Bildungspolitische Fehlkonstruktion: Offene Ganztagsschule – Ausschreibung der Trägerschaft in Dortmund bei kompletter Konzeptionslosigkeit

OGS1Die Stadt Dortmund hat gemäß ihrem Ratsbeschluss vom Dezember 2015 die Ausschreibung für die Trägerschaft des Offenen Ganztags auf den Weg gebracht. Dies hat zu einiger Aufregung geführt, denn bei der Offenen Ganztagsschule (OGS) sind schließlich 18 Millionen Euro in den nächsten 6 Jahren zu verteilen. Aktuell sind 16 Bewerber im Rennen. Die etablierten Träger haben Angst, sich dem Bewerbungsverfahren unterziehen zu müssen und weitere Konkurrenten zu bekommen.

Eine aktuelle Studie zur OGS hat zum Ergebnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung durch die Ganztagsschule nur positiv beeinflusst werden kann, wenn die pädagogische Qualität der Angebote stimmt, aber gerade in den Großstädten mangelt es an der räumlichen Ausstattung, das richtige Personal zu bekommen und adäquate Kooperationspartner stehen nicht immer zur Verfügung. Überhaupt fehlt den meisten Ganztagsschulen ein Konzept.

Wenn bei dieser bildungspolitischen Fehlkonstruktion nicht umgesteuert wird, wird in den nächsten Jahren genau so weiter gewurschtelt wie bisher, zu Lasten einer ganzen Generation von Kindern.

In Dortmund besteht seit 2003 ein Ganztagsangebot für Schüler. An 79 Grund- und 8 Förderschulen werden derzeit 9.500 Kinder betreut.

Es wurde eine bildungspolitische Konstruktion gewählt, bei der Probleme nicht nur für die Kinder, sondern auch besonders für die pädagogischen Fachkräfte vorprogrammiert sind.

In der Rahmenvereinbarung der Stadt Dortmund steht: „Schulen und Jugendhilfe bilden eine Verantwortungsgemeinschaft zur Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen, die zweckmäßig und wirtschaftlich und in ihrer Ausgestaltung nach Art, Umfang und Qualität darauf ausgerichtet sind, Kindern und deren Eltern ein bedarfsgerechtes, differenziertes und integriertes Ganztagsangebot auf der Grundlage des jeweiligen Schulprogramms anzubieten“.

Es geht also um eine „Verantwortungsgemeinschaft“, die in der Praxis aber kaum existiert.

Im Gegenteil, es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Arbeitssituation der pädagogischen Fachkräfte zu verbessern, im Einzelnen z.B. bei Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen, Personalschlüssel, körperliche und psychische Belastung, räumliche Situation und Ausstattung, Gerangel um Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Schule und freien Trägern, Regelung der Fach- und Dienstaufsicht, konzeptionelle Weiterentwicklung und mangelhafte Mitbestimmung.

Diese Rahmenbedingungen in Verbindung mit zunehmender Belastung und unangemessener Entlohnung führen mit dazu, dass der Beruf der Erzieherinnen und Erzieher immer unattraktiver wird. Die überflüssige Diskussion um den Einsatz von Langzeitarbeitslosen und die Kurzumschulung von früheren Einzelhandelskaufleuten, um die Fachkräftelücke zu füllen, hat das Berufsbild der pädagogischen Kräfte schon jetzt nachhaltig beschädigt.

Hinzu kommt der Dauerkonflikt zwischen Jugendhilfe und Schule, bei dem sich die Jugendhilfe bedingungslos der Schule von Anfang an untergeordnet, kein eigenes Profil aufgebaut hat und ihre Beschäftigten im Schulalltag im Regen stehen lässt.

Schon zu Beginn stand nicht der Ausbau der Tageseinrichtungen unter Federführung der Jugendhilfe und mit Standards wie im Tagesstättenbereich im Vordergrund, sondern, dass möglichst billig, möglichst viele Kinder „versorgt“ werden.

Gemäß ihrem Ratsbeschluss vom Dezember 2015 hat die Stadt Dortmund nun mit der Ausschreibung für die Trägerschaft der OGS begonnen. 16 Bewerber haben Interesse angemeldet, bisher sind es 12 Träger der OGS.

Nun in der zweiten Runde der Ausschreibung müssen die Bewerber konkrete Angebote für das Schuljahr 2016/17 machen, welche Leistungen sie für eine bestimmte Summe erbringen wollen.

Die etablierten Träger haben Angst, sich bewerben zu müssen. Besonders die Wohlfahrtskonzerne fürchten, dass die Ausschreibung über Jahre gewachsenen Strukturen ins Wanken bringt. Sie meinen, dass eine Ausschreibung wie gewohnt, nicht notwendig sei – alles soll beim Alten bleiben, so auch die Ev. Kirche, die die Trägerschaft an 32 offenen Ganztagsschulen hat und bei der an 288 Beschäftigte im Einsatz sind, darunter sind rund 250 Pädagogen. Die AWO, mit 16 Ganztagsschulen und 168 Beschäftigten äußert die Befürchtung, ob die Qualität der Arbeit bei weiteren Mitbewerbern erhalten bleibt. Sie hofft, dass es nicht zu Kündigungen kommt und droht ein wenig, in dem sie juristischen Auseinandersetzungen ankündigt.

Diese Krokodilstränen der Wohlfahrtskonzerne sind unangebracht, denn in den letzten 10 Jahren wurde gar nichts im OGS hinterfragt oder weiterentwickelt, sondern nur quantitativ ausgebaut.

Weil sie eben die etablierten Träger sind, bekommen die Wohlfahrtskonzerne die meisten öffentlichen Gelder. Sie sind zu den größten Unternehmen in der Stadt geworden und haben auch exklusive Verträge z. B. mit dem Jobcenter geschlossen, in denen ihnen weiter sichere Mittel bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit eingeräumt wird.

Von kaum einem Anstellungsträger der OGS werden den Beschäftigten die gleichen Rechte gewährt, wie dies z.B. bei dem kommunalen Träger der Fall ist. Vor allem treten die kirchlichen Träger die Rechte ihrer Beschäftigten mit Füßen und können deshalb auch die Langzeitprovisorien wie die OGS über Jahre mehr schlecht als recht über Wasser halten. Ohne eigenes Profil innerhalb der Jugendhilfe entwickelt zu haben, scheuen sie Auseinandersetzungen mit den Schulleitungen und der Schulverwaltung. Für die Dienst- und Fachaufsicht sind schlecht ausgebildete Theologen zuständig, wobei man sich fragen muss, ob kirchliche Träger überhaupt die pädagogischen Vorgaben an staatlichen Schulen stellen sollten.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Pädagogische Forschung, an der auch das Deutsche Jugendinstitut, das Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund sowie die Justus-Liebig-Universität Gießen mitgewirkt haben, kommt zu dem Schluss, dass viele Ganztagsschulen, die pädagogischen Ansprüche, vor allem in der Nachmittagsbetreuung, nicht erfüllen. Das ist schade, weil gerade Ganztagsschulen und deren Angebote dazu beitragen können, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in diesem psychosozialen Bereich nachhaltig zu unterstützen.

Insbesondere bei der Leseförderung und dem sozialen Lernen kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung durch die Ganztagsschule nur dann positiv beeinflusst werden kann, wenn die pädagogische Qualität der Angebote stimmt.

Gerade in den Großstädten mangelt es aber an der räumlichen Ausstattung, dem richtigen Personal und adäquate Kooperationspartner stehen dort nicht immer zur Verfügung.

Den meisten Ganztagsschulen fehlt überhaupt ein Konzept, so das Fazit der neuen Studie.

Die bisherigen Träger der OGS fürchten, dass die Ausschreibung über Jahre gewachsene Strukturen ins Wanken bringen wird. Aber genau das ist erforderlich, denn ohne frischen Wind wird diese Gemengelage zu Lasten der Kinder und pädagogischen Fachkräfte  weiter fortgeschrieben.

Es muss ein bildungspolitischer Reset gemacht werden, noch einmal auf Los gegangen und die OGS ganz neu konzipiert werden.

Die Kinder brauchen ein schulisches Ganztagsangebot und ein eigenständiges außerschulisches Jugendhilfeangebot.

Und die Ausschreibung?

Aber wir wissen doch wie das ausgehen wird.

 

Quelle: WAZ