Der Envio-PCB-Skandal – sieben Jahre nach der Aufdeckung gibt es Fragen über Fragen

Es ist schon erstaunlich, dass die Zuständigkeit für den skandalösen Envio- Ex-Betrieb mittlerweile bei Thomas Westphal, dem Wirtschaftsförderer der Stadt Dortmund liegt, der gerade dabei ist, für die Öffentlichkeit den Hafen aufzuhübschen und aus ihm einen Teil der „Smart City” zu machen.

Dabei ist die Sanierung der Flächen des PCB-Recyclers Envio seit 2010 immer noch nicht abgeschlossen. Die Reinigung des höchst belasteten Bereichs verzögert sich gerade mal wieder. Die PCB-verseuchten Stäube werden weiter ins Umfeld verweht. Bei Bauarbeiten in der Speicherstraße, in Sichtweite des Envio-Geländes, wären ebenfalls Beprobungen, und ggf. Sanierungsmaßnahmen notwendig. Luftmessungen gaben dem Landesumweltinstitut LANUV jüngst Anlass, einen weiteren PCB-Emittent im Hafengebiet zu suchen: bisher eher zögerlich und ohne rechten Erfolg.

Die aktuelle Frage ist immer noch, wann wird im Hafen endlich ernst gemacht mit einem vorsorgeorientierten Umwelt- und Gesundheitsschutz in der Gewerbepolitik zum Nutzen der Arbeitskräfte und der Anwohner?

T H O M A S   W E S TP H A L

An die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen

22 Oktober 2017

 

Weiterhin vorhandene PCB-Belastung im Hafen

Bitte um Stellungnahme der Fraktion Die Linke & Piraten vom 18.092017, Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen vom 20.09.2017 (Drucksache Nr.: 08701-17„E1) hier: Stellungnahme der Verwaltung (Drucksache Nr.: 08701-17-E2)

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihre Anfrage wird von der Wirtschaftsförderung Dortmund als für die Projektsteuerung verantwortlicher Fachbereich beantwortet.

Zu den Fragen 1 und 2 nehmen die Bezirksregierung Arnsberg und die Gemeinsame Untere Umweltschutzbehörde der Städte Bochum, Dortmund und Hagen (UUB), zur Frage 3 die Verwaltung wie folgt Stellung:

Zu Frage  1) Geht die Verwaltung weiterhin davon aus, dass die aktuellen PCB-Belastungen vom Enviogelände stammen oder sind hier weitere Verursacher wie z.B. Schrottbetriebe ursächlich?

Antwort der Bezirksregierung Arnsberg und der UUB:

„Zur Ermittlung möglicher PCB-Quellen im Hafenbereich wurden im September 2010 an 68 Stellen im Hafengebiet im Grüngürtel Fredenbaumpark/Kleingartenanlagen sowie in der angrenzenden Wohnbebauung Fegestaubproben genommen und auf ihre PCB-Belastung überprüft.

Dabei bestätigten sich frühere Überwachungsergebnisse (u. a. Fegestaubuntersuchungen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW) nach denen vor allen die Schrott verarbeitenden Anlagen als potentielle Quellen anzusehen sind. Da sich die gewerblichen Nutzungen seif 2010 nicht wesentlich geändert haben, ist davon auszugehen, dass diese Quellen auch weiterhin für die PCB-Belastung in der Nachbarschaft verantwortlich sind. Diese Anlagen wurden und werden durch die Bezirksregierung Arnsberg und die UUB überprüft.

Verschiedene technische/organisatorische Emissionsminderungsmaßnahmen wurden veranlasst. Insbesondere wurden zur Verminderung diffuser Staubemissionen z.T. neue Flächenbefestigungen vorgenommen und die regelmäßige Nassreinigung von Betriebsflächen und deren Erfolgskontrolle umgesetzt. Bei der in Zuständigkeit der UUB liegenden Fa. TSR (früher Interseroh), die durch den Betriebsmesspunkt „Containerterminal“ überwacht wird, wurden nach einer gutachtlichen Untersuchung zum Stand der Technik ergänzend eine Wasserberieselung des Schotts beim Schiffsumschlag eingerichtet und eine Spundwanderhöhung am Schrottlager vorgenommen. Eine bis dahin betriebene Schredderanlage wurde Ende 2013 stillgelegt und später demontiert.

Die PCB-Belastung wird durch Luftkonzentrationsmessungen am Standort derKleingartenanlage Hafenwiese und durch Depositionsmessungen am Containerhafen, im Fredenbaumpark und in der Kleingartenanlage (KGA) Hafenwiese überwacht.

Die PCB-Luftkonzentrationsmessungen liegen mit Jahresmittelwerten von ca. 20 mg WHO-TEO (PCDD PCDF+PCB) m2 erheblich unter den Zielwerten (JMW) der Bund /Länderarbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) für die langfristige Luftreinhalteplanung: 150fg WHO-TEQ(PCDD/PCDF+PCB)

Die PCB-Belastung im Staubniederschlag (Deposition) lieg/ an den immissionsrelevanten Stellen (Fredenbaumpark und Hafenwiese) zwischen 0, 14 und 0,24 mg/m 2xd) (Jahreswerte 2011 bis 2016). Die hieraus resultierende Belastung der Nahrungspflanzen ist offenbar ursächlich für die Verzehrempfehlung (s. u. zu 2.). Für die PCB-Belastung im Staubniederschlag besteht kein Ziel- oder Immissionswert. Ein Abgleich kann lediglich mit den landesweit festgestellten Belastungswerten erfolgen (zwischen 0, 023 und 0, 42 mg(m2xd).

Die Freisetzung der PCB Emissionen erfolgt fast ausschließlich diffus, d.h. durchStaubabwehungen von den Betriebsflächen der o. g. Quellen. Sowohl die Freisetzung als auch die Ausbreitung hängen somit erheblich von den jeweils herrschenden Witterungsbedingungen ab.

Nach der Stilllegung der Envio im Jahr 2010 und der Reinigung der Betriebsflächen war zunächst ein deutlicher Rückgang der PCB-Belastung festzustellen. Ab 2011 entspricht das Belastungsniveau den o. g. Werten. Ein signifikanter Rückgang der PCB-Belastung nach Abschluss der Envio-Sanierung im Jahr 2018 wird nicht erwartet.

Die derzeitige PCB-Belastung resultiert im Wesentlichen aus den o. g. industriellen Quellen im Hafengebiet. Da die betroffene Nachbarschaft (Nutzgärten) unmittelbar an die industrielle Nutzung angrenzt, ist sie direkt vom Staubniederschlag betroffen.

Die betroffenen Anlagen entsprechen dem Stand der Technik. Immissionsschutzrechtliche Vorsorgemaßnahmen können nicht angeordnet werden.

Weitergehende Anordnungen setzen voraus, dass die PCB-Immissionsanteile der einzelnen Verursacher hinreichend konkret bestimmt werden können. Gemeinsam mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) wurden entsprechende Untersuchungen geprüft. Dabei musste letztlich festgestellt werden, dass derartige Berechnungen nicht durchführbar sind. Bei den hier vorliegenden diffusen Quellen, bei denen die Schadstoffe in Bodenhöhe freigesetzt werden, bestehen nicht kalkulierbare abhängigkeiten von der Witterung und der umliegenden Bebauung. Die Massenströme der luftverunreinigenden Stoffe lassen sich – wenn überhaupt – nur mit hohen Unsicherheiten ermitteln.

Die weitere Reduzierung der Belastung kann somit derzeit nur durch die konsequente Fortsetzung der Betriebsüberwachung und die direkte Verfolgung festgestellter Mängel (z.B. Überschreitung von Reinigungszielwerten) erreicht werden. Die Überwachung wird fortgesetzt.“

Zu Frage 2: Für welchen Zeitpunkt erwartet die Verwaltung eine Aufhebung der Verzehrempfehlungen, da zu diesem Moment die PCB-Werte so niedrig sind, dass diese nicht mehr benötigt werden?

Antwort der Bezirksregierung Arnsberg und der UUB:

Das LANU hat am 18.07.2017 den ´Untersuchungsbericht zur Immissionsbelastung von Nahrungspflanzen Einwirkungsbereich Dortmunder Ha/ön 2016` vorgelegt. Die PCB-Belastung des Grünkohls lag danach im Jahr 2016 auf dem gleichen Niveau wie 2015. Auf der Basis seiner neuen Untersuchungsergebnisse hält das LANUV an der Verzehrempfehlung aus den Vorjahr fest. Während für die Kleingartenanlagen Hobertsburg und Hafenwiese weiterhin der Verzehr von zwei Portionen (zusammen 500 g) selbstangebauten Grünkohl pro Woche aus gesundheitlicher Sicht tolerabel ist, sollte der Grünkohl aus der Kleingartenanlage Westerholz nur einmal in der Woche (eine Portion von 250 g) verzehrt werden. Die Grünkohluntersuchungen werden 2017 fortgesetzt.

Die PCB-Belastung der Gartenanlagen hängt von der Entwicklung der PCB-Freisetzungen im Hafengebiet ab. Unter Hinweis auf die Antwort zur Frage1 kann derzeit keine Aussage darüber getroffen werden, wie sich diese Belastung entwickelt und wann die Verzehrempfehlung aufgehoben werden kann.“

Zu Frage 3: Wird die Belastung der Fische weiterhin untersucht? Wenn ja, wann zuletzt und mit welchem Ergebnis? Ist die Verzehrempfehlung an Dortmunder Angler für bestimmte fettreiche Fischarten weiterhin aufrecht zu halten?

Antwort der Verwaltung:

Nein, die Untersuchungen von Fischen wurden nur in den Jahren 2010 (LANUV) und 2011 (Landesfischereiverband) durchgeführt. Die Untersuchungen des Landesfischereiverbandes ergaben keine Überschreitungen des für den gewerblichen Fischverkauf gültigen WHO Höchstgehaltes für den Parameter dioxinähnliche PCB. Trotz der deutlichen Reduzierung der PCB-Belastungen gegenüber den Erstuntersuchungen aus dem Jahr 2010 hat das LANUV die vorsorgliche Empfehlung, auf den Verzehr von Fischen aus dem Bereich des Dortmunder Hafens zu verzichten, nicht angepasst. Für eine statistisch belastbare Aussage war die Anzahl der Fische zu gering.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Westphal

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THOMAS WESTPHAL

An die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen

Oktober 2017

Envio Nachsorgeprogramm

Bitte um Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen (AUSW) vom 07.09.2017, Sitzung des AUSW vom 20.09.2017 (Drucksache Nr.: 08842-17-EI) hier: Stellungnahme der Verwaltung (Drucksache Nr.: 08842-17-E2)

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihre Bitte um Stellungnahme wird von der Wirtschaftsförderung Dortmund als für die Projektsteuerung verantwortlicher Fachbereich beantwortet.

Die gestellten Fragen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Bezirksregierung Arnsberg, Die Bezirksregierung Arnsberg nimmt zu den Fragen wie folgt Stellung:

zu Frage 1: Wird das 2010 aufgelegte Untersuchungs- und Nachsorgeprogramm aktuell noch weitergeführt? Wie viele Mitarbeiter nahmen/nehmen noch an dem Programm teil?

Das Nachsorge Programm “HEL PcB“ wird zunächst bis Ende 2020 weitergeführt. Es nehmen noch 147 Personen aktiv teil: 123 Arbeitnehmer der Fa. ENVIO oder anderer betroffener Firmen. 24 weitere Personen (u.a. Angehörige von Arbeitnehmern der Fa. ENVIO oder Personen, die einen Kleingarten in der zu ENVIO benachbarten Kleingartenanlage nutzen).

zu Frage 2: Welche Erkenntnisse hat die Untersuchung in Bezug auf Folgeerkrankungen aufgrund der PCB-Vergiftung gebracht?

„Es gibt eine erhöhte Häufigkeit von Veränderungen im Schilddrüsenstoffwechsel, eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhte Prävalenz für Diabetes. Veränderungen in Neurotransmitterstoffwechsel, vermehrte Hautveränderungen und erste Hinweise auf andere

Erkrankungszusammenhänge. Diese sind Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Herrn Prof.  Dr. Kraus. Herr Prof Dr. Kraus ist der federführende medizinische Experte der Untersuchungskommission, der deutschlandweit die Untersuchungen zum Thema PCB-Belastungen (HELPcB) koordiniert und bewertet.“

zu Frage 3: Inwieweit sind die gewonnenen Erkenntnisse hilfreich in Bezug auf eine Anerkennung von PCB-Kontamination als Berufskrankheit?

„Nach der gemeinsamen Einschätzung der Bezirksregierung Arnsberg und der federführenden Forschungsgruppe wurde der wissenschaftliche Kenntnisstand durch HELPcB vorangetrieben. Die bislang gewonnenen Erkenntnisse werden derzeit im ärztlichen Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erörtert. Eine Entscheidungsvorlage über die Voraussetzungen für die Anerkennung von nicht-maligen  Hautveränderungen und eines Diabetes mellitus im Rahmen einer Berufskrankheit N. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) wird derzeit erarbeitet.“

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Westphal

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Erstaunlich ist schon der Einleitungssatz von Thomas Westphal: „Ihre Anfrage wird von der Wirtschaftsförderung Dortmund als für die Projektsteuerung verantwortlicher Fachbereich beantwortet.“

Die Wirtschaftsförderung, „als für die Projektsteuerung verantwortlicher Fachbereich“, hat ohne eine eigene Stellungnahme abzugeben, die Fragen der Dortmunder Parteien an die Bezirksregierung Arnsberg geschickt, der staatlichen Kontrollinstanz, die bitterlich bei der Aufsicht von Envio versagte und selbst ein Problem im Skandal darstellt.

Die Verwaltung der Stadt Dortmund durfte sich lediglich, aber maritim, zu den Fischen äußern, die gehören schließlich zum Wasser des Dortmunder Hafens.

Übrigens, die Fragen von Grünen und Linke/Piraten sind doch recht harmlos bzw. – sie tragen nur wenig zur Aufklärung des PCB Skandals in Dortmund bei.

Nach wie vor aktuell sind die Forderungen nach 1. einer nachhaltigen Sanierung der PCB-verseuchten Anlagen und Böden, die endlich und ordentlich zu Ende geführt werden muss,

  1. einer nachhaltigen Sanierung der PCB-verseuchten Anlagen und Böden, die endlich und ordentlich zu Ende geführt werden muss,
  2. Identifizierung etwaiger weiterer PCB-Emittenten im Hafen und die Verordnung entsprechender Maßnahmen und
  3. perspektivisch einer vorsorgeorientierten, sozial-, umwelt- und nachbarschaftsverträglichen Gewerbe- und Industrieflächenentwicklung im Dortmunder Hafen.

 

Skandalös ist das Verschweigen des Envio-Skandals im Hafen. Denn

  • die Sanierung der Flächen des PCB-Recyclers Envio ist seit 2010 immer noch nicht abgeschlossen.
  • die Sanierung des höchst belasteten Bereichs verzögert sich nach der Landtagswahl gerade mal wieder.
  • die PCB-verseuchten Stäube werden weiter ins Umfeld verweht. Bei Bauarbeiten in der Speicherstraße, in Sichtweite des Envio-Geländes, wären also ebenfalls Beprobungen, und ggf. Sanierungsmaßnahmen notwendig.
  • Luftmessungen gaben dem Landesumweltinstitut LANUV jüngst Anlass, einen weiteren PCB-Emittent im Hafengebiet zu suchen: bisher eher zögerlich und ohne rechten Erfolg.

Im Dortmunder Hafen muss endlich ernst gemacht werden mit einem vorsorgeorientierten Umwelt- und Gesundheitsschutz in der Gewerbepolitik zum Nutzen der Arbeitskräfte und der Anwohner.

Der Umweltskandal um Envio, der Betrieb, der PCB verseuchte Großtransformatoren und Kondensatoren aus der ganzen Welt in den Dortmunder Hafen schleppte und hier mit vorsintflutlichen Methoden und viel Leiharbeit zerlegte, wurde 2010 losgetreten und gilt als einer der größten Umweltskandale der letzten Jahrzehnte im Lande.

Etliche Arbeiter, auch der Nachbarbetriebe und Kleingärtner, tragen das PCB-Mega-Umweltgift mit den entsprechenden Gesundheitsfolgen in ihren Körpern, ihr Leben lang. Der Strafprozess versandete, ohne Folgen für die Envio-Verantwortlichen.

Und in Dortmund herrscht das große Schweigen darüber.

 

Quellen: Ausschuss Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen, BI Pcb Skandal

Bild: der Westen