Die Wortschöpfung Industrie 4.0 soll die vierte industrielle Revolution nach Mechanisierung, Massenfertigung und Computerisierung der Produktion zum Ausdruck bringen. Bei der vierten geht es darum, dass die individuellen Konsumenten und ihre Wünsche, die Produkte, die Produktionsanlagen und die übrigen Unternehmensfunktionen alle über das Internet verbunden werden.
Waren im Jahr 2003 noch rund 500 Millionen Geräte weltweit miteinander verbunden sind es diesem Jahr bereits 25 Milliarden Alltagsgegenstände die miteinander in Verbindung stehen.
Durch automatische Verarbeitung von Unmengen digitaler Daten sollen Einkauf, Produktion, Transport und Vertrieb gesteuert werden. Je höher der Grad der Automatisierung und Digitalisierung aller Prozesse, desto besser funktioniert das. Der Mensch mit seiner geringen Datenverarbeitungskapazität und Datengeschwindigkeit ist bisher noch für viele Tätigkeiten unentbehrlich. Die Bemühungen gehen derzeit aber dahin, immer mehr von diesen Tätigkeiten computergesteuerten Maschinen und Fahrzeugen zu überantworten.
Kein Wunder, dass die Industrie 4.0 das zentrale Thema auf der diesjährigen Hannover Messe war, denn die Bereiche Maschinen- und Anlagebau, Autokonzerne, Stahl- und Technologieherstellern und der Pharma- und Chemiebranche erhoffen sich für die Zukunft durch den Technologievorsprung kostengünstigere und maßgeschneiderte Produktionen und damit einen Konkurrenzvorteil. Diese Entwicklung wird seitens des Staates erheblich unterstützt.
Die Auswirkungen für die Beschäftigten sind jetzt in der Anfangsphase schon durch den Wegfall von Arbeitsschritten, Veränderungen von Arbeitsprozessen und notwendigen komplexeren Fähigkeiten erheblich.
Industrie 4.0 soll es ermöglichen, dass die gesamte Produktion über alle Stufen durch vernetzte autonome Minisysteme in Echtzeit mit Marktdaten gefüttert und gleichzeitig kontrolliert wird.
Durch die durchgängige integrierte Vernetzung und Steuerung aller Produktionsschritte können die Produktionsanforderungen durch informationstragende Elemente auf das Einzelprodukt übertragen werden. Die Ausstattungskomponenten z.B. Sonderwünsche oder besondere Merkmale für ein entstehendes Produkt werden, ausgelöst durch eine einzelne Bestellung, direkt in die Produktion übertragen. Die einzelnen Produktionsbestandteile selbst erhalten bereits zu Beginn des Herstellungsprozesses die Information darüber, wie sie bearbeitet werden wollen und übergeben diese Daten an die ausführenden Maschinen.
Das ist eine gigantische Entwicklung, bei der es um nicht weniger als dem Bruch mit dem Gesetz der Massenfertigung geht. Insbesondere im Maschinenbau, aber auch in anderen Sektoren, ist heute noch die zu fertigende Stückzahl eines bestimmen Produkts entscheidend für den Automatisierungsgrad der Produktion.
Die Anschaffung von Industrierobotern, die noch so viel kosten wie ein Einfamilienhaus, lohnt sich für die Unternehmen erst ab einer entsprechenden Produktionsmenge. Wird diese Menge nicht erreicht, rechnet sich eher die halbautomatische manuelle Fertigung.
Doch mit dem Konzept Industrie 4.0 soll es möglich werden, hoch individuelle Unikate automatisiert zu produzieren.
Die heute zur Verfügung stehende Internettechnologie ist das Scharnier zwischen diesen Entwicklungen. Erst mit der Durchsetzung dieser Technologie als Kommunikationsstandard für alle technischen und gesellschaftlichen Bereiche, kann erst ein solcher Grad an Integration verschiedenster Systeme erreicht werden.
Genau hier setzt die Bundesregierung an, den Technologievorsprung erst zu erreichen bzw. an einigen Stellen noch auszubauen.
Am Beispiel des Forschungsprojektes SPEEDFACTORY des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) kann gezeigt werden, wie das Ganze in der Praxis laufen kann und wo man sich bereits in der Entwicklung befindet.
Laut dem BMWI geht es bei SPEEDFACTORY darum: „Im Forschungsprojekt SPEEDFACTORY wird eine automatisierte Einzelstückfertigung entwickelt, in der Menschen und Roboter in gemeinsamer Arbeitsumgebung Sportartikel sowie Bezüge für Autositze produzieren. Diese können innerhalb kurzer Zeit vom Design bis zum finalen Produkt kostengünstig und flexibel hergestellt werden.
Ziel ist eine Verminderung der Transaktionen über die Kontinente hinweg. Die Produktion von Mode- und Sportartikeln soll wieder verstärkt in Europa stattfinden. Die Wettbewerbsfähigkeit soll durch kürzere Logistikwege (physisch und informell) und damit schnellere Reaktion auf Kundenwünsche und Modetrends erhöht werden.
Die Projektpartner erwarten im Ergebnis die prototypische Fertigung von Sporttextilien und -schuhen bzw. von Sitzbezügen für Fahrzeuge mit innovativen Produktionsprozessen ohne Wertschöpfungseinbußen. Diese erfordert intelligente Fabrikkonzepte mit hohem Automatisierungsgrad und kognitive Fähigkeiten der eingesetzten mit den Maschinen interagierenden Arbeitskräfte. Um die Prozesse effizient zu gestalten, wird zunächst die Modularisierung einzelner Produktionsschritte vorgenommen. Die Koordination und Steuerung der einzelnen Module erfolgt dabei weitgehend automatisiert und dezentral. Durch die Verwendung einzelner Werkstoffe, die bis heute nicht durch Maschinen automatisiert verarbeitet werden können, kommt den Arbeitskräften und ihrem Zusammenwirken mit Fertigungsrobotern eine herausragende Bedeutung zu. Erst die Anwendung innovativer Sensorik, Umgebungsintelligenz und Kognition sowie der Einsatz von Augmented Reality ermöglichen eine ökonomisch sinnvolle Interaktion zwischen Mensch und Roboter.
Konsortialpartner sind: adidas AG (Konsortialführer), fortiss GmbH, Johnson Controls GmbH, KSL Keilmann Sondermaschinenbau GmbH, RWTH Aachen“
Mit dem Projekt des BMWI wurde schon 2013 begonnen und bereits 2016 sollen konkrete Ergebnisse vorliegen.
Für den Partner adidas ist aber jetzt schon klar, wie die Produktion von Sportschuhen demnächst aussehen könnte:
Adidas geht davon aus, dass die Kunden kaum noch in einem Geschäft ihre vorgefertigten Schuhe kaufen werden, sondern entsprechend der aktuellen Mode, sie lieber individuell ausgestaltet hätten. So wählt man die Farbe, Muster, Material und Extras nach eigenen Wünschen aus, lässt den Fuß einscannen und ausmessen, dann gehen die Daten über das Netz in die Produktion und die Schuhe werden am nächsten Tag dem Kunden geliefert.
Das kann erst so funktionieren, wenn es ein Netz von kleinen Fabriken gibt, die in Kundennähe produzieren. Adidas hat bereits ein flächendeckendes Verkaufssystem, das dann nur noch angepasst werden muss, um schnell und flexibel auf die sich ändernden Kundenwünsche einstellen zu können. Die Technologie ist derzeit schon so weit, dass man mit Hilfe der 3D-Drucker und neuer Fertigungsmethoden ein Paar Schuhe als Einzelanfertigung so herstellen kann.
Für den Forschungspartner Johnson Controls, der im Bereich Autozulieferer produziert, könnte das Szenario so aussehen, dass der Kunde sein individuell ausgestaltetes Auto zeitgleich mit der Produktion im Internet gestaltet. Da die Maschinen miteinander kommunizieren können, steuern sie selbst, ob die Innenausstattung des Autos diese oder jene Farbe erhält oder aus diesem oder jenem Material ist. Die verschiedenen Module lassen sich in ihrer Reihenfolge ändern oder können ganz weggelassen werden.
Bei dieser Produktionsform kommuniziert einfach alles mit allem, die Maschinen, die Stoffe, die Kunden und die Beschäftigten.
Die neuen Möglichkeiten, die die Kombination von neuen Fertigungstechniken und IT bieten, bringen den Unternehmen eine massive Produktivkraftentwicklung.
Einige Auswirkungen dieser Entwicklung werden für die Beschäftigten fatal sein.
Die Veränderung für die Beschäftigten durch die Digitalisierung kann man am bestem im IT Bereich selbst beobachten, der auch in dieser Hinsicht als der Vorreiter gilt:
- Im IT Bereich werden Stammbelegschaften ausgelagert und gelten als Freelancer, denen die Aufträge durch die Zerlegung gesamter Arbeitspakete in kleinen Stücken nur als Fragmente zugeteilt werden, die dann nach Fertigstellung wieder zusammen gesetzt werden.
- Nur diejenigen Freelancer bekommen einen Auftrag, die die Weiterbildungsprogramme des Weltkonzerns besucht haben. Da sie ja selbständig sind, müssen sie diese Weiterbildungsangebote auch selbst bezahlen.
- Die Zuteilung erfolgt über ein Ausschreibungs- und Bewerbungsportal. Dort konkurrieren die Programmierer untereinander und liefern „Arbeitsproben“ ab, die schon mal beim Auftraggeber bleiben, egal ob der Programmierer den Auftrag erhält oder nicht.
- Der Freelancer muss eine „Online-Reputation“ veröffentlichen und umfassende Auskünfte über seine Person liefern, aber auch über seine Weiterbildung und seine Zahlungsmoral.
- Technisch möglich ist auch, dass mehrere Freelancer gleichzeitig und gemeinsam an einem Dokument arbeiten, unabhängig davon, in welchem Land und unter welcher Gesetzgebung sie arbeiten.
- Der Rest der Beschäftigten im Weltkonzern wird nur noch gebraucht, um die Codeschnipsel zusammen zu setzen und das Ganze mit dem Stempel „Made in Germany“ zu versehen.
Da die Beschäftigten in der IT Branche gewerkschaftlich ganz schlecht organisiert sind, werden sie weiterhin die Vorreiter für die anderen Beschäftigungssektoren sein.
Aber die Entwicklung wird auch riesige Auswirkungen auf den nur noch aus Fragmenten bestehen Sozialstaat haben, der ja immer noch auf den lohnabhängigen Beschäftigungsverhältnissen basiert. Die Lohnsteuer und die Sozialabgaben werden von den Scheinselbständigen umgangen, sie unterliegen nicht der Kontrolle bzgl. des Arbeitsrechts, Arbeitszeiten oder Arbeitsplatzausstattung. Tarifverträge gelten für sie nicht und eine Interessenvertretung, wie einen Betriebsrat, gibt es schon gar nicht.
Dafür müssen sie ständig erreichbar sein und ihre Arbeitsbereitschaft anpreisen.
Dieses Szenario ist für jeden Gewerkschafter der blanke Horror, mit noch mehr Erwerbslosen, noch größeren Unterschieden in der Qualifikation der Beschäftigten und noch mehr sozialen Verwerfungen.
Hier müssen sich die DGB-Gewerkschaften einheitlich positionieren und ihre Aufgabe wahrnehmen, für einen fairen Anteil der Beschäftigten am Produktivitätsgewinn zu sorgen. Das muss sich auch auf höhere Löhne und auf eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich niederschlagen.
Zwei Fragen müssen gestellt und bald beantwortet werden:
Wem gehört das Internet? Und wer darf dort was?
Quellen: ver.di, projekt speedfactory des BMWI, Holger Meuler
Bild:agitano.com