Lobbyisten besonderer Art – Gewerkschaftsführer werben für Subventionen in „ihre“ Betriebe

Von Suitbert Cechura

Der Vorsitzende der IG-Metall Jörg Hoffmann betätigt sich als Lobbyist, indem er im gemeinsamen Interview mit Arbeitsminister Hubertus Heil für Subventionen wirbt zugunsten der deutschen Elektro- und Metallindustrie, und zwar in Form eines staatlichen Zukunftsfonds‘: „Denn ob die Transformation unserer Industrie weg vom Verbrenner gelingt, entscheidet sich in den Regionen, in denen viele Zulieferer-Betriebe vom Verbrenner abhängen. Der Zukunftsfonds für die regionalen Initiativen und die Weiterbildungsverbünde können helfen, den Umbau aktiv anzugehen.“ (WAZ, 23.11.2020)

Während der IG-Metall-Chef die Gemeinsamkeit des Anliegens von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft betont, geben sich Arbeitgeber bewusst klassenkämpferisch: „Stefan Wolf, der künftige Gesamtmetall-Chef, fordert“, so n-tv, „Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich. Auch das Weihnachtsgeld oder Spätzuschläge gehören seiner Ansicht nach auf den Prüfstand.“ Eine seltsame Auseinandersetzung, bei der die Gewerkschaft sich für den Erfolg der Unternehmen einsetzt, während deren Führer keine Gemeinsamkeit entdecken will.

„Unsere Betriebe in der Transformation“

Der Gewerkschaftsführer begibt sich in seinem Gespräch mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gleich in den Krisenmodus und beschwört die Notlage der Branche, in der seine Mitglieder ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wenn er von „unseren Betrieben“ spricht, unterstellt er allerdings eine Gemeinsamkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beim Erfolg der Unternehmen, indem er elegant über einiges hinwegsieht! Schließlich beruht der Erfolg der Unternehmen auf der Leistung der von der Gewerkschaft vertretenen. Mit dem Lohn sichern sich die Unternehmen die Verfügung über die Arbeitskraft und bestimmen, was diese in der so gesicherten Zeit zu leisten haben. Wann und wie lange sie anzutreten haben, legt der Betrieb fest. Von diesem Gegensatz wollen deutsche Gewerkschafter nichts mehr wissen und betonen ständig die Gemeinsamkeit der Interessen.

Während die Aktionäre nämlich weiterhin ihre Dividenden kassieren – auch bei einem eingeschränkten Geschäftsverlauf -, steht für die Arbeitnehmer ihre Existenz auf dem Spiel, schließlich haben nicht wenige der Betriebe Massenentlassungen angekündigt. Dass diese sein müssen, ist für den Gewerkschaftsführer offenbar auch eine Selbstverständlichkeit, schließlich stehen die Betriebe vor einer „Transformation“. Mit diesem Wort ist im Grunde nichts anderes ausgedrückt als die Tatsache, dass sie ihre Gewinnkalkulation neu sortieren müssen, wollen sie auch in Zukunft erfolgreich sein.

Das heißt, die deutsche Autoindustrie als Schlüsselindustrie des Standorts muss in Zukunft ihren Erfolgskurs mit Elektroautos verfolgen, also mit Produkten, deren Herstellung weit weniger Arbeitskräfte benötigen werden als im bisherigen Fall der Verbrennungsmotoren. Geringerer Produktionsaufwand mit dem Einsatz neuer Technologien bedeutet aber keineswegs weniger Leistungserbringung für diejenigen, die weiter für den Erfolg des Unternehmens geradezustehen haben. Denn viel Leistung für wenig Geld lautet das Erfolgsrezept.

Dass die Existenz ihrer Mitglieder vom Gelingen des Geschäftes abhängt, auch wenn der Erfolg der Unternehmen ihnen nicht einmal den dafür nötigen Arbeitsplatz sichert, macht die Gewerkschaft zur Basis ihrer ganzen Politik (und wartet hier mit tollen Ideen auf: Kurzarbeit als Tarifforderung). Keine Überlegung dazu, mit welch einer unzuverlässigen Lebensgrundlage man es da zu tun hat; dass man sein Leben lang den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist; dass von Sicherheit der Lebensplanung keine Rede sein kann und man für seine Existenzsicherung definitiv nichts in der Hand hat.

Gerade in der aktuellen Situation wird wieder einmal deutlich, dass die Sicherung des Geschäftserfolgs der Unternehmen massenhaft Entlassungen mit sich bringt. Entlassung sind für Gewerkschafter nicht gleich Entlassungen, hängt es doch sehr davon ab, ob sie selber an der Abwicklung der Entlassungen in Form von Sozialplänen beteiligt sind. Für sie gilt das als Interessenausgleich, wenn die Unternehmen ihr Interesse an der Einsparung von Personalkosten durchsetzen, während die Entlassenen einen punktuellen Schadensausgleich erhalten, der aber den dauerhaften Schaden nicht kompensiert.

So stehen immer als erstes die älteren Mitarbeiter zur Entlassung an, die unter Strapazierung von Arbeitslosengeld und Rentenkasse vorzeitig in den Ruhestand entlassen werden, wobei die Firmen einen Teil der damit verbundenen Einschränkungen des Einkommens ausgleichen, den Betroffenen aber eine dauerhafte Einkommensminderung sicher ist. Dies wird dann auch noch als eine Leistung für die Betroffenen verkauft, die doch früher aus dem Druck des Arbeitslebens entlassen werden, als ihnen zusteht. Eine seltsame Alternative: zwischen Gesundheitsverschleiß und Einkommensminderung eine Wahl zu treffen, wo die Betroffenen ja gar keine Wahl haben, denn entschieden wird über die Alternative durch den Betrieb.

Sicherung von Arbeitsplätzen

Trotz laufender Entlassungen in vielen Betrieben pflegt die Gewerkschaft weiterhin die Mär von der Sicherung der Arbeitsplätze. Dabei sind die verschiedenen Vereinbarungen aus der Vergangenheit das Papier nicht wert, auf dem sie geschlossen wurden.

Geht die Firma in die Insolvenz oder signalisiert, dass angestrebte Gewinnziele nicht erreicht werden können, sind die Vereinbarungen in der Regel gegenstandslos. Und die Gewerkschaft in Person ihrer Betriebsräte tritt in Verhandlungen mit der Geschäftsführung ein, wie die Entlassungen abzuwickeln sind. Dabei kommt der Geschäftsleitung zugute, dass viele der von ihr Beschäftigten Leiharbeiter sind, sie also zusätzlich noch einen anderen Arbeitgeber haben und damit Entlassungen einfacher abgewickelt werden können. Auch diese Form der Entlassungen ist für die Gewerkschaft kein Streitthema. Soviel zur gewerkschaftlichen Solidarität!

Obgleich die Verträge zur Arbeitsplatzsicherung keine Entlassung verhindern, haben sie dennoch eine Funktion erfüllt. Als Entgegenkommen für die Zusage der Arbeitsplatzsicherung haben die Gewerkschaften auf Lohnforderungen verzichtet und so den Unternehmen die Billigkeit der Belegschaft gesichert. Bei den Tarifrunden der letzten Zeit mussten bezeichnender Weise immer die Steigerung der Löhne über mehrere Jahre aufaddiert werden, damit der Anschein gepflegt werden konnte, es würde so etwas wie ein Ausgleich für die laufenden Preissteigerungen erzielt. Dass dem nicht so ist, gibt die Gewerkschaft bei Gelegenheit auch öffentlich zu Protokoll, wenn sie über zu hohe Mieten klagt: „Die Zahl derjenigen, die durch ihre Wohnkosten überbelastet sind, wird 2020 weiter steigen“ warnt Stefan Körzell, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). (WAZ, 6.11.2020)

Hätten die Gewerkschaften immer die Preissteigerungen ausgeglichen, dann müssten ihre Mitglieder auch in der Lage sein, die gestiegenen Wohnkosten zu begleichen, was sie nach Auskunft des Gewerkschaftsbosses offenbar zunehmend nicht können. So strafen Gewerkschaftsfunktionäre ihre eigenen Erfolgsmeldungen Lügen. (Siehe auch: Sind die Mieten zu hoch … oder die Löhne und Gehälter zu niedrig?)

Tarifkompromisse

Noch in jeder Tarifrunde betonen Gewerkschaftsführer, dass sie das Menschenmögliche für ihre Mitglieder herausgeholt haben. Doch auch diese Erfolgsmeldungen blamieren sich angesichts der Zahlung von Erfolgsboni in vielen Betrieben, in denen die Geschäftsleitung durch die Höhe der Erfolgsboni die Tarifforderungen der Gewerkschaft in den Schatten stellt. Porsche zahlt seinen Mitarbeitern im Jahr 2020 9.700 €, VW über 4.000 €, während sich die Daimler-Arbeiter in diesem Jahr mit knapp 460 € statt mit den vorgesehenen 5.000 € zufrieden geben müssen. Ähnlich sieht es bei BMW aus.

Mit diesen Prämienzahlungen demonstrieren die Unternehmen, dass das Einkommen der Mitarbeiter in erheblichen Teilen vom Erfolg des Unternehmens und nur unwesentlich von den gewerkschaftlichen Tarifrunden abhängt. Gleichzeitig verschaffen sich die Betriebe so die Freiheit, erhebliche Teile der Löhne und Gehälter frei zu bestimmen. So trifft die Kürzung der Erfolgsprämie bei Daimler oder BMW die Arbeitnehmer erheblich, wird ihnen doch so ein wesentlicher Teil des Jahreseinkommens gestrichen. Und das in Betrieben, in denen die Gewerkschaft stolz auf ihre Mitbestimmung ist.

Gewerkschaftliche Solidarität

Die Beschwörung der Solidarität gehört zu den gewerkschaftlichen Ritualen. Solidarität war einmal das Mittel, die Konkurrenz von Arbeitern untereinander aufzuheben, um der Macht der Unternehmen etwas entgegensetzen zu können. Dass Arbeiter von ihrem Lohn leben können, sie nicht gezwungen sind, bis zum Umfallen zu arbeiten, musste gegen Unternehmer erkämpft werden – und das Erreichte ist auch jetzt immer gefährdet, wie die Forderung nach kostenloser Mehrarbeit durch den zukünftigen Metallarbeitgeberpräsidenten zeigt.

Solidarität wird auch heute noch als Wert beschworen, aber gleichzeitig tun gerade die Gewerkschaften einiges dafür, ein gemeinsames Handeln der Lohnabhängigen zu untergraben. Die Ankündigung der IG-Metall, in dieser Tarifrunde der wirtschaftlichen Situation einzelner Betriebe in besonderer Art und Weise Rechnung zu tragen, ist ein solcher Akt. Mit Flächentarifverträgen haben es die Gewerkschaften in der Vergangenheit verhindern können, dass die Konkurrenz der Arbeitgeber einseitig über die Löhne, also über deren Absenkung, erfolgt. Mit dem Flächentarifvertrag wurden gleiche Konkurrenzbedingungen für die Arbeitgeber in Sachen Lohnhöhe gesetzt.

Welche Leistungen sie für die gezahlten Löhne aus den von ihnen Beschäftigten herausholen, ist dann natürlich eine andere Sache. Aber immerhin, beim Angriff auf die Lohnhöhe war eine gewisse Grenze gesetzt. Diese Grenze weicht die Gewerkschaft in dem Moment auf, indem sie nach betriebsnahen Lösungen strebt. Dann erlaubt sie Ausnahmen vom Flächentarif und ermöglicht es den Firmen, sich durch Lohnsenkungen gegenseitig zu unterbieten. Beispielhaft vorgeführt wurde das von Verdi bei Karstadt und Kaufhof. Mit dem Ausstieg aus dem Flächentarif konnte Karstadt Kaufhof übernehmen und die so neu gebildete Firma forderte gleich den niedrigeren Tarif für beide Häuser.

So arbeiten Gewerkschaften an ihrem eigenen Untergang – und fordern dann von der Politik, sich um die Sicherung von Flächentarifverträgen zu kümmern. Eine gelungene Form von Lobbyismus, statt auf die eigenen Mitglieder zu setzen, betätigen sich Gewerkschaftler als Interessenvertreter, die bei der Politik vorstellig werden.

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Suitbert Cechura  ist Bochumer Hochschullehrer und Sachbuchautor

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien am  04. Dezember 2020 auf telepolis Onlinemagazin für Politik & Medien im digitalen Zeitalter | Telepolis (heise.de)