Zur Politischen Ökonomie der Zuwanderung (III) – Sozio-ökonomische Situation der zugewanderten Menschen

Bild: scharf links.deAufgrund von Zuwanderung ist die Bevölkerung in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren um insgesamt ein Prozent angewachsen und hat vor allem eine durch geringe Geburtenzahlen schrumpfende Gesellschaft kompensiert.

Zwischen den Jahren 2000 und 2022 sind 8,1 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft netto (Zuzüge abzüglich Abzüge) nach Deutschland zugewandert. Im gleichen Zeitraum haben netto 0,6 Millionen deutsche Staatsbürger das Land verlassen. Die Bevölkerungszahl ist in derselben Zeit allerdings nur um eine Million gestiegen, also von 82 auf 83 Millionen, das zeigt, dass der größte Teil der Zugewanderten die dauerhaft geringen Geburtenzahlen ausgleicht.

2022 machten eingewanderte Menschen rund 18 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, weitere sechs Prozent waren direkte Nachkommen von ihnen. 40 Prozent der nach Deutschland Eingewanderten sind seit 2013 hinzugekommen. Sie waren mit einem Durchschnittsalter von knapp 30 Jahren deutlich jünger als die deutschen Staatsbürger ohne Einwanderungsgeschichte, dort liegt das Durchschnittsalter bei 47 Jahren.

In der öffentlich wahrnehmbaren Debatte um die Zuwanderung werden das Asylrecht, die Abwehr unwillkommener Menschen bzw. sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge und die Behebung eines angeblichen Fachkräftemangels durch die Abwerbung qualifizierter Personen aus dem Ausland miteinander verbunden: So verschieden diese Fragen auch erscheinen, haben sie doch dieselben Ursachen.

Herkunft der Eingewanderten
  • Mit 59 Prozent stammt der überwiegende Teil der Zugewanderten nach Deutschland aus Europa, davon stammen wiederum 89 Prozent aus den ehemaligen Ostblockländern.
  • 29 Prozent sind aus asiatischen Ländern zugewandert und nur sechs Prozent aus Afrika. Die Zuwanderung erfolgte in mehreren großen, zum Teil über Jahre anhaltenden Wellen.
  • Ausschlaggebend für die Einwanderung aus europäischen Staaten seit 2005 war die Aufnahme von Staaten des ehemaligen Ostblocks in die EU.
  • Die Eurokrise hat ab 2010 dazu beigetragen, dass vermehrt EU-Bürger aus dem Ausland eingewandert sind.
  • Allein im Jahr 2022 sind fast eine Million ukrainische Staatsbürger nach Deutschland gekommen.
  • Die Migrationswellen aus Asien sind größtenteils auf die Zuwanderung aus den Kriegs- und Krisenregionen Syrien, Afghanistan und Irak sowie von hoch qualifizierten Indern zurückzuführen.
Abwanderung

Seit 2005 ist eine vermehrte Abwanderung von Bürgern mit deutscher Staatsangehörigkeit zu beobachten. Immer mehr hochqualifizierte Deutsche wandern aufgrund besserer Arbeitsbedingungen im Ausland aus.

Zuwanderung im Einzelnen:

Einwanderung aufgrund der EU-Erweiterung

In den EU-Erweiterungen von 2004, 2007 und 2013 sind außer Malta und Zypern ausschließlich ehemalige Länder des Ostblocks in die Europäische Union aufgenommen worden. Die Freizügigkeit bei der Wahl des Wohn- und Arbeitsortes der EU-Bürger hat zu mehreren Einwanderungswellen geführt.

  • Insgesamt sind aus den 2004 in die EU aufgenommenen Staaten 0,9 Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert, hauptsächlich aus Polen und Ungarn.
  • Nach der EU-Erweiterung 2007 durch Rumänien und Bulgarien, sind weitere 1,1 Millionen Menschen aus diesen beiden Ländern nach Deutschland hinzugekommen. Die Aufnahme Kroatiens 2013 führte noch einmal zu einer Aufnahme von 0,2 Millionen Menschen aus diesem Land.

Einwanderung aus Nicht-EU-Ostblockländern

Seit dem Jahr 2000 sind aus den früheren Ostblockländern, die nicht zur EU gehören, 0,9 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen.

  • Besonders geprägt wurde diese Einwanderung durch polnische und russische Bürger. Bei letzteren handelte es sich größtenteils um Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, von vielen als Russlanddeutsche bezeichnet.
  • Anderen Ethnien des sowjetischen Vielvölkerreichs kamen zwischen Mitte der 1980er und Mitte der 2000er Jahre nach Deutschland.
  • In den Jahren 2015 und 2016 erfolgte ein starker Anstieg der Einwanderungszahlen, was hauptsächlich auf eine vermehrte Zuwanderung aus Albanien, dem Kosovo und aus Nordmazedonien zurückzuführen ist. In diesen beiden Jahren kamen insgesamt 81.000 Menschen mit einer Staatsbürgerschaft aus einem dieser drei Länder. Doch bereits 2016 verließen 36.000 dieser Menschen wieder Deutschland, weil insbesondere albanische Staatsbürger 2015/2016 in Deutschland Asylanträge gestellt hatten, die jedoch fast ausnahmslos abgelehnt wurden.
  • Der weitere Anstieg der Zahl von Menschen aus Nicht-EU-Ostblockländern im Jahr 2022 ist größtenteils auf eine erneut hohe Zuwanderung aus der Russischen Föderation zurückzuführen. Darunter befanden sich auch russische Männer im wehrfähigen Alter, die in Deutschland Asyl suchten, um dem Einzug in die russische Armee zu entgehen. Ihre Anträge wurden fast ausnahmslos abgelehnt.

Einwanderung aufgrund der Eurokrise

Die Zuwanderung aus den ehemaligen Ostblockstaaten hat sich seit 2010 deutlich erhöht, auch wenn diese Staaten schon vorher Mitglied der EU waren. Die Vermutung, dass die Eurokrise der Grund hierfür war, bestätigt sich, wenn man auch die Zuwanderung aus südeuropäischen Mitgliedsstaaten betrachtet, die besonders hart von den wirtschaftlichen Folgen der Krise betroffen waren. Aus Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind seit 2010 knapp 0,4 Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert.

Einwanderung aufgrund von Arbeitsangeboten für Hochqualifizierte und Fachkräfte

Menschen aus Staaten, die nicht der EU angehören und in Deutschland Arbeit suchen, haben es in der Regel sehr schwer, eine Aufenthaltsgenehmigung mit der Erlaubnis, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, zu erhalten. Leichter ist es, wenn sie hochqualifiziert sind, aus bestimmten Ländern kommen oder über bestimmte Qualifikationen verfügen, an denen es in Deutschland mangelt.

  • Neben Angehörigen von EU-Ländern genießen auch die Bürger der Mitgliedsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), das sind Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz, in Deutschland die Freizügigkeit der Wohn- und Arbeitswahl. Alle anderen Arbeitssuchenden aus Nicht-EU- und nicht EFTA-Staaten benötigen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie müssen um nach Deutschland einreisen zu können, ein Visum beantragen. Ausnahme hier: sie sind Staatsangehörige von Australien, Israel, Japan, Kanada, Südkorea, Neuseeland, Großbritannien oder den USA.
  • In der Regel ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Menschen, die nicht aus EU- oder EFTA-Staaten kommen, auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt und bedarf der vorherigen Zustimmung der Arbeitsverwaltung. Bevorzugt werden IT-Spezialisten sowie Arbeitskräfte mit Qualifikationen in sogenannten „Engpassberufen“ wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Humanmedizin sowie in den seit November 2023 einer ganzen Reihe hinzugefügten weiteren Berufen. Die Antragsteller müssen ihre Qualifikation sowie eine Anstellung mit einem jährlichen Gehalt von mindestens knapp 40.000 Euro (seit November 2023) nachweisen.
  • Von der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ausgenommen sind Lehrpersonen, wissenschaftliche Mitarbeiter, Gastwissenschaftler und Lehrkräfte an Schulen, Hochqualifizierte mit Niederlassungserlaubnis sowie Personen mit einer in Deutschland benötigten Qualifikation und einem jährlichen Gehalt von mindestens 56.400 Euro (Stand im Jahr 2022).
  • Von der Möglichkeit, als Hochqualifizierte oder als Fachkräfte in Engpassberufen in Deutschland zu arbeiten, machten und machen insbesondere indische Staatsangehörige Zwischen den Jahren 2000 und 2022 sind insgesamt 0,2 Millionen Inder nach Deutschland eingewandert.
  • Eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder Niederlassungserlaubnis können Ausländer in der Regel beantragen, wenn sie mindestens fünf Jahre über eine befristete Aufenthaltsgenehmigung verfügten und einige weitere Bedingungen erfüllen. Bei den Hochqualifizierten und Fachkräften sind Verkürzungen auf weniger als zwei Jahre möglich und eine Einbürgerung kann frühesten nach acht Jahren mit einem durchgehenden Aufenthaltstitel in Deutschland erfolgen.

Einwanderung aufgrund von Verfolgung und Bedrohung

Das deutsche Asylrecht ermöglicht es Flüchtlingen auf der Basis von Artikel 16a des Grundgesetzes sowie dem Paragraf 3, Absatz 1 des Asylgesetzes – Schutz vor politischer Verfolgung oder Verfolgung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in ihrem Heimatland – in Deutschland Asyl zu beantragen.

  • Ein weiterer Grund für einen befristeten Aufenthalt in Deutschland ist die Gewährung von subsidiärem Schutz, wenn ein Ausländer „stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht“. Darunter fällt unter anderem nach Paragraf 4, Absatz 1 Asylgesetz „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
  • Auch verbietet Paragraf 60, Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes, dass ein Ausländer abgeschoben wird, wenn dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist oder wenn im Zielland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr liegt auch dann vor, wenn der Ausländer lebensbedrohlich oder schwerwiegend erkrankt ist und sein Gesundheitszustand sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
  • Anerkannte Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv entschieden wurde oder die aufgrund von subsidiärem Schutz beziehungsweise Abschiebungsverbot in Deutschland verbleiben dürfen, erhalten je nach Art ihres Status eine Aufenthaltsgenehmigung zwischen einem und drei Jahren. Die Genehmigung kann verlängert werden und mit ihr können sie in Deutschland uneingeschränkt arbeiten.
  • Flüchtlinge können nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder Niederlassungserlaubnis beantragen und nach acht Jahren eingebürgert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Asylbewerber und Geduldete eine Arbeitserlaubnis erhalten.
  • Nach den erheblichen Verschärfungen des deutschen Asylgesetzes in den Jahren 1993 und 2015 werden jährlich bis zu 75 Prozent der Anträge hauptsächlich mit der Begründung abgelehnt, das Herkunftsland sei sicher, oder es erfolgt eine formelle Entscheidung, die größtenteils darauf beruht, dass nach dem Dublin-Verfahren ein anderes europäisches Land für die Aufnahme des Flüchtlings zuständig ist. Fast alle Anträge von Flüchtlingen beispielsweise aus Albanien, dem Kosovo, Nordmazedonien sowie aus Bosnien und Herzegowina werden zurückgewiesen.
  • Zu höheren Aufnahmequoten aufgrund politischer sowie anderweitiger Verfolgung und Bedrohung kommt es bei Antragsstellern aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Eritrea und, nach dem Putschversuch gegen Erdoğan 2016, auch aus der Türkei. Die Einwanderung von Flüchtlingen aus diesen fünf Ländern erfolgte in den letzten Jahren immer wieder in Wellen, mit dem Höhepunkt im Jahr 2015. Aktuell ist ein erneuter Anstieg von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan zu verzeichnen.

Einwanderung aufgrund politischer sowie anderweitiger Verfolgung und Bedrohung

Menschen, die seit dem Beginn des Krieges mit Russland als Flüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland kommen und die größte Einwanderung von Ausländern in der Geschichte der Bundesrepublik ausgelöst haben, müssen keinen Asylantrag stellen, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Sie können gemäß Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes eine befristete Aufenthaltsgenehmigung beantragen, weil die EU erstmals im März 2022 beschlossen hat, ihre Massenzustrom-Richtlinie zu aktivieren. Damit ist ihnen in Deutschland auch die sofortige Aufnahme einer Arbeitstätigkeit möglich.

Einwanderung aufgrund von Konflikten, an denen Deutschland beteiligt ist

Wenn die Zuwanderung aus Ländern, in denen sich Deutschland direkt oder indirekt an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt hat, mit der übrigen Migration ins Verhältnis setzt, ergibt sich folgendes Bild:

  • Von den 8,1 Millionen Menschen, die zwischen 2000 und 2022 nach Deutschland eingewandert sind, stammen 0,2 Millionen aus dem Irak, 0,3 Millionen aus Afghanistan, 0,8 Millionen aus Syrien und 1,1 Millionen aus der Ukraine. Das sind insgesamt rund 2,4 Millionen Menschen oder 30 Prozent aller Zugewanderten.
  • Die Gründe für die Flucht stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kriegen und Bürgerkriegen, an denen sich Deutschland und seine engsten wirtschaftlichen und militärischen Verbündeten direkt oder indirekt maßgeblich beteiligen beziehungsweise beteiligt haben.
  • Auch Sanktionen, wie diejenigen, die seit 2011 gegen Syrien bestehen, sind Ursachen für Vertreibungen. Das Land steht nach Russland und dem Iran an dritter Stelle der am meisten sanktionierten Staaten der Welt.
  • Die Ursache für die aktuell wieder steigende Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan liegt in der Machtübernahme der Taliban nach dem Abzug der westlichen Besatzungstruppen.

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Bevölkerung in Deutschland ist durch Zuwanderung in den letzten zwanzig Jahren lediglich um insgesamt ein Prozent angewachsen

Zwischen den Jahren 2000 und 2022 sind 8,1 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft netto (Zuzüge abzüglich Abzüge) nach Deutschland eingewandert. Im gleichen Zeitraum haben netto 0,6 Millionen deutsche Staatsbürger das Land verlassen. Die Bevölkerungszahl ist in derselben Zeit allerdings nur um eine Million gestiegen, also von 82 auf 83 Millionen, das zeigt, dass der größte Teil der Zugewanderten die dauerhaft geringen Geburtenzahlen ausgleicht.

2022 machten eingewanderte Menschen rund 18 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, weitere sechs Prozent waren direkte Nachkommen von ihnen. 40 Prozent der nach Deutschland Eingewanderten sind seit 2013 hinzugekommen. Sie waren mit einem Durchschnittsalter von knapp 30 Jahren deutlich jünger als die deutschen Staatsbürger ohne Einwanderungsgeschichte, dort liegt das Durchschnittsalter bei 47 Jahren.

In der aktuellen Diskussion steht wie so oft in der Vergangenheit die Frage im Vordergrund, ob die Zuwanderung einen Gewinn oder eine Belastung für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, kaum jemand aber fragt nach den Gründen für den Import der Arbeitskräfte.

Zuwanderung als Import von Arbeitskräften

Die Diskussion um die Einwanderung in Deutschland läuft nicht erst seit der Anwerbung der sogenannten Gastarbeiter ab Ende der 1950er Jahre. Schon Marx und Engels erklärten die Ein- und Auswanderung aus der Entwicklung der Produktivkräfte, der Produktionsverhältnisse und der Produktionsweise.

Sie sahen die Theorie über den Mehrwert auch als Grundlage für das Verständnis der Migration im Kapitalismus an, die unter anderem aufdeckt, dass die Arbeitskraft in den verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Wert hat. Hinzu kommt, dass wie bei allen Waren die Wirkung von Angebot und Nachfrage Auswirkungen auf den Preis in Form von Lohn hat. Die Ausweitung des Angebots an Arbeitskräften durch Einwanderungen hat genau diese Wirkung. Es geht darum, dass sich die bestehenden Strukturen nur durch mehr Zuwanderung aus dem Ausland erhalten lassen.

Das ist vor allem eine Frage der Ökonomie und nicht der Moral. Für die Ware Arbeitskraft gelten die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie, so wie für alle anderen Waren auch.

Beim Import von Fachkräften z.B. für die Krankenhäuser geht es tatsächlich um die Aufrechterhaltung einer profitorientierten Krankenhausfinanzierung zu Lasten nicht nur der Beschäftigten hierzulande, sondern auch zu Lasten der Gesundheitssysteme der Herkunftsländer. Es gibt bei der Migration den direkten Zusammenhang zwischen der Bereicherung eines Landes auf Kosten des anderen und der Bereicherung einer Klasse auf Kosten einer anderen im Lande. In den „Zielländern“ wird so der Preis der Arbeitskraft gedrückt. Das ist klassischer Imperialismus, eine moderne Form der Ausplünderung.

Win-Win und Lose-Lose-Situationen

Die Politik wird nicht müde, immer wieder von einer Win-Win-Situation zu sprechen und argumentiert damit, dass es in den Auswanderungsländern mehr junge und gut ausgebildete Menschen gäbe, als der dortige Arbeitsmarkt aufnehmen könne. Trotzdem wird im Aufnahmeland immer wieder beteuert, sensibel vorgehen zu wollen, damit keinem Land die Arbeitskräfte genommen werden, die es selber braucht.

Als Beleg für die win-win-Situation wird angeführt, dass es durch die Einwanderung dann auch Überweisungen aus der Emigration in die Herkunftsländer gibt, die heute schon in der Summe die staatliche Entwicklungshilfe übertreffen.

In Wahrheit handelt es sich eher um eine lose-lose-Situation. Den ärmeren Ländern wird ein Teil der Reproduktion der Arbeitskraft aufgezwungen, um die sie dann betrogen werden und in reicheren Ländern wird durch größeres Angebot der Preis gedrückt.

Zuwanderung von Arbeitskräften in Deutschland seit den 1950er Jahren

Bereits Ende der 1960er Jahre zeichneten sich mehrere wirtschaftliche Tendenzen ab, deren Einflüsse und Auswirkungen für die Zuwanderung heute noch von Bedeutung sind:

  • Mit der zunehmenden Konzentration des Kapitals ging eine Zunahme der staatlichen Tätigkeit einher. Der Staat sah eine wichtige Aufgabe darin, die Gesellschaft vor der zerstörerischen Macht des Marktes zu schützen. Im Rahmen von der sogenannten korporatischer Steuerung wurden Auseinandersetzung zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften geregelt.
  • Der Außenhandel der Bundesrepublik dehnte sich bei gleichzeitiger Intensivierung der Außenhandelsbeziehungen aus.
  • Der Bedarf an Arbeitskräften verlangte von den Unternehmen eine neue Personalstrategie. Neben der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte behalf man sich mit den sogenannten Schließungsprozessen. Auch in den Bereichen mit gering qualifizierter Arbeit bot man ungelernten Arbeitskräften eine langfristige Beschäftigungsperspektive an, die mit betrieblichen Qualifizierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten begleitet wurden, im Tausch gegen betriebliches Erfahrungswissen und ihrer Loyalität dem Betrieb gegenüber, sich nicht abwerben zu lassen.
  • Der technische Fortschritt in der Nachkriegszeit hatte eine schnell steigende Arbeitsproduktivität und eine Massenproduktion zur Folge. Diese Massenproduktion verlangte nach größeren Absatzmöglichkeiten der Waren und nach kaufkräftiger Nachfrage in der Bundesrepublik, da der Binnenmarkt damals noch eine viel größere Rolle spielte als heutzutage.
  • Auf dem Binnenmarkt war aber die kaufkräftige Nachfrage der Beschäftigten selbst ein wichtiger Faktor, der auch durch die steigende Arbeitsproduktivität ermöglicht werden konnte und die wiederum für recht große Einkommenszuwächse bei den Beschäftigten und gleichzeitig höheren Profiten für die Unternehmen sorgte.
  • Das Tempo des Wirtschaftswachstums verlangsamte sich dann aber wieder mit dem Ende der Rekonstruktionsperiode der Nachkriegszeit und den Änderungen des Produktionsapparates, bedingt durch den technologischen Fortschritt. Das geschah zu einer Zeit, in der die Beschäftigung zugewanderter Arbeitskräfte zunahm.
  • Um überhaupt ein Wachstum des Sozialproduktes zu gewährleisten, brauchte es immer mehr Investitionen, die neue Arbeitsplätze schafften und die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhte.
  • Diese Beschäftigungseffekte erfolgten einmal direkt aus der primären Durchführung der Investitionen und zum anderen aus den multiplikatorischen Einwirkungen, die weitere Beschäftigung auslösten. Die Quelle der Akkumulation ist nach wie vor die Steigerung des Arbeitspotentials.
  • Die Akkumulationsbedingungen sind wiederum günstiger, je größer das vorhandene Arbeitspotential ist und je stärker das Lohnniveau abgesenkt werden kann.
  • Es ist daher kein Widerspruch, dass die rapide Steigerung der Ausländerbeschäftigung mit einer Verlangsamung des Wachstumstempos einherging.
  • Die ausländischen Arbeitskräfte hatten in den 1960er Jahren bei großen Veränderungen der Rahmenbedingungen den weiteren Akkumulationsprozess erst ermöglicht.
  • Auch der Preisauftrieb, der Anfang der 1970er Jahre zu beobachten war, war dadurch bedingt, dass die Unternehmen zur Steigerung der Profitrate die Lohnkosten auf die Preise abwälzten. Die damalige Phase der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte fand im Rahmen eines, wenn auch mäßigen, Preisauftriebs statt. Man kann einen Zusammenhang der inflationistischen Wirkungen mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte erkennen.
Vier Phasen der Zuwanderung von Arbeitskräften
  • Erste Phase: Die Arbeitsmigranten rekrutieren sich aus den südeuropäischen Ländern ersten Grades, wie Italien, Spanien, Portugal und Griechenland.
  • Zweite Phase: Die o.g. Länder integrieren sich zunehmend in das Wirtschaftssystem Westeuropas und werden von den peripheren Ländern zweiten Grades, nämlich durch Jugoslawien und der Türkei ersetzt.
  • Dritte Phase: Die ökonomische Entwicklung der europäischen Industrieländer erfordert eine zunehmende Nachfrage nach Arbeitskräften. Als Lieferanten kommen die peripheren Länder dritten Grades, die arabischen Länder Nordafrikas in Frage.
  • Vierte Phase: Arbeitskräfte wandern aus den Gebieten südlich der Sahara zu.
Steuerung der Zuwanderung

Damit nichts dem Zufall überlassen wird und die Akkumulationsbedingungen immer günstig bleiben, wurden die Abläufe der Zuwanderung von den Aufnahmeländern immer schon gesteuert, denn es entstehen höhere Kosten, wenn mehr Arbeitskräfte kommen, als es einen Bedarf für sie gibt.

Bis zu einem gewissen Grad ist das Überangebot an Arbeitskräften für den Druck auf die Löhne ja erwünscht.

Als Steuerung hatte sich in der Bundesrepublik die gezielte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte bis zum Anwerbestopp 1973 für die Unternehmen als erfolgreich erwiesen. Danach gab es immer wieder eine bedarfsgerechte Zufuhr an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes z.B. Krankenschwestern aus Südkorea oder viele türkische und marokkanische Frauen, die als Alleineinreisende für bestimmte Sparten angeworben wurden.

Die Anwerbung hatte für die Unternehmen noch den Vorteil, dass die Menschen schon im Herkunftsland ärztlich untersucht wurden und so Arbeitskräfte kamen, die in ein Sozialsystem passten, in dem die Sozialpolitik mit ihrem Arbeits- und Gesundheitsschutz garantierte, dass ein ausreichendes Angebot an gesunden Arbeitskräften bereitstand.

Die zugewanderten Arbeitskräfte trafen auf einen Arbeitsmarkt, auf dem Flexibilisierung und Deregulierung noch nicht so ausgeprägt waren wie heute. Im Jahr 1970 handelte es sich bei 84 Prozent der Arbeitsplätze um Normalarbeitsverhältnisse, auf den verbleibenden 16 Prozent der Arbeitsplätze arbeiten Frauen und Migranten. Rund 80 Prozent der Beschäftigten unterlagen einem Tarifvertrag.

Die direkte Konkurrenz mit den einheimischen Beschäftigten wurde in der Vergangenheit oft überbewertet, doch füllten die ausländischen Arbeitskräfte meist nur die Lücken auf dem Arbeitsmarkt, die durch die berufliche und soziale Mobilität oder durch die regionale Immobilität der deutschen Beschäftigten entstanden waren.

Als Binsenweisheit gilt heute, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte erst den sozialen Aufstieg der deutschen Beschäftigten ermöglichte und der Etablierung und Stabilität der Normalarbeitsverhältnisse diente.

Änderungen der Rahmenbedingungen

Für die Beschäftigung von zugewanderten Arbeitskräften haben sich die Rahmenbedingungen immer wieder verändert.

So ist z.B. die Rotation der ausländischen Arbeitnehmer (nach einiger Zeit werden die Arbeitskräfte durch neue ersetzt) heute zur Steuerung kein Thema mehr, da die Rotation von Beschäftigung und Erwerbslosigkeit auf dem prekären deutschen Arbeitsmarkt selbst stattfindet bzw. durch die temporäre Arbeitsmigration aus den EU-Staaten ersetzt wurde.

Wichtige Voraussetzung für die temporäre Arbeitsmigration war die Deregulierung des Arbeitsmarktes mit den sogenannten Hartz-Reformen und die Dienstleistungsfreiheit in der EU. Die Menschen arbeiten in diesem Bereich vor allem im Dienstleistungssektor als Saisonarbeitskräfte, Scheinselbständige und grenzüberschreitende Leiharbeiter für einige Wochen oder ein paar Monate im Jahr.

Wir befinden uns seit einigen Jahren in einer Überproduktionskrise mit geringem Wirtschaftswachstum, in der vordergründig weitere Arbeitskräfte nicht gebraucht werden, sogar eher überflüssig sind. Darüber täuscht auch nicht das Märchen von dem Fachkräftemangel hinweg, das erzählt, dass Fachkräfte im Pflege-, Hotel- und Gaststättenbereich durch die Arbeitsmigration eingestellt werden können. Dabei sind dies genau die Bereiche, in denen die schlechtesten Lohn-, Arbeits- und Arbeitszeitbedingungen vorherrschen und deshalb auch nicht mit den einheimischen Fachkräften zu besetzen sind, die von ihrem Arbeitsplatz nicht mehr leben können.

Die Arbeitsmigration hat an dieser Stelle die wichtige Funktion, diese klassischen Niedriglohnsektoren zu stabilisieren und mit Arbeitskräften zu versorgen, die die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in Kauf nehmen müssen um überhaupt existieren zu können.

Deutschland verspricht sich von der Zuwanderung junger mobiler Menschen einen großen wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen EU-Ländern, als Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Wirtschaftsmacht und der Arbeitskräftereserve, bei möglichst freiem Waren- und Personenverkehr. Politik und Unternehmerschaft berücksichtigen dabei, dass es in der EU keinen einheitlichen Arbeitsmarkt gibt, der auch Schutzfunktionen bieten würden, wie z.B. gleiche Arbeitsgesetze und soziale Sicherungen, starke Gewerkschaften und einheitliche Lohnstrukturen und dass auf dem EU-Arbeitsmarkt der freie Personenverkehr für die Beschäftigten nur bedingt gilt. Arbeit finden sie nur in den wirtschaftlich stärkeren Regionen in der EU, in denen zumindest die Aussicht besteht, dass auch höhere Löhne gezahlt werden können, als in den Randzonen.

Die Profiteure von dem freien Personenverkehr sind, wie schon beim freien Warenverkehr, vor allem die deutschen Unternehmen.

Die bundesdeutsche Migrationspolitik sah im vergangenen Jahr vor, dass viele Zu- wanderer in die EU hineinkommen, sie in der EU verteilt werden, um innerhalb der EU eine Auswahl der Menschen treffen zu können. Gleichzeitig sollte die EU-Außengrenze möglichst geschlossen und der Personenverkehr in der EU möglichst frei sein.

Das hat aber nicht ganz so geklappt, wie gedacht, denn die große Mehrheit der EU-Staaten schottete sich gegenüber den Einwanderern ab und schränkte den freien Personenverkehr ein.

Wie mit den Einwanderern in der EU umgegangen wird, wird mittlerweile fast nur noch in den einzelnen Nationalstaaten entschieden und die wichtigen Entscheidungen fallen nur in den mächtigen EU-Staaten.

Unterm Strich ist Deutschland der größte Profiteur dieser Entwicklung, auch wenn dies ein großer Teil der Bevölkerung derzeit anders sieht.

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Sozio-ökonomische Situation der zugewanderten Menschen

Aktuell leben über 21 Millionen zugewanderte Menschen in der Bundesrepublik, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 26 Prozent.

Ein Ergebnis nach 75 Jahren gelenkter Zuwanderung, 45 Jahren geleiteter Ost-West-Wanderung und 25 Jahren gesteuerter Zuwanderung von Flüchtlingen ist, dass der sozio-ökonomische Status von zugewanderten Menschen deutlich unter dem der einheimischen Bevölkerung liegt.

Auch die Nachkommen der ab den 1960ern angeworbenen Arbeitskräfte, sogenannte zweite oder dritte Generation, hatte und hat große Probleme, einen angemessenen Platz in der Mehrheitsgesellschaft zu erklimmen. Gingen sie in Deutschland zur Schule, hatten und haben sie es zwar leichter als die neu zugewanderten Menschen, doch mussten und müssen sie immer den doppelten Einsatz zeigen, wenn sie die von ihnen erwarteten Leistungen für eine „Integration“ erbringen sollen.

Es ist ein Skandal, dass die zugewanderten Menschen nach fast 75 Jahren Einwanderungserfahrungen in Deutschland überwiegend am Rand der Gesellschaft existieren müssen und damit einer permanenten strukturellen Diskriminierung unterliegen.

In vielen Bereichen unserer Gesellschaft ist diese Ungleichheit nach wie vor gegeben, bei Arbeit und Einkommen, bei Bildung und Ausbildung, beim Wohnen und bei kultureller und sozialer Teilhabe und spiegelt sich wider in bestimmten Stadtteilen jeder Großstadt. Die zugewanderten Arbeitskräfte sind unter den kapitalistischen Verhältnissen auch nichts weiter als bewegliche Masse, flexibel einsetzbar im Markt- und Profitsystem.

Ausgrenzung zugewanderter Menschen am Beispiel Armut und Armutsgefährdung

Als arm gilt, wessen Einkommen unter einem bestimmten Wert liegt, nach einem berechneten Modell unter 60 Prozent eines gemittelten Einkommensdurchschnittes eines Landes. Der Wert ist relativ und ändert sich je nach den gesamten Einkommensverhältnissen. Dieser „Schwellenwert der Armutsgefährdung“ lag im April 2024 bei netto 1.309,00 Euro im Monat für Alleinstehende. Wer weniger Geld zur Verfügung hat, gilt als arm.

Die Armutsgefährdungs-Quote zeigt den Anteil derer an der Gesamtbevölkerung oder einer bestimmten Gruppe, bevor sie zu den Armen gezählt werden.

Die konkrete Lebenssituation der zugewanderten Menschen, heruntergebrochen auf die einzelnen gesellschaftlichen Bereiche, stellt sich so dar:

  • Armut: Im Jahr 2023 lebten 14,1 Millionen Menschen, das sind 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, an der Armutsgrenze. Bei den zugewanderten Menschen lag die Armutsquote bei 28,6 Prozent und bei älteren Zuwanderern sogar bei 31,2 Prozent. Weiter differenziert liegt die Armutsgrenze zugewanderter Menschen mit deutschem Pass bei 13,7 Prozent und mit einem ausländischen Pass bei 35,3 Prozent.
  • Armutsgefährdung: Die Armutsgefährdung bei den zugewanderten Menschen ist insgesamt doppelt so hoch wie bei den Einheimischen. Die höhere Armutsgefährdung von zugewanderten Personen beschränkt sich weder auf bestimmte sozio-demografische noch sozialstrukturelle Gruppen in der Bevölkerung und kann weitgehend einheitlich über Alters-, Bildungs- und Berufsgruppen, über Haushaltstypen, Regionen und einer Reihe weiterer armutsrelevanter Merkmale beobachtet werden. Die Überrepräsentation in besonders armutsgefährdeten Gruppen erklärt jedoch nur einen geringen Teil der um 14 Prozentpunkte höheren Armutsgefährdung von zugewanderten Menschen.
  • Zugewanderte Menschen, die zur Gruppe mit höherer Ausbildung gehören, diese aber im Ausland erworben und dort studiert haben, haben wiederein  höheres  Armutsrisiko. Das ist vor allem mit der Nichtanerkennung oder nur Teilanerkennung solcher Abschlüsse zu erklären, mit der Folge, dass diese Menschen in minder qualifizierten Tätigkeiten oder Berufen zu arbeiten gezwungen sind.
  • Bei zugewanderten Menschen im Rentenalter liegt die Armutsquote bei 31,2 Prozent.
  • Die Gruppe junger zugewanderter Menschen von 18 bis 30 Jahren, also „Berufsanfänger“, ist mehr als der Durchschnitt gefährdet, nämlich mit 30 Prozent.
  • Niedriglohnsektor: Über ein Drittel der Beschäftigten mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit arbeiten im Niedriglohnsektor. Im Vergleich zu deutschen Arbeitskräften sind das doppelt so viele (37 Prozent zu 16 Prozent).
  • Löhne: Der Durchschnittsverdienst der rund drei Millionen ausländischen Vollzeitbeschäftigten lag im Jahr 2019 bei 2.600 Euro brutto und damit etwa ein Viertel unter dem der Deutschen, die rund 3.500 Euro brutto verdienten. Die Armutsgefährdung ist auch bei Vollzeitbeschäftigten doppelt so hoch wie in der deutschen Vergleichsgruppe (14,8 Prozent zu 7,1 Prozent).
  • Arbeitslosigkeit: Im Februar 2024 lagen die Arbeitslosenquoten bei der Gesamtbevölkerung bei 6,1 Prozent, bei der Bevölkerung mit ausländischer Staatsbürgerschaft bei 15,5 Prozent.
  • Rund ein Viertel aller sozialpflichtig Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich waren 2023 Zuwanderer und bezogen auf Altenpflege waren es über 30 Prozent. Sie werden auch zumeist schlecht bezahlt und nahe an der Armutsgrenze, vor allem, wenn sie Frauen oder gar Alleinerziehende sind.
  • Zugewanderte Mieter leben im Schnitt in kleineren und schlecht ausgestatteten Wohnungen. Sie sind vermehrt Lärm- und Umweltschmutz ausgesetzt und weniger zufrieden mit ihren Wohnverhältnissen. Selbst unter Berücksichtigung sozi-ökonomischer Unterschiede kann eine wohnräumliche Schlechterstellung gezeigt werden. Sie wenden 46 Prozent ihres Einkommens für die Miete auf und zahlen im Schnitt 464,04 Euro. Ältere Menschen aus der Türkei und jüngere aus Rumänien bilden neue Gruppen unter Bettlern und Obdachlosen.

Das Beispiel Armut zeigt deutlich, welche Rolle den zugewanderten Menschen in unserer Gesellschaft zugedacht wird und wurde. Immer wieder haben sie versucht, aus ihrer Opferrolle herauszutreten, Widerstand zu leisten, sich selbst zu organisieren und gegen die Arbeits- und Lebensverhältnisse aufzubegehren.

Selbstorganisation

Bereits Ende der 1960er Jahre begannen die Zuwanderer sich in den vielen Multinationalen Zentren in Arbeiter- und Kulturvereinen in der gesamten Bundesrepublik zu organisieren. Hier wurden nicht nur die Arbeitsbedingungen in den Betrieben mit ihren ungerechten und diskriminierenden Strukturen, sondern auch die rassistischen Lebensverhältnisse in Deutschland angeprangert. Gefordert wurde das Wahlrecht, gleiche Bildungschancen für die Kinder und die Proteste richteten sich gegen Polizeigewalt und gegen die fortdauernde Hetze in den Medien.

Die selbstorganisierten Kämpfe der zugewanderten Menschen waren von Anfang an sehr breit angelegt und hatten früh schon die rechtlichen, politischen und ökonomischen Aspekte der Unterdrückung und Ausbeutung im Auge. Schnell wurde die enge Perspektive der Betriebskämpfe verlassen und auf die konkrete Lebenssituation gerichtet. Hier stand der Alltag, Sprache und Kultur im Vordergrund und vor allem die Wohnverhältnisse, die neben dem Betrieb den entscheidenden Kristallisationspunkt der Kämpfe bildeten.

Die deutschen Medien bzw. die Öffentlichkeit begann plötzlich, die streikenden und demonstrierenden Zuwanderer wahrzunehmen. Sie waren der Meinung, die Proteste stießen in die Lücke, die die Gewerkschaften hinterließen. Die Gewerkschaften hatten es nicht geschafft, die ausländischen Arbeitskräfte in das sozialpartnerschaftlich organisierte System der industriellen Beziehungen Westdeutschlands einzubinden.

Auch ein Großteil der Aktivisten aus der alten und Neuen Linken fing an, sich für die selbstorganisierten Aktivitäten der Zuwanderer zu interessieren und ihre Organisationsarbeit auf diese Menschen zu richten. Die linken Aktivisten sahen in der Situation der Zuwanderer eine neue Stufe kapitalistischer Ausbeutung und gleichzeitig den Keim zum aktiven Widerstand. Schnell konnten so Solidaritätsstrukturen mit linken Organisationen aufgebaut werden. In einzelnen Städten entstanden Gruppen zur „multinationalen Betriebsarbeit“, es gab enge Kontakte zu den betrieblichen migrantischen Strukturen und zu den Selbstorganisierungen, sogar migrantische und studentische Milieus näherten sich einander an.

Heute gibt es rund 20.000 Verbände der Selbstorganisation von zugewanderten Menschen in Deutschland, in denen sie ihre Kämpfe selbst in die Hand nehmen und als politische Subjekte Widerstand gegen die ihnen auferlegten Arbeits- und Lebensbedingungen leisten.

Die Erfolge der Selbstorganisation der Zuwanderer werden meist übersehen und in den Schatten der Arbeitskämpfe, vor allem in denen der 1970er Jahre, gestellt.

Arbeitskämpfe

Aufgrund der ungleichen und schlechten Arbeitsbedingungen begannen bereits in den 1970er Jahren die zugewanderten Arbeitskräfte, sich in Gewerkschaften zu organisieren und sich an Arbeitskämpfen zu beteiligen.

Von den rund zwei Millionen ausländischen Beschäftigten waren zu Beginn der 1970er Jahre etwa ein Viertel gewerkschaftlich organisiert. Viele von ihnen hatten ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein, auch weil die meisten aus Herkunftsländern stammten, die zur damaligen Zeit große politische Umbrüche erlebten. In Griechenland, Spanien und Portugal bestanden bis Mitte der 1970er Jahre Diktaturen, in der Türkei gab es in den 1970er Jahren eine starke Organisierung von Beschäftigten und zahlreiche Streiks. Aus dem sozialistischen Jugoslawien waren viele Arbeitskräfte mit ausgeprägtem Klassenbewusstsein nach Deutschland gekommen. Die griechischen Zuwanderer organisierten von Deutschland aus den Widerstand gegen die Militärjunta und die aus der Türkei, dort litten die Gewerkschaften besonders unter staatlichen Repressionen, gründeten Vereine in Deutschland. Viele aus Italien, wo die Kommunistische Partei als zweitstärkste Partei im Parlament vertreten war, brachten beträchtliche Streikerfahrungen mit nach Deutschland.

Die zugewanderten Arbeitskräfte versuchten ihre Erfahrungen aus ihren Herkunftsländern über gewerkschaftliche Tätigkeit in Arbeitskämpfen zu kanalisieren. So konnten auch schnell Solidaritätsstrukturen mit linken Organisationen aufgebaut werden.

Es gelang, die Kämpfe um beschränkte Aufenthaltsgenehmigungen mit den Kämpfen um bessere Wohnverhältnisse und den betrieblichen Kämpfen und Streiks zu verbinden und ein neues antirassistisches Moment zu schaffen.

In den Betrieben selbst war dieses Miteinander gar nicht so rosig. Die zugewanderten Beschäftigten bekamen vor allem niedrig qualifizierte Tätigkeiten zugeteilt und arbeiteten oft Akkord am Fließband, in der Steinkohleförderung im Bergbau oder im Baugewerbe. Der sogenannte Fahrstuhleffekt führte dazu, dass ausländische Arbeitskräfte am unteren Ende der Beschäftigungshierarchie eingesetzt wurden und deutsche dadurch in höhere Tätigkeiten aufsteigen konnten. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigte sich auch bei den Löhnen, die häufig weit auseinanderklafften.

In vielen Betrieben wuchs der Unmut gegen die schlechten Arbeitsbedingungen immer mehr und entlud sich in verschiedenen Widerstandsformen und Protesten. Enttäuschung machte sich breit, auch hinsichtlich des zurückhaltenden Verhaltens der Gewerkschaften, denen man schließlich die Vertretung der eigenen Forderungen absprach.

Zwei Streiks im Jahr 1973 stechen besonders hervor: der Frauenstreik bei Pierburg in Neuss und der Streik bei Ford in Köln.

A. Beispiel: Streik bei Pierburg

Der Arbeitskampf bei der Autozubehörfirma Pierburg im August 1973 war wohl einer der ersten erfolgreichen Streiks in der Bundesrepublik gegen frauendiskriminierende Eingruppierung und Entlohnung.

Das wesentliche Merkmal dieses Streiks und einer der Faktoren, der den Streik zum Erfolg machte, war die Solidarität der Arbeiterinnen untereinander. Schon nach wenigen Tagen solidarisierten sich die deutschen Facharbeiterinnen mit den streikenden zugewanderten Frauen und widersetzten sich gemeinsam den Einschüchterungsversuchen der Unternehmer. Mehr als 1.800 zugewanderte und 400 deutsche Arbeiterinnen traten mit der Forderung „1 Mark mehr“ in einen spontanen und unbefristeten Ausstand. Schnell versuchten Unternehmensvertreter, Medien und auch die Politik, den Streik zu kriminalisieren.

Angefangen hatte alles mit der Verteilung von Flugblättern durch griechische Arbeiterinnen, auf denen sie in verschiedenen Sprachen zum Streik aufriefen. Schnell rückte, wie bei solchen Anlässen üblich, die Polizei an, um die Aktivistinnen zu verhaften.
Bei einem Handgemenge bedrohte ein Polizist die Frauen mit gezogener Pistole und beleidigte sie rassistisch. Die Dimension des rassistischen und gewalttätigen Angriffs der Polizei sprach sich im Betrieb schnell herum, löste eine Solidarisierungswelle aus und die zugewanderten Frauen legten den gesamten Betrieb lahm.

In kurzer Zeit hatten die zugewanderten Arbeiterinnen erfolgreich Solidarität eingefordert und ein tragfähiges Gefüge zu anderen Frauen aufgebaut und das vor dem Hintergrund rassistischer Strukturen im Betrieb und einer repressiven Unternehmensleitung, die von Presse und Polizei unterstützt wurde.

Das zahlte sich auch aus. So wurde die diskriminierende unterste Lohngruppe 2, der die zugewanderten Arbeiterinnen zugeteilt waren, abgeschafft und es gab eine Erhöhung des Lohns um 65 Pfennig pro Stunde. Für alle Aktivistinnen war es sehr wichtig, dass es nach dem Arbeitskampf zu keinen Entlassungen kam.

Der Arbeitskampf war auch deshalb erfolgreich, weil es bei Pierburg schon vor dem Streik einen sehr aktiven linken Vertrauenskörper gab, dem viele Zuwanderinnen angehörten und der sich dem damaligen Betriebsrat entgegenstellte.

Ein Jahr vor dem Streik war es dem Vertrauenskörper nach jahrelanger Arbeit gelungen, bei den Betriebswahlen mehr Stimmen als der Betriebsrat zu erhalten. Mitglieder des Vertrauenskörpers forcierten ihre gewerkschaftliche Arbeit und verteilten regelmäßig Informationsblätter in allen Sprachen, die im Betrieb gesprochen wurden. Mehrsprachige Vertrauensleute gewährleisteten den Informationsfluss unter den Arbeiterinnen und auch die Betriebsversammlungen waren mehrsprachig.

Vor allem solche Entwicklungen und Aktivitäten trugen zum Gelingen des Streiks bei.

B. Beispiel: Ford-Streik Köln

Der wohl bekannteste Arbeitskampf des Jahrs 1973 war der ebenfalls im August geführte Streik in den Ford-Werken in Köln-Niehl. Dort waren zwischen 1961 und 1973 rund 11.000 aus der Türkei kommende Menschen beschäftigt. Sie stellten die größte türkeistämmige „Industriearbeitergesellschaft außerhalb der Türkei“ dar und wurden fast ausschließlich auf niedrigqualifizierten Arbeitsstellen eingesetzt. Dadurch entstand eine scharfe Trennung von der deutschen Belegschaft, die meist in besseren Positionen beschäftigt war. Die Beschäftigungsstruktur basierte auf einem hybriden System, in dem die zugewanderten die schlechteren Tätigkeiten ausführen mussten, schlechter entlohnt und auch schneller entlassen werden konnten, als die deutschen Arbeitskräfte.

Auslöser des Streiks war die Entlassung von 300 Beschäftigten, die verspätet aus dem Urlaub zurückgekehrt waren.

Eine Woche vor dem Streik gab es eine Betriebsversammlung, auf der sich die türkeistämmigen Beschäftigten solidarisch mit den Entlassenen zeigten, während der Großteil der deutschen Arbeitskräfte die Entlassungen und Disziplinarverfahren mit Applaus quittierte. Als dann auch noch die durch die Entlassungen entstandene Mehrarbeit auf die Verbliebenen abgewälzt werden sollte, äußerte sich der wachsende Unmut am 24. August 1973 in einem Demonstrationszug durch das gesamte Werk. Der nachfolgende Streik dauerte sieben Tage. Mehr als die Hälfte der 33.000 Beschäftigten beteiligte sich an ihm, vor allem türkeistämmige, aber auch einige deutsche und italienische Beschäftigte unterstützten den Streik. Die Forderungen der Streikenden lauteten: „Verminderung der Bandgeschwindigkeiten, Senkung des Arbeitstempos, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sechs Wochen Urlaub, eine Mark mehr für alle, Wiedereinstellung der Entlassenen, Bezahlung der Streikstunden.“

Nach einer Woche Streik entschied sich die Geschäftsleitung dafür, den Streik mit allen Mitteln zu beenden. Sie forderte während einer Gegendemonstration der deutschen Belegschaft Polizeikräfte an, die mit Gewalt gegen die Streikenden vorgingen und ihre „Rädelsführer“ verhafteten. Baha Targün, Sprecher des Streikkomitees, wurde in die Türkei ausgewiesen. Die Geschäftsleitung entließ 100 türkeistämmige Beschäftigte fristlos und machte Druck auf weitere 600, ihre „fristlose Kündigung in eine ‹freiwillige› umzuwandeln“. Typisch für diese Auseinandersetzung war, dass der Betriebsrat gegen keine dieser Entlassungen Einspruch einlegte.

In der Zerschlagung des Streiks bei Ford in Köln entlud sich die Wut der deutschen Arbeiter über die Tatsache, dass die türkischen Zugewanderten für kurze Zeit die Kontrolle über ihren Arbeitsplatz übernehmen konnten.

Bei dem Fordstreik ging es um „eine Mark mehr“, aber zugleich zeigte sich, dass der große Streik von August 1973 die ganzen Lebensverhältnisse thematisiert hat. Nicht nur die Wohnsituation, auch die gesundheitlichen Probleme, die die Arbeit verursachte, auch die Frage, wie man mit wenigen Wochen Urlaub und Wechselschicht den Kontakt zu Familien und Freunden aufrechterhalten soll.

Es bewahrheitete sich wieder einmal, dass Arbeitskämpfe immer über Arbeitskämpfe hinausgreifen – und es  eigentlich um noch viel mehr ging:

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„Der Streik bei Ford in Köln Ende August 1973 ist ein entscheidender Markstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ja, der Arbeiterbewegung in Deutschland, nicht der „deutschen Arbeiterbewegung…“

Dies aufgrund von drei Aspekten:

Erstens. Der Kölner Ford-Streik markierte – zusammen mit der breiten Streikbewegung von Mai bis Oktober in diesem Jahr 1973 – definitiv das Ende einer Zeit mit relativem „Klassenfrieden“, was zusammenfiel mit einer Periode, die gemeinhin als (westdeutsches) Wirtschaftswunder verklärt wird. Dabei muss bedacht werden, dass es ein solches Wirtschaftswunder mit wenigen Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeit und Kapital nur rund eineinhalb Jahrzehnte lang gab: In der Zeit nach dem Druckergeneralstreik des Jahres 1952 und bis zu den „wilden Streik“ des Jahres 1969, die auch ein Reflex auf die erste Nachkriegsrezession (1966/67) waren.

An den überwiegend „wilden“ – nicht von den Gewerkschaften offiziell geführten – Streiks des Sommers 1973 beteiligten sich bis zu 300000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Das war nochmals deutlich mehr als bei der Streikwelle 1969. Wichtige Betriebe, in denen es solche Auseinandersetzungen gab, waren u.a. die Landmaschinenfabrik John Deere in Mannheim, die Klöckner-Hütte Bremen, die Hella-Werke Lippstadt, Pierburg in Neuss, AEG-Küppersbusch in Gelsenkirchen, Opel Bochum, Philips/Valvo in Bremen, Rheinstahl in Bielefeld und Duisburg und Buderus in Lolla/Hessen.

Zweitens. In den 1973er Streiks erwies sich erstmals das enorme kämpferische Potential der „Gastarbeiter“ – der Arbeiterinnen und Arbeiter aus den europäischen Peripherieländern. In Köln waren dies vor allem die türkischen Kolleginnen und Kollegen. In den meisten Streiks jener Wochen spielten sie eine – in Köln und anderswo: die – führende Rolle. Damit markieren diese Streiks auch das Ende eines spezifischen Akkumulationszyklus des deutschen Kapitals: Dieses konnte bis Ende der 1960er Jahre und teilweise bis in die 1970er Jahre hinein mit eher geringem Kapitaleinsatz und billigen Arbeitskräften (und damit vor allem in Form von absoluter Mehrwertproduktion und hohen Gewinnen) fungieren. Der Arbeitskräftezufluss speiste sich aus den drei Quellen: Arbeitslosenheer (bis 1953 mehr als eine Million), Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten und der DDR (bis 1961 zehn Millionen Menschen, davon mindestens 6 Millionen im arbeitsfähigen Alter) und „Gastarbeiter“ (zwischen 1960 und 1973 eine Million). Wenn es dann ab Mitte der 1970er Jahre als Resultat höherer Löhne und der Krise 1974/75 zu einem Rationalisierungsschub kam und sich nunmehr – ergänzt um eine weiter unterbewertete D-Mark – auf dieser Basis die erfolgreiche Exportoffensive des deutschen Kapitals fortsetzte, so ist dies Teil der Dialektik, die der kapitalistischen Produktion innewohnt.

Drittens. In den 1973er Streiks gab es eine deutliche Spaltung zwischen den migrantischen Arbeitskräften, die die Kämpfe meist anführten, einerseits, und den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die teilweise neutralisiert werden konnten, die sich teilweise aber auch – nicht zuletzt durch regionale IG Metall-Strukturen – rassistisch instrumentalisieren ließen, andererseits.

Diese Klassenspaltung war die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Streiks – anders als diejenigen des Jahres 1969 – überwiegend abgewürgt und teilweise brutal zerschlagen wurden. Die Ereignisse in Köln waren hier exemplarisch. Wenn es heute diese rassistische Spaltung in den Kernbelegschaften nicht mehr gibt, so ist das vor allem den migrantischen Arbeitskräften und ihrem kämpferischen Einsatz zu verdanken“.

Aus: Karl Heinz Roth, Die „andere“ Arbeiterbewegung, München 1974, S. 11 u. 12.

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Zuwanderung und Gewerkschaften

Die Zuwanderung von Arbeitskräften wurde und wird immer schon vonseiten der Unternehmen gefördert und gefordert, nicht zuletzt, um auf ein breites Arbeitskräfteangebot mit entsprechender Konkurrenz zurückgreifen zu können.

Die Gewerkschaften nahmen die angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte zunächst vor allem als neue Konkurrenz wahr. Dies erklärt ihre Zurückhaltung, wenn es um Fragen des Einsatzes für und der Repräsentation von zugewanderten Beschäftigten ging. Da sich viele der ausländischen Arbeitskräfte nicht durch die Gewerkschaften vertreten sahen, organisierten sie unabhängig von ihnen zwischen 1950 und 1970 eigenständig zahlreiche sogenannte wilde Streiks. Diese Streiks hatten einerseits Spaltungen zwischen deutschen und zugewanderten Beschäftigten zur Folge, andererseits auch die erfolgreiche Solidarisierung der Beschäftigten untereinander.

In der Regel begegnete die deutsche Bevölkerung den „Fremdarbeitern“ mit Misstrauen und Skepsis. Viele der vorwiegend deutschen Betriebsräte und hiesigen Gewerkschaften verwehrten den neuen Arbeitskämpfen ihre Unterstützung, ihre Besserstellung in den Betrieben basierte ja auch darauf, dass zugewanderte Arbeitskräfte die unteren Hierarchieebenen ausfüllten. Während die deutschen Beschäftigten und die Gewerkschaften eher am Erhalt der betrieblichen Strukturen interessiert waren und diese stützten, kämpften die zugewanderten häufig für deren Änderung und gegen ihren eigenen Ausschluss. Sie kritisierten die rassistischen Zustände in den Betrieben ebenso wie auch ihre schlechte Wohnsituation und leisteten mit ihrer Selbstorganisation vielfältigen Widerstand.

Bei den DGB-Gewerkschaften selbst hat die gewerkschaftliche Politik der letzten 50 Jahre, im Hinblick auf die Zuwanderung, nie eine besondere Priorität genossen. Die Gewerkschaften haben bis heute nicht die historische Verantwortung kritisch aufgearbeitet. Sie haben die strategischen Chancen von Einwanderung und Einwanderern nicht in breiterem Ausmaß erkannt und erschlossen.

Gewerkschaften merken meistens zur Zuwanderung an, dass

  • Einwanderung die Konkurrenz zwischen den Beschäftigten anheizt,
  • sie tendenziell die Löhne drückt,
  • bei den Arbeitsbedingungen es zu einer Verschlechterung führen könnte,
  • durch Einwanderungsprozesse eine Abwärtsspirale der erreichten Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen ausgelöst werden könnte, weil zugewanderte Arbeitskräfte aus arbeitsrechtlichen Kontexten mit schwächeren Rechten der Beschäftigten kommen,
  • die Zugewanderten Arbeitsplätze übernehmen, die die einheimischen Beschäftigten eher meiden,
  • die Einwanderung, vor allem von weniger qualifizierten Arbeitskräften, zu einem „Fahrstuhleffekt“ führt, dergestalt, dass alle Arbeitskräfte in der sozialen Rangskala nach oben geschoben werden und eine Unterschichtung durch die Zugewanderten stattfindet,
  • meistens ein volkswirtschaftlicher Gewinn, der in der Zuwanderung von Arbeitskräften liegt und das Ankunftsland in der Regel der volkswirtschaftliche Gewinner ist,
  • eine dauerhafte Einwanderung mit allen bürgerschaftlichen Rechten es den Gewerkschaften ermöglicht, die Zuwandernden in bestehende Arbeitskulturen zu integrieren,
  • sich die Situation bei der zirkulären Migration schwieriger darstellt, wenn Beschäftigte nur für begrenzte Zeit kommen, wie bei der saisonalen Arbeit und bei der Zuwanderung für einige Jahre entsprechend des konjunkturellen Bedarfs,
  • nach wie vor bei Flüchtlingen und Asylsuchenden Skepsis besteht, weil befürchtet wird, dass wenn ihre Asylgesuche abgelehnt werden, sie zu „irregulären“ Zuwanderern werden. Menschen, die sich „irregulär“ im Land aufhalten, seien fast immer ein Einfallstor für die Absenkung oder die Aufhebung bestehender Arbeitsstandards,
  • sich Gewerkschaften der internationalen Solidarität verpflichtet sehen, aber ein durchaus zwiespältiges Verhältnis auch zu der Frage besteht, ob sie zugewanderte Menschen gezielt, etwa mittels spezieller Organizing-Aktivitäten ansprechen oder ob sie diese Adressatengruppe eher marginal behandeln sollen. Oft wird argumentiert, dass die gewerkschaftliche Integration von wenig qualifizierten, aus ländlichen Sozialzusammenhängen kommenden und vielleicht nur vorübergehend in einem Ankunftsland beschäftigten Menschen zu viele Organisationsressourcen benötigt,
  • „ethnische Communitys“ sowie die spezifischen Selbstorganisationen von Migranten die traditionelle Einheit der Gewerkschaften gefährden könnten,
  • im Falle der temporär beschäftigten, zirkulären Zuwanderer die Einzelgewerkschaften deren aufwendig zu betreibende Organisierung für eine „Fehlinvestition“ halten könnten, da mit dauerhaftem Ressourcenzufluss in Form etwa von Mitgliedsbeiträgen und Aktivitäten nicht zu rechnen ist,
  • durch die Zuwanderung eine potenzielle Stärkung der eigenen Organisationsbasis erfolgt, denn nicht selten handelt es sich um durchaus aktionsbereite Gruppen

und

vor allem ist jedes Gewerkschaftsmitglied auch ein zahlendes Mitglied.

Die Gewerkschaften als Mitglieder- und als Einflussverbände müssten eigentlich daran interessiert sein, für die spezifischen Interessen und Problemlagen von immerhin einem Fünftel aller in Deutschland lebenden Menschen, denen eine Zuwanderungsgeschichte zugeschrieben wird, angemessene Perspektiven und Programmatiken zu entwickeln.

Die vornehme Zurückhaltung hat auch damit zu tun, dass die Gewerkschaften im Rahmen der Sozialpartnerschaft sich nicht trauen, die bisher unattraktiven Mangelberufe durch deutlich höhere Lohnsteigerungen attraktiver zu machen, anstelle dem Mangel durch Einwanderung von Arbeitskräften, die mit weniger Lohn zufrieden sein müssen, abzuhelfen. Bei der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten, wurde immer mehr Einkommen von der Masse der Beschäftigten zu den Kapitalbesitzern umverteilt. Das wäre zwar fair, aber so etwas würde die Unternehmer und Aktionäre recht viel Geld kosten und das wollen die Gewerkschaften nicht. Sie rufen lieber nach dem Staat, der dann eine Lockerung der Einwanderungsregeln betreibt, um billige „Fachkräfte“ aus dem Ausland anzulocken.

Allen Beteiligten, die die Zuwanderungspolitik gestalten, auch den Gewerkschaften, müsste völlig klar sein, dass wie Marx und Engels schon anmerkten, die Ein- und Auswanderung aus der Entwicklung der Produktivkräfte, der Produktionsverhältnisse und der Produktionsweise zu erklären ist. Beide sahen die Theorie über den Mehrwert auch als Grundlage für das Verständnis der Migration im Kapitalismus an, die unter anderem aufdeckt, dass die Arbeitskraft in den verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Wert hat. Hinzu kommt, dass wie bei allen Waren die Wirkung von Angebot und Nachfrage Auswirkungen auf den Preis in Form von Lohn hat. Die Ausweitung des Angebots an Arbeitskräften durch Zuwanderungen hat genau diese Wirkung.

Es geht vor allem darum, dass sich die bestehenden Strukturen nur durch mehr Zuwanderung aus dem Ausland erhalten lassen und auch deshalb wird immer nach dem Staat gerufen, der ein Regelwerk dafür schafft.

Migrationspakt

Der deutsche Staat hat immer schon Einwanderungsregeln bestimmt, mal wurden sie gelockert und mal angezogen. Argumentiert wird mit der Notwendigkeit, Fachkräfte anzulocken und gelegentlich werden auch humanitäre Gründe genannt. Mittlerweile scheinen die nationalen Zuwanderungsregeln nicht mehr auszureichen und internationale Regelungen werden geschaffen.

Bereits im Jahr 2013 hat das Weltwirtschaftsforum eine Studie mit dem Titel „The Business Case for Migration“ veröffentlicht. Mitgewirkt haben neben Konzernen, die an der Zuwanderung verdienen, wie Western Union, Jeeves Group, Univision und Oracle auch Vertreter von EU, Regierungen und internationalen Organisationen. Mitgemacht haben auch der EU-Kommissar für Inneres, ein Vertreter der Weltbank und ein Generaldirektor des Finanzministeriums Schwedens.

Das Weltwirtschaftsforum hat so eine öffentlich-private Koalition zur Förderung der Migration gebildet.

Zur Migrationsförderung hat man sich auf die Punkte

  • Migration ist gut fürs Geschäft,
  • Politische Parteien, die Zuwanderung zu begrenzen und zu kontrollieren versprechen, sind ein Problem. Sie schaden der Wirtschaft,
  • Entwicklungsagenturen fördern Migration,
  • Unternehmen halten sich bei dem Thema zurück, weil sie Angst haben, mit Werbung für Zuwanderung den Groll der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen,
  • Migration sollte man heute nicht mehr als eine Beziehung zwischen Individuum und Staat verstehen, sondern als Beziehung zwischen Individuum und Unternehmern, vermittelt über den Staat

und

der Staat und Zivilgesellschaft sollen in Partnerschaft eine Willkommenskultur etablieren, geeinigt.

Den Migrationspakt hatte die Große Koalition im Jahr 2018 unterzeichnet und mit ausgehandelt.

Was davon mit Leben gefüllt wird, ist ungewiss.

Ungewiss vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der „Gastarbeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 30 Millionen Menschen zu- und abgewandert sind, sich die Lebenslüge hielt „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, bis zur Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes durch die Rot-Grüne-Koalition im Jahr 1999.

Der gesellschaftliche Skandal, dass sich Deutschland bis zur Jahrtausendwende kontrafaktisch als Nichteinwanderungsland bezeichnete, ist noch kaum wissenschaftlich analysiert, geschweige denn politisch aufgearbeitet.

 

 

 

 

 

Quellen: WAZ, Statistisches Bundesamt, DGB, Stadt Dortmund, IG BAU,rosalux.de/publikation/id/42811, Efsun Kızılay,HBS, K.H. Roth, Norbert Haering, WEF Migration Business Case Report 2013 (weforum.org)    
Bild: pixabay cco