An das neue Logistik-Zentrum von Amazon sind in Dortmund große Hoffnungen geknüpft. Alle erwarten, dass ein spürbarer Beitrag geleistet wird, die hohe Arbeitslosigkeit in Dortmund und in der Region zu senken. Bei der geplanten Ansiedlung von Amazon sollen 27 Millionen Euro investiert werden, 2.000 Arbeitsplätze entstehen und Dortmund wird dann nach Werne und Rheinberg der dritte Amazon Standort in NRW.
Die Euphorie bekommt aber einen Dämpfer, wenn man sich einmal das Unternehmen selbst und die Arbeitsbedingungen in den Amazon Betrieben genauer anschaut.
Während der Dortmunder Oberbürgermeister Ulrich Sierau sagt, „Faire Löhne für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen spielen eine wichtige Rolle“ und Thomas Westphal von der Dortmunder Wirtschaftsförderung meint: „Vor allem bedeutet es , Arbeit für alle‘, denn durch Amazon ergeben sich neue Jobs für hochqualifizierte, aber auch für geringqualifizierte Menschen,“ betont Roy Perticucci, Chef des Europäischen Logistiknetzwerks: „Amazon wird in Dortmund ab 2017 mehr als 1.000 neue feste Arbeitsplätze in der Region schaffen – mit wettbewerbsfähigen Löhnen und umfangreichen Zusatzleistungen ab dem ersten Tag”, und stapelt etwas tiefer. Da sind es nur noch 1.000 Arbeitsplätz und was „wettbewerbsfähige Löhne“ sind, kennt man von Amazon besonders gut.
Schauen wir uns die Logistikbranche im Allgemeinen und Amazon, den Riesen der Branche, im Besonderen, einmal genauer an.
Die großen Gewinner des Onlinebooms sind die Versandhändler und die Logistikbranche. Der traditionelle Einzelhandel ist der Verlierer, dort waren bisher auch die Hochburgen der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten.
Kaum eine andere Branche ist so elementar von strukturellen Veränderungen betroffen, wie der Einzelhandel. Hier wird ein erbitterter Konkurrenzkampf ausgetragen, das Übliche in einem Wachstumsmarkt. Dieser Kampf wird hauptsächlich über den Lohn und die Arbeitsbedingungen auf dem Rücken der Beschäftigten, ausgetragen.
Nach den Untersuchungen der Hochschule Niederrhein wurde 2013 mehr als jeder vierte Euro für Medien, Tonträger und Computer incl. Zubehör ausgegeben. Der Anteil der Ausgaben für Bücher liegt sogar bei 40 Prozent. Prognosen für das Wachstum von Onlinekäufen im „Non-food-Bereich“ gehen von einem Anstieg von heute 9 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2020 aus.
Die rund drei Millionen Beschäftigen im Einzelhandel müssen nicht nur gegen das Internet ankämpfen, die Ausbreitung von Shopping Centern, Discountern und Riesensupermärkten machen ihnen zusätzlich zu schaffen. In den vergangenen fünf Jahren haben 10 Einzelhandelsfirmen wie z.B. Praktiker, Quelle, Neckermann, Karstadt, Woolworth, Schlecker und Hertie mit zusammen 80 000 Beschäftigten das Insolvenzverfahren beantragt. Die fallenden Löhne in Deutschland haben zusätzlich noch die Nachfrage in diesem Bereich gesenkt. Der Wettbewerb wurde dort härter und die Konzentration in einigen wenigen Konzernen vorangetrieben.
Der Druck auf die Beschäftigten ist noch größer geworden, das Personal wurde ausgedünnt und die Bezahlung geringer.
Für die Gewerkschaften bietet diese Branche aber ein schwieriges Terrain, weil hier sehr viele Beschäftigte z.B. befristet arbeiten, zur Teilzeit gezwungen und auf Überstunden angewiesen sind. Dazu kommt, dass die Gewerkschaftsarbeit in diesem Bereich heftig bekämpft wird, es gibt auch kaum eine Vertretung, so wundert es nicht, dass die Mehrzahl der Beschäftigten falsch eingruppiert ist.
Amazon
Der Gründer von Amazon, Jeff Bezos, hat sich vorgenommen, das größte Online-Kaufhaus der Welt zu schaffen, in dem es einfach alles zu kaufen gibt. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er einen eigenen Kosmos geschaffen, einen Kosmos der Superlative:
Das Unternehmen
Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz des Unternehmens weltweit auf 107 Milliarden US-Dollar. Davon wurden rund 11,8 Milliarden US-Dollar in Deutschland umgesetzt.
Da Amazon steuerlich gut beraten wird, ist amazon.de eine 100-prozentige Tochter von der europäischen Holding in Luxemburg. Rund 500 Millionen Euro pro Jahr werden als Lizenzgebühren an eine Tochterfirma unter Umgehung der OECD-Leitlinien überwiesen, so dass schon mal diese 500 Millionen Euro Gewinn steuerfrei bleiben.
Deutschland ist mit der amazon.de der wichtigste Auslandsmarkt für Amazon.
Auch der Börsenwert hat sich extrem entwickelt: Lag der Marktwert im Jahr 2006 noch bei rund 10 Milliarden US-Dollar waren es 2013 bereits 155 Milliarden.
Seit 2010 gibt es das Amazon Logistikzentrum in Werne mit rund 1000 Arbeitsplätzen. Viele der Beschäftigten kommen aus dem Raum Dortmund und konnten eigene Erfahrungen mit dem Arbeitgeber Amazon machen.
Die Beschäftigten
Derzeit arbeiten weltweit etwa 90 000 Beschäftigte in rund 100 Niederlassungen bei Amazon. In Deutschland sind in den neun Versandzentren rund 15 000 Stammbeschäftigte tätig, davon arbeiten 9 000 unbefristet und 6-7 000 befristet. Je nach Bedarf werden ca. 14 000 „Saisonkräfte“ z.B. zum Jahresende eingestellt.
Da Amazon sich beharrlich weigert, den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag anzuwenden, kommt durch das Sparen an den Personalkosten viel Geld in die Kasse, denn
· der 10,11 Euro pro Stunde Einstiegslohn entspricht 1.698 Euro brutto monatlich – würde nach Tarif gezahlt wären es 2.098 Euro.
· der Urlaub beträgt 28 Tagen gegenüber tariflich 30 Tagen.
· das Urlaubsgeld entfällt, nach Tarif müssten 1.182 Euro gezahlt werden.
· Weihnachtsgeld gibt es Höhe von 400 Euro, nach Tarif müssen es 1.311 Euro sein.
· es gilt die 38,75 Stundenwoche für die gewerblich tätigen Beschäftigten, die 40 Stundenwoche für Angestellte und Auszubildende anstelle von tariflichen 37,5 Stunden in der Woche.
· gemessen an den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels würden die Beschäftigten jährlich rund 9 000 Euro mehr erhalten. (Stand: Ende 2014)
Einige Beispiele für die Arbeitsbedingungen bei Amazon:
· extrem hoher Leistungsdruck, die Packer legen täglich bis zu 25 km Laufweg zurück.
· ständige Überwachung und Sanktionierung durch Kameras und Scanner. Wer mal 5 Minuten lang nichts „gepickt“ hat, bekommt eine Mahnung auf den Scanner gesandt, wer mal zu spät aus der Pause kommt, kann mit einer Abmahnung rechnen.
· durch die Befristung der Stellen erzeugt Amazon permanent Angst und droht, dass der Standort geschlossen werden könnte.
· es gibt immer wieder Stichtage, an denen eine Anzahl von befristeten Beschäftigten entlassen wird.
· ob die Leistung besser oder schlechter bezahlt wird, entscheidet das Unternehmen.
· betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftliche Durchsetzung von Belegschaftsinteressen oder kollektive Rechtsansprüche der Beschäftigten, die sich aus Tarifverträgen ergeben, sind nicht vorgesehen.
· die riesigen Firmengelände sind eingezäunt und streng bewacht, die Beschäftigten müssen durch Sicherheitsschleusen, nach dem ihre Habseligkeiten im Spind verstaut wurden, sie dürfen nichts mit hineinnehmen.
· jeder muss die Amazon eigene Sprache lernen. Aus Warenverräumern werden „Receiver“, aus Packern „Stower“ und Entlassung wird „RampDown“ genannt
und Amazon hat einen außergewöhnlichen hohen Krankstand von 15-20 Prozent der Belegschaft.
Mühseliger Aufbau der Gewerkschaftsarbeit
Amazon Deutschland behauptet, dass sie kein Händler, sondern ein Logistiker sind. So lenkt man davon ab, dass es gar keinen Tarifvertrag gibt und man auch keinen will.
Die vielen Gesprächsangebote der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di blieben ohne Reaktion.
Der Amazon Konzern nennt Gewerkschaften „dritte Partei“ und macht dadurch deutlich, dass er sie erst gar nicht in die Bettriebe hereinlassen will, ganz so wie es in den USA üblich ist.
Der Tarifstreit mit Amazon wird für ver.di zum Risiko: Scheitert die Gewerkschaft in ihrem Kampf um die Mitarbeiter, droht ihr eine dauerhafte Schwächung. Anderseits kann ver.di nicht zulassen, dass sich der Marktführer der Tarifbindung verweigert und eine Abwärtsspirale im gesamten Handel in Gang setzt.
Erfreulich sind die vielen Gewerkschaftsbeitritte und die ganz neuen Streikerfahrungen bei den Beschäftigten von Amazon. An drei Standorten wurde mit Organizing-Projekten begonnen.
Dass Amazon mit harten Bandagen kämpft, sieht man daran, dass Unterschriften gesammelt wurden, mit denen sich Beschäftigte gegen ver.di aussprechen. Rund 1000 sollen mittlerweile zusammengekommen sein. Im Aufruf distanzieren sich die Unterzeichner damit „von den derzeitigen Zielen, Argumenten und Äußerungen der ver.di, die in der Öffentlichkeit über Amazon und damit über uns verbreitet werden“. Angeblich ist der Aufruf allein von Beschäftigten getragen, doch gibt es genügend Hinweise, dass das Management die Aktion unterstützt und lenkt.
In der Vorweihnachtszeit der letzten 2 Jahre, der umsatzstärksten Zeit, legten die Beschäftigten an mehreren Standorten die Arbeit nieder. Sie wollen erreichen, dass Amazon Tarifverhandlungen mit ver.di aufnimmt. Amazon weigert sich weiterhin, einen Tarifvertrag abzuschließen.
So sind auch im in diesem Jahr weitere Arbeitskämpfe bei Amazon notwendig geworden und werden weiterhin notwendig sein.
Ist es gut, dass Amazon nach Dortmund kommt? Ja, aber!
Quellen: ver.di, Hochschule Niederrhein, Lunapark 21
Bild: utele.eu