Nach der letzten Wohngeldreform 2009 stieg die Zahl der Wohngeldempfänger auf 1,1 Millionen Haushalte an. Die Ausgaben lagen damals bei 1,8 Milliarden Euro.
Trotz angespannter Lage auf dem Wohnungsmarkt gehen Empfängerzahlen und Ausgaben ständig zurück. Jahr für Jahr haben sich die Wohngeldansprüche verringert, da von vielen Haushalten die Miethöchstbeträge überschritten werden und die Wohnkostenbelastung der Bezieher von Wohngeld deutlich angestiegen ist. Sehr viele bisherige Wohngeldempfänger sind inzwischen nur wegen ihrer Wohnkosten auf Leistungen der Grundsicherung gemäß dem Sozialgesetzbuch (SGB) angewiesen.
Das Ziel der Wohngeldreform, die am 1. Januar 2016 in Kraft treten soll, ist es, das Wohngeld zu erhöhen und den Empfängerkreis auszuweiten.
Wohngeld gibt es sowohl als Mietzuschuss für Personen, die Mieter einer Wohnung oder eines Zimmers als auch als Lastenzuschuss für Personen, die Eigentümer von selbst genutztem Wohnraum sind.
Bei dem Anspruch auf Wohngeld werden drei Faktoren zu Grunde gelegt, die Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder, die Höhe des Gesamteinkommens und die Höhe der zuschussfähigen Miete oder der Belastung von Eigentümern. Diese Höhe der zuschussfähigen Miete hängt vom örtlichen Mietenniveau, den so genannten Mietstufen ab. Diese Mietstufen dienen zur Orientierung der Miethöhe und sie untergliedern sich von Mietstufe I, für die günstigste Mietstufe bis Mietstufe VI, die teuerste Mietstufe.
Die Wohngeldreform soll das Wohngeld erhöhen und den Empfängerkreis ausweiten, gleichzeitig wird sie aber auch eine Verschiebung innerhalb der Transferleistungen bewirken und es wird eine Umverteilung innerhalb der einzelnen Rechtskreise geben.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IBA), eine besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, hat eine Simulationsrechnung zur Abschätzung der Effekte der Wohngeldreform auf Einkommensverläufe, die Zahl der Transferempfänger sowie die öffentlichen Haushalte vorgenommen.
Man geht davon aus, dass
- Alleinerziehende und Paarhaushalte mit Kindern im HARTZ-IV-Bezug (SGB II) könnte es durch die Reform häufiger gelingen, aus der Grundsicherung in das Wohngeld und gegebenenfalls in den Kinderzuschlag zu wechseln. Für Alleinstehende und Paare ohne Kinder dürfte die Reform eher geringe Auswirkungen haben
- zum Beispiel wird ein 2-Personen-Wohngeldhaushalt, der 2012 durchschnittlich 112 Euro monatlich Wohngeld erhielt, nach der Reform 186 Euro monatlich erhalten.
- die Wohngeldreform kurzfristig zu einem Rückgang der Haushalte mit HARTZ-IV-Bezug um 16 000 Haushalte führen wird
- rund 24 000 Haushalte aus der Grundsicherung nach SGB XII in das Wohngeld wechseln werden
- die Zahl der Wohngeldempfänger mit ca. 440 000 Haushalten deutlich stärker ansteigen wird
- in den Haushalten, die durch die Reform erstmals Wohngeld beziehen können, 110.000 Kinder leben, die dadurch zukünftig einen Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungspaket der Bundesregierung haben
- von der Reform außerdem 27.000 Haushalte von Alleinerziehenden profitieren werden
- beim Kinderzuschlag die Reform ebenfalls zu einem Anstieg der Zahl der Empfängerhaushalte um ca. 47 000 führen wird
- beim SGB II sich Einsparungen von 3 Millionen Euro und bei den Kosten der Unterkunft von 78 Millionen Euro ergeben
- beim Wohngeld und beim Kinderzuschlag mit Mehrausgaben von 773 Millionen Euro bzw. 120 Millionen Euro zu rechnen ist
und rund 870.000 Haushalte künftig Wohngeld erhalten werden; darunter rund 320.000 Haushalte, die durch die Reform erstmals oder wieder einen Wohngeldanspruch haben. Darunter sind rund 90.000 so genannte „Wechslerhaushalte“, die zuvor auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen waren.
Ob die Berechnungen so zutreffen bleibt abzuwarten.
Was die Reform nicht erreichen wird, ist aber auch jetzt schon klar.
Die Mieter bekommen vielleicht etwas Luft, aber den dringend benötigten Wohnraum schafft sie nicht. Auch wenn im selben Jahr die Mietpreisbremse eingeführt wird, darf zwar die Miete nur für angespannte Wohnungsmärkte höchsten 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, aber das gilt nicht für Erstvermietungen im Neubau und nicht für Anschlussvermietungen nach einer Modernisierung. Auch die Bremse wird keinen neuen Wohnraum schaffen.
Doch nur die Schaffung von weiterem Wohnraum mit mindestens jährlich 100 000 neuen Wohnung kann die Situation auf dem Wohnungsmarkt entspannen und eine neue Wohnungsnot verhindern.
Die negative Entwicklung des Wohnungsmarktes in den letzten Jahren ist dadurch gekennzeichnet, dass
- beim Wohnungsneubau ein Tiefpunkt erreicht ist und der Bestand an Sozialwohnung kontinuierlich um 100.000 Einheiten pro Jahr zurück geht
- nach dem Boom des Wohnungsbaus zwischen 2005 und 2008 der Bund sich immer mehr aus der Verantwortung für den Bau von Wohnungen zurückgezogen und mit der Förderalismusreform 2006 sie auf die Bundesländer abgewälzt hat
- die Bundesländer selbst ihre Kosten der Wohnungsraumförderung zwischen 2002 und 2010 von 2,5 Milliarden Euro auf 0,5 Milliarden Euro jährlich zurück gefahren haben
- mehr und mehr die Mittel für den Wohnungsbau in die Förderung von Wohneigentum umgeschichtet werden, so dass mittlerweile die Förderung des Erwerbs von bestehenden Wohnungen die Förderung von neu gebauten Wohnungen übersteigt
- ein Rückgang und ungenügender Ersatz der Sozialwohnungen 2002 von 2,5 Millionen auf 2010 auf 1,7 zu verzeichnen ist
- bei Neuvermietungen die Miete zwischen 12 bis über 40 Prozent steigt
- seit Mitte der 1990er Jahre die Bauleistung rückläufig ist, mit rund 215.000 Baufertigstellungen im Jahr 2013 wird nur noch die Hälfte der notwendigen Einheiten gebaut
- die Förderung der Sozialwohnungen von 32.000 im Jahr 2010 auf 16.000 im Jahr 2012 verringert wurde, dabei müssen jährlich ca. 100.000 Mietsozialwohnungen fertiggestellt werden, um die Anzahl der Sozialwohnungen nicht weiter zu senken und besondere Bedarfe in benachteiligten Stadtteilen abzudecken
- von den rund 41 Millionen Wohnungen bundesweit nur rund 12 Prozent (also etwa 5 Millionen Wohnungen) im Besitz von sozialwirtschaftlich ausgerichteten Trägern sind. Nur die Hälfte von ihnen (also 6 Prozent) sind in kommunaler Trägerschaft
- die unteren 20 Prozent der Menschen, die ein Einkommen beziehen, mittlerweile über 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Miet- und Heizkosten verwenden müssen
- neben der ungenügenden Einkommensentwicklung und den steigenden Mieten der enorme Anstieg der Energiekosten die Wohnungsnot verschärft. Zwischen den Jahren 2005 und 2014 erhöhten sich die Kosten für Haushaltsenergie um 49 Prozent. Mittlerweile leben 2,9 Millionen Menschen in Haushalten, die zeitweise Energierückstände hatten und 1,6 Millionen, die bei der Mietzahlung ins Stocken geraten sind. Diese Menschen sind permanent von der Wohnungslosigkeit bedroht
- seit dem Jahr 2005 auch große, internationale Großinvestoren den Wohnungsmarkt in Deutschland für sich entdeckt haben und sich nicht mit den Mieteinnahmen begnügen, sondern sehr daran interessiert sind, Gebäude und Grundstücke weiterzuverkaufen, um die Renditeversprechen erfüllen zu können. Allein der Großinvestor Deutsche Annington hat in Deutschland derzeit rund 350 000 Wohnungen in seinem Besitz.
Die Wohngeldreform wird den Mietern etwas mehr Geld bringen, aber es wird ja nur aufgeholt, was schon seit sieben Jahren wegen der Diskrepanzen zwischen Lohnentwicklung und Mietpreisentwicklung eingespart worden ist. Das ganze System der Wohngeldleistung hat den riesigen Fehler, dass es nicht in die Zukunft ausgerichtet ist, sondern es repariert nachträglich und notdürftig die schlimmsten Schäden der vergangenen Jahre. Es hinkt immer der Entwicklung hinterher, denn die Überprüfung des Wohngeldes in „bedarfsgerechten Abständen“ sichert nicht eine stabile Leistungsfähigkeit, sondern gleicht bestenfalls die bereits eingetretenen Wirkungsverluste wieder nur für kurze Zeit aus. Ein wirklich bedarfsgerechtes Wohngeld, muss die klaffende Lücke zwischen realem Einkommen und Mietsteigerungen wirklich schießen.
Ursprünglich war bei der Reform der Effekt eingeplant, dass die Verschiedenartigkeit von Wohnquartieren erhalten bleibt und einer „Ghettobildung“ vorgebeugt wird und der Prozess, dass ganzen Stadtteile abgehängt werden, gestoppt wird. Dafür wird diese Reform nicht geeignet sein. Auch kann sie nicht den Anspruch der vollen Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Wohnung erfüllen.
Positive Ergebnisse würde die Reform nur dann bringen wenn
- Menschen mit Anspruch auf Wohngeld unter Berücksichtigung angemessener Wohnungsgröße und -ausstattung nicht mehr als 30 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für Wohnkosten ausgeben müssten
- der Wohngeldanspruch sich aus der tatsächlich zu zahlenden Bruttowarmmiete ableiten würde, d.h. dass alles, was im Zusammenhang mit dem Wohnen aufgebracht werden muss, auch Grundlage für die Wohngeldberechnung sein würde. Denn steigende Kosten für Energie und öffentliche Abgaben führen auch zu spürbaren Mehrkosten für Mieter
- der Höchstbetrag des Wohngeldes sich aus der ortsüblichen Vergleichsmiete bzw. dem Mietspiegel der jeweiligen Gemeinde ableiten ließe
- alle Mieter faktisch die Wahlfreiheit bekommen würden, wo sie wohnen wollen, in allen Stadtteilen und bei allen Anbietern von Wohnraum. Nur so wird eine Segregation und Ghettoisierung verhindert
- die Einkommensgrenze für den Wohngeldanspruch und die zu berücksichtigende Wohnungsgröße sich an den Bemessungsgrenzen für Wohngeldberechtigungsscheine nach dem Wohnraumförderungsgesetz orientieren würden
und die regionalen Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt in der gesamten Republik tatsächlich berücksichtigt werden.
Nur so kann sichergestellt werden, dass jederzeit die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um das Wohngeld künftig bedarfsgerecht, dauerhaft und auskömmlich auszustatten.
Um ein Ansteigen der Wohnungsnot vor allem in den Ballungsräumen zu verhindern und ein bezahlbares Wohnungsangebot vorzuhalten, müssten als erste Maßnahme jährlich 100.000 Sozialwohnungen gebaut werden.
Wichtig ist, dass der mit der Einführung des Wohngelds 1965 der geschaffene Wechsel von der Objekt- zur Subjektförderung rückgängig gemacht wird und Objekte – der Bau von Sozialwohnungen – gefördert werden.
Vor allen Dingen muss der Bund sich wieder mehr einbringen, für den notwendigen Bau von Wohnungen sorgen, für die Wohnungspolitik Verantwortung zeigen und nicht nur eine Flickschusterei mit der Wohngelderhöhung betreiben.
Weitere Infos: https://gewerkschaftsforum.de/die-neue-wohnungsnot-ist-hausgemacht-3/
Quelle: IAB,
Bild: wohngeld.org