Widerliche Hetze gegen ukrainische Kriegsflüchtlinge: Dabei ist der Bezug von Bürgergeld die Voraussetzung für die Ausbeutung der Menschen auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! (Bertolt Brecht)

Thorsten Frei ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU und Mitglied des Bundestages, von ihm ist zu hören: „Die Bürgergeld-Zahlungen an die Kriegsflüchtlinge setzen völlig falsche Anreize. Während es für Kiew angesichts des brutalen russischen Angriffs um alles geht, ducken sich hierzulande viele wehrfähige Ukrainer weg. Das Land braucht nicht nur Waffen, sondern auch Soldaten.“ Die CSU im Bundestag stößt ins gleiche Horn und fordert, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in ihr Heimatland zurückzuschicken, wenn sie keine Arbeit in Deutschland aufnehmen. „Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine. Das Bürgergeld ist zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als schnelle Hilfe gedacht gewesen, aber längst zur Arbeitsbremse geworden“, sagte kürzlich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Das Widerliche daran ist, dass hier bewusst Behauptungen aufgestellt werden, von denen diese Hetzer wissen, dass sie falsch sind.

Eine falsche Behauptung ist, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge im Gegensatz zu anderen Menschen in ähnlicher Lage, nicht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem Bürgergeld/Sozialgesetzbuch II erhalten können, sich damit ein gutes Leben machen und nicht arbeiten wollen.

Menschen aus der Ukraine waren immer schon für den Niedriglohnsektor bei uns willkommen, auch weil sie dafür die besten Grundlagen mitbringen, sich ausbeuten zu lassen. Bürgergeld erhalten sie vor allem deshalb, weil das die Voraussetzung ist, auf dem Sozialen Arbeitsmarkt, besonders in den Maßnahmen des Teilhabechancengesetzes bzw. nach § 16i Sozialgesetzbuch II, die Menschen aus der Ukraine ausbeuten zu können.

Die Beschäftigten in diesen Programmen werden durch die Jobcenter an Unternehmen für bis zu fünf Jahre lang als Arbeitskräfte vermittelt, wobei die Lohnkosten zum erheblichen Teil aus öffentlichen Mitteln geleistet werden. Inzwischen wurden bereits 187.000 ukrainische Geflüchtete in teilweise sozialversicherungspflichtige Arbeit vermittelt, vor allem auf dem Sozialen Arbeitsmarkt. Dort brauchen die Unternehmen die Lohnkosten nicht zu leisten, sie werden ganz oder zum großen Teil durch die Jobcenter gezahlt. Der Bezug von Bürgergeld ist erst die Voraussetzung dafür, dass die Jobcenter den Unternehmen kostenlos Arbeitskräfte aus der Ukraine zur Verfügung stellen und nicht wie behauptet, die Kriegsflüchtlinge sich in der „Sozialen Hängematte des Bürgergeldes“ hier ein bequemes Leben machen.

Ukrainische Flüchtlinge und der deutsche Arbeitsmarkt

Im März 2024 lebten rund 1,3 Millionen Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Die meisten von ihnen sind Kriegsflüchtlinge, die ihr Land nach dem Kriegsbeginn verlassen haben, die Mehrheit der Schutzsuchenden sind Frauen und Kinder.

730.000 der geflüchteten Menschen sind im erwerbsfähigen Alter, das heißt zwischen 15 und 65 Jahre alt, rund knapp zwei Drittel davon Frauen.

Im Februar 2024 waren 21 Prozent der geflüchteten Menschen aus der Ukraine berufstätig: 119.000 haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland aufgenommen und 37.000 einen Minijob.

119.000 erwerbsfähige Ukrainer haben im April 2024 einen Integrationskurs besucht und 85.000 von ihnen werden ihn bis Mitte 2024 beenden. Alle anderen beenden ihn voraussichtlich von September 2024 bis März 2026. Wer den Kurs abgeschlossen hat, wird laut Jobcenter über den sogenannten Jobturbo betreut, soll so schnell wie möglich „Arbeitserfahrung sammeln und sinnvoll weiter qualifiziert werden“.

59.000 ukrainische Staatsangehörige gehen einer schulischen, beruflichen oder universitären Ausbildung nach, das sind 7.000 mehr als vor einem Jahr. Auch sie werden dem deutschen Arbeitsmarkt demnächst zur Verfügung stehen.

Bereits Anfang März 2022 hatten die EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aktiviert. Sie müssen seitdem kein aufwendiges Asylverfahren durchlaufen, um in Deutschland leben und arbeiten zu können.

Seit Juni 2022 können ukrainische Geflüchtete Grundsicherung beantragen und im Januar 2024 wurden 718.000 von ihnen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende/Bürgergeld gezählt. Darunter waren 501.000 Menschen erwerbsfähige und 217.000 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, in der Regel sind das Kinder.

Gravierender Wechsel in der Arbeitsmarktpolitik mit dem Teilhabechancengesetz

Zum Jahresbeginn 2019 wurde mit dem Teilhabechancengesetz ein „Sozialer Arbeitsmarkt“ eingeführt. Mit Lohnkostenzuschüssen an Unternehmen werden Arbeitsplätze für arbeitslos gemeldete Menschen geschaffen, die in der Regel mindestens sechs Jahre Hartz-IV bezogen haben und in dieser Zeit kaum erwerbstätig waren.

Die Bundesregierung stellte vier Milliarden Euro bereit, um Unternehmen, die Beschäftigung für langzeitarbeitslose Menschen anbieten, die Lohnkosten zu subventionieren.

Ohne jegliche sozialpolitische Diskussion wurde mit dem neuen Gesetz ein gravierender Wechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen. Nun stehen allen wirtschaftlichen Organisationsformen, auch den heimischen Privatunternehmen, staatlich geförderte Beschäftigungen ohne Einschränkung offen.

Der Staat zahlt den Unternehmen beim Zustandekommen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mit den neuen Instrumenten „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TaAM) oder „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (EVL) bis zu 100 Prozent des Mindest- oder Tariflohns. Die Kriterien wie Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität wurden über Bord geworfen, die bislang eine geförderte Beschäftigung nur bei sozialen Trägern und öffentlichen Einrichtungen erlaubte.

Die Bundesregierung ging ursprünglich von rund 800.000 erwerbslosen Menschen aus, die mithilfe dieses Programms eine Beschäftigung aufnehmen sollten und verschweigt, dass hier der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut wird, damit die deutschen Unternehmen weiterhin den Weltmarkt dominieren können.

Die Beschäftigungsverhältnisse auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“

Das Teilhabechancengesetz sieht im Einzelnen vor, dass

  • die Maßnahme fünf Jahre dauert oder auch eine kürzere Befristung mit optionaler einmaliger Verlängerung explizit erlaubt ist.
  • nach 5 Jahren keine Verpflichtung für dieUnternehmen zur Weiterbeschäftigung besteht und ein Großteil der Betroffenen wieder in den Hartz-IV-Bezug gehen wird.
  • der typische Arbeitsvertrag im Rahmen dieser Förderung voraussichtlich zunächst auf zwei Jahre angelegt sein wird und bei guter Führung und Leistung anschließend für drei Jahre verlängert werden kann.
  • es sich nur zum Teil um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Da keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhoben werden, ist am Ende nur der Hartz-IV-Bezug möglich und das Hartz IV-System greift wieder. Es braucht nicht Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt zu werden und es fallen keine Vermittlungskosten an.
  • die Jobcenter zusammen mit den potentiellen Arbeitgebern entscheiden, welcher Mensch welche Stelle annehmen muss. Der Arbeitszwang seitens der Jobcenter steht dabei der Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen.
  • ein Angebot nicht abgelehnt werden kann. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter.
  • der Mindestlohn, selbst in Vollzeit sind das 2.151 Euro brutto im Monat, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Schon gar nicht kann man davon seine Familie ernähren.
  • es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt und sich damit kein Arbeitsverhältnis begründet. So sind Verstöße gegen Arbeitsrechte und Arbeitsschutz vorprogrammiert.
  • im Zuge der Beschäftigung von Zusatzjobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt und der bestehende Wettbewerb beeinflusst wird.
  • Maßnahmeteilnehmer aus der Maßnahme durch die Arbeitsverwaltung abberufen werden können, z.B. für Bildungsmaßnahmen oder eine andere Arbeitsaufnahme

und dass die Beschäftigten immer noch unter der Knute der Jobcenter stehen. Da es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt, sind sie während der gesamten Laufzeit nicht nur ihren Unternehmen, sondern auch der „Betreuung“ durch die Jobcenter unterworfen.

Das Programm verliert schnell an Dynamik

Waren im ersten Jahr des Programms die begleitenden Informationen von Politik, Behörden und Wissenschaft noch recht üppig, hat sich die Datenlage immer weiter verschlechtert. Schnell wurde die Pandemie für die steigende Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen verantwortlich gemacht und für das Stocken des Beschäftigungseffekts im Rahmen des Teilhabechancengesetzes.

Die anvisierte Zahl von 800.000 Menschen insgesamt und 150.000 in der vergangenen Legislaturperiode, die „im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit“ mit diesem Programm eine Beschäftigung erhalten sollten, wird wohl schwer zu erreichen sein, wie die Statistiken schnell zeigten. Das soll nun durch die ukrainischen Kriegsflüchtlinge aufgestockt werden.

Aktuelle Zahlen, die das Programm betreffen, sind derzeit kaum mehr zu finden.

Die Berufsgruppen, denen die meisten der Arbeitsplätze zuzuordnen sind, bilden die Erziehungsberufe (22 Prozent), soziale oder hauswirtschaftliche Berufe (14 Prozent), gefolgt von Gebäude- und versorgungstechnischen Berufe (13 Prozent) und Gartenbauberufen/Floristik (11 Prozent).

Unterscheidet man nach Wirtschaftszweigen, sind die Gesundheits- und Sozialwesen (24 Prozent der Arbeitsplätze) und Kunst und Unterhaltung / Sonstige Dienstleistungen (15 Prozent) führend.

Weiterer Ausbau des Niedriglohnsektors

Die Schaffung von angestrebten 800.000 zusätzlichen Beschäftigungs-/Maßnahme/- Arbeitsplätzen werden die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Beschäftigten beeinflussen. Sie wird eine Umschichtung in den Betrieben zur Folge haben und reguläre Stellen abbauen. Die verbleibenden Beschäftigten entwickeln zunehmend Ängste um ihren Arbeitsplatz und leisten, wenn sie Glück haben, bezahlte Mehrarbeit. Dadurch verhindern sie Neueinstellungen und können ihre familiären und sozialen Beziehungen nicht mehr pflegen. Sie verzichten auf die notwendige Genesungszeit bei Krankheit, schädigen damit ihre Gesundheit und verursachen mehr Kosten für das Gesundheitssystem. Gesamtgesellschaftlich wird eine angstgetriebene Hoffnungslosigkeit erzeugt und der Konkurrenzgedanke bestimmt noch mehr den Alltag.

Immer mehr öffentliche und private Unternehmen ziehen sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurück. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird: mit Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz gefördert, notwendige Arbeiten durch Arbeitskräfte aus dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ erledigen zu lassen.

Bisher war es so, dass die langzeitarbeitslosen Menschen systematisch vom ersten Arbeitsmarkt strikt ferngehalten wurden, auch weil sie für den Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Beschäftigte waren und in den sogenannten Zweckbetrieben der Wohlfahrtsverbände und gemeinnützigen Unternehmen für Profit sorgten. Weil sie aber immer noch unter Vermittlungshemmnissen litten, mussten sie wieder in eine Maßnahme mit sozialpädagogischer Begleitung. So gibt es Menschen, die in den vergangenen 19 Jahren Hartz IV-System nur in Maßnahmen beschäftigt waren, wegen ihrer Vermittlungshemmnisse.

Mit dem  Teilhabechancengesetz werden nun die Vermittlungshemmnisse innerhalb von 3 Monaten behoben und die Menschen können dann sofort auf den ersten Arbeitsmarkt in den Niedriglohnsektor geworfen werden.

 Fazit

Zynischer, aber auch entlarvender geht es kaum, wenn die SPD dieses Teilhabechancengesetz als Vorbild für das neue Sozialstaatskonzept ihrer Partei verkauft und ihr Arbeitsminister es in den höchsten Tönen lobt.

Auch der DGB scheint bei seinen Auswertungen nicht in die Tiefe zu gehen und die Einzelgewerkschaften thematisieren das Programm überhaupt nicht.

Die Bundesagentur und die Jobcenter freuen sich über den Geldsegen, die vorgeblich sinkenden Zahlen der Arbeitslosenstatistiken und den Ausstieg vieler Programmbeschäftigten aus dem Leistungsbezug.

Es geht bei dem „Förderinstrument: Teilhabe am Arbeitsmarkt“ doch wohl eher um eine gesetzliche Konstruktion, die die Chancen und Teilhabe der Privatunternehmen und Konzerne am weltweiten Konkurrenzkampf fördert, mit staatlicher Lohnsubvention.

Wenn dann noch die ukrainischen Flüchtlinge, die für einen Appel und Ei in diesen Förderinstrumenten schuften müssen, auch noch dafür herhalten müssen, die Beschäftigten im Niedriglohnsektor, erwerbslose Menschen und Zugewanderte gegen einander auszuspielen, ist das nur noch widerlich.

 

 

 

 

 

Quellen: SGB II, SGB II, konkret 4/19, Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V., waz, SPD, o-ton arbeitsmarkt, DGB-Umfrage 10/19, DGB-Arbeitsmarkt Aktuell, BA, Jobcenter Dortmund, IAB,FES, IAB-Zuwanderungsmonitor  

Bildbearbeitung: L.N.