Wenn jemand den Begriff Verkommenheit auf Menschen anwendet, sollte er umsichtig mit dieser Wortwahl bzw. Charakterisierung umgehen, denn mit Verkommenheit ist die Beschreibung des moralischen Verfalls oder auch ein Zustand der Verwahrlosung einer Person gemeint.
In unserem Fall soll der Begriff Verkommenheit dennoch auf den amtierenden Bundesminister der Verteidigung angewandt werden. Hier soll es nicht um den früheren Oberbürgermeister der „Friedensstadt Osnabrück“, auch nicht um den schneidigen Innenpolitiker der SPD und Innenminister von Niedersachsen gehen, sondern um Statements, die er in seiner jetzigen Funktion als Bundesverteidigungsminister abgeliefert hat.
Vor 56 Jahren, am 22. Oktober 1969, wurde zum ersten Mal in der Bundesrepublik ein Sozialdemokrat als Verteidigungsminister vereidigt.
Viele Mitglieder der SPD hatten große Bauchschmerzen damit und einige sahen darin sogar einen Tabubruch, dass ihr Genosse Helmut Schmidt das Amt des Bundesverteidigungsministers antrat. Helmut Schmidt war jemand, der das Kriegshandwerk von der Pike auf gelernt hatte, war von August 1941 bis Januar 1942 als Frontsoldat an dem blutigen Überfall auf die Sowjetunion beteiligt.
Für seine Kriegsleistung erhielt er dort das Eiserne Kreuz 2. Klasse und wird Zeuge, wie der deutsche Vorstoß vor Moskau und in Leningrad scheitert, nachdem Hitler den Oberbefehl über die Armee übernommen hatte. Helmut Schmidt sagte später, dass dieses Scheitern bei ihm zu einem „Knacks im persönlichen Vertrauen zum Führer“ geführt habe. Er machte aber weiter wie bisher, befördert zum Oberleutnant, kommandierte er ab Dezember 1944 eine Flakbatterie an der Westfront und geriet fünf Monate später in britische Kriegsgefangenschaft.
Dieser Lebenslauf, so meinte damals die Mehrheit der Bevölkerung, würde auch einen Sozialdemokraten qualifizieren, in der Bundesrepublik ein erfolgreicher Bundesminister der Verteidigung zu sein.
Die Sozialdemokraten konnten mittlerweile das Amt mit Boris Pistorius zum sechsten Mal besetzen.
2023
Anfang 2023 wurde von der Ampelkoalition eine neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ vorgelegt, in der Russland als „größte Bedrohung“ und China als „systemischer Rivale“ definiert werden. Das Papier ist geprägt von einer geopolitischen Einteilung der Welt in „westliche Verbündete“ und „systemische Rivalen“. Auf der Grundlage dieser Sicherheitspolitik werden die zahlreichen „Werte und Interessen“ von Deutschland und seinen Partnern genannt. Die „Förderung von Frieden und Stabilität“ sowie der „nachhaltige Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ stehen dabei in der Rangordnung erst deutlich hinter der „Festigung der transatlantischen Allianz“ und dem „Wohlstand“.
Friedenspolitische Gruppen und Organisationen haben die Nationale Sicherheitsstrategie scharf kritisiert. Der überstarke Fokus auf Rüstung und Militär wird ihrer Meinung nach den vielfältigen Herausforderungen nicht gerecht. Unterschiedliche Sicherheitsinteressen – etwa die Sicherheit der Menschen im Globalen Süden – würden viel zu wenig Beachtung finden. Sie kritisieren auch, dass der Frieden in der Strategie eine völlig untergeordnete Rolle spiele und würde hauptsächlich auf die Wehrhaftigkeit reduziert. Aufrüstung, eine Stärkung der Rüstungsindustrie und geopolitische Ziele würden jedoch keinen Frieden schaffen.
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Boris Pistorius wurde am 19. Januar 2023 zum Verteidigungsminister ernannt und vereidigt.
- An dem Tag sagte er: „Es geht jetzt darum, die Bundeswehr jetzt und schnell stark zu machen. Es geht um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit“. Quelle: FAZ 19.01.2023
- In Litauen betonte er: „Wir stehen fest an der Seite unserer Verbündeten. Unser Engagement in Litauen ist gelebte Bündnissolidarität. Deutschland leistet mit seinen Partnern in Litauen einen wichtigen Beitrag zur glaubwürdigen Abschreckung an der Ostflanke“. Quelle: Verteidigungsministerium 07.03.2023
- Als erste deutsche Leopard-Panzer in der Ukraine eintrafen, sagte er: „Unsere Panzer sind wie versprochen pünktlich in den Händen unserer ukrainischen Freunde angekommen. Ich bin mir sicher, dass sie an der Front Entscheidendes leisten können!“ Quelle: MDR 27.03.2023
- Er zweifelte, ob eine Wehrpflicht zunächst hilfreich sei: „Die Herausforderung besteht darin, in kleiner werdenden Jahrgängen von jungen Menschen die Attraktivität so darzustellen, dass alle verstehen: Diese Bundeswehr ist ein großartiger Arbeitgeber“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 17.06.2023
- Zu Litauen noch einmal: „Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren“. Quelle: N-Tv – 26.06.2023
- In der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ drängte der SPD-Politiker am Sonntagabend auf`s Tempo bei der Modernisierung der Bundeswehr: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen“. Quelle: FAZ 30.10.2023
- Deutschland müsste in der Lage sein, sich zu verteidigen. Auf der Bundeswehrtagung 2023 erklärte Boris Pistorius: „Die Zeitenwende war und ist ein Wendepunkt für unsere gesamte Gesellschaft“. Quelle: Bundeswehr 10.11.2023
- Und noch einmal zur Kriegstüchtigkeit: „Wir müssen kriegstüchtig werden. Ich weiß, das klingt hart“. Quelle: FreiePresse 27.12.2023
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2024
Nach der Bundestagswahl Anfang 2024 brachte die designierte Bundesregierung aus CDU/ CSU und SPD gemeinsam mit den endgültig kriegsgewandelten Grünen zwei Sondervermögen durch den alten Bundestag. Das eine ist ein „Infrastrukturprogramm“ in Höhe von 500 Milliarden Euro, die auch nach militärischen Kriterien vergeben werden sollen. Zentraler Punkt sind dabei auch Infrastrukturmaßnahmen für einen Aufmarsch nach Osten.
Das erneute Sondervermögen für die Bundeswehr, eigentlich für die Rüstungsindustrie, ist nach oben offen. Friedrich Merz’ Aussage „Whatever it takes“ heißt konkret, dass Verteidigungsministerium und Bundeswehr alle gewünschten Ausgaben in die nächsten Haushalte bekommen. Dementsprechend soll der eigentliche Verteidigungshaushalt nach Finanzplan folgendermaßen steigen: 2025: 62,4, 2026: 82,7, 2027: 93,3, 2028: 136,5 und 2029: 152,8 Milliarden Euro.
Im Laufe des Jahres ließ er verlauten:
- Deutschland lieferte der Ukraine erstmals Militärhubschrauber. „Der Sea King ist ein bewährter und robuster Hubschrauber, der den Ukrainern in vielen Bereichen helfen wird: bei der Aufklärung über dem Schwarzen Meer bis hin zum Transport von Soldaten. Es ist die erste deutsche Lieferung dieser Art“. Quelle: FreiePresse 23.01.2024
- „Wir haben die Zusage des Kanzlers, dass wir bis in die 2030er-Jahre hinein mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung investieren“. Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) 26.01.2024
- Deutschland und Frankreich einigten sich auf ein gemeinsames Panzer-Projekt. „Das ist mehr als ein Meilenstein, das ist ein historischer Moment“. Quelle: N-Tv 22.03.2024
- „Wir gehen davon aus – das ist aber auch nur eine Daumengröße, um es klar zu sagen – dass wir rund 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr brauchen als heute. Und gleichzeitig wird sich die Frage natürlich stellen: Reicht der neue Wehrdienst aus über die nächsten Jahre?“ Quelle: SZ 15.05.2024
- Am 5. Juni 2024 ließ Boris Pistorius bei einer Befragung der Bundesregierung im Bundestag verlauten „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“ und hat Russland als Bedrohung nicht nur für Georgien und Moldawien, sondern „letztlich auch für die Nato“ bezeichnet. Die Ukraine müsste deshalb weiterhin unterstützt werden. „Ein Einbruch unserer Unterstützung hätte fatale Folgen.“
- Tag der Bundeswehr: Kriegstüchtig bis 2029. „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“. Quelle: Junge Welt 07.06.2024
- Deutsches Kriegsschiff durchquerte Meerenge zwischen China und Taiwan. „Es sind internationale Gewässer, also fahren wir durch“. Quelle: Focus Online 31.08.2024
- US-Wahl: Paris und Berlin wollten die Verteidigung Europas stärken. „Wir müssen unsere Souveränität und Geschlossenheit stärken und Egoismen zurückstellen“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 06.11.2024
Grundsatzvereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundesagentur für Arbeit (BA)
Im November 2024 wurde eine neue Grundsatzvereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und der BA mit dem Titel „Gemeinsam für eine starke Bundeswehr: Die Zeitenwende personell gestalten“ getroffen. Demnach soll die BA in ihrer Beratung „Interessierten“ künftig sämtliche Berufsfelder der Bundeswehr präsentieren.
Den Vertrag unterzeichneten Minister Pistorius und die BA-Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles. Dem Inhalt nach sollen „soldatische Aufgaben als berufliche Perspektive gezeigt werden“, erklärte Pistorius. Die Vereinbarung stütze sich auf die „guten Erfahrungen der bisherigen Kooperation“, insbesondere im Bereich der zivilen Personalgewinnung und der zivilberuflichen Eingliederung.
Im Fokus der neuen Vereinbarung steht nun aber besonders die Unterstützung der militärischen Personalgewinnung zur „Ertüchtigung der Streitkräfte im Geiste der ›Zeitenwende‹ durch die BA“. Vor allem geht es darum, den von Pistorius geplanten „Aufwuchs“ bei der Truppenstärke um gut 20.000 Personen „zeitgerecht“ zu bewerkstelligen.
BA und Bundeswehr wollen mit der neuen Vereinbarung „weiterhin im wichtigen Bereich der beruflichen Qualifizierung und Eingliederung der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit in den Arbeitsmarkt“ kooperieren und so „zielgerichtet auch den Fachkräftebedarf“ der Wirtschaft decken.
Explizit sollen von der BA laut der Vereinbarung „arbeitsuchende und arbeitslose Bewerbende auf offene militärische und zivile Stellen der Bundeswehr“ vermittelt werden.
Parallel dazu soll die Beratung der BA für „einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten nach dem Ende des aktiven Dienstes mit dem Ziel der beruflichen Integration“ verbessert werden.
Insgesamt gesehen soll die Intensivierung der Zusammenarbeit „ein Ergebnis der grundlegend veränderten Sicherheitslage in Europa in Folge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine“ sein, teilt das BMVg mit.
Die Bundeswehr soll als „Garant für die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Kontext von Nato und EU“ zur Verteidigung „auf deutschem Hoheitsgebiet“ wie auch „im Bündnisgebiet“ in der Lage sein. Aus diesem Kernauftrag leite sich der Bedarf an militärischem und zivilem Personal ab, so die Grundsatzvereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundesagentur für Arbeit.
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- Seekabel C-Lion1 von Finnland nach Deutschland durchtrennt. „Wir müssen auch davon ausgehen, dass es sich um Sabotage handelt“. Quelle: Golem – Hetzner Online 18.11.2024
- Bei Waffenstillstand: Pistorius schließt Bundeswehr in der Ukraine nicht aus. „Aber klar ist wohl: Deutschland könnte als größtes Nato-Land in Europa und größte Volkswirtschaft in Europa nicht unbeteiligt an der Seite stehen“. Quelle: N-Tv 21.12.2024
- Rüstungskooperation. „Wir brauchen die U-Boote, weil die maritime Bedrohungslage das zwingend erfordert“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 02.12.2024
- Pistorius: Jugendoffiziere sind Teil des Bildungsangebotes. „Die Aufgabe der Jugendoffizierinnen und Jugendoffiziere sollte Teil des Bildungsangebots sein. Ich würde mir daher wünschen, dass sie uneingeschränkt in Schulen eingeladen werden, gerne gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 07.12.2024
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2025
Während der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2025 nominierte die SPD am 5. Mai 2025 Boris Pistorius als Verteidigungsminister für das Kabinett Merz. Er wurde am 6. Mai 2025 vereidigt und blieb somit als einziger Minister der Ampelkoalition im Amt.
- Kommt jetzt die Wehrerfassung? „Der Hauptzweck meines Vorhabens ist der Wiedereinstieg in die Wehrerfassung. Denn wenn morgen der Verteidigungsfall einträte, wüssten wir weder wer im wehrfähigen Alter ist, noch wie viele ehemalige Soldaten wir mobilisieren könnten“. Quelle: Braunschweiger Zeitung 28.02.2025
- Neue Nato-Pläne: Deutschland braucht 60.000 Soldaten mehr. „Der deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung erfordert langfristig einen Verteidigungsumfang von insgesamt rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Ein großer Teil davon, nämlich rund 260.000, muss aus der Reserve aufwachsen können“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 05.06.2025
- Mit einem als „Manifest“ bezeichneten Grundsatzpapier fordern etliche prominente SPD-Politiker eine sofortige Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung“. Quelle: Focus Online 11.06.2025
- Auslastung der ukrainischen Rüstungsindustrie. „Und zweitens werden wir Geld zur Verfügung stellen, damit die ukrainische Regierung, die ukrainischen Streitkräfte Material kaufen können, bei der ukrainischen Rüstungsindustrie, deren Kapazitäten dadurch besser ausgelastet werden können“. Quelle: Focus Online 12.06.2025
- „Das setzt ein klares Zeichen aus Moskau: Es gibt kein Interesse an einer friedlichen Lösung derzeit, sondern es werden mit unverminderter Härte und vor allen Dingen auch wieder zunehmend zivile Bereiche in der Ukraine angegriffen“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 12.06.2025
Im Juni 2025 wurde bekannt, dass die Anforderungen der NATO an die Truppengröße der Bundeswehr zahlenmäßig erheblich höher liegen als bislang gedacht. Die Bundeswehr soll nun auf 260.000 (statt aktuell 180-190.000) aktive Kampfkräfte und die Reserve von 100.000 auf 200.000 Menschen anwachsen. Deshalb wurden offensichtlich die Zwangsschrauben im neuen Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) auch schon vor der möglichen Wiedereinführung der alten Wehrpflicht verschärft angezogen. So verabschiedete Ende August 2025 das Bundeskabinett das von Boris Pistorius auf den Weg gebrachte Gesetz.
- „Bis 2031 müssen und wollen wir deutlich über 20 Milliarden Euro in Munition investieren“. Quelle: N-Tv 24.07.2023
- „Wir härten unsere Systeme gegen Störungen und Angriffe. Das schließt ganz ausdrücklich die Cybersicherheit für alle Weltraumsysteme ein. Auch im Weltraum müssen wir abschrecken können, um verteidigungsfähig zu sein“ Quelle: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) 22.09.2025
- Drohnen. „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im kompletten Frieden. Wir werden attackiert, hybrid, mit Desinformationskampagnen und eben durch Drohneneindringen“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 25.09.2025
- „Verteidigungsfähigkeit in Deutschland heißt starke Rüstungsindustrie und das heißt: möglichst in allen Regionen Deutschland“. Quelle: Die Welt 25.09.2025
- Konflikte im Weltall: 35 Milliarden für deutsche „Sicherheitsarchitektur“ im All. „Bei unseren Gebirgsjägern in der Bundeswehr gilt der Satz: Wer die Höhen hat, der kontrolliert auch die Täler. Würden wir die Situation im Weltraum heute auf eine Landkarte legen, wäre eines sehr schnell offensichtlich: Russland und China besetzen bereits wichtige strategische Hügel und Berge im All“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 25.09.2025
- „Putin will uns, Putin will die Nato-Mitgliedstaaten provozieren und er will vermeintliche Schwachstellen im Nato-Bündnis identifizieren, offenlegen und ausnutzen“. Quelle: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) 29.09.2025
- Drohnen-Zwischenfälle. „Wir sind uns total einig darüber, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um eben auch in Ostdeutschland die Standorte für Rüstungsindustrie auszubauen“. Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 05.10.2025
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Verstoß gegen eine zentrale Verpflichtung des Zwei-plus-Vier-Vertrages
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat im Oktober 2025 angekündigt, eine tiefgreifende Reform der Bundeswehr auf den Weg zu bringen, die bereits im Frühjahr 2026 greifen soll. Wichtigster Punkt ist die Erhöhung der Truppenstärke auf 460.000 Mann.
Hier folgt Pistorius der Forderung der USA nach einer massiven Aufstockung der Bundeswehr und der Vorgabe von Bundeskanzler Friedrich Merz, die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ zu machen. Wird das umgesetzt, würde Deutschland gegen eine zentrale Verpflichtung des Zwei-plus-Vier-Vertrages verstoßen, der 1990 die Wiedervereinigung absicherte. Ein Teil des Zwei-plus-Vier-Vertrages ist nämlich die Verpflichtungserklärung der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 3 Absatz 2, die wörtlich festhält:
„Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat in vollem Einvernehmen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik am 30. August 1990 in Wien bei den Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa folgende Erklärung abgegeben:
‚Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Streitkräfte des vereinten Deutschland innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370.000 Mann (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu reduzieren‘“.
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- Rüstungsindustrie. „Wir brauchen die Staatsbeteiligungen, davon bin ich fest überzeugt – auch, um sicherzustellen, dass Know-how und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben“. Quelle: Die Zeit 05.10.2025
- Sicherheitspolitik: Boris Pistorius warnt auf Bundeswehrtagung vor Gefahr aus Russland „Unsere Art zu leben, ist in Gefahr“. Quelle: Die Zeit 7.11.2025
- „Cyberangriffe, gezielte Desinformation, hybride Angriffe auf Häfen, Pipelines und Netze sind Vorboten. Russland rüstet sich für einen weiteren Krieg“. Quelle: Bundeswehrtagung 7.11.25
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Kreml attackiert Pistorius – Verteidigungsminister warnt vor russischem Angriff auf ein Nato-Land
Moskau Der Kreml hat erneute Äußerungen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu einem bald möglichen russischen Angriff auf ein Nato-Mitglied zurückgewiesen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: „In Russland gibt es keine Anhänger jedweder Konfrontation mit der Nato“. Der Kreml reagierte damit auf ein Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit Boris Pistorius, in dem dieser meinte, ein Angriff Russlands auf ein Nato-Land im Osten sei 2029 denkbar. „Eine solche militaristische und kriegsbefürwortende Rhetorik ist immer häufiger aus den europäischen Hauptstädten zu hören“, erklärte Peskow. Er betonte auch, dass Russland Schritte ergreife, um seine eigenen Interessen zu schützen.
Zugleich behauptete auch Präsident Wladimir Putin immer wieder, es sei Unsinn, dass Russland ein Nato-Mitglied angreifen wolle. Auch wies das Außenministerium in Moskau die Aussagen von Pistorius zurück – als die eines „Aggressors“.
Pistorius hatte in dem am 15.11.2025 veröffentlichten Interview gesagt, dass Russland nach Wiederherstellung seiner Streitkräfte „in der Lage wäre, einen Angriff auf ein Nato-Mitgliedsland im Osten zu führen. Wir haben immer gesagt, das könnte ab 2029 der Fall sein. Jetzt gibt es allerdings andere, die sagen, dies sei schon ab 2028 denkbar, und manche Militärhistoriker meinen sogar, wir hätten schon den letzten Sommer im Frieden gehabt.“ Russland weist solche Warnungen immer wieder zurück. Pistorius sagte auch, dass die Nato sich wehren könne. „Sie hat ein beachtliches Abschreckungspotenzial. Konventionell, aber natürlich auch nuklear.“ Quelle: dpa 17.11.2025
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„Einer muß der Bluthund werden“
Die Namen Pistorius und Noske beziehen sich auf zwei verschiedene Personen aus der Politik, die oft nebeneinander genannt werden, um eine Parallele in der Rolle von Boris Pistorius als Verteidigungsminister und dem früheren sozialdemokratischen Politiker Gustav Noske zu ziehen. Gustav Noske war der erste Reichswehrminister der Weimarer Republik und wird für den brutalen Einsatz von Militär und Paramilitärs gegen die Spartakusaufstände im Jahr 1919 kritisiert.
Zur Jahreswende 1918/19 trennten sich von der SPD unter anderen die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) und der Spartakusbund, aus dem die von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründete KPD hervorging.
Die USPD und der Spartakusbund wollten grundlegend andere Verhältnisse, in ihnen organisierten sich die Arbeiterschaft und die Revolutionäre. Sie wollten mehr Verstaatlichung und eine Entmachtung des Militärs. Die SPD-Führer der „Mehrheitssozialdemokraten“ lehnten eine sozialistische Revolution prinzipiell ab und verbündeten sich mit der kaiserlich-preußischen Soldateska, um revolutionäre Vorstöße zu verhindern. Politisch vertraten sie die reformistische These, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht überwunden, sondern statt dessen verbessert werden müsse und dass ein – wie auch immer gearteter – Sozialismus nur auf parlamentarischem Wege angestrebt werden solle.
Als im November 1918 in Kiel die Matrosen streikten, wurde Gustav Noske mit dem Auftrag dorthin entsandt, „Ordnung zu schaffen“ und eine revolutionäre Erhebung von Arbeitern und Matrosen zu verhindern.
Am 4. Januar 1919 verfügte die preußische Regierung die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD). Ihm wurde vorgeworfen, während der Weihnachtskämpfe 1918 die revolutionären Matrosen unterstützt zu haben. Seine Anhänger aus der USPD und auch der aus dem Spartakusbund hervorgegangenen KPD sowie Revolutionäre Obleute traten daraufhin am 5. Januar in Berlin einen bewaffneten Aufstand los. Der einen Tag später eingesetzte Revolutionsausschuss unter der Leitung von Georg Ledebour (USPD) und Karl Liebknecht (KPD) erklärte den Rat der Volksbeauftragten für abgesetzt und verkündete die Übernahme der Regierungsgeschäfte.
Am 6. Januar1919 übergab der Reichspräsident Friedrich Ebert das Kommando über die Berliner Truppen an Gustav Noske. Der schlug mit dem Militär und gemeinsam mit den brutalen Freikorps den Januaraufstand blutig nieder.
Mehrere hundert „Aufständische“ wurden dabei erschossen. In den darauffolgenden Tagen begann ihre Verfolgung. Im Zuge dieser Verfolgungshetzjagd wurden auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar ermordet.
Im März 1919 brachen die Unruhen wieder los, doch diesmal gingen sie auch über Berlin hinaus. Am 9. März erließ Gustav Noske einen Schießbefehl gegen die Demonstranten, mit der Folge, dass 1.200 Menschen starben.
Am 13. März 1919 sprach Gustav Noske vor der Nationalversammlung. In der Rede verkündete er den Sieg über die „Aufständischen“ und verteidigte sein brutales Vorgehen.
Transkript der Ansprache von Gustav Noske:
„Ich kann mitteilen, dass der Aufstand niedergeschlagen ist! Dazu hat beträchtlich ein Erlass beigetragen, den ich schweren Herzens am 9. abends unterzeichnet habe. Er lautet:
Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.
In höchster Not habe ich mich zu dieser Anordnung entschlossen. Aber ich durfte die Abschlachtung von einzelnen Soldaten nicht weiter dauern lassen. Ich gedenke tief erschüttert und ehrend der wackeren Männer, die in diesen Schreckenstagen für die Ruhe und die Sicherheit im Lande ihr Leben gelassen haben. Grausen muss jeden fühlenden Menschen packen bei der Erinnerung an eine viehische Bestialität, mit der eine Anzahl von Soldaten dahingemordet worden sind. Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer. Ich musste den Versuch machen, dieser Bestialität Einhalt zu tun durch die Androhung härtester Abschreckungsmittel.
Die Ansichten der Juristen über die rechtliche Zulässigkeit der Verfügung gehen auseinander. Ich lasse mich auf juristische Zipfeleien nicht aus. Wenn in den Straßen Berlins Tausende Menschen die Waffen gegen die Regierung führen, Mörder und Plünderer Orgien feiern besteht ein Zustand außerhalb jedes Rechts. Die Staatsnotwendigkeit gebot so zu handeln, dass so rasch wie möglich wieder Ordnung und Sicherheit hergestellt wurden. Getan habe ich, was gegenüber dem Reiche und dem Volke für meine Pflicht gehalten wurde.“
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Für viele Mitglieder der SPD steht die Person Gustav Noske heute noch als Beispiel für einen Parteisoldaten überhaupt, der im „Sinne des Großen und Ganzen“ zur Verkommenheit wechselt und mit Überzeugung dahinter steht, dass er auserkoren ist, „der Bluthund zu werden“.
Diese SPD-Mitglieder denken schnell an Gustav Noske wenn ein SPD-Minister seit mehr vier Jahren permanent zur Kriegstüchtigkeit aufruft, Krieg und Aufrüstung befürwortet, tatkräftig an der Kriegsvorbereitung mitarbeitet, junge Menschen als Kanonenfutter in den Kriegsdienst drängt und scheinbar kein Problem damit hat, wenn Angehörige der Arbeiterklasse auf Angehörige der Arbeiterklasse schießen.
PS: Von Beginn seiner Amtszeit als Verteidigungsminister, kam Boris Pistorius in Umfragen auf die höchsten Beliebtheitswerte, die ihm die Bezeichnung „beliebtester Politiker Deutschlands“ einbrachten. Das sagt unglaublich viel über den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft aus.
Quellen: jeweilige Tagespresse, VVN-BdA, taz-berlin, Süddeutsche Zeitung, der Freitag, Sebastian Haffner-Geschichte der SPD, Wilma Ruth Albrecht, Junge Welt Bild: wiki commons cco