Wenn wir an Sklaverei denken, sehen wir in Ketten gelegte Menschen, die aus Afrika gewaltsam in alle Welt verschifft werden. Nur selten verbinden wir die Sklaverei mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gegenwart. Tatsächlich ist die Sklaverei als rechtlich abgesichertes Arbeitssystem heute fast weltweit abgeschafft. Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 besagt: «Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.»
Doch die Annahme, es gäbe heutzutage keine Sklaverei mehr, geht an der Realität vorbei. Tatsächlich sind heute – in absoluten Zahlen – mehr Menschen versklavt als jemals zuvor in der Geschichte. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen spricht von «moderner Sklaverei» und schätzt, dass derzeit mindestens 40 Millionen Menschen davon betroffen sind.
Mit unserem Atlas möchten wir Bewusstsein für die weithin ignorierte Sklaverei schaffen. Wir zeigen auf, dass der Fortbestand dieser unmenschlichen Praxis ein globales Problem darstellt. Der 2020 veröffentlichte Weltbericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) über Menschenhandel kommt zu dem Schluss, dass Menschen in keinem Land der Welt vor dem Verbrechen der Sklaverei gefeit sind. Auf der Grundlage der für ihren Global Report on Trafficking in Persons gesammelten Daten konnte das UNODC insgesamt 534 verschiedene Routen des Menschenhandels erfassen. Mehr als 120 Länder gaben an, Betroffene aus über 140 verschiedenen Herkunftsländern entdeckt zu haben. Hinzu kommt, dass die nationalen Behörden manche Routen vermutlich nicht erkennen, auch weil viele Menschen bereits in ihren Herkunftsländern versklavt werden.
DEFINITIONEN SYSTEMATIK EINES SKANDALS
Um internationale Abkommen, Kampagnen und Projekte zu legitimieren, verlangt der internationale Kampf gegen die Sklaverei nach Kriterien für diese Menschenrechtsverletzungen. Aufgrund der vielen verschiedenen Formen ist das nicht einfach. Und oft wird das Umfeld, das Sklaverei hervorbringt, ignoriert und verschont.
Was ist moderne Sklaverei? Auf diese Frage gibt es höchst unterschiedliche Antworten. Drei Kriterien gehören zum kleinsten gemeinsamen Nenner einer Definition: fehlende Einwilligung, Anwendung oder Androhung von Gewalt und eine Ausbeutungskomponente. Zu den Kriterien können auch strukturelle Gewalt und Armut gehören, wenn sie Menschen in die Sklaverei führen, weil sie keine Alternative haben. Ferner liegen moderne Formen der Sklaverei vor, wenn Arbeitsbedingungen als illegal eingestuft werden oder wenn sie bestimmte Grenzen der Zumutbarkeit überschreiten. Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation oder Nichtregierungsorganisationen wie Anti-Slavery International, Walk Free und Free The Slaves setzen etwas unterschiedliche Akzente.
Schuldknechtschaft und Vertragssklaverei bindet Betroffene durch Verschuldung über Kredite und sogenannte Vorschüsse. Teilweise wird auch Gewalt ausgeübt oder die Pässe der Betroffenen werden einbehalten. Die Kreditverträge können saisonal sein, die Schuld daraus kann aber auch durch die Höhe der Zinsen oder Abzüge vom Lohn faktisch nicht tilgbar und sogar vererbbar sein.
Besonders migrantische Frauen müssen Arbeit in Privathaushalten übernehmen, der sie, einmal angefangen, kaum entkommen können, in der sie keine Rechte haben und in der Gewalt gegen sie ausgeübt wird. Solche Hausarbeit kommt in nahezu allen Ländern weltweit vor.
In der Besitzsklaverei und der herkunftsbasierten Sklaverei werden Betroffene in die Sklaverei geboren, entführt oder verkauft. Häufig gehören sie Ethnien, Schichten oder Kasten am unteren Ende sozialer Hierarchien an. Sie werden meist in der häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeit, besonders in der Viehzucht, eingesetzt.
In der rituellen Sklaverei werden Mädchen Priestern übergeben, um diesen in der Haus- und Feldarbeit sowie sexuell zu dienen. Sobald sie schwanger sind oder älter werden, müssen sie neuen Mädchen Platz machen. Das ist zwar gesetzlich verboten, aber in Westafrika und Indien lokal, religiös und kulturell oft anerkannt.
Zwangsarbeit bezeichnet Arbeit, die gegen den Willen der Betroffenen unter Anwendung oder Androhung von Gewalt erbracht wird. Privatpersonen, Staaten, das Militär oder Unternehmen bedienen sich dieser Praxis, vor allem in der Hausarbeit, in der Landwirtschaft, im Bau, in Fabriken und im Sexsektor.
Beim Menschenhandel werden die Betroffenen gegen ihren Willen, unter Anwendung oder Androhung von Gewalt oder unter falschen Versprechen zum Zwecke der Ausbeutung an einen anderen Ort gebracht. Die Grenzen zum (freiwilligen) Schleusen von Menschen können fließend sein, wenn Teile eines Migrationsprozesses unter Zwang stattfinden oder wenn eine freiwillig angetretene Migration in einem Zwangsarbeitsverhältnis endet.
Auch Kinderarbeit existiert weltweit, in eigenen und fremden Familien, in Unternehmen, als Hausarbeit, durch Zwangsheirat, in Landwirtschaft und Industrie. Die Klassifizierung von Kinderarbeit als Sklaverei ist umstritten, insbesondere in Bezug auf die Unterscheidung zwischen selbst- und fremdbestimmter Kinderarbeit, zwischen legitimen und illegitimen Formen und bezüglich der Definition von Kindheit. Während im Völkerrecht Personen unter achtzehn Jahren als Kind gelten, wird nicht nur die Altersgrenze, sondern auch der Anspruch auf eine geschützte Kindheit teilweise als westliches Konstrukt kritisiert. Oft wird Zwangsheirat, manchmal werden auch Genitalverstümmelung und Organhandel als Ausdruck moderner Sklaverei bezeichnet…
Zusammengenommen ergeben diese Perspektiven ein heterogenes Bild moderner Sklaverei, das sich nicht auf eine Definition reduzieren lässt. Entscheidend ist es, moderne Sklaverei, Unfreiheit und Ausbeutung im Rahmen ihres jeweiligen Kontextes zu verorten. Als entscheidende Voraussetzung für die Versklavung von Menschen kann dann soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Ungleichheit offengelegt werden, sei es bezogen auf Geschlecht, Klasse, Kaste, Ethnizität, Familienstatus, Alter oder Staatsangehörigkeit.
EUROPA – DER VERGESSENE KONTINENT DES MENSCHENHANDELS
Für die meisten Menschen in Europa ist Sklaverei etwas weit Entferntes, historisch wie geografisch. Doch es gibt sie, nicht millionen-, aber doch zehntausendfach: als Zwangsprostitution, als Schuldknechtschaft und in einer besonders brutalen Form unter den Arbeitenden in der Viehzucht.
Die überwiegende Zahl von Zwangsprostituierten in Europa kommt aus ost- und südosteuropäischen Ländern. Ein Land ragte dabei in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten besonders heraus: die Republik Moldau. Zwangsprostituierte sind fast ausnahmslos junge Frauen, zu einem kleineren Teil auch minderjährige Mädchen. Sie kommen oft aus ländlichen Gegenden Moldaus, stammen aus armen, häufig verwahrlosten Verhältnissen oder getrennten Familien und sind meistens nur wenige Jahre zur Schule gegangen. Sie werden mit dem Versprechen ins Ausland gelockt, gut bezahlt als Babysitterinnen, Kellnerinnen oder Pflegerinnen zu arbeiten; Zielländer sind unter anderem Deutschland, Italien, Spanien und die Türkei. Dort werden sie zur Prostitution gezwungen und stehen unter permanenter Bewachung. Damit sie nicht fliehen können, werden ihnen auch ihre Ausweisdokumente abgenommen.
Um das Jahr 2000 herum gab es in Moldau viele Tausend Fälle von Zwangsprostitution. Wegen öffentlicher Aufklärungskampagnen und hoher Strafen für Menschenhändler und Zuhälter sind diese Zahlen seit einigen Jahren deutlich rückläufig. Das Land verzeichnete 2019 noch 52 Fälle und im Folgejahr 24 Fälle von polizeilich dokumentierter Zwangsprostitution. Behördenangaben zufolge könnte die Dunkelziffer allerdings weit höher liegen.
In der Tschechischen Republik führt nicht Armut, sondern steigender Wohlstand dazu, dass sklavenähnliche Lebens- und Arbeitsverhältnisse zunehmen. Im Niedriglohnsektor des Landes gibt es viel zu wenig Arbeitskräfte, Menschen aus ärmeren EU-Staaten wie Rumänien oder Bulgarien aber zieht es wegen des höheren Lohnniveaus eher in westeuropäische Länder. Daher unterstützt der tschechische Staat die Anwerbung von Zeitarbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern, unter anderem aus der Ukraine, der Mongolei und Vietnam. In den vergangenen zehn Jahren sind offiziell circa 20.000 Menschen aus Vietnam nach Tschechien gekommen.
In Vietnam sind Arbeitsvisa und Zeitarbeitsverträge für Tschechien praktisch nur über einheimische Vermittler*innen erhältlich, die kriminellen Netzwerken angehören. Arbeitssuchende bezahlen an sie zwischen 10.000 und 20.000 US-Dollar. Die Arbeitsverträge in tschechischen Firmen gelten in der Regel nur ein bis zwei Jahre. Da dort meistens nur der Minimallohn gezahlt wird und außerdem Beträge für Unterkunft und Verpflegung abgezogen werden, können Betroffene ihre Schulden nicht rechtzeitig zurückbezahlen. Endet ihr Vertrag, bleiben daher viele von ihnen illegal im Land.
Da sie nicht viele Alternativen haben, arbeiten sie häufig unter sklavereiartigen Bedingungen in der Drogenproduktion. Tschechien ist seit Langem einer der größten illegalen europäischen Produzenten der synthetischen Droge Methamphetamin, also Crystal Meth. Kontrolliert wird das Geschäft in großen Teilen von Gruppen der organisierten vietnamesischen Kriminalität. Die verschuldeten Vietnames*innen arbeiten nun in den illegalen Meth-Laboren oder auch im Indoor-Growing von Cannabis. Häufig werden sie auch in andere europäische Länder weitergeschleust, so etwa nach Deutschland; Berlin gilt dabei als eines der deutschen Zentren der organisierten vietnamesischen Kriminalität. Die Betroffenen wehren sich so gut wie nie gegen ihre kriminellen Peiniger, denn diese drohen mit Repressionen gegen Familienangehörige im Heimatland oder zumindest damit, ihnen ihr Eigentum wegzunehmen. Zudem ist der soziale Druck hoch, in der Heimat nicht als Versager zu gelten.
Eine brutale Form moderner Sklaverei ist in mehreren südosteuropäischen Ländern und insbesondere in Rumänien zu finden: Auf abgelegenen Weideflächen hausen Tausende von Vieh- und vor allem Schafhirten in winzigen Hütten, erhalten nur minimale Verpflegung und oft auch keinen Lohn. Bis auf wenige Stunden Schlaf müssen sie rund um die Uhr arbeiten, Schafe und Ziegen weiden und melken, Käse herstellen und Gehege ausmisten.
Seit gut einem Jahrzehnt erlebt die europäische Schafzucht einen außergewöhnlichen Boom, angeheizt durch die starke Nachfrage nach Lebend-Schafen und Schafsfleisch aus dem Nahen und Mittleren Osten. In Rumänien gibt es rund zwölf Millionen Schafe und Ziegen; in der EU besitzt nur Spanien eine größere Zahl dieser Tiere. Da die Arbeit der Hirten als äußerst schwer, schlecht bezahlt und daher unattraktiv gilt, rekrutieren manche Viehzüchter in Dörfern Arbeitskräfte unter den Ärmsten der Armen, oftmals Minderjährige und sogar Kinder. In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen Erwachsene und Kinder misshandelt und nachts angekettet wurden und zudem halb verhungert sind. Dennoch kontrollieren Behörden die Arbeitsbedingungen in der Viehzucht bisher immer noch kaum.
Europa ist derjenige Erdteil, der weltweit die besten Gesetze gegen moderne Sklaverei hat. Vor allem die Staaten der Europäischen Union sind dabei Vorreiter. Der Kampf gegen moderne Sklaverei gehört auch zum Wertekanon der EU. Doch oft führen wirtschaftliche Interessen und mangelnder politischer Wille dazu, dass Staaten sklavenartige Ausbeutung dulden und Behörden Arbeitsbedingungen nicht oder zu wenig kontrollieren. Europa ist deshalb weit entfernt davon, das Problem moderner Sklaverei gelöst zu haben.
MIGRATION – UNSICHTBAR UND VOR ALLER AUGEN
In Europa sind Gesellschaft und Politik stolz auf ihre Wohlfahrtsstaaten. Doch diese Oberfläche verbirgt schwere Formen der Ausbeutung und Rechtlosigkeit. Zu denen, die unter Zwang arbeiten müssen, gehören besonders viele Migrant*innen.
Zwangsarbeit in Europa? Für viele Menschen ist das kaum vorstellbar. Doch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass in Europa im Jahr 2012 etwa 880.000 Menschen unter Zwang ausgebeutet wurden und dabei 30 Prozent oder 210.000 Menschen von Zwangsprostitution und 70 Prozent oder 610.000 Menschen von Zwangsarbeit betroffen waren. Seither ist die Dunkelziffer eher noch gestiegen. Die Anzahl der Opfer, die von den Behörden im sogenannten Hellfeld erfasst wurden, ist im Gegensatz zu den geschätzten Zahlen verschwindend gering. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ermittelte 2018 für Süd- und Westeuropa lediglich 5.500 Opfer von Menschenhandel, dabei 66 Prozent zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und 27 Prozent zum Zwecke von Zwangsarbeit. Bricht man die Zahlen der ILO zum Beispiel auf Deutschland herunter, gibt es dort 100.000 Opfer von Zwangsarbeit. Das Lagebild des deutschen Bundeskriminalamtes jedoch listet für 2019 ganze 287 Strafverfahren zu sexueller Ausbeutung auf und nur 14 zu Zwangsarbeit.
Arbeitsausbeutung wird im Allgemeinen deutlich weniger wahrgenommen als Zwangsprostitution; letztere steht wesentlich mehr im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Männliche und weibliche Betroffene von Zwangsarbeit hingegen werden weder als Opfer gesehen noch schätzen sie sich in der Regel selbst so ein. Beratungsstellen und Gewerkschaften bestätigen immer wieder, wie verletzbar vor allem migrantische Arbeitskräfte in Europa sind. Menschen, die vor Armut und Perspektivlosigkeit fliehen und auf der Suche nach einem besseren Leben sind, kennen ihre Rechte nicht, sind nicht gewerkschaftlich organisiert und haben kaum soziale Unterstützung und Netzwerke.
Menschen, die in Europa unter Zwang ausgebeutet werden, leben häufig isoliert. Das hat viele Ursachen. So ist ihr Aufenthaltsstatus häufig ungeklärt, sie haben kaum finanzielle Ressourcen und extrem lange Arbeitszeiten. Darüber hinaus werden sie vom Arbeitgeber kontrolliert, der zum Beispiel keine eigenen Kontakte erlaubt. Auch liegen ihre Unterkünfte nicht selten weit entfernt von anderen Menschen oder direkt bei der Arbeitsstätte. Sie sprechen oftmals die Sprache des Landes nicht und haben keine Ahnung, wo sie Hilfe und Unterstützung finden können.
Ihre Abhängigkeit wird indirekt durch Armut, fehlende Papiere oder Arbeitserlaubnis weiter erhalten. Sie werden aber auch direkt unter Druck gesetzt: So müssen migrantische Arbeitskräfte Reisekosten oder andere Schulden abbezahlen. Auch wird ihnen oder ihrer Familie mit Abschiebung oder gar Gewalt gedroht. In fast allen Branchen kann es zu Arbeitsausbeutung kommen. Die Profite, die ausbeuterische Arbeitgeber*innen so erwirtschaften, sind enorm. Die ILO schätzte 2014, dass die jährlichen Gewinne in der Europäischen Union und den entwickelten Ländern des globalen Nordens bei mindestens 47 Milliarden US-Dollar liegen und weltweit bei über 150 Milliarden US-Dollar. 2016 bezifferte das italienische Forschungsinstitut Eurispes den Gewinn der Zwangsausbeutung von Migrant*innen durch mafiöse Strukturen allein auf italienischen Feldern auf 21 Milliarden Euro. In der Landwirtschaft Italiens sind laut der Branchengewerkschaft FLAI-CGIL über 430.000 Menschen in mafiöse Strukturen eingebunden. Davon leben 100.000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen in illegalen Slums, weitab von jeder Stadt, ohne Kanalisation, ohne Wasser, ohne Infrastruktur. Die Arbeitskräfte ernten Äpfel, Weintrauben, Melonen, Erdbeeren, Tomaten und Gemüse. Frauen aus Osteuropa pflücken die Erdbeeren auf den Feldern um Caserta, für die Orangenernte werden Arbeitskräfte aus Afrika angeheuert. Die Arbeit dauert bis zu 14 Stunden, von vier Uhr morgens bis abends um sechs. Jedes Jahr brechen Menschen tot auf den Feldern zusammen.
Im Niedriglohnsektor wie der Fleischindustrie, der Gastronomie, der Baubranche, der Pflege oder der saisonalen Landwirtschaft laufen migrantische Arbeitskräfte ein besonders hohes Risiko, ausgebeutet zu werden. Das gilt insbesondere für Menschen ohne Papiere und Aufenthaltsstatus. Ähnlich ist es in Sektoren, die sich in Subunternehmerketten strukturieren, wie unter anderem in der Logistik oder den Reinigungsdiensten. Täter*innen müssen kaum fürchten, angeklagt und bestraft zu werden.
Entdecken Behörden wie Polizei oder Zoll Arbeitskräfte in ausbeuterischen Beschäftigungen, werden diese in der Regel weder über ihre Rechte aufgeklärt noch als potenzielle Opfer gesehen oder behandelt. Im besten Fall werden sie abgeschoben, ohne eine Chance zu bekommen, ihren ausstehenden Lohn einzuklagen. Im schlimmsten Fall bekommen sie eine Anzeige wegen Arbeit ohne Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis und werden selbst zu Täter*innen gemacht. So tauchen Betroffene von Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung in keiner Statistik auf. Strafverfolgungsbehörden verstehen deshalb oft nicht, warum Beratungsstellen und Gewerkschaften Schutz und Prävention vor Zwangsarbeit und Opferrechte einfordern. In allen europäischen Staaten muss Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit gesellschaftlich, politisch und statistisch sichtbar gemacht und juristisch verfolgt werden. Viele Branchen und Industrien beuten Menschen rücksichtslos aus, ohne dass es strafrechtliche Folgen hat oder die Opfer ihre Rechte einfordern können. Einige Länder haben kleine Schritte gegen die ausbeuterische Praxis in einzelnen Branchen unternommen, das Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Fleischindustrie in Deutschland ist so ein Beispiel. Ein Anfang – aber längst nicht ausreichend.
Wirtschaft – AN DER LIEFERKETTE
Ein Merkmal der kapitalistischen Weltwirtschaft ist der Einsatz von Zwangsarbeit in den globalen Lieferketten. So kommt Sklaverei unerkannt bei der konsumfreudigen Kundschaft der Importländer an. Sowohl Staaten als auch Unternehmen tragen die Verantwortung dafür, etwa durch fehlenden Sozialschutz, mangelnde Regulierung und die Nachfrage nach Billigprodukten.
MENSCHENHANDEL – BEI DEN URSACHEN ANSETZEN
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die internationale Gemeinschaft viele Anstrengungen unternommen, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Auch auf nationaler Ebene haben viele Staaten neue Gesetze verabschiedet. Aber selbst gut gemachte und umgesetzte Instrumente werden Ausbeutung nicht verhindern.
KINDERSOLDAT*INNEN – JUGEND AUF DEM SCHLACHTFELD
Der Einsatz von Kindern in bewaffneten Kämpfen ist eine verbreitete, besonders brutale Form der modernen Sklaverei. Diese Menschenrechtsverletzung, die so lukrativ ist wie der internationale Waffen- und Drogenhandel, hinterlässt Opfer, die fürs Leben gezeichnet sind.
INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION – MÜHSAME SCHRITTE
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) kämpft seit rund hundert Jahren gegen die moderne Sklaverei. Seit der Zeit des Nationalsozialismus ist Zwangsarbeit geächtet. Noch lange aber war umstritten, dass sie nicht nur von Staaten mit Arbeitslagern, sondern auch von Unternehmen und Privatpersonen ausgeübt werden kann.
ZIVILGESELLSCHAFT – VIELFÄLTIGER WIDERSTAND
Bei den Bemühungen, die Sklaverei abzuschaffen, haben zivilgesellschaftliche Gruppen von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. Doch bis heute fehlen Ressourcen, um den Kampf gegen die Sklaverei zu gewinnen.
MAURETANIEN – UNFREIHEIT IM ALLTAG
Kaum irgendwo auf der Welt ist Sklaverei so verbreitet wie in Mauretanien. Bis heute sind hauptsächlich dunkelhäutige Opfer von Sklavenhaltung und damit von Missbrauch, Gewalt und Hunger. Die Regierung arbeitet aktiv daran, dieses System aufrechtzuerhalten
MALI – NICHT EINMAL GESETZESSCHUTZ
Die Sklaverei in Mali hat eine viele Jahrhunderte lange Geschichte. Obwohl der Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung verankert ist, gibt es bis heute innerhalb einiger ethnischer Gruppen sogar Kasten für Sklav*innen – und kein Recht auf Freiheit.
KAKAO – BITTERE UMSTÄNDE
Berichte über Kinderarbeit auf westafrikanischen Kakaoplantagen schockierten zu Beginn des Jahrtausends die Öffentlichkeit. Seither hat die Beschäftigung von Minderjährigen noch zugenommen. Aber auch der sozioökonomische Kontext findet stärkere Beachtung.
LATEINAMERIKA – TOD, VERWEIGERUNG, AUFSTAND
Amerikas Kolonialherrscher ersetzten die aussterbende oder ausgerottete einheimische Bevölkerung durch neue Arbeitskräfte – Millionen von Menschen aus Afrika.
HAITI – DAS ALLERBILLIGSTE PERSONAL
1804 erkämpften Aufständische in Haiti die Unabhängigkeit ihres Landes und die Abschaffung der Sklaverei. Dennoch ist dort heute eine Form der Kindersklaverei weitverbreitet und dem Staat fehlen die Mittel, dagegen vorzugehen.
BRASILIEN – RETTUNG REICHT NICHT
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte den brasilianischen Staat, weil er auf einer Rinderfarm sklavereiähnliche Bedingungen zuließ. Dieser Einzelfall hat gezeigt, wie mangelhaft die Sklavenarbeit in Brasilien bekämpft wird.
BLACKBIRDING -MIT ZEITVERTRAG ZUM ARBEITEN VERSCHLEPPT
Ausgerechnet die nationalistische „Politik des weißen Australien“ beendete die Anwerbung von Arbeitskräften auf den pazifischen Inseln, die Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte und sich zum regelrechten Menschenhandel ausweitete.
FISCH – AN BORD UND UNTER DECK
In der kommerziellen Fischerei zeigt sich die moderne Sklaverei in Gestalt von Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft. Da sie die meiste Zeit auf See und oft in internationalen Gewässern stattfindet, sind Kontrollen schwierig.
KAMBODSCHA – SCHULDKNECHTE AM ZIEGELOFEN
Die moderne Sklaverei ist im Baugewerbe auf der ganzen Welt weitverbreitet. In Kambodscha findet ein wahrer Boom auf dem Rücken der in Ziegelbrennereien ausgebeuteten Menschen statt. Viele sind infolge von Mikrokreditprogrammen in Schuldknechtschaft geraten.
NORDKOREA – DER STAAT ZWINGT ZUR ARBEIT
Nordkorea entsendet Arbeitskräfte in zahlreiche Länder. Die Praktiken entsprechen dabei in vielerlei Hinsicht einem staatlich organisierten Menschenhandel. Das System verbindet hohe Einnahmen für den nordkoreanischen Staat mit maximaler Kostenersparnis für die Arbeitgeber.
AFGHANISTAN – KINDEREHEN IM PATRIARCHAT
Afghaninnen, die – häufig schon als Kinder – in die Ehe gezwungen werden, leben meist in völliger Abhängigkeit von der Familie ihres Mannes. Zwangs- und Kinderehen machen bis zu 80 Prozent aller Eheschließungen aus. Hilfe für die Betroffenen gibt es kaum.
LIBANON – MIT DEM RÜCKEN ZUR WAND
Hausangestellte im Libanon genießen nicht den Schutz des Arbeitsgesetzes. Das traditionelle Kafala-System schafft stattdessen Bedingungen, die teilweise einer modernen Sklaverei gleichkommen.
Bild und Quelle: Auszug aus atlasderversklavung2021.indd (rosalux.de) der https://www.rosalux.de/