Das BAG und die „Rühreitheorie“ – Schadensersatzzahlungen schränken die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften weiter ein

Zoonarwww.BilderBox.com Gerichtshamme4rDas Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Gewerkschaft für Flugsicherung (GdF) zum Schadensersatz verurteilt, weil der mehrtägige Streik im Februar 2012 rechtswidrig gewesen sei, da einzelne Forderungen der Gewerkschaft noch der Friedenspflicht unterlegen hätten. Für die Zulässigkeit eines gewerkschaftlichen Streiks müsste aber nach Meinung der Richter die Friedenspflicht bei allen Punkten einer Forderung abgelaufen sein.

Die Schadensersatzforderung soll rund 9 Millionen Euro betragen. Eine direkte Verurteilung in dieser Höhe hat es bisher nicht gegeben.

Hier wurde das in anderen westeuropäischen Ländern völlig unbekannte Mittel des Schadensersatzes genutzt, um die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen erneut massiv einzuschränken.

Das Urteil des BAG (Urteil 1 AZR 160/14) vom 26. Juli 2016 hat mächtigen Wirbel ausgelöst, da es hier nicht nur um einen Konflikt einer kleinen Spartengewerkschaft mit ehrenamtlichen Mitarbeitern geht, sondern der Richterspruch betrifft alle Gewerkschaften, die vorsichtiger agieren werden, um das finanzielle Risiko möglichst gering zu halten. Auf der anderen Seite werden die Konzerne ermuntert, zukünftig vermehrt zu versuchen, mit juristischen Mitteln gegen Streiks vorzugehen.

Bei dem entschiedenen Streit ging es um Streikmaßnahmen im Jahr 2012 am Frankfurter Flughafen, durch die die GdF einen besseren Tarifvertrag durchsetzen wollte. Die GdF vertritt rund 4.000 Fluglotsen, Vorfeldlotsen und Mitarbeiter in der Verkehrszentrale, die die Flugzeuge beim Ein- und Ausparken einweisen.

Dem damaligen Streik waren lange Verhandlungen vorausgegangen, die schließlich zum Schlichtungsverfahren führten. Der Schlichter machte einen Vermittlungsvorschlag, der auch zwei Regelungen aus dem nicht gekündigten Teil des umstrittenen Tarifvertrags enthielt. Die Arbeitgeberseite lehnte den Vorschlag ab, die Gewerkschaft akzeptierte ihn. Die GdF proklamierte ihn anschließend sogar als Streikziel, ohne daran zu denken, dass in dem Paket auch zwei Punkte waren, für die noch die Friedenspflicht galt. Für das BAG reichte das aus, um den ganzen Streik für rechtswidrig zu erklären.

So etwas bezeichnet man als „Rührei-Theorie“, ein verdorbenes Ei macht das ganze Omelett ungenießbar.

Das ungenießbare Omelett soll die GdF mehr als neun Millionen Schadenersatz kosten. Die beteiligten Unternehmen Lufthansa, Air Berlin und der Flughafenbetreiber Fraport sahen sich durch die Streiks in ihrem „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ unmittelbar verletzt. Auch die Teilkündigung des alten Tarifvertrages durch die GdF sei unwirksam gewesen und die Gewerkschaft habe damit die Friedenspflicht verletzt.

Bei den immer umfangreicher und komplizierter gewordenen Tarifwerken kann es immer wieder vorkommen, dass übersehen wird, ob etwas darin steht was mit den aktuellen Forderungen zusammenhängt oder sogar mit ihnen identisch ist.

Früher hatte das BAG ausgeführt, dass bei untergeordneten Fragen die Rührei-Theorie nicht gelte und immer zwischen Haupt- und Nebenforderungen unterschieden. Nun aber wurde geurteilt, dass jede, auch unbedeutende Forderung bei Verletzung der Friedenspflicht zu einem rechtswidrigen Streik führen kann.

In der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung die Zulässigkeit gewerkschaftlicher Streiks als zunehmendes Kampfmittel etwa bei Warnstreiks, Solidaritätsstreiks und Flash-Mob-Aktionen gewährt und toleriert. Nun nutzt sie das in anderen westeuropäischen Ländern völlig unbekannte Mittel des Schadensersatzes, um die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen massiv zu beschneiden.

Viele Gewerkschafter sehen das Urteil des BAG als einen frontalen Angriff auf das in Deutschland sowieso nicht sehr umfassende Streikrecht, als eine massive Drohung an die Gewerkschaften, die wegen jeder Kleinigkeit plötzlich für Schäden in Millionenhöhe aufkommen müssen und sie nicht mehr frei in der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen sind.

Jetzt muss die GdF auch von den großen Gewerkschaften ermuntert und unterstützt werden, die Auseinandersetzung auch auf anderen Ebenen weiterzuführen.

 

 

Quellen: Wolfgang Däubler, BAG

Bild: dgb rechtsschutz