbörse. 2013 zog die Deutsche Post in den EURO STOXX 50 ein.
Der Staat war bis Ende 2012 über die KfW (Bank des Bundes und der Länder) mit 25,5 Prozent der Aktien beteiligt und besaß damit noch eine Sperrminorität. Seit 2013 hält die KfW 21 Prozent der Aktien der Deutschen Post AG und damit ist der Bund aus der Verantwortung.
An zweiter Stelle steht der größte Kapitalanlagekonzern der Welt, der ehemalige US-Hedgefonds „Blackrock“. Die Mehrheit dieser 67 Prozent gehört Investoren aus den USA und Großbritannien – wobei London oft nur aus Steuergründen der juristische Standort für US-Investoren ist. Die Bundesregierung und der Konzern selbst halten die Namen der Investoren, außer dem von Blackrock, geheim.
11 Prozent der Aktien werden nur noch von Kleinaktionären und Privatanlegern gehalten.
Im Jahr 2013 lag das Konzernjahresergebnis der Deutschen Post AG bei 2.091 Millionen Euro. Im Jahr 2013 wurden 967 Mio. Euro als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet, eine höhere Ausschüttung gab es nur im Jahr 2007. In den vergangenen 10 Jahren wurden insgesamt mehr als 8 Milliarden Euro an Dividenden an die Aktionäre ausgezahlt. Diese überdurchschnittlich hohe Ausschüttung kann nur auf Kosten der Beschäftigten realisiert werden.
Anfang dieses Jahres wurden zum dritten Mal die Portogebühren erhöht, auch damit die Ansprüche der Anleger befriedigt werden können.
Für gute Arbeitsbedingungen ist da kein Geld mehr übrig.
Die Beschäftigten
Nach Angaben der Post AG ist die Zahl der Beschäftigten seit 2004 rückläufig. Im Jahr 2013 gab es nur noch 144 300 Postmitarbeiter in Vollzeit, ein Rückgang um rund 20 000 Arbeitsplätze. 14 700 Menschen arbeiten dort mit befristeten Verträgen, das ist jeder 10. Mitarbeiter.
Der Krankenstand ist kontinuierlich angestiegen, die Arbeitsverdichtung und die schlechteren Arbeitsbedingungen haben ihren Preis.
Die Post hat sich Amazon zum Vorbild genommen. Neue Mitarbeiter (im Paketgeschäft sollen bis 2020 laut Post AG 10 000 neue Stellen geschaffen werden) sollen nicht mehr nach dem Haustarif bezahlt werden, sondern für sie sollen die Logistiktarife gelten.
Damit dies funktioniert, sollen Ausgründungen vorgenommen werden. Konkret wurde im Januar 2015 damit begonnen, Beschäftigten mit befristeten Verträgen Arbeit in den 49 neugegründeten Regionalgesellschaften, den „Delivery“-Töchtern an zu bieten. Ihnen wurde bei Weigerung der Unterschrift mit Entlassung gedroht.
Mühselige Erhaltung der Gewerkschaftsarbeit
Die Zeiten des gewerkschaftlich gut organisierten Staatsbetriebes scheinen endgültig vorbei zu sein.
Für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist die Ankündigung der Deutschen Post AG, einen Teil der bislang zum Haustarif befristet angestellten Beschäftigten in deutlich niedriger tarifierte neu gegründete Firmen abzuschieben ein „sozialpolitischer Skandal ersten Ranges“.
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis positioniert sich laut der ver.di Pressemitteilung so:
- „Der Post geht es wirtschaftlich prächtig, Anleger und Investoren werden mit äußerst positiven Prognosen gelockt, die schwächsten Beschäftigten sollen dafür zahlen.
- Die Ankündigung der Post, angeblich 10.000 neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen, ist ein klarer Fall von Tarif- und Mitbestimmungsflucht und eine Aushöhlung bestehender Verträge.
- Das ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Sozialpartnerschaft.
- Ganz offensichtlich will die Post mit diesem Manöver die Arbeitsbedingungen von mehr als 10.000 Beschäftigten radikal verschlechtern.
- Nach Berechnungen von ver.di drohen den Beschäftigten allein mit Blick auf den Stundenlohn Absenkungen von bis zu rund 20 Prozent.
- Post unterläuft mit ihrem Vorhaben bestehende Verträge.
- Nachdem das Unternehmen unter Ausnutzung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes mehr als 24.000 befristet Beschäftigte in Geiselhaft genommen hat, soll jetzt aus bestehenden Verträgen ausgestiegen werden. Mit der Post ist Ende 2011 vereinbart worden, im Falle des <<signifikanten Absinkens der wirtschaftlichen Ergebnisse>> Gespräche aufzunehmen. Dieser Fall ist aber bislang nicht eingetreten. So unterläuft die Post mit diesem Manöver offensichtlich unseren Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe und den Entgelttarifvertrag.
- Der Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe läuft bis zum 31. Dezember 2015 und legt fest, dass maximal 990 Paketzustellbezirke von Konzerntöchtern oder Dritten betrieben werden dürfen. Der Entgelt-Tarifvertrag ist zum 31. Mai 2015 kündbar.“
Den Paketzustellern der Post AG reicht die Entrüstung von ver.di nicht.
Sie meinen, dass die Betriebsräte und Gewerkschaften mit den Betroffenen ein Konzept erarbeiten sollen, wie man auf die Ausgliederung von Personal wirkungsvoll reagiert und wie Widerstand überbetrieblich organisiert wird. Auch ein Erzwingungsstreik soll ihrer Meinung dazu gehören.
Dass es für die Gewerkschaften um mehr geht als sonst, wird an der Zwickmühle deutlich: Die Investoren üben Druck auf die Post AG aus, um die Rendite zu steigern. Diese verschärft ihren Druck auf die Lohnkosten. Appelle an das aufgeklärte Eigeninteresse, sozialpolitische Ausgenmaß und an die Sozialpartnerschaft sind vor diesem Hintergrund zwecklos. Die Gewerkschaften müssen ihre Kampf- und Streikbereitschaft, die sie momentan ankündigen, auch in den nächsten Monaten unter Beweis stellen.
Was gar nicht passieren darf, sind faule Kompromisse wie z.B.: Die Konzernleitung bricht das Projekt Delivery-Regionalgesellschaften ab. Dafür akzeptieren die Gewerkschaften im Gegenzug weitere Verschlechterungen im Haustarifvertrag. So ein Kompromiss hätte dieselben Effekte wie das Projekt Delivery-Regionalgesellschaften. Denn in der Boom-Branche Transport und Logistik würde es immer mehr Beschäftigte mit niedrigen Löhnen und hoher Arbeitsbelastung geben als jetzt schon, was dann eben als normal gelten wird.
Eine Gewerkschafterin, die als Zustellerin arbeitet sagte: „Sozialpartnerschaft kann nur auf gleicher Ebene stattfinden. Wo hat es diese in der Bundesrepublik jemals zwischen Gewerkschaften, Beschäftigten und Kapital gegeben? Also, Schluss mit der Schwafelei“
Quellen: ver.di, Hochschule Niederrhein, Lunapark 21
Bild: utele.eu