Care-Arbeit und Gender in der sozial-ökologischen Transformation

Von Elisabeth Lechner, Katharina Mader und Christa Wichterich

Krisen und Kapitalismus gehören zusammen. Weil unsere Wirtschaft unbeirrt Wachstum und Profitmachen verfolgt und deswegen menschliche und natürliche Ressourcen ausbeutet, zerstört sie ihre Grundlagen. Das Bild der „doppelten Erschöpfung“ verweist auf die Verwobenheit von Klima- und Care-Krise, denn nicht nur die Natur wird ausgebeutet, sondern auch in der Pflege-, Sorge- und Hausarbeit – weiterhin vor allem Frauensache – kommt es zu Kipppunkten und Zusammenbrüchen. Erforderlich ist eine Neuausrichtung der globalen Ökonomie, die Care-Arbeit ins Zentrum allen wirtschaftlichen Handelns stellt.

Reproduktionsarbeit und Care-Arbeit

Seit Beginn der 1970er Jahre argumentieren feministische Forscherinnen, dass die kapitalistische Mehrwertakkumulation nicht nur auf der vertraglich abgesicherten Ausbeutung der Lohnarbeit beruht, sondern immer auch auf nicht-kapitalistischen Produktionsweisen, die ständig die Ware Arbeitskraft erneuern, also reproduzieren (Mies 1988). Arbeit im Bereich der Reproduktion sei Produktion und Erhalt von Leben und Arbeit, die erstens endlos flexibel, nachwachsend und gratis erscheint und zweitens unsichtbar bleibt, sodass sie stillschweigend genutzt werden kann.

Der kapitalistische Verwertungsprozess bedient sich also sowohl der Natur als auch der zumeist von Frauen geleisteten Care-Arbeit. Beide erscheinen als unerschöpfliche Billigressourcen, die „von Natur aus“ zur Verfügung stehen. Care-Arbeit ist (über)lebensnotwendig. Jeder Mensch ist in seinem Leben auf Care-Arbeit angewiesen (siehe auch Madörin 2006). Care-Arbeit im engeren Sinne gilt als „natürliche“ Frauenarbeit, die im Alltag von Angesicht zu Angesicht mit Routine und Emotionen die Personen im Haushalt versorgt und Fähigkeiten und Gesundheit von Kindern, Kranken, hilfebedürftigen alten und beeinträchtigten Menschen entwickelt, erhält und heilt. In einem erweiterten Begriff von „Care“ stehen das Sorgen, Sich-Kümmern und die soziale Zuwendung im Vordergrund.

Die vermehrte Verwendung des Begriffs „Care-Arbeit“ seit den 1990er Jahren ist ein Resultat der veränderten Schwerpunktsetzung innerhalb feministischer Theorien: Im Zentrum stehen nicht mehr nur die „Frauenarbeit“, sondern – umfassender – die Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse. Abhängigkeiten und Macht sind Teil der Care-Beziehungen. Geschlechterverhältnisse sind Machtverhältnisse, die sich bei Care-Arbeit besonders in der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung bei der unbezahlten Care-Arbeit zeigen und die in der Erwerbsarbeit fortwirken.

Care-Arbeit und Sorge-Extraktivismus

Christa Wichterich hat analog zum Begriff des „Ressourcenextraktivismus“ das Konzept von Sorgeextraktivismus geprägt, um die ausgedehnte und intensivierte Extraktion von Sorge als politökonomische Antwort auf die Reproduktionskrisen zu analysieren. Sorgeextraktivismus stellt die verstärkte Kommerzialisierung von Reproduktions- und Care-Arbeit entlang sozialer Hierarchien von Geschlecht, Klasse, Hautfarbe und Herkunft als Strategie zur Bewältigung der Care-Krise dar. Die extraktivistische Politik erzeugt billige reproduktive Arbeitskräfte. Care-Arbeit bleibt unter- oder unbezahlt, obwohl ohne „systemerhaltende“ Care (Schwangerschaft, Stillen, Kinderbetreuung, Hausarbeit, Pflege), ohne Reproduktion der Arbeitskraft, die „produktive Ökonomie“ zusammenbrechen würde. Zudem kommt es zu einem Verschieben der wahren Kosten in die Privatsphäre und Familie: Frauen verringern oder beenden ihre Lohnarbeit und betreuen – besonders in Krisenzeiten – Kinder und kranke Angehörige.

Dimensionen der unbezahlten Care-Arbeit

Für Österreich zeigen die (leider mittlerweile alten) Daten aus 2008/09, dass Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit übernehmen, zwei Drittel der bezahlten Arbeit hingegen übernehmen Männer. Insofern arbeiten Frauen wöchentlich 32 Stunden unbezahlt. Während der Anteil der Männer, die unbezahlte Arbeiten verrichten, zwar deutlich gestiegen ist, ist die Zeit, die Frauen mit unbezahlter Arbeit verbringen, kaum gesunken. 2008/09 wurden insgesamt 9 Mrd. Stunden unbezahlt sowie 9,5 Mrd. Stunden bezahlt gearbeitet. Bei der rechnerischen Bewertung dieser unbezahlten Arbeiten mit Durchschnittslöhnen aus den Bereichen persönliche und haushaltsnahe Dienstleistungen (ca. 11 bis 12 Euro brutto) ergab sich je nach Berechnungsart ein Wert von 100 bis 105 Mrd. Euro. Das waren 2008/09 27 bis 35 Prozent des BIP.

Weltweit übernehmen Frauen täglich mehr als zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Würden diese nur mit dem Mindestlohn bezahlt, wäre der Wert 24-mal größer als der Umsatz von Apple, Google und Facebook zusammen. Gerade in Krisenzeiten werden Frauen und ihre Care-Tätigkeiten als soziale Airbags genutzt, die mit Mehrarbeit im Haushalt Lohnkürzungen und Wegfall von Jobs auffangen oder das Schrumpfen öffentlicher Leistungen infolge von Sparmaßnahmen abfedern.

Die aktuelle Care-Krise: Notstand in der Langzeitpflege und der Kinderbetreuung

Pflegenotstand, Engpässe der Betreuung und Personalmangel in Kindergärten verweisen auf Kipppunkte in der Daseinsvorsorge und der Pflege. Überbelastung bei fortdauernder Unterbezahlung, Erschöpfung, Berufskrankheiten wie Burnout und Flucht aus dem Pflegeberuf („Pflexit“) signalisieren, dass die Sorgearbeitskräfte an ihre physischen und psychischen Grenzen stoßen. Damit sind die Funktionalität von Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen sowie der vollumfängliche Zugang zu hochqualitativen Sorgeleistungen gefährdet.

In diese sich schon lange abzeichnenden Versorgungslücken stoßen migrantische Sorgekräfte wie z. B. Altenbetreuer:innen aus südosteuropäischen Ländern, die durch Arbeitsagenturen oder informelle Netzwerke vermittelt werden. Zusätzlich bemühen sich die Staaten um den Import von Fachkräften für den Gesundheitssektor in Ländern des Globalen Südens. So kommt es zu transnationalen Sorgeketten (Global Care Chains), die aktuelle Versorgungsprobleme im Globalen Norden durch den Abzug von Sorgekräften aus ärmeren Haushalten, Gesundheitssystemen und Gesellschaften lösen sollen. Um die Krise sozialer Reproduktion im Norden zu lindern, wird mit der Rekrutierung von Sorgefachkräften die Krise im Süden verschärft. Das könnte man imperiale Lebensweise in der sozialen Reproduktion mit sexistischen und rassistischen Vorzeichen nennen.

Die Care-Krise hat sich – nicht nur, aber auch – durch die Covid-19-Pandemie zugespitzt. Trotz des Applauses für systemrelevante Care-Leistende wird sowohl die dauerhafte Geringbewertung von Sorgearbeiten als auch die anhaltende Feminisierung von Care-Arbeiten fortgeschrieben. Als Grundwiderspruch der kapitalistischen Ökonomie stehen sich Wachstumslogik, Profitsteigerung, Kostensenkung und -auslagerung, die Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen und die daraus resultierende Erschöpfung einerseits sowie der Erhalt der natürlichen Ressourcen andererseits gegenüber. Die aktuellen multiplen Krisen machen die systemische Krisenhaftigkeit unseres kapitalistischen Systems offensichtlich, sie verhindern aber aufgrund weit verbreiteter Erschöpfung und Prekarität die Organisierung von betroffenen Frauen.

Geschlechterfragen aktiv als Querschnittsmaterie in Transformationsprozessen mitdenken

Um die Krise sozialer Reproduktion zu bewältigen, sind eine Politisierung der sozialen Reproduktion sowie gesellschafts- und geschlechterpolitische Umbauprogramme erforderlich. Transformationsprozesse geschlechter- und sorgegerecht zu gestalten, kann nicht dem Markt überlassen werden.

Mittlerweile – verstärkt durch die Pandemie – sind viele Initiativen entstanden, die eine integrierte Perspektive auf die Bewältigung von Care- und Umweltkrisen einnehmen und auf die Notwendigkeit einer Umverteilung, Neuorganisation und -bewertung der un- und unterbezahlten Care-Arbeit verweisen. Dazu gehören z. B. in Deutschland das Equal Care Manifest, in der Schweiz die Denkschrift „Perspektive Care-Gesellschaft“ und in Österreich die Initiative fair.sorgen! sowie das länderübergreifende Netzwerk Care-Revolution. Die Lösung der Krisen erfordert eine Abkehr vom neoliberalen Paradigma der Privatisierung und des weitgehenden Rückzugs des Sozialstaats und eine grundsätzliche Neuausrichtung der globalen Ökonomie, die Care-Arbeit als Ausgangspunkt allen wirtschaftlichen Handelns begreift, eingebettet in den verletzlichen Lebensraum Erde.

Literatur:

Madörin, Mascha (2006): Plädoyer für eine eigenständige Theorie der Care-Ökonomie. In: Niechoj, Torsten/ Tullney, Marco (Hg.): Geschlechterverhältnisse in der Ökonomie, Marburg, Metropolis Verlag, S. 277–297.

Mies, Maria (1988): Patriarchat und Kapital: Frauen in der internationalen Arbeitsteilung von Frauen. Rotpunktverlag, Zürich.

Wichterich, Christa (2022): Who cares? Soziale Reproduktion und Gender im Pandemie-Kapitalismus. In: Ivanova, Mirela/ Thaa, Helene/ Nachtwey, Oliver (Hg.): Kapitalismus und Kapitalismuskritik, Frankfurt/New York, S. 335–361

 

 

 

 

 

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