Diese Woche hat Arbeitsminister Heil die ersten Grundzüge der Änderungen beim Bürgergeld vorgestellt. Den Gesetzesentwurf allerdings noch nicht. Die Stichworte, aus denen durchaus einiges herauszulesen ist, habe ich für die Tachelesseite zusammengefasst (Stand 20.07.2022):
Eckpunkte der Bürgergeldreform
Existenzsicherung: Wohnen, Vermögen, Einkommensanrechnung
- Karenzzeit für Wohnen: Höherer Schutz von selbst genutztem Eigentum / Angemessenheitsfiktion von Unterkunfts- und Heizkosten für zwei Jahre
- Karenzzeit für Vermögen: Schonvermögen von 60.000 € für eine Person zzgl. 30.000 € für jede weitere Person in den ersten zwei Jahren
- Erhöhung das Schonvermögen von 15.000 € nach Karenzzeit pro Person in BG
- Weiterer Schonvermögensbetrag für Altersvorsorge
- Genereller Schutz von Kfz
- Höhere Freibeträge für die Ausbildungsvergütung oder den Nebenjob bei Schülern, Studenten und Auszubildende von 520 €/mtl.
- Umstellung der Anrechnung des Einkommens auf Ehrenamt und Aufwandsentschädigung auf kalenderjährliche Berücksichtigung, orientiert am Steuerrecht
Eingliederung in Arbeit
- Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt soll stärker auf Vertrauen und Augenhöhe beruhen
- Statt Eingliederungsvereinbarung gemeinsam erarbeiteter „Kooperationsplan“, bei Differenzen ist ein Schlichtungsmechanismus geplant
- Bei Menschen, mit mehreren schwerwiegenden Problemen, die keine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt aufnehmen können, soll ein Coaching Standardinstrument werden
Sanktionen und Arbeitsmarkteingliederung
- In den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezuges keine Sanktionen, solange gilt eine sogenannte „Vertrauenszeit“.
- Danach sind Sanktionen zulässig, Begrenzt auf höchstens 30 % des Regelsatzes
- Termine im Jobcenter bleiben Pflicht, sollen aber flexibler formlos möglich werden
- Entfristung des Sozialen Arbeitsmarkt (§ 16i-Maßnahmen)
Mehr Qualifizierung
- Abschaffung des Vermittlungsvorrangs, stattdessen Aus- und Weiterbildungen
- Zukünftig dreijährige Berufsausbildung
- Förderung des Erwerbes von arbeitsmarktbezogenen Grundkenntnissen (zB. Lese-, Mathe- und IT-Fertigkeiten)
- Weiterbildungsgeld von 150 € im Monat
- Bei Teilnahme an Maßnahmen, zB. Sprachkurs, Zahlung Bürgergeldbonus von 75 € im Monat.
- nach Ende der Weiterbildung Anspruch auf drei Monate ALG I
- Abschaffung der Pflicht zur Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente
- keine Rausnahme älterer Arbeitsloser aus Arbeitslosenstatistik
Weniger Bürokratie
- Digitale Anträge sollen möglich sein
- Bagatellgrenze von 50 Euro für Rückforderungen
- Bei Reha kein Übergangsgeld, stattdessen weiterhin Bürgergeld
- Abschaffung der Regelungen zur Ortsabwesenheit
- Anrechnungsfreistellung von Mutterschaftsgeld
Regelsätze
Neubemessung der Regelsätze, sobald die dafür notwendigen Berechnungen abgeschlossen sind
Die Eckpunkte der Bürgergeldreform können auch hier nachgelesen werden: https://t1p.de/hgctm.
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Hintergrundmaterial: Internes Infopapier des BMAS zu den Eckpunkten des Bürgergeldes
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Anmerkungen zu den Bürgergeldreformen an Politik und Betroffene
Ich kann und möchte mir ein paar Anmerkungen zur Bürgergeldreform nicht verkneifen. Natürlich sind viele Regelungen in die richtige Richtung gehend. Tatsächlich befindet sich das Arbeitslosensicherungssystem mit der Abschaffung des Vermittlungsvorranges zur Förderung der Aus- und Weiterbildung im Umbruch, vom Überfordern zum Fördern. Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts waren noch 100 % Sanktionen bis zur absoluten Existenzvernichtung möglich, derzeit haben wir das Sanktionsmoratorium, später dann Sanktionen, die, im Verhältnis zu vorher, moderater sind.
Aber es soll noch Sanktionen geben und die Regelleistungen absolut unzureichend bleiben. Millionen von Menschen, wie die Hartz IV-Beziehenden, die Altersrentner*innen und die Geflüchteten können ihre Existenz durch Inflation und Preissteigerungen nicht mehr sicherstellen. Wir haben eine Situation, die offen verfassungswidrig ist, ich verweise wieder einmal auf das BVerfG selbst:
„Der Gesetzgeber hat … Vorkehrungen zu treffen, auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Preissteigerungen oder Erhöhungen von Verbrauchsteuern, zeitnah zu reagieren, um zu jeder Zeit die Erfüllung des aktuellen Bedarfs sicherzustellen, insbesondere wenn er wie in § 20 Abs. 2 SGB II einen Festbetrag vorsieht“ (BVerfG 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 ua, Rn. 140) und „ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten“ (BVerfG 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 ua, Rn. 144).
Diese Situation ist nicht ausreichend mit der Einmalzahlung abgedeckt, hier muss jetzt deutlich mehr passieren. Politik und Verwaltung wissen, dass die Musterverfahren vom VDK und SOVD zum BVerfG Jahre dauern bis sie zur Entscheidung gebracht werden. Es nützt jetzt und in den nächsten Monaten den Menschen nichts, wenn das BVerfG in im besten Fall zwei Jahren feststellt, dass die Hilfepakete zu gering und verfassungswidrig waren.
Sollte die FDP weiter blocken, könnten trotzdem jetzt sofort verschiedene Punkte getan werden. Diese voran stellen möchte ich aber die konkrete Forderung um Anhebung der Regelleistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens um 200 EUR monatlich!
Des Weiteren könnte sofort geändert werden:
- 1. Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelleistungen, Aufnahme der Haushaltsenergie zusätzlich zu den KdU und Heizung (siehe https://t1p.de/bz7t)
- Wiedereinführung einmaliger Beihilfen, so wie es das BVerfG selbst fordert (BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, Rn 116) und durch Weisung zu § 21 Abs. 6 SGB II aus dem Hause des BMAS und der BA blockiert werden.
- Einführung eines Aufrechnungsmoratoriums:im SGB II gibt es eine Vielzahl von Kürzungen /Aufrechnung der sowieso unzureichenden Regelbedarfe, diese Kürzungen müssen für einen Zeitraum von mind. zwei Jahre ausgesetzt werden. Die bis 2011 geltende Rechtslage: die Regelleistung stellt das Existenzminimum da und darf nicht gekürzt werden (§ 51 SGB I) ist wieder anzuwenden, bzw. die Kürzungsregeln in der Existenzsicherung sind rauszunehmen (mehr unter https://t1p.de/f6ur9, Thomé NL 19/2021, Nr. 2).
- Aussetzen aller Kürzungen bei den Unterkunfts- und Heizkosten. Nach § 22 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB II können Unterkunfts- und Heizkosten gekürzt werden. Im Jahr 2020 lag die sog. Wohnkostenlücke bei rd. 450.000 Haushalten durchschnittlich bei 87 EUR pro gekürztem Haushalt, in einzelnen Städten/Kreisen lagen die Kürzungen bei bis zu 234,84 EUR monatlich (siehe https://t1p.de/q2o8). Für das Jahr 2021 sind noch keine Zahlen bekannt. Diese Kürzungen des Existenzminimums müssen unverzüglich aufhören, daher ist hier auch ein KdU – Moratorium umzusetzen.
- Maßnahmen zur Abwendung von Energiearmut.Dann müssen Regelungen zum Thema gestiegene Energiepreise gefunden werden, Tacheles hat dazu im April schon konkrete Vorschläge an Herrn Heil gemacht: https://t1p.de/zxvc2Diese sind unfreundlicherweise von Herrn Heil bis heute unbeantwortet geblieben.
Als letztes möchte ich mahnend an die Millionen von Rentner*Innen erinnern, die meisten können noch nicht mal arbeiten gehen, um etwas dazu zu verdienen. Hier müssen schnell umfassende Verbesserungen gefunden werden.
Wenn ich bei den Worten des Kanzlers bleibe „Wir lassen die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine“ ist jetzt dringender Handlungsbedarf, denn es werden Millionen Menschen in der schlimmsten Krise in der Nachkriegszeit weitgehend alleine gelassen.
Hier ist jetzt und heute ganz viel zu tun. Ideen liegen auf dem Tisch.
Und an diejenigen, die es betrifft: damit was getan wird, muss Druck gemacht werden. Auf der Straße, vor Parteibüros und vor Energieversorgern, nur dann bewegt sich etwas. UND diesen Druck zu machen, kann und darf nicht zusammen mit Rassist*innen, Reichsbürger*innen, Nazis und Antisemit*innen gemeinsam geschehen. Diese sehnen grade einen „heißen Herbst“ herbei.
Hier muss die Parole sein, auf keinen Fall gemeinsam mit diesen auf die Straße zu gehen!
Quelle: https://tacheles-sozialhilfe.de/ Bild: pixabay cco