29 Jahre MedienGalerie Berlin: Das Ende einer Ära der gewerkschaftlichen Kulturarbeit

Nach fast drei Jahrzehnten erfolgreicher Ausstellungsarbeit in der ver.di-MedienGalerie Berlin schließt der Galerierat seine Türen endgültig. Die letzte Ausstellung, die dem 50. Jahrestag der portugiesischen Nelkenrevolution gewidmet war, markierte den Abschluss einer langen Tradition gewerkschaftlicher Kunst- und Kulturarbeit. Trotz zahlreicher Bemühungen, die Galerie in jüngere Hände zu übergeben, scheiterten die Versuche, das Projekt innerhalb des ver.di-Landesbezirks fortzuführen. Neben organisatorischen Herausforderungen führte auch das destruktive Handeln der Landesleitung zur Entscheidung, die MedienGalerie aufzulösen.

An alle Aktiven, Partnerinnen und Partner unserer Ausstellungstätigkeit in den vergangenen 29 Jahren: September 2024: Ende der Ausstellungsarbeit in der ver.di-MedienGalerie Berlin

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit der letzten Ausstellung in der MedienGalerie, zum 50. Jahrestag der portugiesischen Nelkenrevolution, die bis zum 24. Juni 2024 zu besichtigen war, stellt der Galerierat seine Arbeit ein, nachdem er seit 1995 die Einrichtung im Auftrag der IG Medien und dann des ver.di-Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie erfolgreich organisiert und gesteuert hat. Gleichzeitig haben wir die notwendigen juristischen Schritte eingeleitet, um den Förderverein MedienGalerie Berlin e.V. aufzulösen.

Unsere Bemühungen, das Projekt in jüngere Hände im ver.di Landesbezirk zu übergeben, sind im Juni definitiv gescheitert. Abgesehen von einer Kollegin, die zu dem Treffen gekommen war, zu dem wir eingeladen hatten, und einer anderen, die sich entschuldigt hatte, erschien niemand aus der Mitgliedschaft. Offensichtlich gibt es im Landesbezirk kein Interesse an einer Weiterführung der gewerkschaftlichen Kunst- und Kulturarbeit.

Für die Beendigung unserer Arbeit gibt es noch einen zweiten Grund: das destruktive Wirken der Leitung des ver.di-Landesbezirks. Ausgangspunkt dafür war das Ende des Mietverhältnisses des Landesbezirks Berlin-Brandenburg in der Köpenicker Straße 30 zum Jahresende 2023. Obwohl dieser Zeitpunkt seit zehn Jahren, also seit 2013 feststand, wurde erst 2023 begonnen, eine für alle Bedürfnisse einer ver.di-Landesbezirks- und Bezirksverwaltung ausreichende Immobilie zu suchen. Das schließlich angemietete Haus im Westend ist aber offenbar zu klein und verfügt nicht über ausreichende Sitzungsräumlichkeiten.

In einem Ausweichmanöver fiel die Landesleitung dann über die Räume des Buchdruckerhauses Dudenstraße 10 her, also über die MedienGalerie und den Kieztreff. Ohne auch nur ein einziges Wort mit den Ortsvereinen und dem Galerierat zu wechseln, die seit 25 Jahren dort problemlos zusammenarbeiten, machte die Landesspitze die Räume zu einem Möbellager für Tische und Stühle. Des Weiteren wurde ohne Seite 2 von 5 Beschluss verfügt, dass Gremien, die länger als zwei Stunden tagen, von der dritten Stunde an mit je 10 € zur Kasse gebeten werden. Die Krönung ihres Wirkens war aber, ebenfalls ohne ein Wort der Kommunikation, der heimliche Austausch des Türschlosses zur MedienGalerie. Offensichtlich unterliegen die Herrschaften der Landesleitung keinerlei Kontrolle, weder durch die Mitgliedschaft, noch durch übergeordnete Gremien, so dass sie ihr eigenwilliges und letztlich gewerkschaftsschädigendes Verhalten ungehindert ausleben können.

Unter solchen Bedingungen haben wir als Galerierat keine Zukunft mehr für die gewerkschaftliche Kunst- und Kulturarbeit gesehen und beschlossen, unsere Tätigkeit mit dem Ende der Ausstellung zur Nelkenrevolution einzustellen. Unsere Arbeit zeichnete sich immer durch gemeinsam getroffene Entscheidungen sowie solidarisches und kollektives Handeln aus. Aber unter den geschilderten Bedingungen sehen wir keine Perspektive für gewerkschaftliche Kunst- und Kulturarbeit. Im Gegenteil: Durch die von oben praktizierte Sabotage werden traditionelle gewerkschaftliche Aufgaben von Kultur und Bildung konterkariert und unmöglich gemacht. Die Akteure werden außenvor gelassen, buchstäblich ausgeschlossen, vor den Kopf gestoßen. Dabei sind doch gerade sie es, ihr Können, ihre Kunst und ihre Köpfe, die wir dringend brauchen.

Tradition in der Moderne

Unsere Kulturarbeit fußte auf der Bildungs- und Kulturarbeit des Buchdruckerverbands, der nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution dafür die Voraussetzungen schuf. Er baute seine tarifliche Arbeit mit den anderen grafischen Gewerkschaften aus, etablierte seine Bildungs- und Kulturarbeit, band den lockeren Verbund der Typographischen Gesellschaften als Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker an sich, gründete die Büchergilde Gutenberg sowie den Buchmeister-Verlag und kaufte sich eine eigene Druckerei. In dem von dem Bauhaus-Architekten Max Taut entworfenen Verbandshaus an der Dreibundstraße, der heutigen Dudenstraße in Berlin, wurde alles unter einem Dach vereinigt.

Zum 1. Mai 1926 eröffnete der Verband den Buchgewerbesaal als Ausstellungsraum. Acht Stunden Freizeit, acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhezeit seien das zu erkämpfende Ziel, hieß es bei der Eröffnung. Im Zentralorgan „Korrespondent“ war zu lesen, dass man hier sehen könne, „wie sich ideal veranlagte Arbeiter die Ausnutzung ihrer achtstündigen freien Zeit denken. (…) Niemand sollte den Besuch versäumen!“ Im Verbandshaus verbanden sich Produktion und Publikation, Bildung und Ausstellung, künstlerische Arbeit und politische Aufklärung – sieben kurze Jahre lang. Bis zum 2.Mai 1933, als die Nazis die Gewerkschaftshäuser besetzten und die Gewerkschaften enteigneten.

Die Eröffnung der MedienGalerie 1995

Die Industriegewerkschaft Druck und Papier, der das Verbandshaus nach 1945 rückübereignet wurde, wandelte sich 1989 durch den Zusammenschluss mit der Gewerkschaft Kunst zur IG Medien. Die beschloss auf Initiative ihrer Kunst- und Kultur-Fachgruppen, die „Tradition in der Moderne“ wiederzubeleben und eröffnete am 2. Mai 1995 im Raum des ehemaligen Buchgewerbesaals die MedienGalerie. „Ihre Einrichtung“, so Seite 3 von 5 hieß es in der Pressemitteilung des Landesbezirks, „ist für unsere Gewerkschaft zugleich ein Schritt auf dem Weg zu neuen Formen der Wirksamkeit der Interessenvertretung.(…) Die Medien-Galerie soll mit ihren Beiträgen politisches und soziales Engagement provozieren, soll dort Kräfte wecken und bündeln, wo die Medienentwicklung sich gegen Arbeitnehmerinteressen und die Rechte von sozial Schwächeren richtet. Kunst und Kultur sind dabei seit jeher wirksame Mittel, Künstler und Publizisten, wenn nicht gar selber Betroffene, engste Mitstreiter. Die MedienGalerie wird dafür ein öffentliches Forum sein.“ Als Motto wählten die Aktiven ein Wort von HAP Grieshaber: „Auch durch Kunst, durch Poesie kann die Welt verändert werden, solange man sie macht. Das Machen ist das Entscheidende.“

Die Eröffnungsausstellung entwickelte sich im Rahmen eines im Frühjahr in Berlin 1995 entstandenen Bündnisses mehrerer Berliner Organisationen und Gruppen aus Anlass des 50. Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation von Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945. Henning Müller vom Schriftstellerverband (VS) Berlin und die Fachgruppe Bildende Kunst der IG Medien mit ihrem Vorsitzenden Dieter Ruckhaberle, damals Leiter der Berliner Kunsthalle, gehörten diesem Bündnis an, und so entstand die erste Ausstellung, mit der die Räume im Verbandshaus der Buchdrucker, dem Sitz der IG Medien, zur MedienGalerie Berlin wurden: 2. Mai bis 30. Juni 1995 „verbrannt – befreit – verhüllt“ Der Reichstagsbrand und das neue Deutschland – Aus Anlass des 50. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus.

In den 29 Jahren unseres Bestehens haben wir 166 Ausstellungen in der Medien-Galerie gezeigt, dazu Veranstaltungen, die wir nicht gezählt haben.

Einige Ausstellungen wurden von uns selber gemacht; die Mehrheit wurde uns von Freunden und Partnern angeboten, oder wir fragten sie ausdrücklich nach. Zu mehreren Ausstellungen gab es Veranstaltungen, zu einigen sogar ein ganzes Programm, zum Beispiel zu der Ausstellung: 4Juni bis 14. September 1996 La Brigade Internationale – Krieg und Revolution in Spanien 1936 – 1939.  Zum 60. Jahrestag des Franco-Putsches und der Gründung der Interbrigaden. Damals konnten noch die ehemaligen Spanienkämpfer Fritz Teppich und Kurt Goldstein teilnehmen.

Der Galerierat zur Vorbereitung der Ausstellungen und Erstellung der Jahresplanung, den Mitglieder der IG Medien bildeten, wurde im ersten Jahr unterstützt durch unseren Sekretär Andreas Kühn, der dank seiner fundierten kulturpolitischen Ausbildung das nötige Fachwissen mitbrachte. Die meisten von uns stützten sich auf ihre Grundbildung als Jünger und Mägde der Schwarzen Kunst. Insofern trugen auch Gerhard Fischer, Mitglied der CDU der DDR, 1954 bis 1956 stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „Neue Zeit“, 1986 bis 1990 Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, und Hans Canjé, ehemaliger verantwortlicher Redakteur der Mitgliederzeitung der VVN-BdA, „Antifa“, wesentlich zur Entwicklung und zum Aufbau der Galeriearbeit bei. Gerhard Fischer starb 2013 und Hans Canjé 2015. Vor allem aber war Anna Schendel, die dank solider Ausbildung sowie 25 Jahren Öffentlichkeitsarbeit und Praxis als Ausstellungsmacherin im „Haus der Jungen Talente“, die Stütze des Galerierats.

Die Fachgruppe Bildende Kunst organisierte jedes Jahr eine Ausstellung mit ihren Mitgliedern. Wir organisierten Ausstellungen mit auszubildenden Fotografen am Oberstufenzentrum (OSZ) Ernst Litfaß und mit Azubis der Theater- und Opernwerkstätten. Die aufkommenden neonazistischen Tendenzen in Deutschland waren ein Thema, die aktuellen Entwicklungen, der Arbeitsplatzabbau und die Kämpfe dagegen in Betrieben der Druckindustrie und bei den Metallern, der Niedergang der großen Tiefdruckbetriebe Druckhaus Tempelhof, Girardet und Thiemig, internationale Bewegungen in Chile und europäischen Ländern, die 150-jährige Geschichte vom Buchdruckerverband bis zur Einheitsgewerkschaft ver.di. Die Ausstellung zum 25-jährigen Jubiläum der MedienGalerie, machte Jochen Stankowski von den Stuttgarter Anstiftern, die im Jahre 2020 ebenfalls auf 25 Jahre aufklärerischer Kunst- und Kulturarbeit zurückblicken konnten. Und eine der letzten Ausstellungen 2023 galt der Geschichte des Tarifvertrags – den ersten hatten die Buchdrucker im Jahre 1873 erkämpft, die Forderungen dazu stammten noch aus Zeiten der 1848-er Revolution.

Und wir haben zusammen mit dem Karl-Richter-Verein e.V. bei dem Kölner Künstler Gunter Demnig die Verlegung von Stolpersteinen vor dem Buchdruckerhaus angeregt: den ersten für Karl Helmholz, Redakteur des Korrespondent. Er wohnte im Buchdruckerhaus, wurde wie alle seine Kolleginnen und Kollegen nach der Machtübergabe an die Nazis aus dem Haus gejagt, durch immer neue Vorladungen und Verhöre in die Krankheit getrieben und am Ende in der Anstalt Wuhlgarten von den Nazis umgebracht. Es folgten zwei Stolpersteine für Erich Knauf und Erich Ohser. Knauf war Cheflektor der Büchergilde und sein Freund Erich Ohser Schriftsteller, Autor u.a. der auch heute noch bekannten Serie „Vater und Sohn“. Beide wohnten gegen Kriegsende im gleichen Haus und wurden von ihrem Vermieter an die Nazis verraten, weil sie sich Witze erzählt hatten. Sie wurden vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Erich Ohser nahm sich in der Nacht vor dem Prozess das Leben. Erich Knauf wurde verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet.

Der engagierteste Unterstützer, Ausrichter verschiedener Ausstellungen, Freund und Rückhalt in all den Jahren war Rüdiger Zimmermann, der Leiter der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dank seiner Hilfe kamen verschiedene Publikationen zustande, konnte ein altes Protokollbuch von Karl Richter aus dem Jahre 1932/33 transkribiert und veröffentlicht werden und lernten wir alle aus der und durch die Geschichte Seite 5 von 5 unserer Vorgängerorganisationen. Ein weiterer unentbehrlicher Freund und Unterstützer war Hartmut Simon, Historiker und Leiter des ver.di Archivs. Wo andere Hauptamtliche misstrauisch schauten, wenn wir mit Fragen und Bitte um Unterstützung an die oberen Gremien herantraten, stellte er alles, was möglich war, zur Verfügung und ermöglichte bzw. richtete mit uns verschiedene Ausstellungen und Veranstaltungen aus. Im Laufe der Jahre ist ein weit verzweigtes Netzwerk des Austausches und der Verbindung mit Gleichgesinnten innerhalb und außerhalb der gewerkschaftlichen Strukturen und auch über die deutschen Grenzen hinaus entstanden: All das wird in nächster Zeit allmählich verschwinden.

Mit dem Wegfall der MedienGalerie schreitet die Entpolitisierung der Gewerkschaften weiter voran. Ihre kulturelle Arbeit führte ohnehin fast immer ein Schattendasein. Trotz alledem – wir blicken mit Freude und ein bisschen stolz auf die Arbeit und ihre Ergebnisse zurück. Wir müssen uns ihrer nicht schämen. Wir sind zuversichtlich, dass andere Zeiten und andere Kolleginnen und Kollegen kommen werden, für die die Verbindung von Gewerkschaftsarbeit mit der Kunst und der Kunst mit der Gewerkschaftsarbeit selbstverständlich ist.

Und die gewerkschaftlichen Akteure werden für diese praktische Verwirklichung ebenso brennen und kämpfen wie wir.

Wir danken allen Freundinnen und Freunden, Partnern und Unterstützern, allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir in diesen 29 Jahren so produktiv und erfreulich haben zusammenarbeiten können und verabschieden uns

mit solidarischen Grüßen als

Galerierat der MedienGalerie

Marianne Dallmer, Andreas Kühn, Constanze Lindemann, Ulrike Maercks-Franzen, Anna Schendel und Bernd Wagner

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Ausstellungen MedienGalerie 1995 – 2024

 

 

 

 

 

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Bild: ver.di-MedienGalerie Berlin