Griechenland hat gewählt und viele Gewerkschafter bei uns erhoffen sich viel von der neuen griechischen Politik. Manche sind sehr optimistisch und spekulieren bereits darüber, dass bei den Parlamentswahlen, die in mehr als einem Drittel der EU-Mitgliedsstaaten in diesem Jahr und Anfang 2016 stattfinden, ähnliche Ergebnisse erzielt werden. Die ganz optimistischen Kolleginnen und Kollegen sprechen sogar vom Beginn eines „europäischen Frühlings“.
Aber gemach, gerade SYRIZA (griech. „Koalition der Radikalen Linken“) hat wieder einmal nachgewiesen, dass bevor sich solche Wahlerfolge einstellen, sehr viel Arbeit, ein langer Atem, großer Wille zur eigenen Öffnung und vor allem ein gesellschaftliches Klima für Veränderung und Protest vorhanden sein muss.
Die griechischen Parlamentswahlen waren auch eine Abstimmung über die europäische Krisenpolitik der vergangenen Jahre und die Abrechnung mit dem „Neoliberalismus“, unter dieser menschenfeindlichen Politik hat von den europäischen Staaten Griechenland am schrecklichsten zu leiden.
Am 21. April 1967, kurz vor dem Termin einer Parlamentswahl, bei der aller Voraussicht nach die Linke gesiegt hätte, verkündete die Armee, dass sie, um einer Machtübernahme der Kommunisten zuvorzukommen, selbst die Macht übernommen habe. Panzer fuhren, Parlament, Regierungsgebäude und Zeitungshäuser wurden besetzt, Funktionäre demokratischer Organisationen verhaftet, viele von ihnen in Konzentrationslager deportiert, Versammlungen verboten, Gesetze aus der Zeit der Nazi-Okkupation wieder für gültig erklärt, gewerkschaftliche Organisationen und Streiks unterdrückt und Militärgerichte eingesetzt. Wahlen fanden für ganz lange Zeit nicht mehr statt. Der Militärputsch wurde nach dem Drehbuch „Prometheus“ unter Regie des NATO-Generalstabs inszeniert und sollte zwingend einen Sieg der Linke in Griechenland verhindern.
Der jetzige Machtwechsel in Griechenland konnte nicht verhindert werden, auch weil das griechische Volk jegliche Einmischung nicht zugelassen hätte.
Aber nachgekartet wurde auch bei uns schon. Die Medien hier griffen die Person des Parteivorsitzenden an und sprachen von einem „Brandstifter/, einem Amokläufer/, Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Alexis Tsipras/, dem Linksradikalen/, dieser Linke, der uns unser Geld nicht wiedergeben will“. Es schäumt die pure Wut, nur weil das griechische Volk nicht mehr bereit ist, sich bei lebendigem Leib, das Fell über den Kopf ziehen zu lassen.
Erfreulich war, dass Rainer Hoffman DGB-Vorsitzender etwas Sachlichkeit in die Stimmung brachte als er sagte: „Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in Griechenland hat die Krisenpolitik der Austerität abgewählt, die das Land in eine soziale Katastrophe geführt hat. Die massiven Ausgabenkürzungen haben das Land in die tiefste Rezession und damit zugleich in die höchste Staatsverschuldung der gesamten EU getrieben. Die Folge ist eine soziale und humanitäre Krise ohne Beispiel in Europa: Ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, die sozialen Sicherungssysteme wurden massiv geschwächt, der Mindestlohn um 22 Prozent gesenkt, das Tarifvertragssystem und andere Schutzrechte für die Beschäftigten demontiert. Ausgerechnet die unteren Einkommensgruppen wurden zusätzlich steuerlich belastet. Die Arbeitslosigkeit liegt jetzt bei 27 Prozent, unter Jugendlichen sogar bei über 50 Prozent. Mehr als 800.000 Menschen sind nicht mehr von einer solidarischen Gesundheitsvorsorge erfasst und bekommen nur noch in Notfällen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Das Wahlergebnis ist deshalb auch ein vernichtendes Urteil über diese verfehlte Politik seit 2010. Die alte Elite in Griechenland war ganz offenkundig nicht mehr wählbar. Wir sollten das Wahlergebnis der Bürgerinnen und Bürger in Griechenland ernst nehmen, als Aufforderung zu einem Politikwechsel. Dieser Politikwechsel wird jetzt eingeleitet und ich kann nur dringend empfehlen, dass sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die Kommission gemeinsam mit der neuen Regierung an einen Tisch setzen. Sie sollten gemeinsam konstruktive Lösungen erarbeiten, die wirklich dauerhaft aus der Krise herausführen, aber eben nicht mehr einseitig zu Lasten der Menschen…. Warum ist denn der Schuldenstand Griechenlands weiter gestiegen? Das liegt in erster Linie an der Sparpolitik und dem damit verbundenen sogenannten Divisorproblem. Wenn aufgrund massiver staatlicher Ausgabenkürzungen das BIP im Nenner sinkt, wächst automatisch der Wert des Quotienten, d.h. die Schuldenquote, und zwar ohne dass das Land auch nur einen Euro neue Schulden aufnimmt. Genau das ist in Griechenland in den letzten Jahren passiert: Die öffentlichen Haushalte haben Primärüberschüsse erzielt, zuletzt sogar von 2,4 Prozent. Aber wenn die Zinsen insgesamt höher sind als das jährliche Wachstum, lassen sich Schulden nicht abtragen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass Griechenlands BIP wieder wächst und die Zinslast zeitlich gestreckt wird. Das Land und die Menschen brauchen wieder Luft zum Atmen. Der moderate Vorschlag von Varoufakis, die EU-Forderung nach einem primären Haushaltsüberschuss von derzeit 4 Prozent auf 1,5 Prozent abzusenken, erscheint mir deshalb sinnvoll und gerechtfertigt“.
Ergänzt werden sollte noch, dass
- die Verabschiedung der Kreditverträge und der entsprechenden Memoranden ohne öffentliche Debatte, verfassungswidrig mit einfachem Gesetz und dazu noch rückwirkend erfolgte
- mit den Verträgen Athen genau vorgeschrieben wurde, wann, wie lange und welche Maßnahmen zu treffen sind, d.h. alle Gesetze werden seitdem vorgegeben
- die griechische Bevölkerung diszipliniert werden soll, an ihr wurde ein Exempel statuiert, da deren bisherige Lebensweise nicht in neoliberales Wirtschaften und Umverteilen hineinpasst
- mit der Überwachung der Maßnahmen richtete die Troika eine Task Force ein, deren Rechtmäßigkeit angezweifelt werden muss
- dramatisch von außen in die Tarifautonomie eingegriffen wurde, damit auch im privaten Bereich die Löhne dauerhaft gesenkt werden konnten, die „industrielle Reservearmee“ im Arbeitsmarkt ausgeweitet und der Abbau staatlicher Sozialleistungen vollzogen wurde
- das erklärte Ziel war, das System der kollektiven Arbeitsverträge vollkommen zu zerstören
- die Arbeitsbeziehungen und ihre Veränderung eine Daueraufgabe in den Verhandlungen der früheren griechischen Regierung mit der Troika waren
- direkt in die Eigentumsverhältnisse eingegriffen wurde, um neue Anlagemöglichkeiten zu erschließen z.B. in den Bereichen Tourismus, Abbau der Bodenschätze oder regenerativer Energien
- Griechenland massiv durch unsere Exporte, Kredite und Waffenverkäufe ausgesaugt und dann als „Pleitestaat“ gefügig gemacht wurde
- nach dem Vorbild der deutschen Treuhand eine Privatisierungsagentur eingerichtet wurde, die es ermöglichte, dass z.B. 14 Flughäfen ganz billig an die Frankfurter Fraport AG (Frankfurter Flughafenbetreiber) verramscht wurde oder unter skandalösen Umständen riesige Waldflächen privatisiert und gerodet wurden, um großräumig Goldabbau zu betreiben
- die Kreditverträge Bestimmungen enthalten, die ganz Griechenland mit allen Sachwerten verpfändet, dies gilt nicht nur für das staatliche Eigentum, sondern auch für noch nicht entdeckte unterseeische Bodenschätze
- es keine Möglichkeit bisher gab, die Verträge in irgendeiner Form nachträglich zu ändern, da sie nicht dem EU-Recht unterliegen, sondern dem britischen, gläubigerfreundlichen Recht. Hier wird ganz klar in die Souveränitätsrechte Griechenland eingegriffen und gegen EU- und auch Völkerrecht verstoßen
- das ganze Ziel der Übung nicht die Rettung der Staatsfinanzen war, sondern es sollten vor allem die Banken, Versicherungen und andere institutionelle Anleger gerettet werden
und
Griechenland heute noch viel tiefer in der Krise steckt, als im Jahr 2010, in dem das Land von der EU und IWF „gerettet“ werden musste.
Für einen Kurswechsel in Griechenland und Europa und gegen den Sparkurs sprach sich auch der Geschäftsführende DGB-Bundesvorstand aus:
Die Resolution kann man hier lesen: Resolution des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands (9.2.2015).
Erfreulich ist auch die Aktion „Europa neu begründen“, die von den Gewerkschaften 2012 ins Leben gerufen wurde und nun mit der Erklärung „Griechenland nach der Wahl − Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa“ aktualisiert wurde und breit innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften diskutiert wird.
Als Erstunterzeichner sind aufgeführt Reiner Hoffmann, DGB/ Frank Bsirske, ver.di/ Robert Feiger, IG BAU/ Alexander Kirchner, EVG/ Michaela Rosenberger, NGG/ Marlis Tepe, GEW/ Michael Vassiliadis, IG BCE/ Detlef Wetzel, IG Metall.
Die Erklärung kann hier unterzeichnet werden:
http://www.europa-neu-begruenden.de/
Vielleicht kann der Wahlsieg von SYRIZA auch im kommenden europäischen Frühling 2015 ein Weckruf für die Gewerkschaftsbewegung sein.
Wer sich ein genaueres Bild über das Vorhaben der griechischen Regierung machen möchte, kann sich hier über das 40 Punkte Wahlkampf-Programm der Partei SYRIZA im Folgenden informieren:
Das 40-Punkte-Programm der SYRIZA
- Überprüfung der Staatsschulden und Neuverhandlung der Zinsforderungen unter Einstellung der Zahlungen, bis die Wirtschaft sich erholt hat und Wachstum und Arbeitsplätze wiederhergestellt sind.
- Aufforderung an die EU, die Rolle der EZB so zu ändern, dass sie Staaten und öffentliche Investitionsprogramme finanziert.
- Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 75% für alle Einkommen über 500’000 Euro.
- Änderung des Wahlgesetzes zu einem Verhältniswahlrecht.
- Steuererhöhungen für Großunternehmen bis hin zum europäischen Durchschnitt.
- Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie einer Luxussteuer.
- Verbot von Finanzderivaten.
- Aufhebung der finanziellen Privilegien der Kirche sowie der Werftindustrie.
- Kampf dem Bankgeheimnis und der Kapitalflucht.
- Drastische Reduzierung der Militärausgaben.
- Erhöhung des Mindestlohnes auf das Vorkrisenniveau, 750 Euro monatlich.
- Umnutzung von Regierungsgebäuden, Bankgebäuden und Kirchen für Obdachlose.
- Einführung von Schulspeisungen, um Kindern kostenlos Frühstück und Mittagessen zu bieten.
- Kostenlose medizinische Versorgung für Arbeitslose, Obdachlose und Menschen mit Niedrigeinkommen.
- Subventionierung von bis zu 30% der Immobilien-Ratenzahlungen für arme Familien, die zahlungsunfähig geworden sind.
- Erhöhung der Unterstützungsleistungen für Arbeitslose. Verbesserte soziale Absicherung für Alleinerziehende, alte Menschen, Behinderte und Familien ohne Einkommen.
- Steuerermäßigungen für lebensnotwendige Güter.
- Verstaatlichung der Banken.
- Verstaatlichung von ex-staatlichen Versorgungsunternehmen in strategischen Bereichen, um das Wohlergehen des Landes zu pflegen (Bahn, Flughäfen, Post, Wasserversorgung).
- Schwerpunkt auf Umweltschutz und erneuerbare Energien.
- Gleiche Löhne für Männer und Frauen.
- Beschränkung des Niedriglohnsektors und Unterstützung für unbefristete Arbeitsverträge.
- Erweiterung des Arbeitsschutzes und Erhöhung der Löhne für Teilzeitarbeitende.
- Wiederherstellung von Tarifverträgen.
- Verschärfung der Überprüfungen von Arbeitsbedingungen sowie der Unternehmen, die Angebote für öffentliche Aufträge abgeben.
- Eine Verfassungsreform zur Durchsetzung der Trennung von Kirche und Staat sowie des Rechtes auf Bildung, Gesundheitsversorgung und des Umweltschutzes.
- Volksabstimmungen über Verträge und andere Vereinbarungen mit Europa.
- Abschaffung der Privilegien von Parlamentsmitarbeitern. Beseitigung des speziellen juristischen Schutzes von Ministern sowie die Erlaubnis für Gerichte, gegen Regierungsmitarbeiter vorzugehen.
- Demilitarisierung der Küstenwache sowie der Aufstandsbekämpfungs-Spezialeinheiten. Verbot für Polizisten, maskiert auf Demonstrationen aufzutreten oder dort Schusswaffen einzusetzen. Änderungen der polizeilichen Ausbildungsprogramme mit Schwerpunkt auf soziale Themen wie Immigration, Drogen und soziale Faktoren.
- Garantieren der Menschenrechte in Flüchtlingsunterkünften.
- Fördern der Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien.
- Aufhebung der Strafen für Drogenkonsum, stattdessen Kampf gegen den Drogenhandel. Erhöhung der Förderung von Drogenrehabilitierungszentren.
- Regulierung des Rechtes auf Wehrdienstverweigerung in Gesetzesentwürfen.
- Erhöhung der Finanzierung des Gesundheitswesens bis zum Niveau des europäischen Durchschnitts (der europäische Durchschnitt liegt bei 6% des BIP, Griechenland liegt bei 3%).
- Abschaffung von Zahlungen von Bürgern für die nationale Gesundheitsfürsorge.
- Verstaatlichung privater Krankenhäuser. Abschaffung der privaten Beteiligung am nationalen Gesundheitssystem.
- Abzug der griechischen Truppen aus Afghanistan und vom Balkan. Keine griechischen Soldaten außerhalb unserer Grenzen.
- Beendigung der militärischen Kooperation mit Israel. Unterstützung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967.
- Verhandlungen über ein stabiles Abkommen mit der Türkei.
- Schließung aller fremden Militärbasen in Griechenland und Austritt aus der NATO.
Quelle: DGB, Gegenblende, konkret, Gregor Kritidis, Syriza
Bild: Handelsblatt.com