Von Andreas Seifert und Jürgen Wagner
Rüstung ist der neue Hoffnungsträger: SPD, die CDU sowieso, die Grünen aus anderen Gründen und auch einige Gewerkschaften wollen in der Rüstungsindustrie einen Garanten für „unseren“ Wohlstand sehen. Neben der sich verkleinernden Autoindustrie eine weitere Branche, die eine für ganz Deutschland gültige Wohlstandsblase erzeugen soll! Die Industrie selbst sieht sich ohnedies als Garanten von fast allem: Wohlstand, Freiheit, Demokratie usw.. Genauer besehen ist Rüstung dennoch vor allem ein Garant für umfangreiche Profite. Der Rheinmetall Konzern, als Beispiel, hat in seiner Sparte „Waffen und Munition“ 2023 einen operativen Gewinn von 20 bis 22 % in Aussicht gestellt – und auch in anderen Rüstungsbetrieben sieht es nicht viel anders aus. Rüstung ist so vor allem ein Projekt der Umverteilung von Vermögen aus den Steuerkassen in die Taschen von Aktionären. Aus der Sicht der Rüstungsindustrie sollen diese Gewinne aber nicht nur punktuell, sondern dauerhaft fließen.
Ein anderes Beispiel illustriert die Umverteilung von Macht noch deutlicher: Der Stadtrat von Troisdorf beschließt, sich gegen den Ausbau einer im Zentrum der Stadt gelegenen Waffenfabrik zu stellen und von seinem Vorkaufsrecht für ein Grundstück Gebrauch zu machen. Der betroffene Diehl-Konzern, der am Standort ein Joint-Venture mit Rheinmetall betreibt, interveniert und bestellt ein politisches Konzert (in der Hauptrolle Agnes Strack-Zimmermann, als Souffleur und eifriger Landesfürst Hendrik Wüst), das das Bedürfnis der Troisdorfer nicht in Nachbarschaft einer Sprengstofffabrik zu leben, ins Lächerliche zieht. Schlussendlich umgeht Diehl das Problem dieser Schildbürger dadurch, dass es sich nicht das Grundstück, sondern dessen besitzende Gesellschaft einverleibt und damit natürlich auch besagtes Grundstück, das nun nicht mehr zum Verkauf steht: Ausbau gesichert. Dass die FAZ diesen Deal als die Beilegung bzw. Lösung des Konflikts bezeichnet, zeigt die Arroganz mit der Besitzende über die Bedürfnisse der Anwohner hinweggehen.
Wer dies als Auswüchse – Ausrutscher? – in einer aufgeheizten Debatte empfindet, der kann sich auf eine Zukunft einstellen, in der dies zur Regel werden wird. Der ausscheidende Verteidigungsminister, den sich ja auch Teile der Presse gern als Kanzlerkandidaten gewünscht hätten, hat sich zuletzt nicht mit allen Wünschen im Haushalt durchsetzen können und die 100 Mrd. des Sondervermögens sind schon längst verplant: Die Bundeswehr lebt schon wieder weit über ihre Verhältnisse. Doch die Perspektive eines durch gesteigerte Rüstung gesicherten Deutschlands verfängt scheinbar so sehr, dass die nun vorgelegte „Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ Aussicht hat, trotz allem umgesetzt zu werden.
Bereits Mitte August 2024 gelangte der Entwurf einer „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ (NSVIS) ins Internet. Schon daraus wurde ersichtlich, dass die Regierung plante, der Rüstungsindustrie den roten Teppich auszurollen (siehe IMI-Standpunkt 2024/20). Daran hat sich auch in der am 4. Dezember 2024 vom Kabinett nun endgültig verabschiedeten Fassung nichts geändert. Die geopolitische Gemengelage erfordere eine starke heimische Industrie, die nur durch eine Unterstützung der Exportaktivitäten (um hohe Produktionsmargen sicherzustellen), den Abbau aller erdenklicher Hürden für das schnelle Hochfahren der Produktion sowie den vereinfachten Zugang zu Finanzmitteln zu haben sei, so die Kernbotschaft der neuen Strategie. Das nun gemeinsam von Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium vorgelegte Dokument übernimmt alle schwierigen Teile des Entwurfs und schafft es auch noch vor allem im Bereich der Rüstungsfinanzierung allerlei problematische Aspekte hinzuzufügen.
Rüstungsexporte für Schlüsselindustrien
Wie schon im Entwurf und in den beiden Vorgängern aus den Jahren 2015 (siehe IMI-Standpunkt 2014/56) und 2020 (siehe IMI-Analyse 2020/06) definiert die Strategie eine Reihe von Schlüsselindustrien, die gänzlich (Militärische und sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien, Künstliche Intelligenz, Marineschiffbau (Über/Unterwasserplattformen), Behördenschiffbau, geschützte/gepanzerte Fahrzeuge, Sensorik, Schutz, Elektromagnetischer Kampf) oder zu großen Teilen (Quantentechnologien, Flugkörper und Flugkörperabwehr, Raumfahrttechnologien, Munition, unbemannte Systeme) in nationalen Händen verbleiben sollen.
Nur wenig verklausuliert wird in der Strategie hervorgehoben, dass nationale Schlüsselindustrien ohne die Erschließung ausländischer Märkte aufgrund zu geringer Absatzzahlen nicht überlebensfähig werden – Rüstungsexporte werden dadurch in den Bereich eines wichtigen nationalen Interesse verfrachtet: „Der nationale Markt als Absatzmarkt für bestimmte Güter der deutschen SVI hat sich bislang als unzureichend erwiesen, um die Wertschöpfungsketten (einschließlich Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten) auf Dauer zu erhalten und auszubauen.“ (NSVIS: S. 6)
Man verfolge zwar weiter eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“, bei der die „Menschenrechte im Empfängerland“ eine Rolle spielen würden, aber eben auch „die Bündnis- und Sicherheitsinteressen, die veränderte geopolitische Lage und die Anforderungen einer verstärkten europäischen Rüstungskooperation“, die „gleichermaßen Berücksichtigung finden“ müssten. „In diesem Rahmen unterstützen wir Exportaktivitäten von in Deutschland ansässiger SVI [Sicherheits- und Verteidigungsindustrie] in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder sowie in ausgewählte Partnerstaaten, leisten damit einen Beitrag zur Stärkung der verteidigungsindustriellen Basis und setzen so eine verlässliche Industriepolitik um.“ (NSVIS: S. 6)
Oder in die Praxis umformuliert: Wenn es der Entwicklung und dem Kapazitätsaufbau in Deutschland oder Europa hilft, ist jeder Export akzeptabel – zur Not müssen lästige „Kriterien“ so angepasst werden, dass es möglich ist, strategisch und abseits moralischer oder ethischer Bedenken zu exportieren. Die ökonomische Stabilität und gesicherten Gewinne der Rüstungsunternehmen haben Vorrang vor anderen Bedenken.
Auch an anderer Stelle spielen die Schlüsselindustrien und –technologien eine Rolle. Die „strikte Trennung zwischen anwendungsorientierter ziviler und militärischer Forschung“ soll überwunden werden, weil dies „Spill-over-Effekte verhindern und die Entstehung eines innovativen gesamtstaatlichen Ökosystems hemmen“ würde (NSVIS: S. 7). Gesucht werde ein „Gesamtansatz zur engeren Verzahnung von ziviler sowie sicherheits- und verteidigungsbezogener Forschung und Entwicklung.“ (NSVIS: S. 10) Weiter setze man sich für eine „ergebnisoffene Diskussion über die Zivilklauseln ein, um breitere Forschung zu ermöglichen.“ (NSVIS: S. 10) Hier wird zweierlei signalisiert: Einerseits verweist dies auf den Willen, mehr staatliches Geld in die „sicherheitsrelevante Forschung“ stecken zu wollen und damit die bisherige z.B. über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) etablierte Praxis der „Selbstregulierung“ in der Forschungsagenda aufzukündigen und noch stärker darauf hinzuwirken, zu welchen Themen eigentlich geforscht wird. Zum anderen ist da aber auch das Signal, dass die „Verzahnung“ auch dazu führen wird, dass Forschende schlussendlich auch immer bereit sein müssen, ihre Ergebnisse mit Akteuren der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu teilen, was einem empfindlichen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gleichkäme.
Abnahmegarantien und Erleichterungstatbestände
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Strategie das Ziel, die „Kapazitäten für die Produktion“ bei Bedarf auch „kurzfristig drastisch erhöhen zu können.“ (NSVIS: S. 5) Hierfür seien die erforderlichen „Kompetenzen und Kapazitäten aufzubauen“, als Motivation sollen die Möglichkeiten für „Voraus Bestellungen für die Bundeswehr […] für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus“ sowie für „Kapazitätsvorhalteprämien“, ja selbst die Erstattung von „Leerlaufkosten“ geprüft werden. „Weiterhin sollen feste Abnahmemengen gegenüber der Industrie ermöglicht werden.“ (NSVIS: S. 11)
Außerdem gehe es darum, dem Fehlen von „angemessenen gesetzlichen Ausnahme- und Erleichterungstatbeständen“ entgegenzuwirken, die „beim Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten zu zeitlichen Verzögerungen“ führen würden. (NSVIS: S. 7) Worum es konkret geht, ist nicht benannt, denkbar sind aber alle möglichen Regularien, von Umweltauflagen bis zum Denkmalschutz, die hierüber abgeräumt werden könnten: „Die Bundesregierung […] prüft Maßnahmen zum Abbau insbesondere von planungs- und genehmigungsrechtlichen sowie bürokratischen Auflagen beim Auf- und Ausbau von Produktions-, Lager- und Unterstützungskapazitäten.“ (NSVIS: S. 11) Generell gehe es darum, regelmäßig „hemmende Regularien identifizieren und bei Bedarf regulatorisch nachbessern“ zu wollen (NSVIS: S. 11). Ferner müsse sichergestellt sein, dass die Industrie „verlässlich auf (kritische) Rohstoffe“ zugreifen könne (NSVIS: S. 6). Hierfür solle geprüft werden, ob „Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze“ dementsprechend angepasst werden könnten, „um eine priorisierte Belieferung der SVI auch im Krisenfall“ zu ermöglichen (NSVIS: S. 11). Schließlich solle es der Bundesregierung in „strategischen Fällen“ möglich sein, sich „an Unternehmen der SVI zu beteiligen.“
Mit diesen Vorhaben werden langfristige Verbindlichkeiten aufgebaut, die im aktuellen Haushalt nicht zu finanzieren sind und eine Bürde für jedwede zukünftige Debatte darstellen werden. Entscheidend ist zudem, dass der Aspekt einer effizienten Industrie, die angemessene Preise erhebt, oder gar termingerecht liefert (betrachtet man die Beschaffungsprojekte der letzten Jahrzehnte ist das eine Ausnahme) keines Wortes würdig sind. Die Ineffizienz der deutschen Rüstungsindustrie wird wie unter dem Deckmäntelchen der Alternativlosigkeit überhaupt nicht erwähnt. Reale Probleme der Vertragsgestaltung, die schon in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass die Rüstungsindustrie nahezu sich kontinuierlich steigernde und nicht mehr nachvollziehbare Kostenrechnungen in den Haushalt geschrieben haben, werden ignoriert und damit eine unheilvolle Praxis überteuerter Rüstungsgüter quasi fortgeschrieben. Kapazitätsvorhalteprämien oder Leerlaufkosten sind im Gesundheitswesen angemessen, in der Rüstung sind dies schlichte Aktionärsprämien.
Während sich die oben zitierten Passagen recht weit mit dem Entwurf aus dem August 2024 decken, gehen die Abschnitte zur Rüstungsfinanzierung wie gesagt noch einmal darüber hinaus.
Nachhaltige Rüstung
Im Strategieentwurf vom Sommer 2024 signalisierte noch ein Platzhalter, dass sich wesentliche Fragen über den Zugang der Rüstungsindustrie zu Finanzmitteln als damals letzter Punkt noch in der Ressortabstimmung befanden. Damals hieß es lediglich, es werde geprüft, „inwiefern das deutsche Förderbankensystem zur Finanzierung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie aktiviert werden kann.“
Nun ist explizit die Rede davon auszuloten, inwiefern die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ eingespannt werden kann, auch der „Europäischen Investitionsbank“ soll hier künftig eine Rolle zukommen. Außerdem solle geprüft werden, „inwieweit Instrumente der Wirtschaftsförderung für Unternehmen der SVI [Sicherheits- und Verteidigungsindustrie] geöffnet werden können.“ (NVSIS: S. 12)
Ein besonderer Dorn im Auge der Rüstungsindustrie sind die ESG-Nachhaltigkeitskriterien, die die Aspekte Umwelt, Soziales und Unternehmensführung betreffen. Viele Fonds investieren nur, wenn Unternehmen nach diesen Kriterien als nachhaltig eingestuft wurden – und genau das soll künftig ausgerechnet mit der Rüstungsindustrie geschehen. Im Entwurf wurde dazu „nur“ betont, „aus Sicht der Bundesregierung“ seien Aktivitäten der Rüstungsindustrie „kompatibel mit ESG-Kriterien“. Diese Passagen wurden nun in der abschließend beschlossenen Fassung noch einmal deutlich geschärft: „Die Bundesregierung […] unterstreicht, dass der Zugang zur Finanzierung durch Banken und Kapitalmärkte sichergestellt werden muss. Regulatorik zu Sustainable Finance schränkt die Finanzierung der SVI nicht ein und darf keine Auswirkung auf die Finanzierung haben. Die Verteidigungsindustrie leistet einen wichtigen Beitrag zu Resilienz, Sicherheit und Frieden, selbstverständlich unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Grundsätze, Übereinkommen und Verträge. In Bezug auf nachhaltige Geldanlagen heißt dies aus Sicht der Bundesregierung zum Beispiel: Ein gemäß europäischer und deutscher Regulierung nachhaltiger Fonds kann selbstverständlich auch in Unternehmen der SVI investieren.“ (NSVIS: S. 13)
Dass insbesondere der ungehemmte Export von Waffen und „Sicherheitstechnologien“ ins Ausland oftmals das Gegenteil von Nachhaltigkeit erreicht, bleibt bei dieser Betrachtung auf der Strecke. Auch die in der Strategie vorgesehenen umfangreichen Ausnahmen für die „negativen ökologischen Folgen bei der Herstellung und Einsatz der Produkte der SVI“ sind damit nicht vereinbar. Auch hier ist es die angebliche Alternativlosigkeit, die dazu anhält, dass man den Sinn der europäischen Gesetzgebung und speziell der Vorgaben für nachhaltige Investitionen ad absurdum führt.
Totale Rüstung
Die Strategie für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, die hier von Wirtschafts- und Verteidigungsministerium vorgelegt wurde, ist vor allem eines: Ein Freibrief für die Industrie und ein Garantieversprechen für hohe Profite. Sämtliche bürokratischen Hürden, die einmal eingeführt wurden, um die Rüstungsindustrie überhaupt in ihrem Streben nach ungehemmten Geschäften zu bändigen, werden hier über den Haufen geworfen. Die Unternehmen erhalten Zugang zu preiswertem Geld, seltenen Rohstoffen und qualifiziertem Personal und man stellt ihnen die erleichterte Genehmigung von Ausbauplänen in Aussicht. Auch beim Verkauf der Waren will die Regierung helfen und wenn das nicht klappen sollte, kommt der Staat (vielleicht?) für die Unterschiedskosten auf. Nicht alles in dem Papier kostet in der Umsetzung Geld, das Meiste aber eben doch.
Die Rüstungsindustrie dringt mit der Industriestrategie gerade in Bereiche vor, von denen sie früher allenfalls hätte träumen können. Aus Sicht der Branche stellt das Dokument eine überaus geeignete Basis dar, von der aus nun weiter operiert werden kann. So soll kürzlich Hans Christoph Atzpodien, Chef des größten deutschen Rüstungslobbyverbandes (BDSV), laut Spiegel Online (2.12.2024) dem Kanzler in spe kürzlich bereits seine Wunschliste präsentiert haben: „Die Industrie hat längst ausgemacht, bei wem sie künftig ansetzen muss: Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU. Der bekam gerade Besuch von Hans Christoph Atzpodien, dem Cheflobbyisten der Rüstungsindustrie. Er präsentierte dem CDU-Chef einen Zehnpunkteplan, der dem SPIEGEL vorliegt. Darin schlägt Atzpodien eine Rhetorik an, die selbst [Rheinmetall-Chef] Papperger zurückhaltend klingen lässt. »Totale Verteidigung erfordert schnelle Ausführung.« Es brauche mehr Geld, mehr Planbarkeit, mehr Waffenexporte, mehr Fabriken. Für deren Bau solle es »Ausnahmen von Umweltgesetzen« geben. Einen Regierungswechsel schon fest im Blick fordert Atzpodien, Abwägungsfragen zwischen Sicherheit und Nachhaltigkeit müssten geklärt werden.“
Quelle: https://www.imi-online.de/ Bild: www.koop-frieden.de