Das war für gestandene Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter schon recht heftig und kaum auszuhalten. Die Düsseldorfer Belegschaft von Kaufhof verabschiedete sich mit einer Aktion, bei der unglaublich viel geweint und geflennt wurde, einige Menschen von der Belegschaft trugen schwarze Kleidung oder brachten Grabkerzen mit, andere verprügelten, um ihre Wut auf das Management zu zeigen und zu kanalisieren eine überlebensgroße Pappfigur, die den Kaufhof-Karstadt-Eigentümer Renè Benko darstellen sollte, mit Boxhandschuhen, bis die Figur unter lautem Gegröle und Applaus auseinander fiel. Langjährige Betriebrätinnen berichteten von dem großen Schmerz und dass es ihnen das Herz brechen würde. Dann war die Rede von der „großen Familie“, der man über Jahrzehnte angehört hatte und verschwieg geflissentlich, dass die Patriarchen der Familie, die den Laden für einen Euro erwarben, diesen dann ausnahmen und mit dem einen Euro ein Millionengeschäft machten.
So wollten die Beschäftigten von GaleriaKaufhofKarstadt Mitte Oktober 2020 auf die ersten 35 Filialschließungen des Konzerns aufmerksam machen. Dieses peinliche Schauspiel wurde mithilfe der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die 2. größte Gewerkschaft mit fast 2 Millionen Mitgliedern, aufgeführt und hat der Gewerkschaftsbewegung einen Bärendienst erwiesen.
Dabei geht es um eine Auseinandersetzung, die im Rückblick mittlerweile schon über 15 Jahre andauert.
Ausgründungen, Übernahmeschlachten, Zockereien
Im Oktober 2004 wurde bekannt, dass sich die Karstadt Warenhaus AG, aber auch der gesamte KarstadtQuelle-Konzern in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befand. Karstadt kämpfte mit den Problemen, die damals der gesamte Einzelhandel hatte, aber am schlimmsten waren die hausgemachten Schwierigkeiten und die Managementfehler bzw. die immer größer werdende Zockermentalität.
Anfang 2005 wurden die Lebensmittelabteilungen als eigene Karstadt-Feinkost GmbH ausgegründet, an der REWE mit 25 Prozent beteiligt war.
Da die Talfahrt bei Karstadt nicht gestoppt werden konnte, wurden im Sommer 2005 die Handelskette „Runners Point“ und 51 „SinnLeffers“- Modehäuser verkauft, ebenso die 74 Karstadt-Filialen, die weniger als 8.000 qm² Verkaufsfläche auswiesen.
Die Grundstücke und Gebäude der Warenhäuser von KarstadtQuelle gingen dann 2006 an das „Highstreet-Konsortium“ eine Holding mit 51 Prozent Anteil von „Goldmann Sachs, Whitehall“ und 49 Prozent KarstadtQuelle. Das „Highstreet-Konsortium“ arbeitete mit der besonderen Verbriefungsform „Commercial MBS (CMBS)“, abgesichert durch Immobilien. Während die normalen, längerfristigen Darlehen meistens feste Zinssätze und Beschränkungen auf vorzeitige Tilgungen haben, sind bei den „CMBS“ Anlagen kurzfristigere Darlehen normalerweise mit variablem Zinssatz und freier vorzeitiger Tilgung üblich. Weil hier dann die Hypothekenschuldner vorzeitig getilgt werden können, sind die Geldflüsse im Voraus nicht berechenbar und können nur grob taxiert werden. Für die zahlreichen und zersplitterten Investoren stellt diese vorzeitige Tilgung immer ein Risiko dar. 2008 verkaufte KarstadtQuelle seine 49 Prozent an ein anderes Konsortium (u.a. Deutsche Bank, Borletti Group, Generali-Gruppe, Pirelli).
Im selben Jahr wurden die Buchhandelsflächen in den Warenhäusern an die „Verlagsgruppe Weltbild/Hugendubel“ vermietet. Dieser einfache Vorgang wurde als „Shop-in-Shop Modell“ hochgejubelt. Als weitere Mieter der Verkaufsflächen kamen dann „WMF, Drogerie-Müller und Rosenthal-Porzellan“ ins Spiel.
Insolvenzverfahren
Im Frühjahr 2009 wollte die „Kaufhof AG“ aus dem „Metro-Konzern“ (dazu gehörte u. a. Real, Saturn, Media Markt, Cash&Carry) von den 90 Karstadt-Warenhäusern 60 übernehmen. Dazu kam es nicht, da die Karstadt-Muttergesellschaft „Arcandor AG“ die Mieten an das „Highstreet-Konsortium“ nicht mehr bezahlen konnte und am 09.06.2009 die „Arcandor AG“ wegen Zahlungsunfähigkeit den Insolvenzantrag stellte. Damit begann das größte Insolvenzverfahren der Bundesrepublik Deutschland, bei dem allein der Insolvenzverwalter Karl-Heinz Görg 50 Millionen Euro Verwalterkosten erhalten haben soll. Görg legte dann im April 2010 den Insolvenzplan auf den Tisch, der den Verkauf der Karstadt-Warenhäuser als Ganzes und einen hohen Verzicht auf der Gläubigerseite vorsah. Auch sollten die Mieten gesenkt werden. Dies war aber wegen der zersplitterten Gläubigerstruktur bei dem „Highstreet-Konsortium“ äußerst schwierig durchzusetzen. Das Verfahren zog sich deshalb in die Länge. Ein unmögliches Verhalten, war es doch gerade die riskante Anlageform bei den Konsorten von „Highstreet“, die Karstadt ins Schlingern gebracht hatte.
Die Kommunen, in denen es Warenhäuser gab, wurden aufgefordert, auf die Gewerbesteuer zu verzichten. Dies geschah dann auch ohne großen Widerstand.
Nach einigem Hin und Her mit den 4 Kaufinteressenten erteilte der Gläubigerausschuss der „Berggruen Holding“ den Kaufzuschlag. Nicolas Berggruen wurde als Karstadt-Retter und Hoffnungsträger gefeiert. Auch die Mietsenkung bei der „Highstreet-Konsortium“ wurde erreicht. Nicolas Berggruen kündigte an, dass Karstadt in eine Dachgesellschaft und drei weitere Untergesellschaften rechtlich aufgeteilt werden müsste, in die Sparten Sporthäuser, Premiumhäuser und sonstige Warenhäuser. Dies war seine Bedingung für die Übernahme von Karstadt.
Auf die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wurde nun großer Druck ausgeübt. Der Insolvenzverwalter drängte die Gewerkschaft, den Bedingungen Berggruens zuzustimmen oder er werde Karstadt liquidieren.
Die ver.di-Tarifkommission hat dann der Anpassung des Fortführungs-Tarifvertrages für den Fall einer Separierung zugestimmt, vorbehaltlich einiger wichtiger Bedingungen, die vertraglich festgehalten wurden:
– die Tarifverträge des Einzelhandels gelten weiter,
– Beteiligungen können nur soweit erfolgen, wie die Mehrheitsanteile und Stimmrechte an bzw. bei der Karstadt Warenhaus Holding bleiben,
– Gewinne dürfen nicht entnommen werden, sondern werden umgehend und vollständig reinvestiert
und die separierten Unternehmen bleiben als wirtschaftliche Einheit erhalten.
In dem Sanierungstarifvertrag verzichteten die Beschäftigten zur Rettung des Unternehmens auf rund 150 Millionen Euro bis Ende 2012.
Es wurde nicht nur ver.di zugesichert, sondern auch öffentlich wiederholt erklärt, dass die Separation nicht erfolge, um Teile zu verkaufen und dass es um ein langfristiges Engagement bei Karstadt im Ganzen gehe.
Ausstieg aus der Tarifbindung
Im Mai 2013 stieg Karstadt aus der Tarifbindung aus und wechselte in die regionalen Arbeitgeberverbände ohne Tarifbindung. Man wollte eine „Tarifpause“ einlegen. Für die Mitarbeiter hieß das, dass die Gehaltserhöhungen bis 2015, die durch Tarifverträge vereinbart werden, entfielen.
Karstadt steckte in der Krise, die 86 Warenhäuser rutschten in die roten Zahlen, nur die 28 Karstadt-Sport-Filialen und die drei Luxus-Kaufhäuser in Berlin, Hamburg und München liefen gut. Mittlerweile hatten die Karstadt-Beschäftigten auf insgesamt 650 Millionen Euro verzichtet.
Im August, drei Monate nach dem Ausstieg aus der Tarifbindung, gab es aber bereits wieder „informelle Sondierungsgespräche“ zwischen Karstadt und ver.di. Die erste Verhandlungsrunde Ende September blieb so, wie auch die zweite im Oktober, ergebnislos.
Im September 2013 wurde bekannt, dass Nicolas Berggruen die Premium- und Sporthäuser zu je 75,1 Prozent an die österreichische Signa Holding des Investors René Benko verkauft hatte. Mit den Einnahmen sollten die Karstadt-Warenhäuser modernisiert werden.
Im November 2013 durften die Beschäftigten darauf hoffen, in Zukunft wieder nach Tarif bezahlt zu werden. Karstadt und ver.di verständigten sich auf „wesentliche Bausteine eines gemeinsamen Zukunftssicherungstarifvertrags“. Der angestrebte Tarifvertrag sollte die Punkte Beschäftigungs- und Standortsicherung, aber auch die Rückkehr von Karstadt in die Tarifbindung regeln. Die Verhandlungen sollten dann im Januar 2014 weiter geführt werden.
Mitte Februar 2014 sprach ver.di noch von Fortschritten in den Verhandlungen mit Karstadt. Eine Woche später sagte Karstadt die geplanten Gespräche ab, da „ Management und Besitzer sich erst beraten möchten“. Anfang März wurde die 5. Verhandlungsrunde ohne Erfolg beendet.
Bescheidene Sanierungsbemühungen
Die Sanierungsbemühungen hatten in der Zwischenzeit nur bescheidene Erfolge erzielt. Nicolas Berggruen sagte gegenüber der Presse: „Die Häuser, die wir saniert haben, funktionieren nicht besser als die Häuser, die wir nicht saniert haben.“
Am 7. Juli 2014 teilte Karstadt mit, dass Eva-Lotta Sjöstedt ab sofort von ihrem Amt als Geschäftsführerin zurücktreten wird. Frau Sjöstedt selbst sagte ziemlich genervt: „Nach eingehender Prüfung, den Erfahrungen der letzten Monate und in genauer Kenntnis der wirtschaftlichen Rahmendaten muss ich nun jedoch feststellen, dass die Voraussetzungen für den von mir angestrebten Weg nicht mehr gegeben sind“. Als Frau Sjöstedt Anfang des Jahres bei Karstadt begann, wurde sie als „Hoffnungsträgerin“ und „Retterin“ gefeiert – genau so, wie damals Nicolas Berggruen, als er nach der Insolvenz Karstadt übernahm.
Der Stern des einst gefeierten Milliardärs Berggruen war zu diesem Zeitpunkt schon stark gesunken. Er kontrollierte nur noch das kriselnde Kerngeschäft mit den verbliebenen 83 klassischen Warenhäusern. Die Mehrheit an den Luxus-Kaufhäusern um das Berliner KaDeWe und den Sport-Geschäften hatte schon der österreichische Investor René Benko übernommen.
Allein aus der Vermarktung der Namensrechte, die Berggruen sich für 5 Millionen Euro sicherte, soll er monatlich von Karstadt etwa rund 1 Million Euro kassiert haben. So sind schnell aus den 5 Millionen, wahrscheinlich schon über 48 Millionen Euro geworden.
Mitte Juli 2014 wurde dann gemunkelt, dass in der Essener Hauptverwaltung und in der Belieferung Stellen wegfallen sollen. Es wären aktuell zwischen 3.500 bis 4.000 der insgesamt noch verbliebenen 17.000 Stellen bei Karstadt gefährdet.
Immobilien-Investor René Benko übernimmt…
Im August 2014 war es dann so weit: Die österreichische Signa-Gruppe des Immobilien-Investors René Benko übernahm die Karstadt Warenhaus GmbH, also auch noch die 83 Karstadt-Filialen.
Wieder jammerten alle Beteiligte herum, dass ein „klares Konzept“ fehle und vergaßen dabei, dass das Konzept ganz klar war: möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit aus Karstadt heraus zu holen.
Nach den letzten veröffentlichten Zahlen betrug der Verlust im Geschäftsjahr 2011/2012 rund 158 Millionen Euro und das Interesse des neuen Investors hat allein den Immobilien gegolten.
… und dann auch Kaufhof
Die zunehmende Tarifflucht im Einzelhandel, gepaart mit dem Missmanagement einzelner Unternehmensleitungen hat dazu beigetragen, dass dann auch der Warenhauskette Galeria Kaufhof die Zahlungsunfähigkeit drohte.
Auch Kaufhof versuchte gegenüber der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di drastische Einschnitte bei Löhnen und Gehältern durchzusetzen. Wie schon bei Karstadt wurde versichert, ein neuer Tarifvertrag sei von existenzieller Bedeutung und notwendig, um wettbewerbsfähig zu sein und die rund 21.500 Arbeitsplätze zu erhalten. Die Beschäftigten sollten wieder einmal durch den Verzicht auf Lohn, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, mit dem Sanierungstarifvertrag, den Fortführungstarifvertrag und der „Tarifpause“ den größten Beitrag zur Gesundung des Skandalkonzerns beigetragen.
Galeria Kaufhof war erst 2015 durch den börsennotierten US-amerikanischen Handelsriesen HBC übernommen worden, kämpft aber seitdem mit schrumpfenden Umsätzen und Verlusten. Zuletzt hatte HBC in seinem Europa-Geschäft einen weiteren Umsatzrückgang um 3,4 Prozent verbuchen müssen.
Dabei war nun wieder die österreichische Signa-Gruppe des Immobilien-Investors René Benko, der übernahm die Karstadt Warenhaus GmbH mit ihren 83 Karstadt-Filialen. Nun bekam er auch Kaufhof, für einen Appel und ein Ei. Im Sommer 2018 stimmte die Hudson´s Bay Company den Verträgen zur mehrheitlichen Übernahme von Galeria Kaufhof durch die Signa Holding zu.
Im November 2018 war dann die Fusion von Kaufhof und Karstadt unter Dach und Fach mit 49,99 Prozent von Hudson Bay und 50,01 Prozent Signa-Holding als Galeria Karstadt Kaufhof.
Kaufhof wegen Zahlungsunfähigkeit in die Insolvenz
Die Entwicklung im Einzelhandel, gepaart mit dem Missmanagement der Unternehmensleitung hat dazu beigetragen, dass auch der Warenhauskette GaleriaKaufhof die Zahlungsunfähigkeit drohte. Schnell war die Rede von einem Verlustbetrag bei Kaufhof in dreistelliger Millionenhöhe.
Anfang 2020 wurde dann das Insolvenzverfahren als Schutzschirm für die GaleriaKarstadtKaufhof GmbH beantragt, die Corona bedingte Schließung hatte als Brandbeschleuniger gewirkt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen 22.265 Beschäftigte, 10.084 in Voll- und 12.181 in Teilzeit. Nach dem Insolvenzplan sollte der Betrieb langfristig mit 16.350 Beschäftigten weitergeführt werden.
Nachdem der Insolvenzplan von den Gläubigern angenommen wurde, hob das Gericht das Verfahren dann im Sommer 2020 wieder auf, auch für die Tochterunternehmen Karstadt Sports, Karstadt Feinkost, Le Buffet und Dinea.
Schließungspläne
In Betriebsversammlungen erfuhren die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof, dass von 172 Filialen 62 geschlossen werden sollen. Von den Schließungsplänen betroffen sind etwa 6.000 Beschäftigte. ver.di war es in den vorhergehenden Tarifverhandlungen noch gelungen, den ursprünglich geplanten Personalabbau von 10 Prozent auf der Fläche zu verhindern und die Zahl der von Schließung bedrohten Filialen von ursprünglich 80 auf 62 zu reduzieren. ver.di konnte noch durchsetzen, dass die betroffenen Beschäftigten für mindestens sechs Monate in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wechseln können, für sie gelten die mit den Betriebsräten ausgehandelten Sozialpläne und auch, dass der Flächentarifvertrag erhalten bleibt.
Kampf um Erhalt von Filialen und Arbeitsplätzen
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Betriebsräte und die Beschäftigten hatten zum Erhalt von Filialen und Arbeitsplätzen lokale Bündnisse in vielen betroffenen Städten und deren Politikern geschlossen. Es konnte erreicht werden, dass von den ursprünglich 62 Filialen auf der Schließungsliste, 21 Häuser, also ein Drittel, gerettet wurden.
Von den 41 verbliebenen GaleriaKarstadtKaufhof-Schließungsfilialen sollten 35 zum 31. Oktober 2020 und sechs Filialen zum 31. Januar 2021 geschlossen werden. Insgesamt verlieren durch die Schließungen in den Filialen rund 2.500 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Mehr als 1.800 wechseln in die tarifvertraglich vereinbarten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften. Rund 250 Beschäftigte verlieren auch bei Karstadt-Feinkost ihren Arbeitsplatz; etwa 140 von ihnen wechseln in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Von den ursprünglichen 24 Schließungsfilialen bei Karstadt-Feinkost sollten zum Ende Oktober 2020 nunmehr 14 von 50 geschlossen werden.
Die Gewerkschaft ver.di wirft der Geschäftsführung und den Insolvenzverwaltern im Umgang mit Karstadt-Sports Unredlichkeit vor, die Forderung nach einer Transfergesellschaft für die Beschäftigten dort wurde gänzlich abgelehnt. Bei Karstadt-Sport wurden 15 von 31 Filialen im Laufe des Oktobers geschlossen und den rund 500 Beschäftigten gekündigt.
Mehrheitsanteilseigner René Benko auf der Sonnenseite
Während tausenden Beschäftigten gekündigt wurde, hat sich der Mehrheitsanteilseigner René Benko ausgerechnet dieses Jahr rund 100 Millionen Euro Dividenden der Muttergesellschaft des Handelskonzerns, der Signa GmbH, ausschütten lassen.
Es wurde auch bekannt, dass die Signa-Holding in den USA noch einmal kräftig investiert hat, mit einem US-Partner ist man dort mit 134 Millionen Euro auf Unternehmenseinkaufstour gegangen.
Öffentlichkeitswirksame Aktionen zu Filialschließungen
Mit zahlreichen Aktionen haben die Beschäftigten der GaleriaKarstadtKaufhof GmbH im Oktober 2020 auf die ersten 35 Filialschließungen des Konzerns und auf das Missmanagement der bisherigen Geschäftsleitung aufmerksam machen wollen. ver.di wollte hierbei eine Bühne bieten, auf der „In die Trauer um die Jobverluste sich auch berechtigte Wut der Kolleginnen und Kollegen auf die derzeitige Unternehmensleitung mischen kann.“
Das scheint bei der emotional aufgeladenen Aktion der Düsseldorfer Belegschaft von Kaufhof Mitte Oktober gelungen zu sein. Die entfachte Wut einfach durch Emotionalität zu kanalisieren ist aber zu wenig.
Es gibt auch andere Aktionsformen im Kampf um Arbeitsplätze, bei denen Wut eine gute Voraussetzung ist, aber die zielgerichtete und konfliktorientierte Strategien in den Vordergrund stellen.
Herkömmliche Insolvenzverfahren
Wie das Beispiel Karstadt vor einigen Jahren und Kaufhof heute zeigt, ist es immer eine unumkehrbare Entwicklung im Arbeitskampf, wenn ein Betrieb die Insolvenz, in welcher Form auch immer, beantragt. In dem Moment ist zumindest ein Teil der Arbeitsplätze verloren und für alle Beteiligten abgeschrieben. Das Aus soll für die Beschäftigten durch das Insolvenzgeld (60 Prozent des Entgelts) schmackhafter gestaltet werden, doch mit dem Insolvenzgeld ist der einzelne Mensch auch aus dem Betrieb raus.
Bei dieser Art des Insolvenzverfahrens kommt meist ein Investor ins Spiel, der als Retter von den Medien hochgelobt wird. Nach dem Kauf, manchmal für einen symbolischen Euro, wird die Verwertung gestartet. Die kurzfristigen Gewinne werden mithilfe der Gewerkschaften erzielt, die um des Ganzen willen dem Abbau von Arbeitsplätzen, Verlängerung der Arbeitszeit, Kürzungen der übertariflichen Leistungen, Lohnsenkungen, nicht vergüteten Überstunden, Auslagerung einzelner Bereiche und dem Einsatz von Leiharbeitern zustimmen. Die folgenden Gewinne generieren sich aus dem Profit oder der Ausschlachtung des Unternehmens.
Doch diese im Regelfall automatisch ablaufenden Prozesse müssen nicht unbedingt sein.
Wenn ein Unternehmen verkauft oder ausgeschlachtet werden soll, weil so mehr Gewinn für die Eigentümer heraus kommt, kann das Unternehmen durchaus noch so gesund sein, dass es der Belegschaft auch zukünftig den Lebensunterhalt sichert und keiner Rettungsversuche bedarf.
Schon in der der Pariser Kommune gab es das „Décret des ateliers“ vom 16. April 1871, das die Fortführung der von Eigentümern verlassenen Werkstätten durch Kooperativen der dort zuvor Beschäftigten vorsah. Auch heute sieht das Insolvenzrecht vieler Staaten eine solche Möglichkeit vor.
Insolvenz in Eigenverwaltung
Die Insolvenz in Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. der Insolvenzordnung gibt es schon länger, sie wurde aber von den Gerichten nur sehr selten angeordnet. Nachdem im Jahr 2012 das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen” (ESUG) in Kraft trat, bekam das Verfahren einen regelrechten Aufschwung. Mit einem neuen Gesetz wollte die Bundesregierung Firmen ermutigen, rechtzeitig Insolvenz anzumelden.
Die Eigenverwaltung ist kein eigenes Verfahren, sondern eine Sonderregelung zur Verwaltung des Vermögens des Insolvenzschuldners. Sie findet im vorläufigen Verfahren statt und es wird kein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt, sondern der Schuldner selbst übernimmt diese Verwaltung.
Die Praxis der Gerichte seit 2012 zeigt, dass die Eigenverwaltung immer dann angeordnet wird, wenn sich das Unternehmen des Schuldners offenbar mittelfristig fortführen und eine positive Fortführungsprognose hat.
Die Insolvenz in Eigenverwaltung ist auch deshalb attraktiv, weil sie das Unternehmen für drei Monate finanziell entlastet, denn es gibt Insolvenzgeld, die Umsatzsteuer wird eingespart und die Miet- und Leasingraten werden ausgesetzt. Erleichtert wird, Verträge zu kündigen und sich von den Beschäftigten zu trennen. Nach den drei Monaten arbeitet das Unternehmen wieder unter Vollkosten.
Die Eigenverwaltung endet mit der Anordnung der Überleitung in das reguläre Insolvenzverfahren oder der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Eine vom Schuldner gegebenenfalls während der Eigenverwaltung erteilte Vollmacht, die sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht, erlischt gemäß § 117 Abs. 1 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Im Fall der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH wurde das Insolvenzverfahren vom Amtsgericht aufgehoben, auch für die Tochterunternehmen.
Da sich an den Eigentumsverhältnissen nichts geändert hat, haben die Eigner über die eingesetzte Geschäftsführung nach wie vor das Sagen und genau das ist der Hemmschuh für alternative Lösungen z.B. für die Fortführung der Unternehmen in Form von Kooperativen oder Genossenschaften von den zuvor dort Beschäftigten.
Besetzen, Widerstand leisten und weiterproduzieren – das argentinische Beispiel wie man Arbeitsplätze selber schafft
In Argentinien rollte in 1990er Jahren eine große Schließungswelle von teilweise rentablen Unternehmen über die Köpfe der Beschäftigten hinweg. Viele der gut organisierten Arbeitskräfte, die auf die Straße gesetzt wurden stellten sich den Betriebsschließungen entgegen.
Bei den ersten Besetzungen ging es darum, den eigenen Arbeitsplatz, wenn nötig, auch gewaltsam zu verteidigen, den Besetzern standen die Polizei und privat finanzierte Schlägerbanden gegenüber.
Dann blockierten die Aktivisten Straßen, um Aufmerksamkeit und Hilfe für eine Weiterführung der Unternehmen zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt stand die Eigentumsfrage nicht so sehr im Vordergrund. Das änderte sich allerdings recht schnell, als die Beschäftigten versuchten die Schließungen selbst aufzuhalten und die Unternehmen dann als Belegschaftsgenossenschaften zu betreiben. Die früheren Forderungen nach Verstaatlichung der Betriebe wurden fallen gelassen und die instandgesetzten Unternehmen wurden selbstorganisiert und egalitär geführt.
Die erste Welle der Straßenblockierer bestand hauptsächlich aus ehemaligen Staatsangestellten, die ab etwa Mitte der 1990er auf den Verlust ihrer bisher sicher scheinenden Arbeitsplätze reagierten. Die zweite Welle ab Ende des Jahrzehnts kam schon zu großen Teilen aus dem dauerhaft verarmten Milieu, die gegen ihre schlechte Lebenssituation insgesamt protestierten. Diese beiden Wellen trafen im Dezember 2001 als Massenbewegung von Hunderttausenden mit der von Verarmung bedrohten und auf leere Kochtöpfe schlagenden Mittelklasse im Zentrum von Buenos Aires zusammen. Gemeinsam bildeten sie die auf fast jeder größeren Demonstration in Sprechchören beschworene Einheit der Arbeiter. Die anhaltenden Massenproteste schafften es, innerhalb einer Woche mehrere Regierungen aus dem Amt zu jagen und sorgten schließlich dafür, dass wieder eine peronistische Regierung an die Macht kam, die zumindest vorgab, den neoliberalen Ausverkauf zu beenden und die tatsächlich eine Reihe sozialer Maßnahmen ergriff.
Trotz dieser Massenbewegung versuchten Staat und Kapital den Prozess der Betriebsbesetzungen notfalls mit allen Mitteln zu stoppen, bevor er richtig beginnen konnte. Sie sahen, dass sobald die Betriebe besetzt sind und die Übernahme in Aussicht steht, eine Räumung nur noch gegen die Öffentlichkeit durchzusetzen ist. Dies war schlicht unmöglich, da immer eine große Mehrheit der Menschen auf der Seite der Besetzer stand und heute noch steht, was alle Umfragen und Studien in den vergangenen 20 Jahren auch bestätigen.
Schnell war für die Genossenschaftsmitglieder klar, dass erst durch die Belegschaftskontrolle praktisch alle weiteren Entscheidungen über den Betrieb überhaupt so getroffen und durchgesetzt werden konnten und das formale Eigentum einer Genossenschaft am Betrieb für die praktische Durchsetzung nicht ausreichte, wenn die vormalige Entscheidungsstruktur nur leicht modifiziert fortbesteht. Einfach den Chef durch einen Präsidenten und das Management durch den Vorstand zu ersetzen reichte nicht aus, um den vielen Störfeuern des Staates, wie die offene und versteckte Repression, Bestechungsversuche und Erpressung, mit dem Ziel, den Betrieb wieder stärker unter Kontrolle zu bekommen, etwas entgegenzusetzen.
Um den Repressionen wirksam zu begegnen, haben die Besetzer in den letzten Jahren viel Wert auf die geplante, juristisch abgesicherte Nahtlos-Übergabe der Betriebe gelegt und konnten sich auch auf die eingespielten landesweiten Organisationen stützen. Andererseits waren die Betriebe bemüht, an staatliche Aufträge zu kommen, um aus der Abhängigkeit von Outsourcing/ Subsourcing in den Zulieferketten der Großunternehmen zu entkommen. Aber selbst wo dies gelang, wurden die Betriebe von der Regierung unter Druck gesetzt und förmlich betrogen, um ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Die Versammlungen waren weit aus mehr als Treffen zum Austausch, sie sprachen auch die Menschen aus der Umgebung, andere Gewerkschaftsgruppen und Leute aus den Stadtverwaltungen und lokalen Parlamenten an und bekamen immer größere politische Macht. Es wurden auch Vorgesprächsrunden für die Vollversammlungen eingeführt, um Teile der Belegschaft, die im öffentlichen Diskutieren weniger geübt waren, an die Debatten und Entscheidungen über den eigenen Betrieb heranzuführen.
Eine der wichtigsten Erfahrung war die gegenseitige Unterstützung und Solidarität, die zunächst im Betrieb, über die Abteilungsgrenzen und Lohnniveaus hinweg, als auch später in die Umgebung hinein sichtbar wurde und dann in die anderen Betriebe, die anderen sozialen Kämpfe und die politische Nachbarschaft hineinwirkte.
Ständig wurde das Modell der Übernahme weiter entwickelt, immer wieder flossen wichtige Modifikationen ein. Beständig wuchsen auch die staatlichen Repressionen und brachten dann noch mehr Menschen gegen die Staatsgewalt auf. Dennoch machten die Besetzungen viele soziale Kämpfe sichtbar, sodass die Staatsmacht nicht mehr einfach über die Menschen hinweg entscheiden konnte.
Die verteidigten oder zurück gewonnenen Arbeitsplätze waren kein vollständiger Ersatz für reguläre oder gar tariflich abgesicherte Beschäftigung. Versuche, die Regierung zu einer grundsätzlichen und wirksamen Änderung des Versicherungs- und Steuerstatus zu bewegen, waren genauso erfolglos wie die Kampagnen zu mehr als nur partieller rechtlicher Unterstützung der Betriebe insgesamt.
Hinzu kam, dass die genossenschaftlichen Betriebe von allen Seiten boykottiert wurden, sie weder Kredite noch Subventionen bekamen, ständig, auch durch IWF-Auflagen, in der Existenz bedroht waren und eine Einkommensstruktur galt, die auf die sozial ohnehin kaum abgesicherter Kleinselbständigkeit der Genossenschaftsmitglieder basierte.
Trotz alledem sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Argentinien mehr als 300 Betriebe in die Hand von insgesamt etwa 20.000 Arbeitskräften übergegangen.
Echte Alternativen für GaleriaKaufhofKarstadt
Anstelle von peinlichen Aktionen der Beschäftigten von GaleriaKarstadtKaufhof, die von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begleitet wurden, könnten neben der unmittelbaren Unterstützung z.B. Solidaritätsinitiativen gebildet werden, die versuchen könnten,
- Angehörige der Beschäftigten und Nachbarschaft einzubinden,
- den Arbeitskampf in die Stadt zu tragen und gesellschaftliche wie politische Unterstützung vor Ort zu organisieren,
- ihre Alternativvorschläge verbunden mit der Eigentumsfrage aufzuwerfen und Ideen zu skizzieren, wie es anders laufen könnte,
- über linke Strukturen Kontakte zu anderen betrieblichen Abwehrkämpfen herzustellen eine Maßnahme, die von gewerkschaftlicher Seite häufig unterlassen wird,
- alternative Unternehmensformen zu diskutieren,
- über Betriebsübernahmen und Arbeiterkontrolle zu informieren,
- Vorschläge zur Bündelung parallel laufender Auseinandersetzungen, zur Politisierung und gesellschaftlichen Verankerung von Forderungen, wie Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgeltausgleich zu entwickeln,
- die Zusammenhänge der kapitalistischen Produktionsweise aufzuzeigen
und die Fragen zu stellen, auf wen werden die Folgen der aktuellen Wirtschaftskrise abgewälzt? Werden sie zulasten der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Beschäftigten gehen oder werden die Vermögenden zur Kasse gebeten?
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sollte sich daran erinnern, dass die Kaufhäuser seit den 1970ern Jahren die einzige nennenswerte gewerkschaftliche Bastion im Einzelhandel waren und Ausgangspunkte für neue Formen der Arbeitskämpfe sein könnten.
Quelle: ver.di, WDR, WAZ, ver.di news, Daniel Kulla: Arbeitsplätze selber schaffen, Vernetzung kämpferische Gewerkschaften VKG Bild: DDR Pressearchiv, Pressefoto 20821, Betriebsbesetzung GPG Teltow 14.12.1992