In fast allen Bundesländern wurden in den letzten sieben Jahren die Polizeigesetze verschärft. Man muss dies als ein politisches Handlungsziel sehen, dass die präventive Gefahrenabwehr, die in den Polizeigesetzen der Länder geregelt ist, nun auf der Bundesebene einheitlich gestaltet werden soll.
Hatte man doch genau diese föderalen Strukturen deshalb aufgebaut, weil im deutschen Faschismus eine ungeheuer große zentralisierte Machtkonzentration geschaffen wurde, was man Ende der 1940er Jahre noch vermeiden wollte.
Heute wird wieder angestrebt, unter dem Deckmantel sich ähnelnder, immer wieder verschärfter, neuer Landespolizeigesetze mit einem ebenfalls verschärften bundesweiten Polizeigesetz, eine neue Zentralisierung der Staatsmacht zu konstruieren.
Die Ampelregierung will nun speziell die Bundespolizei durch eine Überarbeitung des Bundespolizeigesetzes „gezielt stärken“. Die Koalition verständigte sich Ende des Jahres 2023 auf einen entsprechenden Gesetzentwurf. Es geht vogeblich vor allem um mehr Kompetenzen im Kampf gegen Schleuser. So erhalten die Beamten unter anderem neue Rechte zur Telefonüberwachung und auch für den Einsatz von Drohnen und anderen unbemannten Fahrzeugsystemen, wenn von diesen eine Gefahr ausgeht. In bestimmten Fällen gilt dies auch für die Erhebung von Verkehrsdaten.
Der strafende und disziplinierende Staat
Die Auswirkungen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurde, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet.
Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht und auch der Mittelschicht deutlich gemacht hat, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und ihre Ohnmacht an den Schwächeren ab. Begleitet wird das Ganze von dem Misstrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen.
Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegenzutreten und den Menschen mit Abstiegsängsten sowie denen mit großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.
Verschärfung der Polizeigesetze der Länder
Bei der seit sieben Jahre andauernden Verschärfung der Polizeigesetze der Länder richtet sich das Hauptaugenmerk gar nicht so sehr auf die vorgebliche Strafverfolgung, die schon einheitlich in der Strafprozessordnung geregelt ist, sondern auf den Bereich der präventiven Gefahrenabwehr, die in neue Landespolizeigesetze gegossen wurde.
Kern der neuen Gestaltung im Polizeirecht auf der Länderebene ist die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und die Aufweichung der dafür notwendigen Voraussetzungen. Nicht mehr die objektive Gefahr, sondern vermeintliche Gefährder werden in den Mittelpunkt des staatlichen Handelns gestellt, solche Personen, die die Polizei für gefährlich hält. Die permanenten sogenannten Reformen folgen dabei dem bekannten Argumentationsmuster, bei dem immer neue Eingriffsbefugnisse erforderlich sind, um die innere Sicherheit gegen ihre Feinde verteidigen zu können.
Die neuen Polizeigesetze der Länder haben Folgendes hervorgebracht:
- Das präventive Polizeirecht soll eine Gefahr schon dann abwehren, bevor der Schaden eintritt. Das kehrt den bisherigen Grundsatz um, dass ein Eingriff erst dann erfolgen darf, wenn eine konkrete Gefahrenlage vorliegt. Hier wird die Schwierigkeit entstehen, zu entscheiden, bei welchen Szenarien eine Gefahr droht und welche Maßnahmen gerechtfertigt sind.
- Alle neuen Polizeigesetze haben sich die Vorfeldkategorie der drohenden Gefahr zu Eigen gemacht und daran vielfältige Eingriffe wie Telefonüberwachung oder Online-Durchsuchungen geknüpft. Hier steht die Quellen-Kommunikationsüberwachung (TKU) im Vordergrund, wobei die „Staatstrojaner“ direkt an der Quelle die Geräte beeinflussen. Gemeinsam mit der Online-Durchsuchung wird der Nutzer vollkommen durchleuchtet und man erhält ein allumfassendes Persönlichkeitsprofil.
- Die Videoüberwachung ist ein weiteres, gemeinsames Element der neuen Gesetze, es sollen dabei nicht nur die bekannten Örtlichkeiten mit erhöhter Zahl an Straftaten überwacht werden, sondern auch solche Orte, bei denen nach der polizeilichen Prognose zukünftig erhöhte Straftatenzahlen erwartet werden können. Das gleiche Prinzip soll auch bei großflächigen, verdachtsunabhängigen Kontrollen angewandt werden, wenn abstrakt eine Erwartung bestimmter Straftaten besteht, dann sind auch ohne konkreten Verdacht Personen zu durchsuchen, eine typische Einfallstür für das Racial Profiling.
- Die Strafprozessordnung legt fest, dass jemand, der eine Straftat begeht, nach einem Prozess von einem Gericht verurteilt wird. Das Polizeirecht aber fragt nicht nach Beweisen, sondern nach der Gefahrenlage. Die festgehaltene Person muss nicht wie bisher spätestens am Tag nach der Festsetzung den polizeilichen Gewahrsam verlassen, auch hier wird neuerdings das Prinzip der Präventivhaft eingeführt. In den einzelnen Bundesländern ist die Dauer dieser Haft unterschiedlich geregelt worden, benannt werden Haftzeiträume von einem bis zu drei Monaten.
- Die Verschärfungen von Befugnissen zur polizeilichen Ingewahrsamnahme wurde 2017 mit der Einführung der „Unendlichkeitshaft“ in Bayern begonnen, anschließend zogen viele Länder nach. Dabei erfüllen die Befugnisse zur Ingewahrsamnahme nicht länger mehr nur den Zweck, Schaden abzuwenden. So darf in Bayern die Polizei Menschen in Gewahrsam nehmen, die der Anordnung einer „elektronischen Fußfessel“ nicht Folge leisten oder in Nordrhein-Westfalen zur Durchsetzung von Identitätsfeststellungen. Als „Lex Hambi“ erlangte die Befugnisnorm traurige Berühmtheit, als 2019 erstmals Klima-Aktivisten für eine Woche hinter Gittern verschwanden, weil sie die erkennungsdienstliche Erfassung unterliefen.
- Ausgeweitet wurden auch Befugnisse zur manuellen und automatisierten „Schleierfahndung“: In Bayern reicht der Polizei nunmehr der Verweis auf eine angeblich „drohende Gefahr“ für ein bedeutendes Rechtsgut, um sich Ausweisdokumente zeigen zu lassen. In Brandenburg und Schleswig-Holstein wurden Kontrollen auf beliebigen Durchgangsstraßen ermöglicht, wenn die Polizei meint, dass diese von Bedeutung für grenzüberschreitende Kriminalität seien. In Nordrhein-Westfalen heißt das neue Instrument „strategische Fahndung“. Dort darf die Polizei im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 8 Absatz 3 (PolG NRW)
und zur Verhütung von terroristischen Straftaten nach § 8 Absatz 4, zur Verhütung gewerbs- oder bandenmäßig begangener grenzüberschreitender Kriminalität oder zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts Personen anhalten und befragen sowie die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen nach § 12 Absatz 2 treffen. Auch Rheinland-Pfalz folgte anderen Ländern und erlaubte die automatisierte Erfassung der Kennzeichen vorbeifahrender Fahrzeuge und den Abgleich mit polizeilichen Registern. Sachsen will sogar „Bildaufzeichnungen“ des Verkehrs in einem 30-Kilometer-Korridor im Hinterland der Grenzen zu Polen und Tschechien, um die Gesichter von Fahrzeuginsassen automatisiert zu erkennen. - In einem halben Dutzend Bundesländern wurden neue Waffen legalisiert, viele davon eher als nachholende Entwicklung, wie die Aufnahme von Distanzelektroimpulsgeräten („Taser“) in die Waffenkataloge von Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Neuland betraten Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen mit der Einführung von Handgranaten.
- Der Einsatz unbemannter Luftfahrtsysteme („Drohnen“), die die Polizei seit rund zehn Jahren nutzen, wurden in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern erstmals rechtlich normiert. Erlaubt ist der Einsatz dort nicht nur zur Überwachung von Veranstaltungen oder „gefährlichen Orten“, sondern auch für verdeckte Observationen oder das Ausspähen von Computern.
- In Bayern wurde außerdem erstmals das bislang nur aus der Strafprozessordnung bekannte DNA-Phänotyping ins Polizeirecht eingeführt, mit dem ein „genetisches Phantombild“ erstellt werden soll. In Hessen und Hamburg sollten Normen zur automatisierten Datenanalyse eingeführt wurden, mittels derer Datenbestände auf Beziehungen und Zusammenhänge sowie statistische Auffälligkeiten untersuchen werden können.
- Die neuen Landespolizeigesetze brachten den Durchbruch für Bodycams, deren Einsatz in zahlreichen Ländern rechtlich vorbereitet bzw. auf Privatwohnungen ausgeweitet wurde. Bundesweit wurden mittlerweile tausende Schulterkameras angeschafft. In Baden-Württemberg, das die Technik 2019 eingeführt hatte, wurden bis Juli 2021 bei mehr als 30.000 Einsätzen Aufzeichnungen gemacht
und
bisher war der Platzverweis die gängige Maßnahme, Menschen von einem bestimmten Ort zu entfernen. Das ist dahingehend umgekehrt werden, dass die Polizei nun ermächtigt wird, Personen dazu zu verdonnern, sich nicht von einem bestimmten Platz zu entfernen. Die Befugnisse gehen so weit, auch Kontaktverbote zu bestimmten Personen oder Gruppen auszusprechen. Dieser Hausarrest soll die Person von ihrem sozialen und politischen Umfeld isolieren, wenn nötig, auch mit der elektronischen Fußfessel.
Die neuen Landespolizeigesetze stärken die Befugnisse der Polizei ungemein, sie wird mit einer riesigen Machtfülle ausgestattet. Der einst positiv besetzte Begriff der Prävention bekommt nun eine ganz neue, unheimliche Bedeutung. Die Zahl der Menschen, die in eine konfliktträchtige Konfrontation mit der Staatsmacht geraten, wird ansteigen, denn das Verhältnis zwischen Einwohnern und Polizeikräften ist seit Jahren schon gelinde gesagt angespannt. Die Steigerung der Kosten für Personaleinsatz, für Auf- und Ausrüstung geht gleichzeitig mit einer Steigerung der Konfrontationszenen einher.
Einheitliches Polizeigesetz
Parallel zum Ausbau der landesgesetzlichen Regelungen hat sich auch die Diskussion um ein einheitliches Polizeigesetz intensiviert. Die Idee eines Musterpolizeigesetzes als rechtspolitisches Steuerinstrument besteht schon seit den 1970er Jahren. 1977 wurde ein erster Entwurf durch die Innenministerkonferenz (IMK) beschlossen. 40 Jahre später, im Juni 2017, wurde von der IMK zwecks Vereinheitlichung des Polizeirechts eine Arbeitsgruppe eingerichtet, mit dem Auftrag, „hohe gemeinsame gesetzliche Standards und eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit zu erreichen“. Der Bericht der Arbeitsgruppe liegt seit März 2021 vor und wurde von der IMK im Juni 2021 zwar zur Kenntnis genommen, Details wurden bisher nicht veröffentlicht.
Ende Dezember 2023 hat das Bundeskabinett den neuen Gesetzentwurf zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes verabschiedet. Die Bundesregierung begründet die Reform unter anderem mit „aktuellen Gefährdungslagen“, ohne näher darauf einzugehen, welche das sein sollen.
Mit dem 166 Seiten starken Gesetzentwurf soll die Bundespolizei mehr Befugnisse erhalten, um
- sich an die technische Entwicklung sowie an aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen und Gefahrenlagen anzupassen.
- die Telekommunikation zu überwachen und Verkehrsdaten zu erheben. Auch Handys und Mobilfunkkarten dürfen nach richterlichem Beschluss, identifiziert und lokalisiert werden.
- vor allem gegen Schleuser oder Extremisten vorzugehen. Dabei darf die Bundespolizei auch Drohnen einsetzen oder selbige abwehren, wenn von diesen Gefahren ausgehen, mit Hilfe von Netzwerfern, elektromagnetischen Impulsen oder Abschüssen.
- die Effizienz beim Betreiben eigener Drohnen und bei der Drohnenabwehr, bei der Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern sowie zum Erlass von Meldeauflagen und Aufenthaltsverboten zu verbessern.
- die Datenerhebung sowie den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern neu zu regeln.
- die Regeln beim Einsatz von Bodycams anzupassen, die besagen, dass Polizisten nach eigenem Ermessen und lediglich zum eigenen Schutz entscheiden können, ob sie Bodycams einschalten oder nicht.
- die DNA-Identifizierungsmuster speichern zu dürfen und Meldeauflagen oder bis zu dreimonatige Aufenthaltsverbote zu erteilen, beispielsweise für Fußballhooligans
und um eine Bild- und Tonüberwachung in Gewahrsamsräumen zu erlauben, um die Hemmschwelle für Übergriffe von Inhaftierten zu senken und das Handeln der Polizeikräfte zu dokumentieren.
Außerdem sollen alle Bewerber und Beschäftigte der Bundespolizeibehörde sicherheitsüberprüft werden können. Das soll verhindern, „dass extremistische Personen versuchen, für die Bundespolizei tätig zu werden“. Bisher war eine Sicherheitsüberprüfung nur in bestimmten Fällen möglich.
Auch für mehr Bürgernähe und Transparenz will die Regierung sorgen – mit einer Legitimations- und Kennzeichnungspflicht für Bundespolizistinnen und -polizisten. Kontrollierte Personen sollen künftig das Recht haben, eine Bescheinigung über die Durchsuchung ausgestellt zu bekommen. In dieser soll der Grund für die Maßnahme festgehalten sein. Überprüfte hätten dann das Recht, von der Bundespolizei Kontrollquittungen einzufordern. Vermerkt werden müssten dort Ort, Zeit und Grund der Maßnahme, auch eine digitale Ausstellung sei möglich. In Bremen gibt es diese Quittungen bereits seit 2021 – die allerdings nur wenig nachgefragt werden.
In der Regierungskoalition wurde lange darum gestritten, ob die polizeiliche Praxis des Racial Profiling, also rassistische Kontrollen, im Gesetz verboten werden soll. Am Ende kam ein Kompromiss heraus, der die umstrittene Praxis wohl kaum beenden wird. Laut dem Gesetzentwurf wird die Auswahl einer Person für eine Kontrolle anhand Herkunft, Geschlecht, Religion oder Sprache „ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechtfertigten Grund“ unzulässig. Ein solcher „sachlicher Grund“ dürfte allerdings schnell gefunden werden. Obwohl das Grundgesetz staatliche Stellen verpflichtet, ihre Aufgaben so auszuüben, dass sie niemanden diskriminieren, wird der Gesetzentwurf diesem Anspruch nicht gerecht. Er enthält Regeln, die rassistische Diskriminierung sogar stärker begünstigen als bisher, auch weil das Gesetz an wichtigen Stellen allein auf die Bedürfnisse und den Schutz der Polizei zugeschnitten ist und das Recht des einzelnen Menschen auf Nichtdiskriminierung zu kurz kommt.
Ausweitung polizeilicher Kompetenzen ohne wirksame Mechanismen zur Kontrolle der Anwendung dieser Befugnisse
Im Zuge der Polizeirechtsnovellen in den einzelnen Bundesländern hat es nicht einmal 10 Jahre gedauert, dass ohne große Widerstände über die Landespolizeigesetzgebung als Hebel die Ampelregierung nun die Zentralisierung der Staatsmacht, speziell die Bundespolizei gezielt stärken will. Mit der Überarbeitung des Bundespolizeigesetzes will man genau die föderalen Strukturen wieder abbauen, die verhindern sollten, dass wie im deutschen Faschismus eine ungeheuer große unkontrollierbare und zentralisierte Machtkonzentration geschaffen wird.
Das Vorhaben wird wie immer schon mit Argumentationsmustern begründet, dass die neuen Eingriffsbefugnisse nötig seien, um die „innere Sicherheit gegen ihre Feinde verteidigen zu können“. Anstatt einer objektiven Gefahr werden nun vermeintliche „Gefährder“, also Personen, welche die Polizei für gefährlich hält, in den Fokus staatlichen Handelns gerückt.
Wer erwartet, dass im Gegenzug zur Ausweitung polizeilicher Kompetenzen wirksame Mechanismen zur Kontrolle der Anwendung dieser Befugnisse geschaffen würden, wird enttäuscht.
Quellen: Bundespressestelle, Pressemitteilung des BMI, Polizeigesetze der Länder, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Beschlüsse. IMK-Sitzung, BW PolG, Bundesverfassungsgericht, Polizei-Drohnen in Deutschland, Tübingen 2021, Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Landesparlamente, Cilip Bild:pixabay cco