ÖPP 4: Öffentlich-Private-Partnerschaften – ein abgekartetes Spiel

Von Werner Rügemer

Der Baukonzern Bilfinger, der britische Infrastrukturfonds John Laing und das niedersächsische Bauunternehmen Johann Bunte übernahmen 2008 folgende Aufgabe: Sie erweitern die 72,5 Kilometer Autobahn zwischen Bremen und Hamburg in beiden Richtungen um eine Spur, erneuern die Anlagen und betreiben diesen Autobahnabschnitt bis 2038. Vertraglich wurde auch festgehalten, dass die Investoren dafür während der 30 Jahre Laufzeit einen Anteil an den LKW-Mautgebühren be­kommen – abhängig von der Zahl der LKW-Durchfahrten. Das war und ist das Vertragsmuster von Öffentlich- Privaten-Partnerschaften (ÖPP).

Jetzt verklagen die Investoren des Autobahnabschnitts Bremen-Hamburg den Staat auf 787 Millionen Ausgleichszahlung, weil bisher angeblich 20 Prozent weniger LKWs als „erwartet“ durchgefahren sind, und zwar wegen der Finanzkrise. Die Investoren setzen ein Instrument ein, das zum ÖPP-Standard gehört: Der deutsche Staat hat nämlich gar keinen Vertrag mit Bilfinger, John Laing und Bunte, sondern mit der Projektgesellschaft A 1 mobil GmbH. Und die hat nur ein winziges Haftungskapital von 26.000 Euro. Die Drohung der Investoren: Wenn der Staat nicht zahlt, geht die GmbH Pleite. Einen neuen Vertragspartner zu finden, dauert bei ÖPP zwischen zwei und drei Jahren. In der Zeit würde auf der Autobahn Chaos ausbrechen. Mit der Projektgesellschaft erpressen die Investoren den Staat. Tolle Partnerschaft.

Und wenn die LKW-Transporte wieder steigen?

Die Baukosten während der ersten vier Jahre betrugen 540 Millionen. Hinzu kommen die Betreiberkosten für die gesamte Laufzeit von geschätzt 110 Millionen. Diese zusammengerechnet 650 Millionen Euro sind die Investitionssumme. Dafür sollten die Investoren bis 2038 etwa 1,2 bis 2 Milliarden Euro Mautgebühren einnehmen. Das wäre doch ein gutes Geschäft, selbst wenn die Einnahmen weiterhin um 20 Prozent niedriger ausfallen.

Die verlangte Nachzahlung ist vertragswidrig. Außerdem ist eine Bilanz über Ausgaben und Einnahmen erst nach 30 Jahren möglich. Denn genauso wie wegen einer „Finanzkrise“ die LKW-Transporte zurückgehen können, kann sich ja in den nächsten 20 Jahren der LKW-Transport erhöhen. Die Wirtschaft blüht doch bekanntlich wieder, und wegen immer mehr Internet- und Freihandel steigen auch die LKW-Transporte.

Investoren zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, dass sie kein Geld haben, jedenfalls kein eigenes. Für A 1 mobil nahmen sie 600 Millionen an Krediten auf und wollen 30 Jahre lang Zinsen einnehmen. Je höher die Kredite und je länger die Laufzeit, desto mehr kann erstens der globale Finanzjongleur John Laing verdienen. Seine Gewinne sprudeln. Vom 700- Millionen-Defizit der A 1 mobil GmbH ist er nicht betroffen. Zweitens verdienen die kreditgebenden Banken: Unicredit, Caja Madrid, DZ Bank, DekaBank und Commerzbank. Sie haben die Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht. Der Baukonzern Bilfinger ist ausgeschieden – die Bauarbeiten sind längst abgeschlossen. Also wieder eine staatliche Bankenrettung, diesmal durch die ÖPP-Hintertür?

Über die Nachforderungen wird schon seit 2008 verhandelt

In den geforderten 787 Millionen ist auch ein zweistelliger Millionenbetrag für die Berater enthalten. Auch das sind typische ÖPP-Kosten. Die Verträge im juristischen Fachchinesisch sind extra kompliziert. Die Kanzlei Freshfields – genau die, die nach der Finanzkrise im Auftrag von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) auch die Gesetze zur Bankenrettung schrieb – hat die 36.000 Seiten des A 1 mobil-Vertrags verfasst. Diese Kanzleien wissen, wie man eine Beratung lukrativ in die Länge zieht, weil kein Staatsbeamter etwas von der Sache versteht oder verstehen soll. Die Kanzlei Linklaters hat A 1 mobil seit 2008 mit drei Anwälten bei der „Streitschlichtung“ beraten. So lange wird nämlich schon hinter den Kulissen um die Nachforderungen verhandelt.

Für die Klage haben die Banken eine neue Kanzlei beauftragt: Leinemann & Partner. Außerdem hat sich A 1 mobil seit 2008 für Bank- und Finanzrecht von der Großkanzlei Gleiss Lutz beraten lassen, dann noch von der Unternehmensberatung Ziems & Partner. Unicredit & Co haben sich ebenfalls Rat geholt, bei vier Anwälten der Großkanzlei Allen & Overy. Und außerdem, nicht in der genannten Summe enthalten, kostet die Kanzlei Norton Rose Fulbright einiges: Sie berät seit 2008 gut honoriert und erfolglos das Verkehrsministerium.

Alle drei Bundesregierungen unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt (CSU) haben die Verhandlungen verheimlicht. Sie wollten die noch weitergehende Autobahn-Privatisierung durchboxen. Jetzt steht sie sogar im Grundgesetz. Erst danach gingen die Investoren vor ein öffentliches Gericht. Ein skandalöses, abgekartetes Spiel!

Beraterkosten: mindestens 120 Millionen Euro

A 1 mobil ist das zweitgrößte ÖPP-Projekt in Deutschland. Das größte ist Toll Collect für die LKW-Maut. Der 17.000 Seiten-­Vertrag mit Toll Collect, ebenfalls von Freshfields erstellt, lief 2015 aus. Weil die Investoren Daimler, Telekom und Cofiroute dem Staat aber noch etwa 7 Milliarden Euro schulden, verlängerte die Merkel-­Regierung den Vertrag ohne Ausschreibung. Die Erpressung wirkte auch hier. Beraterkosten für Freshfields & Co: mindestens 120 Millionen Euro.

Eine Spur des teuren Scheiterns

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) täuscht mit seiner „Schwarzen Null“ Sparen vor, während mit den Öffentlich-Privaten-Partnerschaften neue Schulden gemacht und mit der neuen Autobahn-Gesellschaft noch weiter ausgelagert werden sollen. Zudem: Die Maut auch für PKW liegt in der Schublade. Und die Reparaturen bei städtischen Straßen und Schulen, Kanalisationen und Krankenhäusern werden immer wieder aufgeschoben.

Der Bundesrechnungshof hat wiederholt nachgerechnet, dass die ÖPP-Autobahnen für den Staat verlustreich sind. Auch bei anderen Projekten zieht sich seit 2000 eine Spur des teuren Scheiterns durch die überschuldete Republik. Bei der Elbphilharmonie haben sich die Forderungen der Investoren Hochtief und Commerzbank verzehnfacht, bei den 90 Schulen des Landkreises Offenbach „nur“ verdoppelt. Beim Warnow-Tunnel in Rostock haben die Investoren die Laufzeit von 30 auf 50 Jahre verlängert und für Bürger und Touristen die Gebühren mehrfach erhöht. Ähnlich ist es beim Trave-Tunnel in Lübeck.

Kommunale Bäder, Landes-Gefängnisse… überall Insolvenzen, immer wieder Nachforderungen. Was muss denn noch geschehen?

 

Quelle: ver.di publik

Bild: labournet.de