Die SPD bleibt Friedenspartei – bei jedem Krieg, den Deutschland führt

Randglossen zum Manifest ´Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung´

„SPD-Friedenskreise“ sorgen sich um das Erscheinungsbild der Partei und bringen ein „Manifest“ in gewerkschaftliche Debatten ein. Dazu hier kritische Anmerkungen aus der antimilitaristischen gewerkschaftlichen Basisinitiative „Sagt NEIN!“

Von Andreas Buderus und Johannes Schillo

Seit Anfang Juni kursiert in Teilen der SPD und in DGB-Gewerkschaften ein „Manifest“, verfasst von „SPD-Friedenskreisen“. Diese stellen sich als „Beratungsgremium“ vor, „das in regelmäßigen Abständen zusammenkommt, um über Fragen der SPD-Friedenspolitik zu beraten“. Man scheint hier aber mehr mit sozialdemokratischer Selbstverständigung oder Gewissensberuhigung befasst zu sein, große Außenwirkung war bisher nicht zu verzeichnen. Das kann sich natürlich ändern, da jetzt der „Spiegel“ groß ins Land posaunt: „Prominente SPD-Politiker stellen sich gegen Außenpolitik der Bundesregierung“, während andere Medien als Novum vermelden, dass SPD-Politiker „Gespräche mit Russland“ fordern. Wenn also der kleinere Koalitionspartner will – oder genau so der größere –, kann man damit einen – kleineren oder größeren – Koalitionsstreit inszenieren, der die Öffentlichkeit dann mit nationalen Abwägungen beschäftigt.

Zuvor hatte allenfalls der Neustart des Erhard-Eppler-Kreises unter dem Ticket „Frieden 2.0“ – neuer Vorsitzender seit Mai 2025: Ralf Stegner – die Öffentlichkeit erreicht und Andeutungen zu internen SPD-Beratungen gemacht. Stegner war ja auch schon mit seiner Rede bei der Berliner Friedensdemo am 3. Oktober 2024 aufgefallen, in der er Vorsicht bei Waffenlieferungen an die Ukraine anmahnte und so eine Variante der legendären „Besonnenheit“ von Kanzler Scholz vor friedensbewegtem Publikum zum Besten geben durfte, dort allerdings auch einigen Widerspruch erntete.

Im April 2025, unterm neuen Kanzler Merz, trat Stegner wieder als Warner auf: „Jetzt gibt es Bemühungen um Waffenstillstand“, so sein Votum, „da sollten wir keine Einzelwaffen öffentlich debattieren.“ Overton kommentierte das noch recht wohlwollend: Von SPD-Seite sei man wohl bei der militärischen Eskalation „zurückhaltend“ und nehme Rücksicht auf „die Stimmung im Land“, da die Meinungsumfragen damals noch nicht eindeutig pro Taurus-Lieferung entschieden waren. Seit Ende Mai kann man jetzt besichtigen, was diese Zurückhaltung praktisch bedeutet: Geliefert wird, bis es kracht, und Merz ist genau der Meinung von Stegner, dass man das nicht mehr öffentlich zu debattieren braucht.

So konstruktiv sind die angeblich oppositionellen SPD-Stimmen gegenüber der Regierungspraxis ihrer Partei und ihres Koalitionspartners! Aber halt, jetzt gibt es ja das besagte Manifest. Es trägt die Überschrift:

„Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“

Man fragt sich, was das ist. Soll das Opposition sein? Ein Einspruch gegen das, was die Partei macht? Den Frieden in Europa und die Notwendigkeit von Verteidigungsfähigkeit beschwört doch auch Kanzler Merz bei seiner Regierungserklärung, und zwar im völligen Einklang mit seinem Koalitionspartner: „Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals einsetzen.“ Zu solcher Verteidigungsfähigkeit gehört natürlich Rüstungskontrolle dazu – man muss ja über die Potenzen des Gegners Bescheid wissen und kann so etwa, wie sich aktuell zeigte, die Russen in einem START-Vertrag dazu verpflichten, ihre Atombomber auf Flugplätzen aufzustellen, um sie dann bei Gelegenheit mit einem chirurgischen Schlag zu treffen. Verständigung, also Diplomatie, macht Merz natürlich auch. Er will ja gerade „innerhalb der NATO und in der EU mehr Verantwortung übernehmen“ (so die Regierungserklärung), muss daher den anderen Staatenlenkern deutsche Ansprüche mitteilen und sich deren Einwände anhören.

Das Manifest bringt dann einige aktuelle deutscheuropäische Sorgen zur Sprache (Rüstungswettlauf, nukleare Eskalation, Trump im Weißen Haus…) und erinnert vor allem an die gute alte Zeit, als ein Willy Brandt noch maßgeblich an der Entspannungspolitik beteiligt war. Ja, da gab‘s mal Hoffnungen auf eine „gegenseitige Friedensfähigkeit“! Dann kommt das Manifest zur Sache, nämlich zu acht Forderungen, die aber mit einem entscheidenden Punkt eingeleitet werden. Damit keine Missverständnisse entstehen! Damit nicht etwa der Eindruck entsteht, hier sollte Sand ins Getriebe der Regierungsarbeit geworfen werden! Bei all den geäußerten Sorgen „ist klar: Eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas sind notwendig.“ Also genau das, was die neue Koalition betreibt, wird noch einmal als ursozialdemokratisches Anliegen vorgetragen. Hier die konkreten Forderungen:

  1. Im Fall des Ukrainekrieg wird eine „möglichst schnelle Beendigung“ gewünscht, wobei „die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen verknüpft werden (muss) mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität.“ Man steht also auf Seiten der Ukraine, hätte deren Sieg lieber heute als morgen, weiß aber – Achtung: hier kommen Anklänge an die Entspannungsära –, dass es nötig ist, „wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen“. Tja, irgendwann wird man einen Vertrag schließen und irgendwie definieren müssen, welche Interessen der Russische Föderation „berechtigt“ sind. Benützbar soll das Land ja wieder werden. Wozu sonst der ganze militärische Aufwand?
  2. Als Nächstes kommt noch mal, was vorher schon als wichtigster Punkt klargestellt wurde: „Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA.“ Es geht weiter: „Stopp eines Rüstungswettlaufs.“ Ohne Scherz, das steht so hintereinander! Ein Kraftakt der Militarisierung ist verlangt und die russische Seite soll sich eins merken: „Wir“ werden eigenständig gegenüber der US-Vormacht, wollen also militärisch ganz schön zulegen, aber das soll jetzt nicht gleich wieder durch eine Nachrüstung der anderen Seite in Frage gestellt werden.
  3. „Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt es keine sicherheitspolitische Begründung.“ Die Begründung gibt es zwar – die Bundeswehr muss laut Pistorius „kriegstüchtig“ werden und will sich auch an die Vereinbarungen der NATO halten, wie im Juni gerade geklärt. Aber hier wird mal daran erinnert, was das alles kostet und wo dann eventuell Geld fehlt – in der „Armutsbekämpfung“ zum Beispiel. Das klingt richtig sozialdemokratisch! Aber Ähnliches kennt man auch aus der Merz-Truppe: Nicht die Nennung starrer Kennziffern hilft uns, sondern nur die Klärung dessen, was gebraucht wird und was finanziell geht. Sozialer Zusammenhalt ist natürlich auch aus christdemokratischer Perspektive erwünscht, sprich: ein Burgfrieden im Innern wie 1914, als die Grundlagen des modernen Arbeits- und Sozialrechts (Einführung von Betriebsräten, Sozialhilfe…) geschaffen wurden.
  4. Und jetzt kommt noch eine Klarstellung, was dem Land (gerade auch angesichts der transatlantischen Verstimmungen) auf keinen Fall zuzumuten ist: Man ist gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, denn das „würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen“. Das ist das ganze Argument! Wahrscheinlich auch als Gedächtnishilfe für die Älteren gemeint! In den 80er Jahren war die Nation ja schon einmal in Aufregung darüber, dass sie zum atomaren Schlachtfeld werden könnte, statt dass die Bomben anderswo runtergehen.
  5. Ein eigenständiger deutscheuropäischer Militarismus ist also das Programm, ein Schuss Antiamerikanismus inbegriffen. Das wird jetzt durch die in der Überschrift genannte Rüstungskontrolle komplettiert: Bei der nächsten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag soll „die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung“ Nachdruck erfahren. Trump und Putin, hört ihr die Signale aus Europa? Die Zeit der großen Atommächte ist vorbei! Und je stärker, also „verteidigungsfähiger“ die EU sein wird, desto mehr Druck kann sie natürlich in der Staatenwelt entfalten.
  6. Dasselbe wird dann noch einmal explizit an die Adresse der beiden – ehemaligen – Supermächte gerichtet: „Erneuerung des 2026 auslaufenden New Start-Vertrags“, und zwar im Namen aller Ideale von Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung, vertrauensbildenden Maßnahmen etc. pp., die den Kalten Krieg jahrzehntelang begleitet haben. Jetzt aber auch als Auftrag, den eine aufwachsende Großmacht Europa erteilt, die andere an den Konferenztisch kriegen will.
  7. Das Ganze muss dann zu allem Überfluss auch noch als sozialdemokratisches Ideal aus vergangenen Zeiten vorgetragen werden: „Schrittweise Rückkehr zur Entspannung“! Natürlich mit Augenmaß: schrittweise. Auch mit dem Hinweis verbunden, dass die Nation noch andere Probleme auf dem Globus hat (z.B. muss sie den „Globalen Süden“ in den Griff kriegen), was dann zum Schlusspunkt hinführt:
  8. Deutscheuropa soll sich aus der „militärischen Eskalation in Süd-Ost-Asien“ heraushalten. Logo, eine eigenständige EU folgt doch nicht einfach den Kampfansagen der USA, lässt sich nicht umstandslos in deren Frontbildung hineinziehen. Mit China kann man vielleicht Besseres anfangen – etwa clevere Deals machen, die den amerikanischen Druck auf das Land für eigene Interventionen ausnutzen?
Genial verfremdet: das Sündenregister der SPD

Also nur ein Weiter so – verbrämt mit einigen Friedensidealen und konstruktiven Bedenken? Nicht ganz. In dem Manifest macht sich außerdem ein Bedürfnis nach Gewissenserforschung bemerkbar, mit dem man wohl bei friedensbewegten Menschen Anklang finden will. „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.“ So heißt es eingangs – und dass zu diesen Kräften vorneweg die Sozialdemokratie gehört, müsste ja eigentlich noch der Dümmste wissen. Aber da hat das Manifest keine Hemmungen, es entdeckt Tendenzen zu einer Militarisierung Europas ganz so, als ob das eine Entwicklung wäre, die unabhängig von der Sozialdemokratie mit ihrer Propagierung von Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit zustande gekommen wäre.

Die Akteure und Antreiber dieser Entwicklung werden nicht ins Visier genommen, aber eine gewisse Nachdenklichkeit halten die Autoren für angebracht. Im Klartext: Der Iwan ist nicht an allem schuld. Dass das Friedensideal von Willy Brandt nicht zum Zuge kam, liegt – man höre und staune – auch an „uns“, an der westlichen Seite. Irgendwie jedenfalls. „Nicht einseitige Schuldzuweisungen, sondern eine differenzierte Analyse“ sollen uns da weiterhelfen. Doch die analytischen Anstrengungen des Manifests, die nicht viel mehr als Andeutungen liefern, haben es in sich. Die „Differenzierung“ der Autoren besteht im Wesentlichen aus Verschweigen und Beschönigen:

  • Die Ursachen bzw. der Werdegang der heute angeblich so plötzlich zerstörten Friedensordnung in Europa werden im Grunde nur negativ bestimmt: Man ist damals nicht dem Weg gefolgt, den unser Friedenswilly eingeschlagen hatte. Dass Helmut Schmidt, sein sozialdemokratischer Nachfolger im Kanzleramt, seinerzeit den NATO-Doppelbeschluss und damit die Aufrüstung Europas (auch als „Nachrüstung“ bekannt) auf den Weg brachte, wird nicht erwähnt. Dass die Entspannungsära zielstrebig durch eine Spannungsphase abgelöst wurde – da der eingeleitete „Wandel durch Annäherung“ seine zersetzende Wirkung entfaltet hatte und folglich wieder härtere Bandagen am Platz waren –, ist auch kein Thema. Dass also Entspannung ein Modus war, die Systemgegnerschaft gegen den „totalitären“ Osten nicht allein mit militärischen Mitteln auszutragen, sondern – notgedrungen, siehe das „atomare Patt“ – durch Rüstungsdiplomatie etc. zu ergänzen, soll natürlich keiner wissen.
  • Das Manifest erwähnt den NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 – bezeichnender Weise nur en passant als „den Angriff der Nato auf Serbien“. Kein Wort darüber, dass es die SPD selbst unter Kanzler Schröder und Kriegsminister Scharping war, die zusammen mit dem olivgrünen Außenminister Fischer 78 Tage und Nächte lang die deutschen Bomben auf Belgrad werfen ließ. In einem veritablen völkerrechtswidrigen Krieg übrigens! Ein Tatbestand, der heute, nach der russischen Invasion vom Februar 2022, alle Welt erschüttern soll, damals aber als humanitäre Selbstverständlichkeit bei unseren „Friedenseinsätzen“ durchging.
  • Im Manifest wird „die fundamentale Verletzung der Menschenrechte im Gaza-Streifen“ erwähnt, aber es folgt kein Wort zur aktiven Mitverantwortung der SPD-geführten Ampel-Regierung unter Scholz und Pistorius, zur Lieferung von Kriegsgerät für das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung, was unter Schwarz-Rot bis heute bruchlos fortgeführt, nur mit einigen warnenden Stimmen begleitet wird. Auffällig auch, dass das Thema im abschließenden Forderungsteil nicht auftaucht. Man hat halt mal – das kann auch die FAZ – an das Elend der Gazawis erinnert!
  • Die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa wird kritisiert. Aber wie! Auf die bemerkenswerte, durch und durch nationalistische Begründung wurde ja schon hingewiesen. Doch kein Wort davon, dass SPD-Kanzler Scholz im Vieraugengespräch mit US-Präsident Biden beiläufig bei einer NATO-Konferenz vollendete Tatsachen schuf – ohne demokratische Debatte und ohne parlamentarische Kontrolle, sonst hohe sozialdemokratische Werte. Und das Ganze fand in Fortsetzung eben derselben Manier statt, mit der sich bereits derselbe SPD-Scholz in seiner berüchtigten „Zeitenwende“-Rede“ als Ausdruck einer sich verselbständigenden Exekutive zum Kriegskanzler berufen und das erste 100-Milliarden-Militarisierungsprogramm durchgedrückt hatte.
Und kommt das an?

Die SPD ist integraler Teil der neuen deutschen Kriegskoalition, die Deutschland zur stärksten konventionellen Armee Europas aufrüsten will. Das ist die gegenwärtige Lage. Man kann das auch Aufwuchs eines europäischen Imperialismus nennen. Während wortreich die Gefahren des US-amerikanischen Politikwechsels beklagt werden, nutzt man die allseits beschworene Eigenständigkeit gleichzeitig, um Deutschland zur europäische Führungsmacht des Aufrüstungs- und Kriegsvorbereitungswettlaufs zu transformieren. Und dieser von der SPD wesentlich mitentwickelte, -initiierte und vor allem auch -getragene Kurs der Kriegsvorbereitung bedeutet logischerweise eine Umstellung der gesamten Gesellschaft auf „Kriegstüchtigkeit. Letzteres übrigens ein Wort, das in dem ganzen Manifest nicht vorkommt.

Man kann also festhalten: Offenkundig will man zu den sozialdemokratischen Machern nicht in einen Gegensatz treten! Die SPD-Friedenskreise dienen somit nicht der Sache der Antikriegsbewegung – sie dienen im Gegenteil dazu, der erforderlichen konsequenten antimilitaristischen Empörung und Bewegung die Klarheit über ihren wahren Gegner abzukaufen und den Protest zu lähmen. Das leistet der Text objektiv. Wie sich die Friedenskreise und die Manifest-Autoren subjektiv ihre SPD-Mitgliedschaft mit den vorgetragenen Klagen zusammenreimen, ist dabei wohl jedem Einzelnen überlassen. Aufhellung depressiver Endzeitstimmung? Träumen von alten Zeiten? Tja, „als Willy Brandt noch Bundeskanzler war, hatte Mutti noch goldenes Haar“, wie Funny von Dannen sang. Was hier zu Wort kommt, ist aber noch nicht einmal das ernsthafte, gegen jeden Realismus gefeite Bestehen auf einem Idealismus der kontinentalen Versöhnung. So etwas gibt es ja, z.B. im Europaidealismus von Ulrike Guérot, die den Mut aufbringt, auf ihrem Standpunkt zu beharren, womit sie in ihrem Lager einen Bruch vollzogen hat und das auch zu spüren bekommt.

Mutig, oppositionell, anklagend, mobilisierend ist das SPD-Papier, das sich großsprecherisch Manifest nennt, in keiner Weise. Es ist eine Ansammlung von Appellen, Klagen, Auslassungen und moralischer Nebelwerferei, die von einem solchen Opportunismus durchdrungen ist, dass man nicht weiß, ob man sich mehr über die Naivität der Verfasser/innen oder über ihre Heuchelei wundern soll. Es ist eine beschwichtigende Anpassung an jene Staatsmacht, deren Kriege man vorgeblich „vermeiden“ will, während man den Weg dorthin faktisch durch das Papier noch legitimiert. Das Ganze noch garniert mit der konsequenzlosen Erwähnung maximal kritikwürdiger Ereignisse wie etwa die Nicht-Umsetzung der Minsker Abkommen oder die Rolle Israels im Gazakrieg. Dafür keine Selbstkritik, kein Eingeständnis der historischen und politischen Verantwortlichkeit gerade der SPD – stattdessen wird durch das Schweigen selbst legitimiert, was eine entschiedene Absage verdient hätte.

Genauer gesagt: Auf Mobilisierung ist das Manifest wohl doch berechnet, nämlich von Wählerstimmen. Es ist wohl derselbe Fall wie bei der grünen Jugend, wozu Ole Nymoen jüngst bei Jacobin seinen Kommentar „Nein, die Grünen haben nicht plötzlich ihr Gewissen wiederentdeckt“ veröffentlichte. SPD-Miglieder entdecken Notwendigkeiten des Stimmenfangs. Ist man abgewählt oder – wie die SPD – eine Partei im Niedergang, muss man sich eben wieder um neue Wählerschichten oder verloren gegangene Stammwähler kümmern, mal alte Ideale aufwärmen, sich bei mal „progressiven“ Jungwählern interessant machen, überhaupt eigene Duftmarken setzen.

Für dieses trostlose Geschäft kann man dann auch abgehalfterte oder abgemeldete Parteipolitiker brauchen. Und davon soll man sich angesprochen fühlen? Das sollen oppositionelle Stimmen in Gewerkschaftskreisen unterstützen? Da können wir nur NEIN! sagen.

Aber kommt es darauf an?

Auf die parteiinternen Probleme von Mitglieder- und Profilschwund wird wohl kaum jemand in der Friedensbewegung etwas geben. Aber immerhin – wird der eine oder die andere sagen –, es kommt etwas in Gang, vielleicht beginnt ein Umdenken, einige SPD-Funktionäre und, nicht zu vergessen, Funktionärinnen kriegen kalte Füße und erkennen den Ernst der Lage, vielleicht erschrecken sie über das eigene Handeln. Also: Das könnte doch der Anfang einer Wende sein! Nur, wenn dem so wäre, dann müssten sich diese Stimmen gegen den Kurs der Partei wenden – was sie, wie dargelegt, nicht tun. Sie ergänzen den offiziellen Kurs der Partei (plus der schwarzroten Koalition) um einige Bedenken, in der Hauptsache aber um Ideale, die sich nahtlos in das deutsche Aufrüstungs- und Aufbruchsprojekt einfügen.

Ein hier zu erwartender Standard-Einwand wird sicher auch lauten: „Die SPD-Friedenskreise stehen schwach in der Partei da. Ihr Papier ist vorsichtig gehalten, enthält dennoch richtige Ansätze. Wir müssen diese unterstützen, um die Friedenskräfte in der SPD zu stärken.“ Man muss schon sagen, das ist der klassische Opportunismus. Als ob man seine Stimme gegen Kriegsvorbereitung und -ertüchtigung nicht klar und deutlich erheben könnte, weil man in der Minderheit ist. Nach dieser Logik soll man nur fordern, was gerade opportun ist! Solchen und ähnlichen Versuchen, auf verunsicherte SPD-Mitglieder (deren persönlicher Betroffenheit gar nicht in Abrede gestellt werden soll) Rücksicht zu nehmen, ist klar entgegenzuhalten:

Die Schwäche der Friedenskreise belegt nicht die Pflicht sie zu unterstützen, sondern eher ihre Bedeutungslosigkeit.

Wer die eigene Parteiführung nicht offen angreift, wird auch künftig nichts verändern. Denn die vermeintlich „richtigen Ansätze“ sind in Wahrheit Nebelkerzen.

Solange die eigene Parteiverantwortung für Kriege nicht benannt wird und Widerspruch erfährt, dienen solche Papiere objektiv der moralischen Entlastung der Kriegstreiber. Kooperation bedeutet dann in Wahrheit: das Aufgeben der eigenen politischen Politik- und Urteilsfähigkeit.

Wer sich jetzt – aus welchen Erwägungen auch immer – um Bündnisse mit solchen pseudooppositionellen Kräften bemüht und Abstriche an der eigenen Position macht, untergräbt die notwendige Fokussierung und konsequente Kriegsgegnerschaft der Friedensbewegung.

Bündnisse mit SPD-Friedenskreisen schwächen (und stärken nicht) die anstehenden Klärungsprozesse im breiten Spektrum des Antikriegsprotests, der trotz aller Unterschiede sich darin einig ist: Gegen die, die das Leitbild „Kriegstüchtigkeit“ verordnen, muss man sich wenden.

Der Feind steht nicht „irgendwo da draußen“, sondern sitzt im eigenen Regierungslager. Oder zugespitzt mit Marx: „Man kann nicht einerseits die Ursache erkennen und andererseits die Komplizen dieser Ursache schonen.“

 

 

 

 

 

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