Eine Inhaftierung ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff. Zu Recht wird deswegen seit 18 Monaten Menschen, die in Abschiebungshaft genommen werden, eine anwaltliche Vertretung zur Seite gestellt. Doch die neue Bundesregierung will das nun wieder abschaffen – und verunglimpft dabei ein rechtsstaatliches Instrument als »Ideologie«.
Noch vor der Sommerpause hatte das Kabinett den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD beschlossen, nun diskutieren die Abgeordneten des Bundestages darüber, ob eine Regelung aus Ampel-Zeiten wieder abgeschafft werden soll – aus fadenscheinigen Gründen.
PRO ASYL lehnt diese geplante Abschaffung des anwaltlichen Vertreters bei Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam entschieden ab und empfiehlt das auch dem Bundestag.
PRO ASYL hat dazu auch in der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss Stellung bezogen.
Das gilt auch für die Bestimmung »sicherer Herkunftsstaaten« durch Rechtsverordnung, die im selben Gesetzentwurf steht – hier gibt es dazu mehr Informationen.
Abschiebungshaft ist sehr oft rechtswidrig
Im Zuge des sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetzes führte die Ampel-Regierung im Februar 2024 neben vielen Verschärfungen auch eine Verbesserung ein: die Bestellung einer anwaltlichen Vertretung (Paragraf 62d Aufenthaltsgesetz). Die Regelung besagt, dass der Staat jeder Person in der Abschiebungshaft und dem Ausreisegewahrsam, die noch keinen Anwalt hat, einen Anwalt/eine Anwältin stellen muss.
Ein solcher verpflichtender Rechtsbeistand wurde von PRO ASYL und weiteren Organisationen seit langer Zeit gefordert. Denn seit Jahren ist es ein Skandal für den deutschen Rechtsstaat, dass häufig rechtswidrig Abschiebungshaft angeordnet wird.
Hohe Fehlerquote
Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch führt seit 2001 eine Statistik über die von ihm vertretenen Abschiebungshaftmandate. Bisher hat er bundesweit 2.764 Menschen in Abschiebungshaft vertreten, bei 1.390 von ihnen bestätigten Gerichte, dass sie rechtswidrig inhaftiert waren – Tage, Wochen oder gar Monate. Zusammengezählt kommen die Mandant*innen von Peter Fahlbusch auf 35.691 rechtswidrige Hafttage – das sind 98 Jahre. Pro Person liegt der Schnitt bei 25,7 Tagen rechtswidriger Haft.
Eine Korrelation, laut der Abschiebungshaft zu mehr Abschiebungen führt, ist statistisch nicht nachweisbar.
Seit Jahren liegt die Fehlerquote bei den gerichtlich überprüften Haftanordnungen in seiner Statistik bei circa 50 Prozent. Bezüglich der Haftverfahren am Bundesgerichtshof (BGH) schätzte im Jahr 2014 eine der damals zuständigen Richter*innen die Erfolgsquote von Klagen zur Abschiebungshaft auf 85 bis 89 Prozent. Offizielle Statistiken werden von staatlichen Stellen nicht erhoben. Eine Korrelation, laut der Abschiebungshaft zu mehr Abschiebungen führt, ist im Übrigen statistisch nicht nachweisbar.
Rechtsstaatliches Instrument als Ideologie verunglimpft
Bei der rechtsanwaltlichen Vertretung in Frage geht es nur um die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung – nicht, wie missverstanden oder bewusst falsch dargestellt wird, um die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Selbst auf der Webseite des Bundesministeriums des Innern steht fälschlicherweise zur verpflichtenden Bestellung von Anwält*innen bei Abschiebungshaft: »Hier habe es sich [laut Bundesinnenminister Dobrindt] um den Versuch gehandelt, die Rückführung von Ausreisepflichtigen trotz durchlaufener Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit allen juristischen Möglichkeiten noch zu verhindern.«
Im Bundestag präsentierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt den Gesetzentwurf als »Ideologierückabwicklungsgesetz« und kommentierte wörtlich: »Aber wenn der Betroffene am Ende dieses ganzen rechtsstaatlichen Prozesses keinen Schutzstatus bekommt und abgeschoben werden muss, weil er der Ausreisepflicht selber nicht nachkommt, meine Damen und Herren, dann braucht es schlichtweg keinen juristischen Pflichtverteidiger, keinen Pflichtbeistand mehr, weil der am Schluss nur noch die Abschiebung verhindern soll […].«
Zweck der anwaltlichen Vertretung wird verdreht
Dem zuständigen Bundesinnenminister ist damit wohl weder die tatsächliche Funktion noch die reale Praxis zum Pflichtbeistand in der Abschiebungshaft bekannt. Denn der Pflichtbeistand unterstützt die Betroffenen nicht bei Klagen gegen die Abschiebung an sich, sondern nur bezüglich der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung. Für die Rechtmäßigkeit der Haft ist nicht allein die Ausreisepflicht als Voraussetzung ausreichend, sondern es muss zum Beispiel Fluchtgefahr oder ein anderer Haftgrund bestehen. Schließlich entscheidet bei Haftfragen mit den Amtsgerichten auch eine andere Gerichtsbarkeit als beim Asyl- und Aufenthaltsgesetz, für das in Deutschland die Verwaltungsgerichte zuständig sind.
Es ist zudem bezeichnend, dass die Zahl der Abschiebungen seit der Einführung des Paragrafen 62d Aufenthaltsgesetz nicht etwa zurückgegangen, sondern gestiegen ist. Sowohl 2024 als auch im ersten Halbjahr 2025 ist die Zahl der Abschiebungen mit 20.084 beziehungsweise 11.807 stetig gestiegen (zum Vergleich 2023: 16.430) – trotz der Neuregelung einer verpflichtenden anwaltlichen Vertretung in Haftfragen.
Der Rechtsstaat ist keine »Ideologie«!
Der Rechtsstaat und damit verbundene Prinzipien wie die Waffengleichheit aller Beteiligten – also, dass alle Parteien im Verfahren die gleichen Rechte und Mittel haben – sind keine »Ideologie«, wie Dobrindt suggeriert, sondern zentrale Säulen des Grundgesetzes und der Demokratie in Deutschland. Sie gelten unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Die langjährige am Bundesgerichtshof tätige Richterin Johanna Schmidt-Räntsch resümierte im Jahr 2020 dass es »[…] eines Rechtsstaats nicht würdig [ist] und […] unbedingt geändert werden [sollte]«, dass Betroffene regelmäßig ohne anwaltliche Vertretung in Abschiebungshaft sind und angesichts der Komplexität des Haftrechts ihre Rechte nicht effektiv wahrnehmen können. Nicolai Kaniess, Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin, kommentierte die Einführung der anwaltlichen Pflichtbestellung wie folgt: »Schlechterdings war schon bisher schwer vermittelbar, warum Beschuldigte zB in (einfachen Laden-)Diebstahlsverfahren iFd Haftvorführung notwendig rechtsanwaltliche Hilfe erhalten, Betroffene in der komplexen Materie des AufenthG aber nicht.
Grundrechtliche Bedeutung der Bestellung anwaltlicher Vertretung
Im Rahmen der Abschiebungshaft werden Menschen inhaftiert, um die Ausreisepflicht durchzusetzen – nicht, weil sie Straftaten begangen haben. Die Abschiebungshaft stellt in rechtlicher Hinsicht einen Freiheitsentzug im Sinne der Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 und Artikel 104 Absatz 2 Grundgesetz dar. Damit handelt es sich um einen Eingriff in ein besonders wichtiges Grundrecht. Das Bundesverfassungsgericht betont in Bezug auf Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz, dass dort die Freiheit der Person als »unverletzlich« bezeichnet sei. Dies sei, laut Bundesverfassungsgericht, eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung, die das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut kennzeichne, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden dürfe. Als notwendiges Korrektiv für einen solchen Eingriff müssen besondere Anforderungen erfüllt werden. So verlangt Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz, dass nur der Richter/die Richterin über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung entscheiden kann.
Im Rahmen der Abschiebungshaft werden Menschen inhaftiert, um die Ausreisepflicht durchzusetzen – nicht, weil sie Straftaten begangen haben. Die Abschiebungshaft stellt in rechtlicher Hinsicht einen Freiheitsentzug dar.
Mit steigender Grundrechtsintensität steigt auch die Bedeutung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz und das Gebot des fairen Verfahrens, welche aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz abgeleitet werden. Und um dem gerecht zu werden, braucht es die Bestellung anwaltlicher Vertretung.
Der Rechtsstaat muss die nötige Zeit gewähren
Auch deshalb widerspricht PRO ASYL der Kritik, die Bestellung mache die Haftanhörungen zeitintensiver und komplexer, wie zum Beispiel die Justizminister*innenkonferenz anführte. Erstens konnte eine Umfrage der Universität Hamburg dazu keine empirischen Hinweise finden. Ein*er der interviewten Richter*innen sagt in der Studie: »Bei guten Anwälten wird die Dauer eher verkürzt; bei schlechten eher verlängert, da versucht wird verfahrensfremde Aspekte einzubringen.«
Zweitens drängt sich die Frage auf: Selbst wenn eine Haftanhörung durch die anwaltliche Vertretung des/der Betroffenen zeitintensiver werden würde – muss ein Rechtsstaat sich diese Zeit nicht leisten können? Wurde zum Beispiel je in Bezug auf die Anordnung von Untersuchungs- oder Strafhaft diskutiert, dass eine anwaltliche Vertretung diese zu komplex machen würde und deswegen abgeschafft werden sollte?
Durchschaubare Kritik
Es ist auch davon auszugehen, dass die Kosten für die Bestellung der Anwält*innen, die von den Bundesländern getragen werden, ein Grund dafür sind, warum diese die Abschaffung der Regelung fordern. Hierbei ist jedoch auffällig, dass die Kostenfrage bezüglich der Abschiebungshaft selbst nicht diskutiert wird. Dabei ist diese sehr teuer. In Hessen liegt der Tagessatz der Kosten der Abschiebungshaft bei 455,28 Euro (Stand 2023) – und damit liegt das Bundesland wohl ungefähr in der Mitte der möglichen Preisspannen. Wenn durch die Bestellung eines Anwalts/einer Anwältin die Haft verkürzt wird, dann spart dies letztlich sogar Kosten.
Zunehmende Ausweitung des Freiheitsentzugs
Der Gesetzentwurf zur Streichung der verpflichtenden anwaltlichen Vertretung kommt zudem in Zeiten, in denen die Möglichkeiten zum Freiheitsentzug insgesamt stark ausgeweitet werden sollen.
Am 3. September 2025 beschloss das Kabinett den Regierungsentwurf zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und setzt damit insbesondere auf die Verschärfung bestehender und Einführung neuer Haftformen. Eine Inhaftierung droht Schutzsuchenden zukünftig in nahezu jedem Abschnitt ihres Verfahrens: von einer Überprüfungshaft über eine neue Asylverfahrenshaft und der Haft im Rückführungsgrenzverfahren bis hin zur weiter bestehenden Abschiebungshaft.
Aktuell wird zudem der Entwurf der EU-Kommission für eine Rückführungsverordnung zwischen den Mitgliedstaaten diskutiert. Sollte der Entwurf in der aktuellen Fassung beschlossen werden, dann würde dies eine erhebliche Ausweitung der Abschiebungshaft bedeuten: von einer regulären maximalen Haftdauer von sechs Monaten hin zu einer regulären maximalen Haftdauer von zwölf Monaten. Bei mangelnder Kooperationsbereitschaft oder bei einer Verzögerung der Übermittlung von Dokumenten aus einem Drittstaat kann aktuell die Höchstdauer um 12 Monate auf 18 Monate verlängert werden. Zukünftig soll in den gleichen Fällen die Haftdauer ebenso um 12 Monate und damit auf insgesamt 24 Monaten verlängert werden können. Wie PRO ASYL mit über 200 Organisationen in einem europaweiten Statement gemeinsam kritisierte, würde die vorgeschlagene Rückführungsverordnung eine systematische Anwendung von Haft fördern.
Probleme in Konzeption und Umsetzung der Regelung
Unabhängig davon, dass Bundesinnenminister Dobrindt die Bestellung der Pflichtanwält*innen nun wieder ganz abschaffen will, gibt es aus Sicht von PRO ASYL auch an der Regelung der Ampel-Regierung einige Kritikpunkte. Hierzu gehört, dass die Regelung nicht alle Haftformen abdeckt, zum Beispiel nicht die Zurückweisungshaft – obwohl dies eine besonders komplexe Haftform ist. Zudem überzeugt nicht, dass die Regelung in das Aufenthaltsgesetz geschrieben wurde und nicht in das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), in dem regulär solche prozessrechtlichen Fragen geregelt sind.
In der Praxis kommt es zu verschiedenen Problemen. So können Betroffene die anwaltliche Vertretung nicht wechseln, auch wenn sie mit dem/der bestellten Rechtsanwalt/Rechtsanwältin nicht einverstanden sind. Es wird auch immer wieder berichtet, dass Gerichte leider oft in Haftfragen wenig kompetente Anwält*innen bestellen. Dies zeigt auch die Umfrage der Universität Hamburg.
Für PRO ASYL ist klar: Die Bestellung der anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaft darf nicht abgeschafft werden, sondern muss noch weiter verbessert werden.
Reform statt Abschaffung!
Für PRO ASYL ist klar: Die Bestellung der anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaft darf nicht abgeschafft werden, sondern muss noch weiter verbessert werden. Hierzu gehört:
- Die anwaltliche Vertretung muss für alle Formen der Freiheitsentziehung nach dem Asyl- und Aufenthaltsgesetz sichergestellt werden.
- Es braucht eine Qualitätssicherung der rechtlichen Vertretung, zum Beispiel über Listen von Anwält*innen, die von der Bundesrechtsanwaltskammer geführt werden.
- Die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, die zugeordnete anwaltliche Vertretung zu wechseln und sich von einem Anwalt/einer Anwältin ihres Vertrauens vertreten lassen.
Quelle und weitere Infos: https://www.proasyl.de/ Bild: Cc Wikimedia