Die erste Verhandlungsrunde für die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste im öffentlichen Dienst findet am 5. März 2020 in Potsdam statt.
Die Verhandlungskommission der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat folgende Forderungen für die Tarifrunde 2020 beschlossen:
Verbesserung der Eingruppierungsmerkmale, Anpassung der Stufenlaufzeiten, Anerkennung der Berufserfahrung, Berücksichtigung der Änderungen in der Behindertenhilfe, Verbesserung der Bewertung der Leitungstätigkeit und ein genereller Rechtsanspruch auf Qualifikation.
Im Vorfeld der Auseinandersetzungen lohnt sich ein Rückblick auf den Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst im Jahr 2015, damals glaubten die Streikenden, dass der Arbeitskampf viele Impulse für den nächsten Anlauf zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe geben würde.
Die Verhandlungen im Tarifstreit der 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst wurden im Februar 2015 gestartet. Die Gewerkschaften hatten Einkommenserhöhungen im Umfang von durchschnittlich 10 Prozent gefordert und eine Aufwertungskampagne für die Erziehungsberufe gestartet. Die Kitas wurden zum Teil fast vier Wochen lang bestreikt.
Die Arbeitgeber riefen Anfang Juni einseitig die Schlichtung an. Nach einer 2-wöchigen Schlichtungsphase verkündeten die beiden Schlichter, dass es anstelle der geforderten 10 Prozent Erhöhung des Entgelts im Durchschnitt nur Erhöhungen von 3,4 Prozent geben soll. Dabei gab es noch deutliche Unterschiede, so dass viele Beschäftigte nur mit Erhöhungen zwischen 1 und 3 Prozent nach Hause gehen sollten. Das Schlichtungsergebnis wurde dann von der bundesweiten Streikdelegiertenversammlung vehement angegriffen und eindeutig abgelehnt.
Daraufhin hat der verdi-Vorstand eine Mitgliederbefragung beschlossen, die vier Wochen lang, bis Mitte August andauerte. Rund 70 Prozent der Mitglieder sprachen sich gegen den Schlichterspruch aus.
Am 30.09.2015 wurde zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ein vorläufiges Endergebnis ausgehandelt: Es war nun ein um 9 Millionen Euro erhöhtes Angebot, das sind läppische 3 Prozent des Gesamtvolumens von 315 Millionen Euro im Jahr für die rund 240.000 Beschäftigten.
Viele Beschäftigte aus Städten, die als Streikhochburgen galten, plädierten für eine Fortsetzung der Kita-Streiks vom Mai, doch die Mehrheit der Tarifkommission sprach sich für die Annahme des Ergebnisses aus. Bei der sich anschließenden Urabstimmung stimmten dann Ende Oktober dem Ergebnis 57 Prozent der ver.di-Mitglieder und 72 Prozent der Mitglieder der GEW zu.
Die Beschäftigten hatten ursprünglich den materiellen Ausdruck der Anerkennung ihrer Tätigkeiten auf ein Volumen von rund 10 Prozent beziffert, bekommen haben sie aber im Schnitt nur 3,7 Prozent mehr Lohn.
Dennoch war dieser Arbeitskampf mit seiner Eigendynamik, der großen Motivation und Engagement der Streikenden, mit seiner Frauenpower, seiner Dramaturgie und mit neuen Erkenntnissen für die Gewerkschaften doch etwas anderes, als wir alle gewohnt waren.
Lassen wir doch noch einmal den Arbeitskampf der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst Revue passieren, die Erfahrungen aus dem Arbeitskampf aufzeigen und die Kritikpunkte benennen.
Seit Anfang April 2015 haben die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten mit ihren Aktionen es geschafft, die Öffentlichkeit und die meisten Medien für ihre Anliegen zu interessieren. Sie haben aus den Erfahrungen im letzten großen Arbeitskampf 2009 gelernt, dass die Unterstützung schnell bröckelt, wenn die Eltern gezielt Stimmung gegen den Arbeitskampf machen, selbst eigene Demonstrationen veranstalten und rührende Geschichten von nicht versorgten Kleinkindern in Umlauf bringen. Die Eltern, die Schwierigkeiten haben, eine Betreuung für ihren Nachwuchs zu organisieren gab es diesmal natürlich auch, aber schnell wurde die Absicht deutlich, die hinter den überzogenen Berichten steht.
Auch in der unbefristeten Streikphase von Mitte Mai bis Mitte Juni unterstützten die Eltern die Forderungen der Beschäftigten und organisierten sogar eine gemeinsame Betreuung für ihre Kinder, ohne sich öffentlich zu beklagen. So konnte auch die Aufwertungskampagne in der Öffentlichkeit immer wieder thematisiert werden, auch die Forderung nach durchschnittlich 10 Prozent Einkommenserhöhung wurde breit mitgetragen.
Was spätestens zu diesem Zeitpunkt fehlte, war die Thematisierung der Frage, was uns die Bildung unserer Kinder wert ist. Vor Ort hätten mit vielen Aktionen, gemeinsam mit den anderen DGB-Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen und Gruppen Veranstaltungen durchgeführt werden müssen, die die Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen thematisieren und auf das Kaputtsparen in der öffentlichen Daseinsversorgung hinweisen.
So konnte sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) auch weigern, überhaupt über die Forderungen von ver.di, GEW und DBB zu diskutieren und war nur bereit, über „besonders belastete Beschäftigtengruppen“ zu reden. Also die klassische Aufspaltung der Streikenden.
Nach 4 Wochen Streik mussten die Arbeitgeber einsehen, dass die breite Unterstützung nicht abbrach und sie riefen Anfang Juni einseitig die Schlichtung an. Bei diesem Verfahren braucht nur eine Seite die Schlichtung anzurufen und der Streik wird gestoppt.
Die Arbeitgeber hantierten hier mit der sogenannten Einlassungspflicht, die bedeutet, dass wenn im Öffentlichen Dienst einer der Tarifpartner die Schlichtung wünscht, dann muss diese eingeleitet werden und gleichzeitig werden auch die Streiks beendet. So wurde es 1974 und zuletzt 2011 in einer Schlichtungsvereinbarung festgehalten.
Diese Regelung nützt in Tarifkonflikten aber nur der Arbeitgeberseite. Die Arbeitskämpfe in dem Jahr bei Amazon, Post, Bahn und Charité haben es gezeigt, es ist kaum noch der Wille bei der organisierten Unternehmerschaft da, im „sozialpartnerschaftlichen Dialog“ früherer Zeiten einen Kompromiss zu finden. Auch die Öffentlichen Arbeitgeber setzten nun auf die Totalverweigerung.
Nach weiteren 2 Wochen Schlichtungsphase verkündeten die beiden Schlichter Georg Milbradt und Herbert Schmalstieg ein mageres Ergebnis. Anstelle der geforderten 10 Prozent Erhöhung des Entgelts sollte es im Durchschnitt nur Erhöhungen von 3,4 Prozent geben. Dabei gab es dann noch deutliche Unterschiede für die einzelnen Gruppen, so dass viele Beschäftigte nur mit Erhöhungen zwischen 1 bis 3 Prozent nach Hause gehen sollten. Mit einer fünfjährigen Friedenspflicht sollten die Beschäftigten verpflichtet werden, bis Ende Juni 2020 auf jeden weiteren Kampf um eine höhere Eingruppierung zu verzichten.
Zum Erstaunen aller Beteiligter waren die Vertreter des Bundesvorstandes von ver.di vorschnell bereit, diesen Schlichterspruch zu akzeptieren. Nach vier Wochen Streik.
Weil die Basis von ver.di sich mittlerweile einige Rechte mehr als früher erstritten hatte, mussten diese Ergebnisse und die Umsetzung auf einer bundesweiten Delegiertenversammlung am 24.06.2015 diskutiert werden. Dort rieben sich einige Funktionäre die Augen, als sie sahen, dass es zu einer fast hundertprozentigen Ablehnung der Empfehlung der Schlichter kam und vor allem auch die lange Laufzeit der Einigung von 5 Jahren vehement abgelehnt wurde. Die Delegierten stellten übereinstimmend fest, dass mit dieser Schlichtungsempfehlung eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nicht erreicht wird. Die Konferenz kam zu dem Schluss, der am 26.06.2015 tagenden ver.di-Bundestarifkommission zu empfehlen, eine aufsuchende Mitgliederbefragung durchzuführen, um die Meinung der Mitglieder einzuholen. Die Umfrage lief bis Anfang August. Insgesamt lehnten 69,13 Prozent der ver.di-Mitglieder im Sozial- und Erziehungsdienst den Schlichterspruch ab.
Am 11.08.2015 tagte die Bundestarifkommission, machte den Weg für neue Streiks frei, lehnte mit großer Mehrheit den Schlichterspruch ab und forderte die Arbeitgeber zu einem besseren Angebot auf. Streiks wurden für Anfang Oktober in Aussicht gestellt.
Am 13.08.2015 begann die neue Verhandlungsrunde, die am 30.09.2015 damit endete, dass man sich auf Nachbesserungen der Schlichtungsempfehlung verständigte. Es war nun ein um 9 Millionen Euro erhöhtes Angebot, das sind läppische 3 Prozent des Gesamtvolumens von 315 Millionen Euro im Jahr für die rund 240.000 Beschäftigten.
Viele ver.di-Mitglieder aus Städten, die als Streikhochburgen galten, plädierten für eine Fortsetzung der Kita-Streiks, doch die Mehrheit der Tarifkommission sprach sich für die Annahme des Ergebnisses aus.
Die sich anschließende Urabstimmung hatte dann Ende Oktober als Ergebnis, dass sich 57 Prozent der ver.di-Mitglieder und 72 Prozent der Mitglieder der GEW für die Annahme ausgesprochen haben.
Erfahrung aus dem Streik der vergangenen Monate
- Mit der Aufwertungskampagne stellte sich ver.di an die Spitze einer gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung, von der eine unglaubliche Kraft und Dynamik ausging, die für die gesamte Bevölkerung sichtbar war.
- Von 240.000 kommunalen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst traten rund 50.000 in den Streik.
- Es kam zu einer Eintrittswelle vor allem für ver.di, mit 25.000 neuen Mitgliedern.
- Bei diesem Streik wurde ver.di von der Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder förmlich überrannt. Es wurde ein riesiges Maß an Streikdemokratie entwickelt, das zum Maßstab für künftige Arbeitskämpfe werden sollte.
- Das Konzept einer konflikt-, beteiligungs- und aktionsorientierten Gewerkschaftsarbeit hat bundesweit Früchte getragen, bei der die Streikenden vieles in ihre eigenen Hände nahmen und die alte Stellvertreterhaltung der Gewerkschaft deutlich geschwächt wurde.
- Es konnten sich neue demokratische Formen des Arbeitskampfes, wie z.B. die Streikdelegiertenkonferenz durchsetzen.
- Was auf der Streikdelegiertenkonferenz stattgefunden hat, war eine kleine Revolution, bei der die Basis ihrer Führung nicht folgte. Für die verdi-Führung war das eine ganz neue Erfahrung.
- Mit den Streikvollversammlungen und Delegiertenkonferenzen wurde der Arbeitskampf demokratisiert und das trug auch dazu bei, dass der Schlichterspruch konsequent zurück gewiesen wurde.
- Nach dem Schlichterspruch hat ver.di alles getan, um nicht wieder streiken zu müssen. Damit hat die Gewerkschaft eine große Chance verpasst. Die Enttäuschung bei den Mitgliedern ist enorm, sie erlebten, wie die ver.di-Haltung ihnen den entstanden Schwung nahm.
- Der Vorschlag der Schlichter, die Einkommen zwischen 4,0 und 4,5 Prozent zu erhöhen, bedeutete nichts anderes, als eine Reallohnsenkung. Auf die fünfjährige Laufzeit bezogen, würde – im besten Fall – weniger als ein Prozent Lohnerhöhung erreicht. Damit lag das Ergebnis noch unter dem Inflationsausgleich.
- Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst werden durch die lange Laufzeit mit einer fünfjährigen Friedenspflicht, also mit einem faktischen Streikverbot bestraft.
- Von einer Aufwertung des Berufsfeldes kann überhaupt nicht die Rede sein. So ist die wichtigste Forderung der Streikenden völlig gescheitert.
- Notwendig wäre hier eine neu konzipierte Eskalationsstrategie gewesen, die in den Kitas den öffentlichen Druck, der ja am Anfang vorhanden war, noch hätte steigern können.
- Auch die Strategie der Öffentlichkeitsarbeit für die Kommunikation mit den Eltern, konservativen Kommunalpolitikern und den Medien sollte hinterfragt werden. Teilweise wurden die Eltern gezielt gegen die Streikenden ausgespielt, was die Medien dann gerne breit traten.
- Die harte Haltung der Arbeitgeber hat auch gezeigt, dass die Gewerkschaftsbewegung auch Solidaritätsstreiks einsetzen muss. Dem stehen bisher nicht nur das restriktive deutsche Streikrecht entgegen, sondern auch die entsprechenden Traditionen und Erfahrungen.
- Bei diesem Streik hätten sich Solidaritätsstreiks am ehesten bei freien und kirchlichen Trägern der Sozial- und Erziehungsarbeit angeboten, da die Beschäftigten dort oft angelehnt an den TVöD-SuE bezahlt werden. Dort hätte noch viel stärker zu Protestaktionen mobilisiert werden müssen. Einige Versuche in diese Richtung hatten bisher leider kaum Erfolg. Auch hätte von ver.di aus noch viel früher mit Organisierungskampagnen in den betroffenen Betrieben begonnen werden müssen.
- Genau dort, bei den freien und gemeinnützigen/kirchlichen Einrichtungen, schuften die fast 80 Prozent der nicht organisierten, meist weiblichen Beschäftigten. Dort ist eine stärkere Organisierung und Tarifbindung absolut notwendig. Da müssen die Gewerkschaften stärker ihr Gesicht zeigen und mit mehr Mumm in die Betriebe gehen als es bisher geschah.
- Mittlerweile wird auch in den Gewerkschaften selbst stark bezweifelt, ob die Einlassungspflicht in diesem Konflikt wirklich bindend war. Andererseits wird der Weg über die Schlichtung mit dem schwachen Argument begründet, dass man sich ihr angesichts der öffentlichen Meinung nicht verweigern konnte. Auf jeden Fall war es ein Fehler, die Streikenden nicht auf die Möglichkeit einer Schlichtung vorzubereiten. Außerdem hat diese plötzliche Kehrtwende das Pflänzchen Streikdemokratie, wie z.B. die Streikdelegiertenkonferenz, wieder zertreten.
- Solidaritätsaktionen vor den Rathäusern, wie z.B. die Mahnwachen, konnten für eine weitere Verbreitung der Forderung der Streikenden beitragen. Aber es fehlten unterstützende Arbeitskampfmaßnahmen und Solidaritätsstreiks anderer Fachbereiche und anderer Gewerkschaften, sowie breit angelegte Diskussions- und Infoveranstaltungen, bei denen die Erziehungs- und Bildungsthemen vor Ort thematisiert und der desolaten Zustand in den Bildungsinstitutionen aufgezeigt werden.
- Beim Streik wurden ver.di und die GEW von der extrem harten Haltung der Kommunalen Arbeitgeber völlig überrascht. Umso mehr muss die alte Weisheit gelten, dass die Arbeitgeber nur dann noch Zugeständnisse machen, wenn sie durch ebenso harte Haltungen und ausdauernden Kämpfen dazu gezwungen werden.
- Erstaunt waren alle darüber, wie hart die Arbeitgeber verhandelten. Für sie ging es aber darum, wenn ein besseres Ergebnis erzielt worden wäre, es auch einen Einbruch bei anderen Billigarbeitern im sozialen und gesundheitlichen Sektor, wie der Alten- und Krankenpflege gegeben hätte, was sie partout nicht wollen.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, als die große Gewerkschaft, die den Arbeitskampf maßgeblich geführt hat, hat es nicht geschafft, das wichtigstes Ziel dieser Auseinandersetzung, den Frauenberuf „Erzieherin“ endlich aufzuwerten, zu erreichen. Die Verärgerung der Streikenden ist nachvollziehbar.
Wer aber nach vorne schaut, kann aus diesem Arbeitskampf ganz viel für den nächsten Anlauf zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe mitnehmen. Es müssen unbedingt die freien und gemeinnützigen/kirchlichen Einrichtungen einbezogen werden, damit dann nicht nur ein Drittel der Einrichtungen bestreikt werden, sondern im Arbeitskampf schließen machtvoll zwei Drittel der Einrichtungen.
Dann wäre die Ausgangsposition nicht nur ausreichend stark, auch die Feminisierung des Arbeitskampfes würde weiter voranschreiten.
Quellen: ver.di, gew, WAZ Bild: badische.de