Digitalisierung I: Der Kampf um die digitale Wertschöpfung zwischen Monopol und Konkurrenz

Von Peter Schadt und Nathan Weis

Wie in Zukunft produziert und konsumiert wird, soll sich durch die „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ in Zukunft recht grundsätzlich verändern. Allerdings ist bei der Rede von „der Digitalisierung“, welche das Potenzial habe, sowohl die Arbeitsorte zu flexibilisieren, die -bedingungen zu humanisieren und die -produkte zu individualisieren Vorsicht geboten. Digitalisierung ist kein subjektloser Prozess, dessen Folgen unabsehbar sind, sondern eine weitere Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte, die vom Kapital für seine Zwecke ins Werk gesetzt wird. Wo von „der Digitalisierung“ gesprochen wird, die „uns“ zu etwas „zwinge“ oder „nötige“, soll der Prozess gleichzeitig Prozessstifter sein. So tautologisch verschwinden mit den Akteuren der Digitalisierung auch ihre ökonomischen Interessen: Es ist eben nicht die digitale Technik, welche Arbeiter entlässt oder Tarifverträge aufkündigt – es ist eben nicht „die Digitalisierung“, die „unsere“ Arbeitsplätze „bedroht“, sondern umgekehrt: Die digitale Technik wird von der Kapitalseite als Mittel verwendet, um bezahlte Arbeit billiger oder ganz überflüssig zu machen. Wir haben deswegen schon an verschiedenen Stellen das „Scheinsubjekt Digitalisierung“ kritisiert, das gar nichts tut, sondern selbst getan wird[1].

Im Folgenden daher ein Blick auf die Hersteller und Anwender der digitalen Technik und deren ökonomische Interessen. Im Fokus des kurzen Artikels steht dabei die Differenz der Subjekte auf der Seite des Kapitals. Denn für das je einzelne Kapital mag die Erkenntnis, dass die neue Technik nur und insofern eingesetzt wird, als Unternehmen sich davon einen Gewinn versprechen, so naheliegend wie verhältnismäßig trivial sein. Was allerdings ergibt sich an Widersprüchen, wenn die technischen Mittel sowohl als Eigentum der IT-Kapitale, als Produktionsmittel der Industrie und als Ware der Handelskapitalisten vorliegen und diesem Primat des Profits von je unterschiedlichen Unternehmen untergeordnet sind? Dann liegt eine ganz deutliche Konkurrenz der Kapitalisten um die Digitalisierung vor, die zudem von den bürgerlichen Staaten betreut und nach deren Maßstäben modifiziert wird.

1. Die Digitalisierung der Produktion

Smarte“ Lösungen für die Industrie stehen seit einigen Jahren zur Verfügung. In der Produktion wird die Digitalisierung vorangetrieben durch eine umfassende Vernetzung des ganzen Produktionsprozesses. Wo einst einzelne Maschinen standen und längst Produktionsketten und Maschinenparks die Industrie ausmachen, soll nun der nächste Schritt folgen: Nicht mehr vereinzelte Verbindung von Maschinen, sondern die grundsätzliche und vor allem ausnahmslose Vernetzung aller Maschinen, Lager und Roboter zur „smarten Fabrik“, die ein einziges großes „cyber-physisches System“ (CPS) werden soll. Jeder Teil der Industrieanlagen soll jederzeit mit jedem anderen Teil in Verbindung stehen, so dass Informationen nahtlos übertragen werden können und die Maschinen und Komponenten, die miteinander in Verbindung stehen, auf Grundlage dieser Informationen selbständig reagieren. Die dafür notwendige technische Basis sind RFID-Chips, Sensoren und Internet-Infrastruktur, die auch bisher nicht-digitale Teile des Produktionsprozesses und die in Herstellung befindlichen Waren zum Teil des CPS macht.

Die produzierenden Unternehmen versprechen sich von dieser Verallgemeinerung der Vernetzung die notwendige Arbeit bei der Herstellung zu verringern. Der Fortschritt bei dieser Technik besteht für das Kapital darin, dass dessen Geldaufwand für Arbeit in der Produktion verringert wird. So sparen sich die Unternehmen die Lohnkosten für allerlei Beschäftigte, die bisher analog die Arbeitsprozesse zwischen verschiedenen Maschinen zu erledigen hatten, die jetzt direkt miteinander vernetzt sind.

Erfüllen die CPS diesen Zweck der Reduktion bezahlter Arbeit, ist die Folge für die verbleibende Belegschaft umgekehrt: Die ist jetzt in der gleichen Zeit für eine steigende Produktivität verantwortlich, muss also mehr Waren in einer Stunde herstellen und hat einen größeren Maschinenpark zu überwachen. Die Steigerung der Produktivität des Unternehmens besteht aus dem immer weiter zu verbessernden Verhältnis von investiertem Kapital zum Ertrag. Umgekehrt heißt das für den Arbeitnehmer in der „vernetzen Produktion“, dass sein Lohn im Verhältnis zu den von ihm hergestellten Waren immer weiter sinkt. Anders ausgedrückt ist die Steigerung der kapitalistischen Produktivität die Reduzierung der Lohnstückkosten und damit die Senkung der Arbeitsproduktivität für den Lohnarbeiter: Der muss jetzt mehr herstellen, um auf den gleichen Lohn zu kommen.

In der Produktion und Logistik  verspricht das Kapital einiges von Algorithmen, die gerne als „künstliche Intelligenz“ bezeichnet werden. Das hat seinen Gehalt weniger in vermeintlicher Gedankenleistung der „smarten Maschinen“, sondern vielmehr in ihrer Programmierung, bezahlte Arbeit in den Abteilungen der Produktion überflüssig zu machen, die bisher eher als Kopfarbeit galt: „Bislang war ein Mitarbeiter dafür zuständig, fehlerhafte Teile zu erkennen und auszusortieren, so dass keine defekten Teile den Kunden erreichen. Diese visuelle Inspektion sollte zukünftig durch eine ML-Anwendung [maschinelles Lernen] erledigt werden[2].

Hier erhofft man sich menschliche Entscheidungs- und Kontrollfunktionen durch Algorithmen zu ersetzten und so auch in gehobenen Gehaltsklassen überflüssig zu machen, die bisher als weniger anfällig für „Rationalisierungen“ galten, so die Personalabteilung in Unternehmen. Roboter wie Algorithmen sorgen so neben der Einsparung an Lohnkosten auch noch gleich für die immer weiter gehende Reduktion des „Faktor Mensch“ in der Produktion, was auch die Produktionszeit verkürzt, sofern die eingesetzten Roboter Tätigkeiten schneller und präziser verrichten. Das ist für den Unternehmenszweck nur gerecht: Unnötige Unterbrechungen in der Produktion werden abgestellt, weil jede Minute, in welcher der Maschinenpark nicht läuft eine ist, in der das investierte Kapital seinen Zweck verfehlt, nämlich geldwerten Überschuss zu produzieren. So wird die Arbeit beschleunigt und die Pausen reduziert – mit entsprechender Wirkung für die Arbeiter, deren Tätigkeit so verdichtet wird. Bei dieser Rationalisierung werden auch einige der Entscheider- und Aufseher-Funktionen durch Maschinen ersetzt. In den Marketingabteilungen der Unternehmen wird dies dann als „flache Hierarchie“ propagiert, die auch schwer zum Zeitgeist der „Unternehmenskultur“ passt und als „Hinwendung zum Subjekt“ gefeiert wird,

2.  Die Vernetzung mit der Zirkulation

In den CPS steckt bereits ein Potenzial, dass ihre Nutzung weit jenseits der Produktion ermöglicht. Denn durch diese Sorte Vernetzung kann nicht nur innerhalb des Betriebs ein Netzwerk aus Maschinen entstehen, sondern auch über die Grenzen des jeweiligen Unternehmens hinaus wird „Maschinen zu Maschinen Kommunikation“ [M2M] möglich und eröffnet neben Rationalisierungsmöglichkeiten auch gleich ganz neue Geschäftsfelder. Die jeweiligen cyber-physischen Produktions-Systeme in den Betrieben bilden die Grundlage für ein noch größeres, unternehmensübergreifendes Netzwerk, in dem sich Autohersteller und Zuliefererindustrie, Händler und Kunden, Werbeplattformen und Banken, hauptsächlich über Clouds, miteinander verbinden. Diese sollen via Datenaustausch die Bestellungen und Bezahlungen entscheidend verkürzen. Aber auch alle anderen Zirkulationsakte zwischen Unternehmen sollen beschleunigt werden: Ein- und Verkauf von Rohstoffen, Zwischenprodukten, Ersatzteilen und Dienstleistungen sollen automatisiert und damit effektiver ein- und verkauft werden.

Nicht nur die Produktions-, sondern auch die Zirkulationssphäre soll also entsprechend von Lohnkosten befreit und gleichzeitig enorm beschleunigt werden. Hinzu kommt noch die Einsparung von Lagerkosten, womit die „just-in-Time“-Produktion noch einmal entschieden vorangebracht wird: Via Sensoren sollen sich Maschinen ständig selbst überwachen, Ersatzteile und sonstiges Material direkt selbst anfordern, um so Lagerkapazitäten einzusparen. Damit aber nicht genug, versprechen sich Unternehmer von der autonomen Anpassung der Maschinen an Aufträge auch, die Produktion zu flexibilisieren. Die Umstellung für verschiedene Produkte oder Modelle soll die Produktion möglichst nicht mehr beeinträchtigen. Auch hier ist die Etablierung des „Internets der Dinge“ nicht gleich mit der „menschenleeren Fabrik“ zu verwechseln: Dort, wo das Personal entsprechend verbilligt ist bzw. umgekehrt die Vernetzung teurer ist als die Personalkosten leistet sich das Unternehmen auch Einkäufer, Logistiker:innen und Verkäufer:innen.

3. Die IT-Branche und ihre Berechnungen: Das dual Use der digitalen Techniken

Diese Digitalisierung der Produktions- und Zirkulationssphäre des Industriekapitals und dessen ökonomische Interessen bei der Anwendung der CPS sind allerdings nur eine Seite. Denn die IT-Branche bietet dem produzierenden Kapital den Zugang zu der von ihr entwickelten Technik wiederrum nur aus ihren Kalkulationen heraus. Die Einrichtung des „Internets der Dinge“ ist von der Soft- und Hardware abhängig und die IT-Branche versucht, sich diese Abhängigkeit zunutze zu machen. Derzeit sind Amazon Web Services (AWS) und Microsoft Azure bei den industriellen Cloud-Diensten führend, BMW und Volkswagen gehören zu ihren Kunden.

Während die neuen digitalen Techniken für die Industrie also Produktionsmittel sind, sind sie für die IT-Branche Ware. Das ist so weit nichts Neues. In der Produktion werden seit jeher die Produktionsmittel produktiv konsumiert, verschlissen und verbraucht. Aus der Sicht der Maschinenbauerbranche, deren Unternehmen bisher die zentralen Lieferanten von Produktionsmitteln sind, handelt es sich z.B. bei den Autoherstellern um die Konsumenten dieser Waren – wenn auch um produktive Konsumenten im gerade genannten Sinne. So stellt die IT-Branche eine neue Zuliefererindustrie dar, deren Produkte als Produktionsmittel in der Industrie dienen. Dass jedes Produktionsmittel einmal Produkt war, bevor es in den Produktionsprozess eingegangen ist, ändern nichts daran, dass es, sobald es von einem Unternehmen gekauft ist, aufhört, Ware zu sein.

Tatsächlich aber bleiben manche digitalen Techniken auch als Produktionsmittel die Waren der IT-Kapitale. Da diese ständig Updates benötigen, werden diese Techniken zwar als Produktionsmittel in der Industrie verwendet, bleiben aber gleichzeitig immer die Waren der IT-Kapitale. AWS etwa bietet mit „Monitron“ eine Lösung für die vorausschauende Wartung älterer Maschinen[3]. So die Programme von SAP, Microsoft und anderen, welche in der Industrie zur Produktion benutzt, allerdings nur über Lizenzverträge von der Industrie genutzt werden können. Dieses Phänomen ist inzwischen auch Privatnutzern bekannt. So wird Microsoft Office nicht mehr als Softwarepaket dem Nutzer verkauft und geht dadurch in dessen Eigentum über, sondern es wird nur die Nutzung der Software als Lizenz für eine bestimmte Vertragslaufzeit verkauft.

Ein Beispiel aus dem Bereich der industriellen Produktion ist der Rechtsstreit, den Daimler und Nokia mehrere Jahre lang über Lizenzgebühren für Patente auf Kommunikationstechnik führten. Während Daimler darauf bestand, dass Nokia als Zulieferer die Patentgebühren zu zahlen hätte, wollte Nokia diese direkt an die Endhersteller weitergeben. Der Fall landete Ende 2020 beim EuGH, Anfang Juni dieses Jahres verkündete Daimler, die Gebühren zu zahlen[1].

Die IT-Unternehmen warten und pflegen ihre Produkte weiter und bleiben so in einem ständigen Geschäftsverhältnis zu denjenigen, welche ihre Technik als Produktionsmittel benutzen. Hier ist zu beachten, dass es sich um verschiedene Unternehmen handelt, bei denen das gleiche Produkt beim einen die Funktion einer Ware und beim anderen die Funktion als Produktionsmittel hat. Vice Versa gibt es bei den digitalen Techniken auch solche, die als Waren für Endkunden hergestellt werden und gleichzeitig Produktionsmittel für dieselben Unternehmen sind. So z.B. alle Autos, die via „ShareNow“ oder „Uber“ benutzt werden und als Waren lauter Daten liefern, die selbst wieder via Big Data zur Produktionsgrundlage für neue Produkte werden. Hier handelt es sich um dasselbe Unternehmen, das z.B. selbstfahrende Autos als Waren herstellt und gleichzeitig die verkauften Autos als Sammelmaschinen für Daten nutzt, um so die nächste Generation Autos zu verbessern oder die Daten gleich selbst als Ware zu nutzen. Hier verwendet daher dasselbe Unternehmen seine Waren gleichzeitig als Produktionsmittel.

Diese neue Funktion von Produkten, die gleichzeitig im Produktionsprozess dienen, daher Produkt und Produktionsmittel sind, bezeichnen wir als Dual-Use[2]. Der doppelte Verwendungszweck ist in diesem Begriff genauso aufgehoben wie die Tragweite dieser Doppelung für die heutigen Produktionsverhältnisse. Unterscheidet der Begriff in seiner klassischen Verwendung die Möglichkeit, eine Technik sowohl zivil als auch militärisch zu verwenden, soll er in diesem Zusammenhang die ökonomische Durchschlagskraft dieser Doppelnutzung betonen. Die an dieser Stelle eingeführte Unterscheidung in die digitale Technik als Ware sowie die digitale Technik als Produktionsmittel und ihre Verknüpfung in dem Begriff des „Dual Use“ führt direkt zum Feld der Konkurrenz der Kapitale. Mit dem Hinweis darauf, dass manche Techniken in der digitalen Industrie sowohl Produktionsmittel wie auch Produkt sind, ist klar, dass die Industrie sie selbst ins Werk setzen kann, um diese Techniken, vor allem IT-Techniken, selbst herzustellen, da sie diese nicht nur für die Produktion, sondern auch als Teil der Ware selbst benötigt. So bauen unter anderem die Autoproduzenten gigantische IT-Abteilungen auf und die IT-Branche fängt an, selbst produzierendes Kapital zu werden[3].

Während also die IT-Branche versucht, die immer wichtigere Stellung ihrer Produkte im Produktionsprozess des Industriekapitals dazu zu nutzen, sich immer größere Teile der Wertschöpfungstiefe des produzierenden Kapitals anzueignen, gibt es eine ebensolche Gegenbewegung. Die Industrie, hier am Beispiel der Autoindustrie, versucht ihrerseits zentrale IT-Techniken selbst herzustellen und die IT-Branche auf die Funktion einer (weiteren) Zuliefererindustrie zu reduzieren, also die Abhängigkeit umzudrehen.

4. Die Folgen der Konkurrenz um „Big Data“: Handelskapital und IT-Branche

In dieser Konkurrenz der Kapitale um die Wertschöpfung entstand als Nebenprodukt der neuen digitalen Technik, ganz nebenbei sozusagen, ein neues Geschäftsfeld: „Big Data“,. Unter „Big Data“ versteht man die Sammlung, Auswertung und gezielte Nutzung großer Datenbestände. Dass eine Datengrundlage vorliegt, die so enorm ist, dass via „Datamining“ Techniken entwickelt, werden müssen, um diese nutzbar zu machen, ist in erster Linie ein Abfallprodukt derjenigen Techniken, welche zuvor vorgestellt wurden, allen voran der CPS. Mittels sogenannter „Big Data Analytics“ entdecktes Wissen wird sich – so die einhellige Einschätzung des Kapitals – zunehmend zu einer bedeutenden „Unternehmensressource“ entwickeln. Zwar ist man sich nicht einig darüber, wie bedeutend diese Datensammlung in Zukunft wird, allerdings findet sich in der Redewendung von Big Data als „Öl des 21. Jahrhunderts“ ein Hinweis auf die Einschätzung des Potenzials dieser Datensammelwut. Sie wird schon heute ausgiebig betrieben:

Facebook ist nur eine der Anwendungen, die ihr Geschäftsmodell auf der Produktion und Verwertung dieses „new Oil“ gegründet hat. Zwar verstehen sich die Nutzer der „Social Media“ selbst als Subjekte ihrer Kommunikation auf der Plattform von Mark Zuckerberg, tatsächlich verhält es sich aber umgekehrt. Das Hochladen von Bildern, Videos und Texten ist nur das Anhängsel diverser Kapitalisten, die so versuchen via personalisierter Reklame ihre Waren loszuwerden. Mag man sich individuell also für die Nutzung von Facebook entscheiden, weil man die Urlaubsfotos der lieben Verwandten sehen will oder aus beruflichen Gründen: Das eigene Interesse an der Plattform ist nur das Mittel der Unternehmer, ihre Interessen über diese Plattformen durchzusetzen.

Facebook bedient dieses Interesse der Unternehmen, indem es den Nutzern kostenlos die Plattform zur Kommunikation anbietet und diese Kommunikation dann sowohl auswertet als auch direkt mit Werbung versieht. So bereichert sich das amerikanische Unternehmen u. a. aus dem Werbeetat der produzierenden Kapitalisten. Zusammen mit Twitter, Instagram und ein paar anderen hat sich der Markt für diese Sorte digitale Werbung inzwischen stark konzentriert und damit monopolisiert und ist so zu einer Hauptveranstaltung der größten Kapitalisten des Planeten geworden. Das alleine dadurch, dass Facebook und Co sich an der Gewinnmarge der Warenhändler in aller Welt ihren Teil sichern beziehungsweise zum Teil – wie gleich gezeigt wird – selbst zu Handelskapitalisten geworden sind.

Das Geschäftsmodell von Google basiert ebenfalls auf Big Data, präsentiert sich allerdings als weltweite Übersicht über die „ungeheure Warensammlung“, die den Kapitalismus ausmacht, und verknüpft so Kundenwünsche mit dem entsprechenden Produkt. Das Unternehmen ermöglicht es Nutzern, via Stichwortsuche im digitalen Raum zielsicher und schnell das zu finden, was sie suchen. Dabei ist das Geschäftsmodell einerseits das gleiche wie bei Facebook: Ansammlung und Auswertung der so anfallenden Millionen von Daten. Hinzu kommt Werbung und die Möglichkeit von anderen Unternehmen, sich für einen gewissen Betrag bei der Stichwortsuche unter den ersten „Treffern“ wieder zu finden.

Amazon und Ali Baba im asiatischen Raum geben sich „nur“ mit Big Data nicht zufrieden. Sie belegen gleich die ganze Zirkulationssphäre des Kapitals und nehmen sich auch des logistischen Teils der Verwandlung von Ware zu Geld an: Sie verkaufen und versenden Waren. So haben sie die Welt der Einzelhändler schwer aufgemischt und das Zeitalter des sogenannten „Plattform-Kapitalismus“ eingeläutet. Darunter ist nun auch nicht „die eine“ spezielle Technik bezeichnet, sondern die Ausweitung des „Prinzip Amazon“ auf alle denkbaren und undenkbaren Dienstleistungen und ihre Vermittlung. Airbnb bietet die Möglichkeit, Wohnungen an zahlende Kundschaft zu vermitteln und wirft dabei – wie alle anderen – Daten ab über Nutzungsverhalten, besonders gefragte Ecken etc. pp. Auf anderen Plattformen können Handwerker ihre Dienste anbieten und dergleichen mehr. Alles in allem läuft es immer darauf hinaus, dass der Zirkulationsakt von der Ware hin zum Geld, also der Verkauf über die Plattformen organisiert wird. Diese Plattformen entwickeln damit eine immense Macht und sind längst zu den größten Kapitalen herangewachsen. Dabei werden ganze Branchen altgedienter Handelskapitalisten kurzerhand überflüssig gemacht.

Nicht zuletzt bei immateriellen Gütern, also geistigen Produkten, die von ihrem physischen Träger losgelöst und „on demand“ verkauft bzw. abrufbar gemacht werden (E-Book und Streaming von Filmen und Musik) hat Amazon die Chance entdeckt, am Konsum der Ware zu verdienen, ohne dass für deren Produktion jedes Mal neue Kosten anfallen. Mit den auf den Amazon-Servern liegenden Dateien macht der Konzern den Übergang zur „Cloud“ und ist in diesem Bereich mit AWS das weltweit führende Unternehmen. Auch als Anbieter von Cloud-Dienstleistungen spielt AWS bei der Digitalisierung der Industriekapitale für die industrielle Produktion eine zentrale Rolle (siehe 3.).

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte ist ein Berliner Start-Up, dass sich vorgenommen hat Dienstleistung der Autohändler zu digitalisieren, was deren Geschäftsmodell damit zerstört. Auf Faz.net wird lakonisch festgestellt: „Lebensmittel, Klamotten, Schreibtischstühle: Die Deutschen lassen sich heutzutage fast alles nach Hause liefern. Warum nicht auch Autos? Das wäre doch fast folgerichtig. Natürlich mit Umtausch- und Geld-zurück-Garantie.“ Das Start-Up mit dem Namen Auto1 kauft seit ein paar Jahren Gebrauchtwagen bei Privatleuten über eine Plattform und verkaufte diese bisher an Autohändler weiter. Das soll sich jetzt ändern: „Und jetzt soll die nächste Stufe gezündet werden: der Weiterverkauf der Gebrauchtwagen an Privatleute.“ Wenig überraschend sehen die Geschäftsleute von Auto1 ein riesiges Potenzial: „Der Gebrauchtwagenmarkt in Deutschland hat ein Volumen von 90 Milliarden Euro im Jahr, in Europa sind es umgerechnet 600 Milliarden Euro. Auto1 kommt als Marktführer auf nicht einmal 1 Prozent Umsatzanteil. Der Markt ist wie überall auf der Welt fragmentiert. Gebrauchtwagenhändler gibt es an jeder Ecke. „Wir sind überzeugt, dass man mit einer bekannten Online-Marke den Marktanteil schnell erhöhen kann, wenn man den gesamten Prozess digitalisiert und in der Lage ist, überallhin schnell zu liefern“[7]. Hier gibt es also jede Menge „Potenzial“ viele kleine Konkurrenten zu besiegen, und so das Kapital einer ganzen Branche zu monopolisieren.

So werden in der Sphäre der Zirkulation, hier speziell beim Verkauf der hergestellten Ware, die digitalen Techniken eingesetzt als Mittel um Verkaufs- und Vermittlungsakte (zw. Verkäufer und Käufer) über eigens dafür geschaffene Plattformen abzuwickeln. Diese Plattformen sind so erfolgreich wie es ihnen gelingt, die Kundschaft für das Marktsegment, das sie abdecken bei sich zu zentralisieren. Für die umtriebigen Start-Ups lockt also die Perspektive, das Geschäft einer gesamten Branche, die bisher „überall auf der Welt fragmentiert“ gewesen ist, bei sich zu konzentrieren. Dies ist andererseits aber auch die Voraussetzung für das Geschäft mit den Plattformen, da ein solches aufzubauen sehr kostspielig ist und nur die große Masse an Kunden die Investitionen des Wagniskapitals rechtfertigen, die notwendig sind, um technischen und infrastrukturellen Grundlagen dafür zu schaffen, dass „überallhin schnell“ geliefert werden kann.

5. Die politische Betreuung der Monopole

Der deutsche Staat bezieht sich auf diese Konkurrenz der Kapitale wiederum mit eigenen Kalkulationen. In der 2019 von Peter Altmaier vorgestellten Industriestrategie 2030 werden die verschiedenen Konkurrenten durch die nationale Brille betrachtet und so differenziert in eine nationale Wirtschaft, die es zu stärken gilt und die es zur Führerschaft gegenüber ausländischen Konkurrenten bringen soll. Dafür werden kurzerhand „Schlüsseltechnologien“ definiert, die qua staatlicher Gewalt vor ausländischer Übernahme geschützt werden sollen[8]. Einerseits sollen also Folgen der Konkurrenz verboten werden, die „dem Standort“ schaden, umgekehrt wird dort auf freien Wettbewerb gedrängt, wo die deutschen Industrieunternehmen führend sind: „Ziel der Industriestrategie 2030 ist es, gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft einen Beitrag zu leisten zur Sicherung und Wiedererlangung von wirtschaftlicher und technologischer Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit und Industrie-Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler Ebene in möglichst vielen Bereichen“[9].

Während Kapitale unabhängig ihrer „Nationalität“ um Märkte konkurrieren, bezieht sich der Nationalstaat auf den Standort, der entschieden vorangebracht werden soll. Mit diesem Standortnationalismus ausgerüstet, kritisiert Altmaier die quasimonopolistischen IT-Konzerne, die ihre Marktmacht für immer weitergehende Anzapfungen der Industriewertschöpfung nutzen und setzt diesen die Möglichkeit deutscher Monopole entgegen.[10] Weil in der Konkurrenz der Kapitale die Tautologie wahr gemacht ist, dass der entscheidende Vorteil in der Konkurrenz die Kapitalgröße ist, also der vorausgegangene Erfolg in der Konkurrenz, muss der Binnenmarkt entsprechend groß gedacht werden um „global players made in germany“ zu schaffen. Es geht also in der Industriestrategie 2030 gegen die Monopole der IT-Branche, indem eigene Unternehmen am besten das Monopol erobern sollen. Dafür soll einerseits der europäische Markt immer weiter vereinheitlicht werden, damit das deutsche Kapital sich ausbreiten kann. Zudem sollen „joint Ventures“, also verschiedene Formen der Kapitalzusammenlegung gegen dritte, vereinfacht werden. Die Konkurrenz der Kapitale, die zur ständigen Zentralisierung tendiert, wird daher von staatlicher Seite aus weiter vorangetrieben, in dem die eigenen Kapitale möglichst auf „globaler Ebene“ die „Führerschaft“ erlangen sollen. So führt gerade das Streben der maßgeblichen Staaten zum Monopol zu einer neuen Runde der internationalen Konkurrenz.

 

 

Anmerkungen:

[1] HB (1.06.2021): Daimler und Nokia legen Streit bei. In: https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/patentgebuehren-daimler-und-nokia-legen-streit-bei-zulieferer-fuerchten-um-innovationskraft/27244718.html

[2] Siehe dazu unter anderem Schadt 2021: 171 – 174

[3] Für eine weitergehende Untersuchung der Konkurrenz zwischen Auto- und IT-Industrie siehe Schadt 2021: 311 – 316

[4] HB (1.06.2021): Daimler und Nokia legen Streit bei. In: https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/patentgebuehren-daimler-und-nokia-legen-streit-bei-zulieferer-fuerchten-um-innovationskraft/27244718.html

[5] Siehe dazu unter anderem Schadt 2021: 171 – 174

[6] Für eine weitergehende Untersuchung der Konkurrenz zwischen Auto- und IT-Industrie siehe Schadt 2021: 311 – 316

[7] Daniel Mohr in der FAZ am 02.02.2021

[8] Handelsblatt vom 29.11.2019: Altmaier will Ausverkauf deutscher Industrie verhindern.

[9] Dieses und alle weiteren Zitate aus: Altmeier, Peter (2019): Industriestrategie 2030, Seite 10

[10] So heißt es im Weißbuch „Digitale Plattformen“ des BMWi „Digitalisierung darf nicht zu Monopolisierung und Marktabschottung führen. In der Konsequenz muss der Ordnungsrahmen deshalb an geänderte Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle angepasst werden.“

 

 

 

Der Beitrag erschien in den Marxistische Blätter 5_2021 https://www.neue-impulse-verlag.de/und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion gespiegelt

Bild: creativ commons cco

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Zum Scheinsubjekt siehe unter anderem junge Welt, 11.06.2020: Scheinsubjekt Digitalisierung, sowie Schadt, Peter (2021): Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie. Köln: PapyRossa, Seite 151, sowie Weis, Nathan; Schadt, Peter (2021): Industrie 4.0 : le numérique au service du profit, pas des travailleurs, le vent se leve

[2] FAZ (2021): Buxmann, P.: Die Standard-Algorithmen kommen. In: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/ki-in-der-naechsten-phase-die-standard-algorithmen-kommen-17232172.html?premium

[3] HB (14.04.2021): Wie die Cloud-Konzerne in das Geschäft mit Industriesoftware vordringen. In: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/hannover-messe-wie-die-cloud-konzerne-in-das-geschaeft-mit-industriesoftware-vordringen/27095998.html