Der Logistikbereich auf der Überholspur: die Arbeitskämpfe nehmen zu, aber Wichtigkeit und Stellenwert innerhalb der Wertschöpfungskette wird in Gewerkschaftskreisen unterschätzt

Ganz still hat sich im Hintergrund der Finanzwirtschaft eine Branche etabliert, ohne die der Online-Versandhandel, die zunehmende Auslagerung und Zergliederung von Produktion und die Auslandseinsätze der Bundeswehr gar nicht möglich wären. Mit dem Fortschreiten der Globalisierung der Weltwirtschaft hat sich der Logistikbereich zu einem der wichtigsten Wirtschaftsbereiche entwickelt, der es erst ermöglicht, dass der Warenfluss so gelenkt wird, damit er zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität und Menge am richtigen Ort ankommt. Dieser Bereich ist zu einer Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Wirtschaftssystems geworden und bildet das Bindeglied zwischen den Welten.

Es sind große logistische Knotenpunkte aus Transportwesen, Lagern, Informations- und Kommunikationstechnik sowie intermodealen Einrichtungen entstanden, mit den containerbasierten Verlade- und Umschlagsterminals zur Verknüpfung unterschiedlicher Transportformen.

Der Logistikbereich bietet derzeit die erfolgversprechendsten Ansatzpunkte für gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen, denn der Bereich ist selbst zu einer enormen Produktionsmacht geworden und der Produktionsprozess findet meistens in der Öffentlichkeit statt und kann dementsprechend gut von außen gestört werden. Bei geschickter Organisierung kann in diesem Bereich das Potenzial für die Wiedergewinnung von Handlungsfähigkeit auch für die Gewerkschaften liegen.

In den letzten 50 Jahren hat sich der Welthandel durch die Anwendungen von tayloristischen Prinzipien auf den Transport und die Lagerung von Gütern enorm ausgeweitet und beschleunigt.

Das sichtbarste Zeichen dieser Rationalisierung ist die Standardisierung von Europaletten und Containern. Dadurch fielen weltweit die Transportkosten, neue Märkte konnten erschlossen und gegeneinander ausgespielt werden.

Die Globalisierung der Weltwirtschaft seit den 1970er Jahren beförderte die Entwicklung der Logistikbranche durch die Aufgliederung der Produktion, die ganz leise, ohne großes Aufsehen vonstattenging. Die damaligen Handelsabkommen, besonders die der Welthandelsorganisation (WTO), waren die Beschleuniger einer Verschärfung der internationalen Konkurrenz und Ausbeutung.

Fusionen

Dazu kam die Welle von Fusionen und Übernahmen, losgetreten von sehr finanzstarken Unternehmen, die vom damaligen Wirtschaftswachstum profitierten. Diese Form der Transaktion nahm beispielsweise in den USA von ca. 1.200 Fällen 1963 auf 6.000 im Jahr 1969 zu, war aber auch in vielen anderen Ländern verbreitet. Aus diesen Zukäufen gingen die Konglomerate hervor, solche Firmen, die eine breite Palette an Produkten und Dienstleistungen bieten, die oft nicht das Geringste miteinander zu tun haben.

Begleitet von der Verschlankung in der Produktion stiegen die Profite weiter und verhalfen den Unternehmen im weltweiten Wettbewerb weitere Unternehmen zu übernehmen. Es führte zu einer regelrechten Fusionswelle. Waren es 1990 noch 4.239 Fusionen im Wert von 206 Milliarden US-Dollar, stiegen sie dann auf 11.169 Fusionen im Wert von 3,4 Billionen US-Dollar im Jahr 2000. Danach pendelten sich die Zusammenschlüsse bei etwa 7.000 im Jahr ein.

Schäferkiste, Palette, Container und Just in Time-Modell

Die erste Logistik-Revolution fand 1953 statt. In dem Jahr entstand der Lager-Fix-Kasten aus Metall, die „Schäferkiste“, die den Schäfer-Brüdern den Einstieg in die Lagerlogistik ermöglichte. 3 Jahre später kam die zweite Logistik-Revolution mit der Einführung des ISO-Containers. 1961 wurde die Europalette bzw. Eurogitterbox standardisiert und auf den Markt gebracht, diese Initiative ging von verschiedenen Bahngesellschaften aus, die eine einheitliche tauschfähige Transportpalette benötigten.

Bei der Entwicklung ging es auch um eine Reorganisation des Gütertransports, die notwendig wurde, als das Just in Time-Modell sich in den Versorgungsketten ausbreitete und der Wettbewerb um Geschwindigkeiten bei der Lieferung an Schärfe zunahm.

Es entstanden riesige logistische Knotenpunkte aus Transportwesen, Lagern, Informations- und Kommunikationstechnik sowie intermodale Einrichtungen, wie containerbasierte Verlade- und Umschlagterminals zur Verknüpfung unterschiedlicher Transportformen. Diese Knotenpunkte sind meist in der Nähe der großen Städte angesiedelt, zu den größten gewachsenen gehören New York, Chicago, Rotterdam, Hamburg und London.

Fragmentierung der Wertschöpfungsketten

Den Aufschwung der Logistik befeuerte vor allem der neoliberale Kapitalismus durch eine Fragmentierung der Wertschöpfungsketten. Die zunehmende Zahl und weltweite Ausdehnung von Zweigstellen und Produktionsstandorten, die technologischen Innovationen und die bedarfsabhängige Herstellung der Waren veränderten die Geografien kapitalistischer Wertschöpfung fundamental.

Während die fordistische Produktionsweise, symbolisiert durch das stationäre Fließband, noch durch eine hohe räumliche Konzentration gekennzeichnet war, ist die Produktion im neoliberalen Kapitalismus durch eine Fragmentierung der Wertschöpfungsketten ausgerichtet, sie ist nicht nur auf die Logistik angewiesen, sondern sie steht zu ihr in strategischer Abhängigkeit.

Die Hauptaufgabe der Logistik ist heute, die globale Zirkulation von Gütern und Menschen sicherzustellen und die einzelnen Glieder der Wertschöpfungsketten entlang der ungleichen Gebiete des Weltmarktes miteinander in Verbindung zu setzen.

Beschäftigte

Wie die Zahl der Lagerhäuser stieg, ist auch die Zahl der Beschäftigten gestiegen. Obwohl die Automatisierung extrem ausgebaut wurde, machen die Arbeitskräfte immer noch 65 Prozent der durchschnittlichen Betriebskosten aus. Die Zahl der Beschäftigten im Lagerbereich ist von 356.800 im Juni 1990 auf 830.700 im Juni 2017 angewachsen. Insgesamt sind in der Logistikbranche der USA etwa 4 Millionen Menschen beschäftigt.

Die großen Drehkreuze der Logistik benötigen 100.000 Arbeiter oder mehr, um zu funktionieren. Allein in Chicago gibt es mehr als 150.000 Transport- und Lagerarbeiter.

Dazu kommt die Ansammlung von Unternehmen (Cluster) rund um die Lager. Bei der neuen FedEx-Niederlassung in Memphis sind 15.000 Menschen direkt angestellt und 220.000 arbeiten in den verknüpften Transport- und Lagerfirmen.

In Großbritannien gibt es Cluster rund um Liverpool-Manchester, in den Midlands, Glasgow und London. Der Londoner Gateway-Hafen mit seinem Logistikpark auf neun Millionen Quadratfuß beschäftigt bei voller Auslastung 27.000 Personen.

Zudem sind die großen britischen Güterbahnunternehmen dabei, ein strategisches Frachtnetzwerk einzurichten, das den großen Bahnlinien in den USA ähneln soll. Insgesamt beschäftigt der britische Logistiksektor 1,7 Millionen Menschen.

In Deutschland arbeiten in dem Bereich rund 2,5 Millionen Menschen in 60.000 Betrieben.

Möglichkeiten tun sich auf

Diese Cluster scheinen durch Arbeitsunterbrechungen hochgradig verwundbar zu sein. Ein Streik in einem Warenlager oder bei einem Lieferanten mit Schlüsselfunktion könnte die Produktion entlang der gesamten Versorgungskette lahmlegen und möglicherweise dem Image eines Unternehmens mit Blick auf seine Zuverlässigkeit großen Schaden zufügen.

Es gehört zur großen Ironie des modernen Kapitalismus, dass wir jetzt eine massive Konzentration von manueller, menschlicher Arbeit erleben, aus der sich die Konzernführungen eigentlich verabschieden wollten. Es könnte enormer Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt werden, auch um Zugeständnisse zu machen oder eine neue Gewerkschaft anzuerkennen, ohne dass es dafür die Art Sekundär- oder Sympathiestreik bräuchte, die in vielen Ländern illegal sind.

Bisher kann man allerdings nicht erkennen, dass Gewerkschaften sich diese Situation zunutze machen. Vielleicht auch wegen der erlittenen Rückschläge und weil Beschäftigte im Lagerarbeitsbereich nicht dazu neigen, sich zu organisieren.

Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen ver.di und Amazon zeigen auf, mit welchen harten Bandagen hier gekämpft wird. Amazon ist sich bewusst, dass eine gewerkschaftlich organisierte Belegschaft unglaublich mächtig ist und ihre Verteilzentren sehr verwundbar sind. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di weiß, wenn die Auseinandersetzung mit Amazon verloren geht, die Gewerkschaften in Zukunft keinen Fuß mehr in die Tür der Branche bekommen werden und eine historische Chance vertan ist.

 

 

 

Quelle: konkret, ver.di, express

Bild: pixabay cco