Hartz IV ist wieder da

Von Inge Hannemann

Hartz IV ist wieder da. Wobei sich die Frage stellt, ob das „Bürgergeld“ nicht das Hartz IV der Ampelregierung war. Von einem Kooperationsvertrag auf Augenhöhe hat man nicht viel gelesen oder gehört. Für Qualifizierungen, die für die Erwerbslosen oder den Arbeitsmarkt sinnvoll waren, waren die Stimmen auch eher sehr leise. Nun ist die Katze aus dem Sack. Nach den Plänen von Union und SPD soll das „Bürgergeld“ abgeschafft und zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden. Dabei ist das Ziel, die Erwerbslosen so schnell wie möglich in Arbeit zu vermitteln. Der Vermittlungsvorrang steht wieder an der Startlinie. Dieser hat das Ziel, dass zunächst Arbeit vor allem anderen Priorität hat.

Und hier sind wir beim Knackpunkt.

Bereits in der ruhmlosen Vergangenheit der letzten zwanzig Jahre von Hartz IV galt dieser Vermittlungsvorrang, der dazu geführt hat, dass die Menschen, in irgendeine Tätigkeit vermittelt wurden. Unabhängig davon, ob sie zu ihnen passte oder nicht. Das führte zum Teil dazu, dass ihre Berufs- und Lebensläufe versaubeutelt wurden, weil sie plötzlich von einer Fachkraft über Zeit- und Leiharbeit zu einer Hilfskraft degradiert wurden. Es galt das Motto: „Hauptsache Arbeit“. Wie es dabei den Menschen erging: egal. Schnell waren die Betroffenen wieder im Jobcenter. Zum einen, weil die Tätigkeiten oftmals – gerade in der Zeit- und Leiharbeit – nur befristet waren, zum anderen, weil die Tätigkeiten einfach nicht zur Person passten. Die Folge: Frust auf beiden Schreibtischseiten. Die Schuld wurde in der Regel den Erwerbslosen zugeschoben: Kein Durchhaltevermögen, zu faul, keine Motivation oder ein Leben auf Staatskosten. Statt auf sinnvolle Qualifizierungen zu setzen, setzte man auf sinnlose Arbeit. Den resultierenden Fachkräftemangel sehen wir heute.

Vollsanktionen sollen kommen

Doch ein weiteres Element von Hartz IV kommt zurück: vollständige Kürzungen der Auszahlungen. Im Sondierungspapier heißt es dazu: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“ Ein Rückschritt par excellence. Das Zitat bedient erneut das Klischee, dass der „faule Hartzer“ lieber in der sozialen Hängematte liegt und Geld vom Staat kassiert, als zu arbeiten. Das Sondierungspapier bleibt allerdings noch vage, wem sie das Geld komplett streichen wollen. Sind es „nur“ die Totalverweigerer oder kommen noch diejenigen hinzu, die zweimal innerhalb eines Jahres ein Jobangebot ablehnen? Beide Gruppen fallen zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Im vergangenen April, so die Bundesagentur für Arbeit, wurden gerade mal knapp 15.800 Menschen sanktioniert, die eine Ausbildung oder Maßnahme verweigerten. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2019, dass eine Vollsanktion nicht vollzogen werden darf. So seien nur noch maximal 30 Prozent Sanktionen möglich, um das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum zu sichern. Um so erstaunlicher, dass man im Sondierungspapier folgenden Satz liest: „Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten“. Koalitionsverträge werden heiß gekocht und liegen dann in der Ecke, bis sie abgekühlt sind und kaum jemand mehr daran denkt oder glaubt.

Die Gesellschaft ist inzwischen durch den konservativen und rechten Populismus gegen die Erwerbslosen so aufgeheizt, dass es gegen Verschärfungen vergleichsweise wenig Widerstand gibt. Sanktionen stützen sich auf das negative Menschenbild, welches inzwischen gegenüber Erwerbslosen noch stärker verankert ist als zu Beginn von Hartz IV im Jahr 2005. Wer nicht spurt, muss bestraft werden.

Ich glaube kaum, dass es bei den Plänen von Union und SPD primär um Einsparungen von Geldern für andere Projekte geht, sondern vielmehr darum, der aufgeheizten Stimmung gerecht zu werden und sie weiter zu befeuern. Zahlreiche psychologische Studien, die stagnierenden, hohen Zahlen der Langzeiterwerbslosen, viele Stimmen aus den Jobcentern: Sie alle widersprechen dieser Einschätzung. Eine erfolgreiche Vermittlung in eine dauerhafte Tätigkeit funktioniert nur über eine sinnvolle Qualifizierung und Begleitung. Es ist zum Haare raufen, dabei zuschauen zu müssen, wie Teile der sogenannten sozialdemokratischen und christdemokratischen Politik aus der Vergangenheit nichts – aber auch gar nichts –  gelernt haben. Stattdessen entfachen sie ein Feuer nach dem anderen. Die geplante Abschaffung des Bürgergelds ist dabei weiterer politischer Zündstoff. In der zentralen normativen Frage, wie eine wohlhabende Gesellschaft – und das sind wir – mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, lautet das Fazit mit Bezug auf die Pläne der neuen Regierung: Setzen. Sechs.

 

 

 

 

 

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Bild: mystipendium.de/L.N.