Der Envio-PCB-Skandal – aktuelle Fragen acht Jahre nach der öffentlichen Aufdeckung

Von Wiebke Claussen

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie über den Stand des Envio-Skandals informieren und Sie aufrufen, sich als Betroffene und Hafennachbarn für unsere gemeinsamen Forderungen bei Politik und Verwaltung einsetzen. Nach wie vor aktuell sind die Forderungen nach
1. einer nachhaltigen Sanierung der PCB-verseuchten Anlagen und Böden, die endlich und ordentlich zu Ende geführt werden muss, 2. Identifizierung etwaiger weiterer PCB-Emittenten im Hafen und die Verordnung entsprechender Maßnahmen und 3. perspektivisch einer vorsorgeorientierten, sozial-, umwelt- und nachbarschaftsverträglichen Gewerbe- und Industrieflächenentwicklung im Dortmunder Hafen.
Wer sind „wir“? Wir nehmen den Envio-Skandal nicht unwidersprochen hin. Deshalb engagieren wir uns als Mitglieder der „Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund“ (www.pcbskandal.de) seit 2010.
Hier einige Ausführungen, warum diese Ziele leider auch acht Jahre nach der öffentlichen Aufdeckung des Skandals immer noch aktuell sind und das Engagement aller Betroffenen benötigt.

(1) Zur Umsetzung des Sanierungsabschnittes

Nach mehr als sieben Jahren nach öffentlicher Aufdeckung des Envio-Skandals sind Flächen und Anlagen immer noch nicht vollständig saniert. Der letzte und bedenklichste Sanierungsabschnitt, der Abriss der hochgradig PCB-verseuchten Gebäude und Freiflächen stehen noch aus und verzögern sich nach Darstellung der Bezirksregierung Arnsberg (siehe die Email Antwort in der Anlage 2 unten) gerade mal wieder wegen technischer Probleme und noch nicht bewilligter Mittel des NRW Innenministeriums.
 Wann wird die Sanierung mit der gebotenen Vorsicht durchgeführt und endlich abgeschlossen?

(2) Weiterer PCB-Emittent vermutet

Im letzten Messprotokoll (April/Mai 2017) siehe Anlage 1 unten) von drei Messpunkten am und im Hafen äußerte die Umweltbehörde LANUV erneut die Vermutung einer weiteren PCB-emittierenden Quelle, die jetzt gesucht werden soll. Schon in 2010 war die Rede von weiteren Emittenten. Nach 2010 wurden diverse Maßnahmen angeordnet, um die PCB-Messwerte auf dem Gelände des Schrottverwerters Interseroh zu reduzieren, mit nur bedingtem Erfolg und bis zum Wegzug von Interseroh.
Den Bewohnern der Nordstadt, Anliegern und Firmenmitarbeitern im Hafen, den Besuchern des Fredenbaumparks, den Nutzern des Hafens, den Patienten und Mitarbeitern der Unfallklinik und anderen wird seit bald 10 Jahren zugemutet, neben einer mehr oder weniger offen abwehenden Giftmülldeponie zu leben und zu werken. Aufgrund hoher Fluktuation, pro Jahr wird 1/3 der Bewohnerschaft statistisch „ausgetauscht“, ist der Envio-Skandal längst kein Thema mehr in der
öffentlichen Wahrnehmung. Auf dem Kneipenschiff „Herr Walter“ chillen Nordstadtbesucher unbeschwert am Wasser – in Sichtweite des Giftmüllgrabs. Die Kleingärtner ernten ihre Gartenfrüchte und halten die negative Verzehrsempfehlung des LANUV für Grünkohl für mehr oder weniger übertrieben. Hafen AG und Wirtschaftsförderung arbeiten eifrig an der Imageaufwertung des Hafens zum Produktions- und Bürostandort, in der Altlasten nur stören. Der Freundeskreis des Fredenbaumparks hat sich nie offen zum Envio-Skandal geäußert.
 Wir erwarten, dass endlich mit Hochdruck andere PCB-Emittenten ermittelt und entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung der PCB-Quellen umgesetzt werden.

(3) Sozial-, umwelt- und nachbarschaftsverträglichen Industrie- und Gewerbeflächenentwicklung im Dortmunder Hafen

Der vorherige Punkt zeigt, dass für die künftige Entwicklung des Stadtteils ist eine vorsorgeorientierte, sozial-, umwelt- und nachbarschaftsverträglichen Industrie- und Gewerbeflächenentwicklung im Dortmunder Hafen zu fordern ist. Mit Blick die angekündigten neuerlichen Deregulierung der neuen gelb schwarzen Landesregierung wird diese Forderung umso dringlicher. Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelb Landesregierung (https://www.cdu-nrw.de/sites/default/files/media/docs/vertrag_nrw-koalition_2017.pdf) werden zahlreiche Deregulierung angekündigt:
• Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt und gestrafft werden (S. 33, 48), • auf Bundesebene wolle man sich dafür einsetzen, dass bei der Neuansiedlung gewerblicher oder industrieller Unternehmen auf bisher entsprechend genutzten Flächen diese immissionsschutzrechtlich der Vornutzung gleichgestellt werden (S. 36, 85), • Verbandsklage- und Beteiligungsrechte, die nicht zwingend durch EU- oder Bundesrecht vorgeschrieben sind, sollen abgeschafft werden (S. 33-f), • die von rot-grün Vorgängerregierung eingeführte Veröffentlichung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren im Internet sollen wieder rückgängig gemacht werden (S. 39). Wann wird die Forderung der „Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund“ nach einem, sozial- umwelt- und nachbarschaftsverträglichen Industrie- und Gewerbeflächenentwicklung umgesetzt?
Wie gedenkt die neue Landesregierung zu tun, um das Vorsorge- und Verursacherprinzip zu stärken und solche Umweltskandale künftig zu vermeiden?

Wiebke Clausen ist Sprecherin der Bürgerinitiative PCB-Skandal

weitere Infos: www.pcb-skandal.de und
 file:///C:/Users/Admin/Downloads/Flyer%20aktuell_2017.pdf

Bild: der westen.de

Anlagen:

Anlage 1: Email vom 21.7.2017 der Stadt Dortmund – Wirtschaftsförderung Dortmund An die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Muliplikatorenrunde

Sehr geehrte Damen und Herren,
im Folgenden möchte ich Ihnen die Ergebnisse der Depositionsmessungen (Staubniederschlagsmessungen) und Außenluftmessungen vom 17.07.2017 sowie die Übersicht der Windrichtungsverteilung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) vom 18.07.2017 im Bereich des Dortmunder Hafens zur Kenntnis geben.
(See attached file: 20170717-lanuv-DO-Hafen PCB-PCDD-Dep-Luft.pdf)(See attached file: 20170717-lanuv-DMD2_WR-Verteilung_2017-05.pdf)

Die Bezirksregierung Arnsberg teilt uns hierzu mit:
„PCB im Dortmunder Hafen – PCDD/PCDF- und PCB-Depositionsmessungen sowie Luftkonzentrationsmessungen des LANUV im April und Mai 2017

Das LANUV hat den Messbericht vom 17.07.2017 über die Belastung des Staubniederschlages (Deposition) und der Außenluft (Schadstoffaufnahme über die Lunge) durch Dioxine, Furane und PCB sowie die Windrichtungsverteilung im Bereich des Dortmunder Hafens in den Monaten April und Mai 2017 vorgelegt. Die Daten der vorherigen Monate und die Mittelwerte der Vorjahre wurden ergänzend mit aufgenommen.

Die Ergebnisse der Depositionsmessungen liegen am Messpunkt Fredenbaumpark innerhalb der normalen Schwankungsbreite der bisher ermittelten Monatsmittelwerte. Dies trifft auch für die nur am Standort Hafenwiese durchgeführten Außenluftmessungen zu. Am Messpunkt Containerterminal liegt die PCB-Depositionsbelastung im April mit 9,1 µg/(m² x d) deutlich höher als die bisherigen Jahresmittelwerte. Deutlich geringer aber immer noch auffällig ist die Belastung am Messpunkt Hafenwiese (0,34 µg/(m² x d)). Im Mai sinken die Werte auf das übliche Niveau. In Verbindung mit dem im April vorherrschenden West-Süd-West Wind ist eine Emissionsquelle im westlich gelegenen Hafenbereich zu vermuten.
Die gemeinsame Untere Umweltschutzbehörde der Städte Bochum, Dortmund und Hagen wird Überprüfungen zur Ursachenermittlung durchführen.“
Den Bericht des LANUV finden Sie auch auf der Internetseite des LANUV (https://www.lanuv.nrw.de/landesamt/veroeffentlichungen/umweltumweltschaden sfaelle/ereignisse-und-stoerfaelle-in-industrieanlagen/ )unter „PCB im Dortmunder Hafengebiet“.
Sollten Sie Fragen dazu haben, stehe ich Ihnen oder Herr Schmied von der Bezirksregierung Arnsberg (Tel. 02931 / 822 591, E-Mail: joachim.schmied@bezreg-arnsberg.nrw.de) gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag
Angela Schlüter Wirtschaftsförderung Dortmund Eigenbetrieb der Stadt Dortmund Geschäftsbereich Invest Töllnerstraße 9-11 44135 Dortmund Telefon: +49(0)231/ 50 – 2 92 32

Anlage 2: Envio – Fortgang Sanierungsarbeiten Ihre Mail vom 21.8.2017 (s. u.)

Sehr geehrte Frau Claussen,
der nächste Sanierungsschritt hat sich verzögert. Dies hat verschiedene Gründe. Zunächst mussten wir nach Räumung der Hallen 1 und 2 noch umfangreiche PCB-Untersuchungen in den Hallen durchführen lassen. Dies betraf vor allem Bereiche, die vorher für uns nicht (vollständig) zugänglich waren (z. B. Böden, obere Wandbereiche, Decke). Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden dann in die Ausschreibungsunterlagen eingearbeitet. Durch die Hallen 1 und 2 verlaufen Strom- und Fernwärmleitungen, die das direkt benachbarte Bürogebäude versorgen. Vor dem Rückbau der Hallen 1 und 2 muss die Versorgung des Bürogebäudes durch uns sichergestellt werden. Das Gebäude gehört nicht zum Envio-Bereich und wird über ein Untererbpachtrecht verwaltet. Die Vertragsverhandlungen und technischen Planungen waren schwierig, stehen jetzt aber kurz vor dem Abschluss. Letztlich wurden mir bisher noch keine Haushaltsmittel für die weitere Sanierung vom Innenministerium zur Verfügung gestellt. Sobald die Mittel hier zur Verfügung stehen, kann die Ausschreibung durchgeführt werden. Analog zum vorherigen Sanierungsschritt (Räumung des Betriebsgeländes) ist vor Beginn der Sanierungsarbeiten eine Informationsveranstaltung für die Multiplikatoren und die Öffentlichkeit geplant.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag Joachim Schmied
Bezirksregierung Arnsberg Hauptdezernent Dezernat 52 – Abfallwirtschaft 59821 Arnsberg Tel. 02931 822591 joachim.schmied@bra.nrw.de