Auch der „Fachkräftemangel“ in den Gastronomieunternehmen ist hausgemacht

Das Klagen über den Fachkräftemangel im Gastgewerbe ist unüberhörbar und es scheint keine Besserung in Sicht.

Wie das unternehmernahe Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des Instituts der deutschen Wirtschaft mitteilt, stehen den knapp 44.000 offenen Stellen für Fachkräfte in Hotel- und Gaststättenberufen nur gut 29.000 entsprechend qualifizierte und arbeitslos gemeldete Menschen gegenüber. Besonders betroffen ist die Hotellerie, dort können aktuell 42,8 Prozent der offenen Stellen nicht mit passend qualifizierten erwerbslosen Menschen besetzt werden. In der Gastronomie allgemein gilt dies für 40,1 Prozent der offenen Stellen.

Bei den Berufen Köchinnen und Koch ist die Lücke am größten, hier fehlen insgesamt 7.555 Fachkräfte.

Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) beklagt, dass allein in NRW die Gastronomie und Hotellerie in der Coronazeit binnen Monaten fast 100.000 Beschäftigte verloren habe. Gefordert werden wieder einmal steuerliche Vergünstigungen und direkte staatliche Hilfen für die Gastrobetriebe.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit, der Personalmangel im Gastgewerbe ist hauptsächlich hausgemacht.

Der Gastronomiebereich wird unterteilt in Beherbergungsgewerbe, Gaststättengewerbe, Caterer und Erbringer sonstiger Verpflegungsdienstleistungen. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr laut DEHOGA 222.789 umsatzsteuerpflichtige Unternehmen, die 93,6 Milliarden Euro Jahresumsatz erwirtschafteten. Im Gastgewerbe arbeiteten im gleichen Jahr 2.347.000 Beschäftigte und 51.076 junge Menschen wurden ausgebildet.

Die Gastronomie war immer schon Vorreiter, wenn es darum geht, Niedriglöhne zu zahlen, ihre Beschäftigten miserablen Arbeitsbedingungen auszusetzen und dabei die Personalkosten oft bis zu 100 Prozent aus öffentlichen Kassen erstattet zu bekommen. So sind rund 1 Milliarde Euro als staatlicher Lohnzuschuss im vergangenen Jahr in den Gastronomiebereich geflossen.

Begleitet vom öffentlichen Jammern, entwickelt der Gastrobereich immer neue Ideen, die Personalkosten zu reduzieren bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen, auf dem Rücken seiner Arbeitskräfte.

Im Gastgewerbe arbeiten nach wie vor über 60 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich darunter der Hauptanteil der Geringfügig Beschäftigten. Viele Jahre lang lagen auch die unteren Tarifgruppen in beiden Teilbranchen-Tarifverträgen (Systemgastronomie und Hotel- und Gaststättengewerbe) unter der Niedriglohnschwelle. Die in der letzten Tarifrunde geforderten 12.00 Euro gibt es für die rund 120.000 Beschäftigten der Tarifgruppe 2 erst ab dem 1.12.2023, wohlgemerkt nur für die Beschäftigten in den wenigen tarifgebundenen Unternehmen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird im Gastrobereich fast nur noch mit Mini-Jobs gearbeitet, bei einem Verdienst, von dem die Menschen nicht leben können und als Aufstocker Arbeitslosengeld II von den Jobcentern beantragen müssen.

Der Deutsche Hotel­ und Gaststättenverband e.V. (DEHOGA) ist der Unternehmer- und Arbeitgeberverband des Gastgewerbes in Deutschland. Nach eigenen Angaben ist es Ziel der DEHOGA, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen der Branche zu verbessern, wobei er sich in den letzten Jahren vor allem durch sein ruppiges Vorgehen gegenüber den Beschäftigten hervortat.

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns wurde von dem Verband heftig bekämpft, in dem ein Horrorszenario für die Branche an die Wand gemalt wurde, mit riesigen Kostensteigerungen, welche zu Arbeitsplatzverlusten oder gar Betriebsschließungen führen würden.

Der DEHOGA hatte eine Unternehmenspolitik gefördert, die zu einer starken Fluktuation innerhalb der Belegschaften führte. Diese Politik fällt ihnen heute auf die Füße. Nach dem Motto „wenn es dir hier nicht passt, geh doch woanders hin“, sind die Fachkräfte abgewandert und nun wird händeringend nach billigem Arbeitskräfteersatz gesucht.

Um diesen Fehler zu glätten, startete DEHOGA vor einigen Jahren dann in Rheinland-­Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern sein Pilotprojekt „Guter Gastgeber – Guter Arbeitgeber“, um vorgeblich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Steigerung der Attraktivität der Branche zu erreichen. Zeitgleich setzte man die Forderung zur Einführung des Zwölf-Stunden-Tages im Servicebereich in die Welt. Die Unternehmen der Branche wollten ihre Beschäftigten an drei Tagen in der Woche auch bis zu zwölf Stunden einsetzen. Da laut Arbeitszeitgesetz bisher zehn Stunden als Obergrenze gelten, wollten sie, dass das Gesetz dann geändert wird.

Um Kosten einzusparen, werden ganz bewusst Personalunterbesetzungen in Kauf genommen, die größtenteils durch unbezahlte Überstunden wieder kompensiert werden.

In den Ausbildungsreporten der letzten Jahre wurde immer wieder auf den rauen Umgangston in der Branche hingewiesen mit den schlechtesten Bewertungen für die Ausbildungsberufe. Außerdem beklagten die jungen Menschen die oftmals fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung und das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Die Abbruchquote ist in den Ausbildungsberufen der Gastronomie nach wie vor mit am höchsten und die Betriebswechsel während der Ausbildung nicht unüblich.

Immer wieder fordern die Unternehmensvertreter eine Dynamisierung der Einkommensgrenze für Minijobs und machen Druck für eine „Anpassung“ der Minijob-Verdienstgrenze an die Lohnentwicklung und argumentieren, dass die Aushilfen immer schneller den Grenzbetrag von 538 Euro erreichen, weil der tarifliche Einstiegslohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liege. Sie führen weiter an, dass bei Einführung des Mindestlohns 2015 die Minijobber eine Arbeitszeit von maximal 53 Stunden im Monat hatten, beim Mindestlohn 2019 mit 9,19 Euro, dürften nur noch 49 Stunden gearbeitet werden. Auch hätte es zuletzt im Jahr 2013 die letzte Anpassung von 400 Euro auf die damaligen 450 Euro gegeben, deshalb sei eine erneute Anpassung überfällig.

Gewerkschaftliches Engagement stößt schnell an Grenzen

Die Gewerkschaft für Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist die größte agierende Gewerkschaft in der Branche, bundesweit hatte sie Ende 2023 noch 187.679 Mitglieder, was einen Anteil von rund 3,0 Prozent der Gesamtmitgliederanzahl der DGB-Gewerkschaften darstellt. Ihr Einfluss ist entsprechend begrenzt, was zum Teil auch in einer starken Fluktuation des Personals in den kleinen Betrieben begründet liegt.

Die Gastronomiebranche ist in Gewerkschaftskreisen nicht besonders beliebt, da sie als schwer organisierbar gilt. Die einelnen Betriebe sind in der Regel nicht sehr groß und somit nicht attraktiv genug für die Anwerbung von Neumitgliedern. Trotzdem konnte die Gewerkschaft im Laufe des Jahres 2023 Mitgliedseintritte in Höhe von 20.479 Personen generieren.

Bei dem geringen Organisationsgrad gibt es ein generelles Misstrauen gegenüber Gewerkschaften. Die Gewerkschaft ist meistens nicht Teil des Betriebes und hat es schwer, sich einen Einblick zu verschaffen. Oft ist sie darauf angewiesen, Informationen durch die Beschäftigten zu erhalten.

Finden sich doch einmal Einzelpersonen, die sich an die Gewerkschaft wenden, können diese zwar beraten werden, aber mehr auch nicht. Zu einer Organisierung der Beschäftigten bedarf es mehr, als eine einzelne Person über eine punktuelle Beratung hinaus für die Gewerkschaftsarbeit zu begeistern bzw. für eine innerbetriebliche gewerkschaftliche Organisation zu gewinnen.

Vor allem fehlt es an öffentlichkeitswirksamen Streiks in der Branche, die eine Mobilisierung entfachen, wie es die Streiks im Einzelhandel und in Erziehungsberufen zeigten. Dabei gingen vor allem Frauen engagiert auf die Straße und konnten sogar den Gewerkschaftsfunktionären durch den Druck von unten, innergewerkschaftliche Mitbestimmung und etwas mehr Demokratie abtrotzten.

Die konkrete Lebens- und Arbeitssituation der Beschäftigten im Gastronomiebereich

Die Arbeit im Gastronomiebereich scheint für Außenstehende eine ziemlich lockere Angelegenheit für die immer freundlichen und sportlichen Beschäftigten zu sein. Doch schaut man hinter die Kulissen, kommt ein ganz anderes Bild zutage:

  • Körperliche Belastungen

Kellner, Köche und Barkeeper müssen oft lange stehen. Nicht selten müssen sie heben und tragen, oder nehmen eine starre Arbeitshaltung ein. Hinzu kommt oft eine unzureichende Arbeitsplatzgestaltung.

  • Hohe Lärmbelastung

Fast ein Drittel der Angestellten im Gastronomiegewerbe sind Lärm ausgesetzt – mehr als vier Prozent machen sich deshalb Sorgen um ihre Gesundheit.

  • Ungesundes Raumklima

Oft arbeiten sie in heißen oder kalten Arbeitsumgebungen. Sorgen offene Türen dabei noch für Zugluft oder muss der Angestellte abwechselnd in warmen und gleich darauf in kalten oder feuchten Räumen – wie zum Beispiel Lageräumen arbeiten, steigt die Gefahr, dass die Gesundheit Schaden nimmt.

  • Verletzungsgefahr

Wenn das scharfe Messer abrutscht, hat das schwerwiegende Folgen. Schnittwunden und Verbrennungen treten im Gastronomiegewerbe besonders häufig auf. Außerdem ist die Gefahr groß, dass Angestellte ausrutschen, stolpern oder fallen – zum Beispiel, weil der Boden nass und rutschig ist. Auch Gefahrstoffen sind sie ausgesetzt. Dazu gehören etwa häufig verwendete radikale Reinigungsmittel.

Doch Beschäftigte in der Gastronomie sind nicht nur körperlichen Belastungen ausgesetzt:

  • Psychosoziale Risiken

Dafür sind unter anderem die unregelmäßigen Arbeitszeiten verantwortlich, denn die Beschäftigten arbeiten meist in langen Schichten und haben nicht nur unregelmäßige, sondern auch ungewöhnliche Arbeitszeiten. Sie arbeiten überwiegend dann, wenn andere Menschen frei haben.

  • Zeitdruck

Die Arbeitsbelastung ist hoch. Etwa 75 Prozent der Beschäftigten sagen, dass sie mit hohem Arbeitstempo ausgesetzt sind , zwei Drittel geben an, dass sie unter großem Zeitdruck arbeiten und beinahe die Hälfte findet, dass sie nicht genug Zeit haben, um ihre Arbeit zu erledigen.

  • Wechselnde Arbeitszeiten

Deshalb ist es für Arbeitskräfte im Gastronomiebereich schwierig, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren – vor allem, weil die Arbeitszeiten oft nicht vorhersehbar und die einzelnen Arbeitstage lang sind.

  • Schwierige Kunden

Auch der ständige Kontakt mir Kunden birgt Risiken. Er kann Stressfaktor sein und im schlimmsten Fall für Belästigung oder Gewalt sorgen.

  • Gesundheitliche Risiken

Wer mit einer niedrigen Bezahlung und einer hohen beruflichen Belastung z.B. als Kellner arbeitet, hat ein viel höheres gesundheitliches Risiken zu tragen. Die Gefahr eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls steigt bei Kellnern um über 50 Prozent. Das liegt nicht nur am stark erhöhten Stressfaktor, sondern auch an der Tatsache, dass gestresste Menschen weniger auf ihren Körper aufpassen und tendenziell öfter rauchen oder übermäßig Alkohol konsumieren.

Untersuchungen belegen, dass der Stressfaktor nicht nur davon abhängt, wie hoch die Arbeitsbelastung ist, sondern auch, wie sehr sich eine Person respektiert und wertgeschätzt in ihrer Rolle fühlt. Kellner z.B. leiden nicht nur unter beruflichem Druck, sondern teilweise auch unter unfreundlichen Gästen, schlechtem Management und mit dem Familienleben oft unvereinbaren Arbeitszeiten. Durch diese Kombination kann Stress seine schlimmste Wirkung entfalten. Viele Beschäftigte schaffen das alles nur noch mit Hilfe von „mother´s little helpers“ und haben dann noch ein zusätzliches, ein Suchtproblem.

Beispiel Mindestlohn

Die neusten Zahlen geben zu denken: Rund 1,8 Millionen Beschäftigte werden noch immer um den Mindestlohn betrogen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) müsste eigentlich von den rund 7.200 massiv, um mindestens 10.000 Stellen aufgestockt werden, um den Mindestlohn flächendeckend kontrollieren zu können. Dagegen hält die Bundesregierung ihre Planung mit 1.600 zusätzlichen Stellen jährlich für ausreichend, was die Unternehmen anstachelt, den offenen Rechtsbruch weiterzuführen.

Im Gastronomiebereich haben die Betriebe bereits unglaublich viel Kreativität dabei entwickelt, die Beschäftigten um ihren Lohn zu prellen:

  • Die Trinkgelder wurden verrechnet.
  • Zuschläge wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wurden gestrichen, um damit formell den Stundenlohn anzuheben.
  • Manche Gastronomen ließen ihre Mitarbeiter als Selbstständige bzw. als freie Mitarbeiter für sich arbeiten. Diese besitzen einen Werk- oder Dienstvertrag und sind im rechtlichen Sinne selbstständig. Sie fallen daher nicht unter den Mindestlohn. Freie Mitarbeiter werden zudem nicht dauerhaft eingestellt, sondern erbringen einzelne, zeitlich begrenzte Leistungen.
  • Die Zeitvorgaben wurden so kurz bemessen, dass sie nichts mehr mit dem realistischen Zeitaufwand zu tun hatten und bezahlt wurde nur die vorgegebene und nicht die tatsächliche Zeit.
  • Die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsöffnung wurde unter den Tisch fallen gelassen.
  • Die Betriebe reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleibendem Monatsentgelt auf den Mindeststundenlohn zu kommen. So etwas bedarf einer Vertragsänderung, der beide Seiten zustimmen müssen.
  • Wurde die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwarteten die Betrirbe trotzdem die bisherige Arbeitsleistung, allerdings nur unbezahlt.
  • Köche wurden nur für die Zeit bezahlt, in der sie ein Essen zubereiten oder die Bedienungskraft nur für die Zeit, in der sie auch konkret die Kunden betreute.
  • Beschäftigte erhielten zwar den Mindestlohn, mussten aber eine „Umsatzabgabe“ zahlen

und

einige Servicekräfte bekamen ihre bis zu 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn dann nach den Belegen gefragt wurde, gab es diese gar nicht.

Beispiel  Minijobs und Aufstocker

Im Jahr 2023 gab es rund 3,92 Millionen Bezieher von Bürgergeld. Davon waren 810.436 sogenannte „erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsempfänger“ oder eben auch Ergänzer oder Aufstocker genannt. Das entspricht etwa 20 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsempfänger.

Den Angaben aus der fortlaufenden Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende der Bundesagentur (BA) zufolge, belief sich die Zahl der abhängig Erwerbstätigen, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen aufstockende Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhielten Ende 2023 auf 810.436.

Die BA-Statistik der erwerbstätigen Hartz-IV-/Bürgergeld-Empfänger zeigt, dass mit einem Anteil von über einem Drittel Teilzeitbeschäftigte die größte Gruppe unter den Aufstockern ausmacht. Für sie dürfte eher der Beschäftigungsumfang als unzureichende Löhne der Grund für das Aufstocken mit Sozialleistungen sein. Mit rund 18 Prozent geht hingegen nur ein geringer Anteil der Aufstocker einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nach. Dazu zählen auch knapp 60.000 Auszubildende, das sind 5,0 Prozent aller Aufstocker.

Mini-Jobber im Gastgewerbe haben im vergangenen Jahr allein knapp eine Milliarde Euro als aufstockende, staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. An die geringfügig Beschäftigten im Gastgewerbe ging damit etwa ein Viertel der insgesamt 4,2 Milliarden Euro, mit denen der Staat Mini-Jobber bezuschusst hat.

Auf dem Rücken der Beschäftigten werden den Unternehmen Teile der Personalkosten erspart, diese Lohndrückerei wird vom Staat auch noch subventioniert.

Beispiel Gastronomie als Ankunftsarbeitsmarkt

Das erste Arbeitsverhältnis wird von vielen zugewanderten Menschen als eine Art Sprungbrett und Übergangsphase in die eigentlich und zukünftig angestrebte Form der Erwerbsarbeit betrachtet. Die Ankunftsarbeit scheint zwar als einfach zugängliche Beschäftigungsmöglichkeit attraktiv zu sein, doch wird die Erwerbsarbeit im Rahmen einer qualifizierten Tätigkeit als sozial höherwertig und damit als erstrebenswert angesehen.

Die Gastronomie ist eine Branche, die nur wenig dem ähnelt, was sich die zugewanderten Menschen unter den Arbeitsverhältnissen in Deutschland vorstellen, wie hohe Löhne, soziale Sicherheit, geregelte Arbeitsbedingungen, Rechtsansprüche und Aufstieg durch Bildung, sondern eher den Strukturen ähnelt, die sie aus ihren Herkunftsländern kennen. Die Gastronomie gilt als der Arbeitsbereich, in dem vieles informell passiert und mit dem höchsten Anteil Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die Löhne der rund 1,5 Millionen Beschäftigten dort sind meist niedrig, Tarifbindung ist die Ausnahme, Betriebsräte sind extrem selten und die Personalfluktuation ist hoch.

Weder bei den Beschäftigten noch bei den Leitungen von Gastrobetrieben ist ein erkennbares Bedürfnis nach formalen Qualifikationen vorhanden. In der Praxis herrscht Learning by Doing, bei der auf eine kurze unbezahlte Erprobungsphase die Einarbeitung im Job folgt. Für die Beschäftigten stellt sich dies wie eine private Ausbildung da, ohne Zertifikat und bei der man davon ausgeht, dass man in dem Beruf, in dem man aktuell arbeitet, auch woanders eine Stelle bekommt.

Die Betriebe sind in der Regel klein und familiäre Beziehungen spielen eine große Rolle. Das ist auch der Grund dafür, dass es praktisch keine Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Allenfalls kann man sich informell für bestimmte Tätigkeiten qualifizieren und so etwas wie „Grillmeister“ oder „die rechte Hand des Chefs“ werden.

Raum für eine formale Interessenvertretung wird da meist nicht gelassen und viele wissen nicht, was eine Gewerkschaft ist. Alle Beteiligten meinen, dass Deutsche ohnehin nicht bereit seien, die angebotenen Jobs zu übernehmen und den geforderten Einsatz zu zeigen.

Für die Arbeitskräfte in der Gastronomie dürfte entscheidend sein, dass sie mit ihrer Arbeit nicht nur als Einkommensquelle angewiesen sind, sondern auch, um ihren Aufenthaltsstatus abzusichern. Entsprechend sind sie zu großen Abstrichen bei Lohn und Arbeitsbedingungen bereit.

Die meisten Beschäftigten im Gastrobereich streben langfristig den Ausstieg an und wollen nicht ein Leben lang am unteren Ende der Befehlskette ausharren. Sie hoffen darauf, früher erworbene Qualifikationen nutzen zu können, wenn sie genug Deutsch gelernt haben und die Anträge auf Anerkennung im Herkunftsland erworbener Abschlüsse erfolgreich sind. Eine andere Aufstiegsmöglichkeit sehen viele darin, sich mit einem eigenen Gastrobetrieb selbständig zu machen. So sehen die meisten die Arbeit im Gastrobetrieb als notwendig hinzunehmende, aber vorübergehende Phase in ihrer Erwerbsbiografie an.

Beispiel Ausbeutung junger Menschen – Teilqualifizierung genannt

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder von unterschiedlichen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt die Teilqualifikationen (TQ) ins Spiel gebracht, wenn es um die Heranführung von sogenannten geringqualifizierten, langzeitarbeitslosen und geflüchteten Menschen an einen Berufsabschluss geht. Das Erwerben einer Teilqualifikation wird durch die Bundesagentur für Arbeit bzw. das Jobcenter vor Ort mit einem Bildungsgutschein gefördert.

Derzeit ist ein regelrechter Boom der Beschäftigung junger Menschen, vor allem in der Gastronomie zu beobachten. die zeitlich befristet, quasi im Rotationsprinzip, der angeschlagenen Gastronomie sich als kostenlose Arbeitskräfte „qualifizieren“ bzw. ihre „Defizite“ angehen sollen, ausgebrochen. Es gibt Restaurants, in denen nahezu 100 Prozent der Beschäftigten sich in einer Teilqualifizierung befinden und eine persönliche Anleitung pro forma nur auf dem Papier gewährleistet ist.

Die Befürworter dieser von der Arbeitsverwaltung geförderten abschlussorientierten Nachqualifizierung behaupten, dass die oben genannten Zielgruppen damit schrittweise ausgewähltes Fachwissen aus anerkannten Ausbildungsberufen erwerben und schnell für anspruchsvolle Tätigkeiten einsetzbar seien.

Die Unternehmen in denen die Maßnahmen durchgeführt werden, schätzen vor allem die kostenfreie Ausbeutung und die vielfach von ihnen geforderte Flexibilität, weil die Teilqualifikation ein unreguliertes, je nach Bedarf frei wählbar und an keine Reihenfolge gebundenes Arbeitsverhältnis ist.

Die Maßnahmen der Qualifizierung sind nicht gesetzlich geregelt. Dagegen sind verschiedene Programme der Arbeitsverwaltung gemäß gesetzlicher Grundlagen staatlich oder aus der Arbeitslosenversicherung finanziert. Private Betreiber von Kursprogrammen bieten mit dieser Finanzierung Qualifizierungsinhalte an. Die Kurse unterliegen keiner unabhängigen Qualitätsprüfung – außer durch die finanzierende Arbeitsverwaltung. Vom Betreiber ausgestellte Zertifikate sind jedoch nicht gesetzlich geschützt.

Die Teilqualifikation ist und bleibt ein Fremdkörper im Qualifizierungssystem, denn einerseits geht sie nicht auf die Lerndistanz und -widerstände der jungen Menschen ein und andererseits ist sie mit deutlichen Schwierigkeiten konfrontiert, die erforderliche  Berufserfahrung bei externen Prüfungszulassung nachzuweisen. In der Regel führt diese Maßnahme nicht zu einem Berufsabschluss, sondern zu einem Verbleib im Bereich der helfenden Tätigkeiten.

Neuste Untersuchungen haben ergeben, dass Teilqualifikation nicht erfolgreicher, als andere Formen der abschlussorientierten Nachqualifizierung wie beispielsweise die Umschulungen ist und die Menschen lediglich als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Für den Bereich Gastronomie ist diese umstrittene Maßnahme der Arbeitsverwaltung eine Lizenz zum Geld drucken.

Geringfügige Beschäftigung führt in die Sackgasse

Seit Einführung des Mindestlohns hat das Interesse an geringfügiger Beschäftigung sichtlich nachgelassen, die Unternehmer machen nun Druck, um sie wieder attraktiver zu machen.

Das Beispiel der Niedriglohnbranche Gastronomie zeigt, dass die öffentliche Hand geringfügig entlohnte Beschäftigte mit Milliardenbeträgen unterstützen muss, weil diese  von ihrer Arbeit in der Regel nicht leben können. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Geschichte von der Brückenfunktion der Mini-Jobs ein Märchen ist, kaum jemand schafft über diese Beschäftigung den Um- und Aufstieg in ein sozialversicherungspflichtiges Vollzeitarbeitsverhältnis.

Die Lohnkostenerstattung durch die öffentliche Hand beeinflusst die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Beschäftigten erheblich. Sie hat immer eine Umschichtung in den Betrieben zur Folge und baut reguläre Stellen ab. Die verbleibenden Beschäftigten entwickeln zunehmend Ängste um ihren Arbeitsplatz und leisten, wenn sie Glück haben, bezahlte Mehrarbeit. Dadurch verhindern sie Neueinstellungen und können ihre familiären und sozialen Beziehungen nicht mehr pflegen. Sie verzichten auf die notwendige Genesungszeit bei Krankheit, schädigen damit ihre Gesundheit und verursachen mehr Kosten für das Gesundheitssystem. Gesamtgesellschaftlich wird eine angstgetriebene Hoffnungslosigkeit erzeugt und der Konkurrenzgedanke bestimmt noch mehr den Alltag.

Immer mehr öffentliche und private Unternehmen folgen dem Beispiel der Gastronomie und ziehen sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurück. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird: mit Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz gefördert, notwendige Arbeiten durch Arbeitskräfte aus den „Öffentlichen Programmen“ erledigen zu lassen.

Besonders Frauen sitzen so in der geringfügigen Beschäftigung fest. Selbst wenn sie länger ausschließlich in einem Minijob gearbeitet haben, kommen sie nicht in ein normales Arbeitsverhältnis. Für die Rentenanwartschaft von Frauen sind die Mini-Jobs schon gar nicht geeignet, mehr noch, sie werden zur Falle. Das Beispiel von der 35-Jährigen Frau, die jetzt in einem Minijob beginnt und die dann im Jahr 2048 mit einer Rente von 163 Euro rechnen kann, sollte weitererzählt werden.

Den Menschen in der prekären Beschäftigung muss seitens der Gewerkschaften viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie können und sollten sich organisieren, nicht unzufrieden vereinzelt bleiben, sondern sich demokratisch und auch im Namen der Menschenrechte zusammentun. Zusätzlich sollten sie sich gewerkschaftliche Unterstützung holen, damit stärken sie ihre Position nochmals und haben somit auch einen größeren rechtlichen Rückhalt.

 

 

 

 

 

Quellen, BA, Markus Krüsemann, ngg, DEHOGA, IAB, o-ton Arbeitsmarkt
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