Sozialberatungsstellen berichten zunehmend von jüngeren Ratsuchenden, die eine Zeit lang obdachlos waren und ganz unten angelangt sind. Sie bemühen sich nun, Schritt für Schritt wieder Fuß zu fassen und wollen ganz neu anfangen. Wenn man sich die Biografie mal genauer anschaut, sind viele von ihnen Opfer der Sanktionen, die von den Jobcentern auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches II ausgesprochen wurden. Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können auch die zusammengerechneten Sanktionen bewirken, dass gar keine Auszahlung mehr erfolgt und diese jungen Menschen über keinerlei Einkommen mehr verfügen.
Seit über 20 Jahren wird die Diskussion um den aktivierenden Sozialstaat und die Neuausrichtung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geführt. Es geht dabei immer wieder darum, dass der Staat nicht mehr durch das verwaltende Handeln auftritt, sondern, er soll Rahmenbedingungen schaffen, in denen der Einzelne seine Selbsthilfepotenziale entfalten kann. Um das umzusetzen wurden u.a. die Arbeitsämter in Jobcenter umgewandelt, Maßnahmen zur schnelleren Jobvermittlung entworfen und die Personal-Service-Agenturen eingerichtet.
Mit Einführung des neuen Sozialgesetzbuchs II (SGB II) zum 1.1.2005 wurde dann der Grundsatz „Fördern und Fordern“ eingeführt und stellt dabei die Pflichten der Leistungsbezieher in den Vordergrund. Umgekehrt werden dann bei Pflichtverletzung auch die sogenannten Sanktionen ausgesprochen, die Grundsicherung wird gekürzt. Schon durch die Androhung der Sanktion will man erreichen, dass die Leistungsempfänger eine bessere Kooperation an den Tag legen.
Vor allem sollte durch die Einführung der Sanktionsregelungen der Niedriglohnsektor ausgebaut werden und jeder, mit einem schlecht bezahlten Arbeitsplatz, sollte sich vor den „Hartz IV-Bezug“ fürchten müssen.
Sanktionen führen dazu, dass die Menschen zumindest zeitweise unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben müssen, dass das Grundgesetzt ihnen zusichert. Zumindest teilweise sind die Sanktionen verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Sogar der Krankenversicherungsschutz entfällt bei der Vollsanktion. Dieses Bestrafungssystem verwandelt Hilfsbedürftige in Dauerverdächtige.
Im Jahr 2011 wurden 54 Prozent der von den Jobcentern ausgesprochenen Sanktionen von den Sozialgerichten wieder aufgehoben und mussten nachträglich ausbezahlt werden. Sie waren rechtswidrig und unbegründet. Diese hohe Quote der rechtswidrig ausgesprochenen Sanktionen lassen zwangsläufig den Schluss zu, dass Menschen mit dem Ziel schikaniert werden, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, lange Wartezeiten und unqualifizierte Tätigkeiten in Kauf zu nehmen.
Die einzelnen Regelungen sehen vor, dass Sanktionen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen möglich sind:
Zu den Pflichtverletzungen gehören beispielweise
- Weigerung zur Erfüllung der Pflichten, die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt wurden
- Ablehnung, Abbruch oder Vereitelung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder geförderten Arbeit
- Ablehnung, Abbruch oder Veranlassung für den Abbruch einer zumutbaren Maßnahme zur Arbeitseingliederung
Weitere Minderungstatbestände sind beispielsweise
- Zielgerichtete Verarmung
- Forstsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens
- Sperrzeiten
Für die unter 25 Jährigen wird das Arbeitslosengel II bei einer Pflichtverletzung auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt, bei der ersten Wiederholung wird die Regelleistung ganz gestrichen. Nach Ermessen kann wieder für Unterkunft und Heizung gezahlt werden, wenn der junge Mensch sich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen.
Sanktionen für ein Meldeversäumnis können ausgesprochen werden, wenn der Leistungsberechtigte einen Termin beim Jobcenter oder beim ärztlichen oder psychologischen Dienst ohne wichtigen Grund versäumt. Hier werden für drei Monate um zehn Prozent und bei weiterem Verstoß weitere zehn Prozent für weitere drei Monate einbehalten.
Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, kann auch die zusammengerechneten Sanktionen keine Auszahlung mehr bewirken. Auch wenn man die Meldung nachholt, führt das nicht zur Beendigung des Sanktionszeitraums.
In den Jahren 2009 bis 2013 ist die Zahl der jährlich neu ausgesprochenen Sanktionen um 300.000 auf über eine Million angestiegen. Dabei haben die „Meldeversäumnisse“ den größten Anteil mit 68 Prozent der Sanktionen.
Im Jahr 2012 waren insgesamt 3,4 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher von Sanktionen betroffen.
Bei den unter 25 – Jährigen liegt der Anteil bei 26 Prozent und hier wird die Frage der Legitimität der Sanktionen für diese Gruppe der Leistungsbezieher besonders deutlich. Bei den jungen Leuten will man verhindern, dass Arbeitslosigkeit besonders schwere Folgen für das weitere Erwerbsleben haben, die auch langfristig zu hohen gesellschaftlichen Kosten führen können.
Erstaunlich ist der Wechsel der Sichtweise der Bundesagentur für Arbeit: Bei Einführung des geänderten SGB II in den ersten Jahren nach 2005 galt die besondere Fürsorge in den Jobcentern gerade dieser Altersgruppe. Die Fallmanager, speziell die für die U-25 sorgten sich besonders intensiv um die jungen Leute. Sie hatten auch schon damals nicht die ausreichende Zahl von Arbeits- und Ausbildungplatzangeboten vorrätig, um die jungen Menschen aus dem Leistungsbezug zu bekommen. Sie waren auf die zahllosen Maßnahmen, wie z.B. zur Motivationsförderung, angewiesen, die für die Zielgruppe nur ein Verschiebebahnhof sind und mussten oft mehrmals hintereinander besucht werden. Die Lösung war dann nicht, mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen, sondern die rigorose Anwendung von Sanktionen.
Was sagt der DGB zu den Sanktionen bei der geplanten Novellierung des SGB II:
Die wichtigsten DGB-Forderungen sind
- keine indirekte Unterstützung von Lohndumping d.h. die Arbeitsverhältnisse, die nicht den ortsüblichen bzw. tariflichen Bedingungen für vergleichbare Tätigkeiten entsprechen, sollen als nicht zumutbar gelten
- der Lebensunterhalt soll sichergestellt sein, die Höhe der maximalen Höhe der Sanktionen auf 30 Prozent des Regelbedarf beschränkt werden, wenn an den Sanktionen über 30 Prozent festgehalten wird
- es soll mehr Flexibilität geben und sich mehr auf den Einzelfall bezogen werden
- um dem Verlust der Wohnung vorzubeugen, sollten die Kosten der Unterkunft nicht mehr gekürzt werden
- die Sanktionen sollen aufgehoben werden können, wenn eine Verhaltensänderung eingetreten ist
- eine unabhängiges Beratungsangebot sollte flächendeckend eingerichtet werden
und es soll ein Ende der schärferen Sanktionierungen junger Menschen erfolgen, da es an empirischen Grundlagen über die Auswirkungen mangelt und es verfassungsrechtliche Bedenken gibt.
Nach einem Urteil des Sozialgerichts in Berlin schränkt bereits der ungekürzte Hartz-IV-Satz das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ein. Deshalb hatten die Berliner Richter schon 2012 das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das Bundesverfassungsgericht hat den „unverfügbaren Anspruch“ dieses Existenzminimums bereits 2010 festgestellt und geurteilt, dass der Staat die gesamte physische Existenz des Menschen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen und eine Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu sichern hat. Dieses Urteil wurde im Zusammenhang mit der Anhebung der Sätze im Asylbewerberleitungsgesetz am 18. Juli 2012 vom Bundesverfassungsgericht erneut bestätigt (vgl. BVerfGE 125, 175 und BVerfG, AZ: 1 BvL 10/10, Leitsatz 2).
Der DGB sollte seine Position doch noch einmal überdenken und sich der Forderung nach einem Sanktionsmoratorium anschließen, da aufgrund des offenkundigen Verfassungskonflikts eine Klärung erfolgen und der Sanktionierungswahn eingefangen werden muss.
Fast 92.000 Menschen hatten die Petition gegen die Sanktionspraxis der JobCenter mitgezeichnet und fordern die Abschaffung der Sanktionen. Die Regierungsfraktionen verteidigten am 17.03.2014 im Petitionsausschuss die jetzige Praxis, stellten aber eine Überprüfung der Regelungen gegenüber Minderjährigen in Aussicht.
Durch Forderung im Petitionsausschuss, dass „der Deutsche Bundestag beschließen möge, die Paragrafen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende, § 31 bis § 32 SGB II) und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe, §39a SGB XII) ersatzlos zu streichen, da sie die Möglichkeit von Sanktionen bzw. Leistungseinschränkungen beinhalten“ ist das Thema in die breite Öffentlichkeit getragen worden.
Auch für die Gewerkschaften heißt es jetzt: dranbleiben!
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, DGB, WDR
Bild: winboard.org