Von Jürgen Senge, ver.di-Linke Nordrhein-Westfalen
Seit der Aufteilung des alten BAT bzw. MTL bei der Tarifrunde 2006 in den TV-L bzw. den TVöD klaffen die Entgelte der Beschäftigten bei den Ländern und denen bei Bund und Kommunen tlw. bis zu 4,5 % auseinander. Unterschiedlich lange Laufzeiten verhindern seitdem ein gemeinsames konzertiertes Vorgehen und schwächen ver.di. Mit der Forderung einer Erhöhung der Entgelte um 6 %, mindestens aber 200 Euro, sowie 300 Euro mehr für die Pflegekräfte ist ver.di in die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder (außer Hessen) Ende 2018 gestartet. Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung bzw. sonstige Forderungen wie die kostenlose Bereitstellung eines Firmentickets durch die Arbeitgeber als ökologische Komponente konnten sich in der Organisation nicht durchsetzen bzw. wurden nicht flächendeckend diskutiert.
Der Abschluss im Wesentlichen
Nachdem die öffentlichen Arbeitgeber in den beiden ersten Verhandlungsrunden noch nicht mal einen Vorschlag unterbreiteten (was Schlimmes zu befürchten ließ), gab es nach mehrstündigen sowie ganztägigen Warnstreiks bei der 3. Verhandlungsrunde am 2.3.2019 doch eine Einigung. Diese sieht im Wesentlichen die Erhöhung der Entgelte in drei Stufen im Volumen um 8 % bei einer Laufzeit von 33 Monaten vor: Ab 1.1.2019 um 3,2 % (mindestens um 100 €), ab 1.1.2021 um 3,2 % (mind. um 90 €) und ab 1.1.2021 um 1,4 % (mind. um 50 €), was je nach Lesart bei Addition der prozentualen Beträge auch eine durchschnittliche Erhöhung von 2,6 % bzw. dynamisiert von 2,83 % (bezogen auf 12 Monate) bedeuten kann. Die Erhöhung im Gesamtvolumen beinhaltet eine Anhebung aller Entgeltgruppen in den 1. Stufen zu den o.g. Daten um 4,5 %, 4,3 % bzw. 1,8 %, um, so die Aussage, den öffentlichen Dienst für BerufsanfängerInnen attraktiver zu machen. Die sog. Garantiebeträge bei Aufstiegen in eine höhere Entgeltgruppe werden für die Laufzeit des Tarifvertrages auf 100 € (Entgeltgruppen 1 bis 8) bzw. 180 € (Entgeltgruppen 9-14) erhöht.
Auszubildende und PraktikantInnen
Sie erhalten zum 1.1.2019 und zum 1.1.2020 jeweils 50 € mehr. Sie erhalten außerdem einen Urlaubstag mehr und kommen somit, wie alle anderen, auch auf 30 Tage Jahresurlaub. Die Tarifeinigung beinhaltet zudem die Aufspaltung der Entgeltgruppe 9 in die Entgeltgruppen 9a und 9b. Als hälftiger Ausgleich der Mehrkosten für die vereinbarten strukturellen Verbesserungen, so das Flugblatt zur Einigung, wird die Jahressonderzahlung für die Jahre 2019 bis 2022 festgeschrieben. Grundlage für die Berechnung der Jahressonderzahlung sind danach die Entgeltwerte aus dem Jahre 2018.
Bereich der Pflege
Für den Bereich der Pflege wurde zusätzlich eine dynamische Zulage von 120 € erreicht und die sog. Angleichungszulage für Lehrkräfte wird zum 1.1.2019 um 105 € erhöht. Vereinbart wurde außerdem die Aufnahme von Gesprächen nach Abschluss der Tarifrunde über die Weiterentwicklung der Entgeltordnung der Lehrkräfte sowie unmittelbar nach den Redaktionsverhandlungen die Aufnahme von Gesprächen zur „Sicherstellung einer differenzierten Eingruppierung anhand des zeitlichen Umfangs, in dem eine bestimmte Anforderung (z.B. Schwierigkeit, Verantwortung) innerhalb der auszuübenden Tätigkeit erfüllt sein muss (Hierarchisierung)“. Diese Forderung zur Definition des Arbeitsvorgangs nach § 12 TV-L hatten die Arbeitgeber im Verlauf der Verhandlungen erhoben. Die Aufnahme von Gesprächen wurde nach Abschluss der Tarifrunde 2019 auch für die Ausbildungsbedingungen von Studierenden in ausbildungsintegrierten Studiengängen vereinbart (duale Studiengänge).
Bewertung des Ergebnisses
ver.di spricht in allen Veröffentlichungen von „dem besten Ergebnis seit vielen Jahren“. Hervorgehoben wird vor allem die deutliche Anhebung der Stufe 1, die Vereinbarung von Mindestbeträgen als starke soziale Komponente (diese greifen 2019 bis zur Entgeltgruppe (EG) 8, 2020 bis zur EG 7, Stufe 2 und 2021 bis zur EG 11, Stufe 2) sowie die gesonderte Anhebung der Entgelte für die Pflegekräfte. Dies ist sicherlich richtig.
Richtig ist auch, dass das Tarifergebnis mit relativ geringem Aufwand und wenigen Warnstreiks erreicht wurde. Es spiegelt in seiner Höhe nicht den, bis auf einzelne Ausnahmen im Bereich der IT und Justiz, größtenteils schlecht organisierten Bereich der Landesbeschäftigten wieder. Der Teufel steckt wie immer im Detail. Wahr ist nämlich auch, dass die lange Laufzeit Streikkasse schonend ist und Frank Werneke als dem designierten Nachfolger von Frank Bsirske eine lange Einarbeitung in die schwierige Gemengelage der Tarifrunden im Öffentlichen Dienst erlaubt. Die lange Laufzeit führt auch dazu, dass die Beschäftigten „das Streiken“ verlernen. Sie birgt zudem die Gefahr, dass es einen Reallohnverlust gibt, wenn die Preissteigerung in den nächsten Jahren deutlich anzieht. Das Ergebnis wurde zudem mit einem Einfrieren der Jahressonderzahlung erkauft. Für den Bereich der in der IT Beschäftigten wurde erst zum 1.1.2021 die analoge Anwendung der Entgeltregeln mit den Kommunen vereinbart. Wie die Arbeitgeber der Länder unter diesen Bedingungen qualifiziertes Personal für den IT-Bereich gewinnen wollen, bleibt ihr Geheimnis. Auch die weitere Aufspaltung der Beschäftigten nach unterschiedlicher Bezahlung für die Pflege, der IT und in anderen Dienststellen muss sehr kritisch gesehen werden. ver.di betreibt eine weitere Aufteilung der Tarifverträge.
Mit Misstrauen muss man zudem der Aufnahme von Gesprächen zur Änderungen der Bestimmungen bei den sog. Arbeitsvorgängen begegnen. Käme es hier zu Änderungen, würde dies eine Herabstufung um 1-2 EGs bedeuten. Solange es nur bei Gesprächen bleibt, ist es ja gut, aber wehe, diese münden in Verhandlungen! Bedenklich ist auch, dass es gelang, in Gesprächen mit den Landesregierungen für die Beamtinnen und Beamten durchweg eine Erhöhung der Gehälter um die o.g. Prozentpunkte zu erreichen. Für den Bereich der angestellten LehrerInnen gibt es aber immer noch keinen Tarifvertrag. Die Verbesserungen in einzelnen Bereichen wie Sozial- und Erziehungsdienst, Pflege u.a. werden von allen Beschäftigtengruppen bezahlt. Das kann so nicht gewollt sein!
Fazit:
Wenn es ver.di nicht gelingt, durch einen höheren Organisationsgrad für mehr Kampfkraft zu sorgen und Entscheidungen im Wesentlichen weiter alleine durch die Bundestarifkommission und den Bundesvorstand getroffen werden, anstatt durch ständige Einbeziehung der betrieblichen Arbeitskampfleitungen vor Ort, wird sich an der strukturellen Schwäche und entsprechenden Abschlüssen nichts ändern.
Bild: ver.di