Von Felix Feistel und Dejan Lazić
„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ – diese Textzeile aus dem Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein [1], basierend auf einem 1863 von Georg Herwegh verfassten Gedicht, ist längst zu einem geflügelten Wort geworden und war lange Zeit eine wichtige Parole der Arbeiter und Gewerkschaften. Diese Zeile spiegelt nicht nur die händische Macht der Arbeiter wider, die jedoch nicht so sehr in politischer oder ökonomischer Hinsicht besteht. Doch das kapitalistische Produktionssystem benötigt die Arbeitskraft der vielen Menschen, die in der Herstellung, in der Logistik oder auf dem Bau tätig sind. Verweigern diese ihre Arbeit, bescheren sie den Auftraggebern große Verluste. Das ist ihr Kampfmittel in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, und so kam es in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder zu Streiks, mit denen die Arbeiter bessere Bedingungen für sich durchgesetzt haben. Sei es der Acht-Stunden-Tag, der freie Samstag, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, immer wieder mussten die Arbeiter den Kampf aufnehmen, um für ihre Rechte einzutreten.
Besonders effektiv ist dabei der Generalstreik [2]. Bei einem solchen legen Arbeiter branchenübergreifend die Arbeit nieder, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Schon im 19. Jahrhundert wurde auf diese Weise in manchen Ländern das allgemeine Wahlrecht erstritten und die Demokratie damit überhaupt erst ermöglicht. In der deutschen Metallindustrie fanden im Januar 1918 große Streiks statt, die sich gegen den Krieg richteten. Sie legten die Grundlage für die Novemberrevolution und damit für die Abschaffung der Monarchie und die Ausrufung der Republik. Der Streik hat also – auch in Deutschland – eine Tradition und in der Vergangenheit immer wieder gesellschaftliche Veränderungen hervorgebracht.
Dieses Mittel des Kampfes kann auch heute – zumindest potenziell – eine unglaubliche politische Macht entfalten. So haben beispielsweise in mehreren italienischen Häfen die Hafenmitarbeiter gegen die 3G-Regeln und den Grünen Pass protestiert [3]. Teilweise wurden die Häfen blockiert, die Arbeiter demonstrierten und taten ihren Unmut kund. Auch die Müllabfuhren einiger Städte waren betroffen. Solche Streiks haben potenziell Auswirkungen auch auf andere Länder, die an die logistischen Netzwerke angeschlossen sind und einen Teil ihrer Waren darüber beziehen. [4]
Streik für den Frieden?
Besonders in Zeiten von Kriegen stellen Streik und Blockaden einen effektiven Weg dar, sich für den Frieden einzusetzen. Genau das haben Arbeiter aus Spanien und Belgien erkannt. Diese blockierten den Umschlag von Kriegsgütern, die für Israel bestimmt waren, und setzen sich auf diese Weise aktiv für den Frieden ein. [5] Schon zuvor haben britische Gewerkschaften Rüstungsunternehmen blockiert und damit ihre Arbeit behindert. [6] Würden die Arbeiter aller europäischen Länder sich diesen Protesten, Blockaden und Streiks anschließen, wäre das Massaker im Gazastreifen schnell beendet, und auch die Kriegstreiber im Ukraine-Konflikt müssten mangels Waffen bereit für andere Lösungen sein. Das Massensterben von Menschen hätte ein Ende.
Gerade Deutschland ist eine wichtige Drehscheibe für Kriegsgüter. So exportiert die Bundesrepublik jedes Jahr Kriegswaffen im Wert von mehreren Milliarden Euro. Im Jahr 2022 beliefen sich die Waffen-Exporte auf 9,35 Milliarden Euro und damit auf den zweithöchsten Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. [7] Ein Viertel davon ging in die Ukraine, insgesamt Waffen im Wert von 2,24 Milliarden Euro, und damit direkt in ein Kriegsgebiet. Dabei beschränkte sich die Lieferung nicht allein auf Leopard- [8] und Marderpanzer [9] sowie Raketenabwehr. Auch Drohnen, Luftabwehr und logistische Geräte wie Lkw befanden sich unter den gelieferten Kriegswaren [10]. Die Bundesrepublik heizt damit einen Krieg an, der ohne die westlichen Lieferungen längst beendet wäre und der bereits Hunderttausenden von ukrainischen Soldaten das Leben gekostet sowie – Stand September 2023 – 7.550 Zivilisten getötet und 14.638 verletzt hat. [11] Seit Ausbruch des Krieges im Gazastreifen erhöhte Deutschland außerdem seine Waffenlieferungen an Israel von 32 Millionen auf 303 Millionen Euro. [12] Hier sind, in wesentlich kürzerer Zeit, bereits mehr als 20.000 Zivilisten [13] getötet worden, über 4.000 davon Kinder. [14]
Zudem ist Deutschland ein wichtiger logistischer Faktor. Aufgrund seiner geografischen Lage in Mitteleuropa, seines Zugangs zur Nordsee und eines gut ausgebauten Eisenbahnnetzes führen viele Transportstrecken durch Deutschland. Ein wichtiger Umschlagplatz für den Export von Kriegsgütern in alle Welt ist der Hamburger Hafen. [15] Von hier werden deutsche Rüstungsgüter in alle Welt exportiert. Auch sind andere Länder bei ihren Waffenlieferungen auf Deutschland angewiesen. So werden US-Waffenlieferungen an die Ukraine nicht nur in Hamburg, sondern zum Teil in Bremerhaven an Land gebracht, von wo aus sie über das deutsche Straßen- und Schienennetz weiter transportiert werden müssen. [16]
Gewerkschaften haben allein das Streikrecht inne
Es gäbe also reichlich Gelegenheit, den Krieg durch Streiks und Blockaden bei den Rüstungsunternehmen, in den Häfen und im Güterverkehr über Schiene und Straße zu stoppen. Trotzdem hört man wenig von der Blockade oder Streiks durch Gewerkschaften in den entsprechenden Unternehmen. Es scheint, dass die deutschen Arbeiter ihre Macht längst vergessen haben. Grund dafür ist schlicht, dass die Gewerkschaften die Waffenlieferungen nicht ablehnen. Stattdessen gab es bereits auf dem DGB-Bundeskongress im Jahr 2022 einen Beschluss, der Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet. [17] Seit das israelische Morden in Gaza begonnen hat, erklärten die deutschen Gewerkschaften zudem ihre Solidarität mit Israel. [18]
Die Gewerkschaften sind aber für jeden Streik und jeden Protest der arbeitenden Klasse ein wichtiger Grundpfeiler. Denn nicht nur haben sie allein das Streikrecht inne, sie bieten auch Rechtshilfe und zahlen Streikgelder aus, wenn während des Streiks die Lohnzahlungen unterbrochen werden. Auf diese Weise können Gewerkschaften die Schlagkraft eines Streiks erhöhen, indem sie das Durchhaltevermögen der Arbeiter stärken. Wenn allerdings die Gewerkschaftsfunktionäre den Krieg unterstützen, dann ist ein Streik gegen Krieg und Waffenlieferungen nahezu ausgeschlossen.
Schon während der unangemessenen Corona-Politik haben sich einzelne Gewerkschaften wie ver.di gegen die Proteste gestellt. [19] So wurden die Teilnehmer der Anti-Maßnahmen-Demonstrationen von einigen Funktionären pauschal als Rechtsradikale, Antisemiten, Reichsbürger und Demokratiefeinde beschimpft. Sie waren damit auf Regierungslinie und haben diese, trotz geäußerter Kritik [20], grundsätzlich unterstützt. Man suchte die Nähe zur Regierung [21] und ließ sich unter dem Schlagwort der Sozialpartnerschaft für Regierungsinteressen einspannen.
Konsequenz war eine Austrittswelle. Allein 2021 sind 113.150 Arbeiter [22] aus den Gewerkschaften ausgetreten. Hinzu kommen 16.000 Sterbefälle und etwa 7.000 Ausschlüsse. Dem stehen lediglich etwa 93.000 Neueintritte gegenüber. Die Gewerkschaften verlieren also Mitglieder und damit an Schlagkraft. Diese Tendenz ist aber keine neue Erscheinung. Tatsächlich leiden alle Gewerkschaften schon seit Jahrzehnten an Mitgliederschwund. [23] Zwischen 1991 und 2020 hat sich die Mitgliederzahl der acht DGB-Gewerkschaften von 11,8 Millionen auf 5,9 Millionen halbiert.
Das hat Gründe. Schon lange fallen Gewerkschaften kaum noch durch groß angelegte Streiks und harte Arbeitskämpfe auf, von einigen wenigen Ausnahmen wie der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL) [24][24a] unter dem Vorsitz von Claus Weselsky abgesehen. Dies sorgt immer wieder für reichlich Ärger unter den Bahnreisenden und dem Vorstand der Deutschen Bahn und ist deshalb genau das Mittel, mit dem Gewerkschaften die Ziele ihrer Mitarbeiter erreichen können. Ein Streik, den niemand bemerkt, hat schlichtweg keine Aussicht auf Erfolg.
Sozialpartnerschaft und Minimalkonsens
Doch die meisten Gewerkschaften verhandeln höchstens hinter geschlossenen Türen mit den Arbeitgebern und ringen oft lange um einen Minimalkonsens. Grund dafür ist unter anderem, dass Gewerkschaften sich einer Sozialpartnerschaft [25] mit den Arbeitgebern verpflichtet sehen. Als solche wird die Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Tarifverhandlungen bezeichnet. Die Arbeiter sollen also nicht mit Streik und Blockade das Maximum für sich herausholen, sondern werden auf Verhandlungen zwischen Gewerkschaftsfunktionären und Arbeitgebern verwiesen. Diese Sozialpartnerschaft führt dabei zu einer klebrigen Nähe, in der sich die Sozialpartner als Einheit betrachten. [26] Auch über den betrieblichen Rahmen hinaus arbeiten die Sozialpartner auf Ebene der Landes-, Bundes- oder Europapolitik eng zusammen. [27] Das sind keine Voraussetzungen für einen echten Arbeitskampf. Davon abgesehen gehen die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern nie über Tarifverhandlungen hinaus, die kaum überhaupt den Inflationsausgleich für die Arbeiter erreichen.
Des Weiteren unterliegen Gewerkschaften der Friedenspflicht. [28] Das bedeutet, dass sie während der Laufzeit eines Tarifvertrages nicht zu Streiks aufrufen oder diese durchführen dürfen. Erst nach Ablauf des Tarifvertrages sind Streiks möglich, um beim Abschluss des neuen Tarifvertrages Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen. Gesetzlich ist diese Pflicht zwar nicht geregelt, aber sie wird aus den Prinzipien des Vertragsschutzes und des Treueverhältnisses im Privatrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hergeleitet. Und die Gewerkschaften halten sich brav an diese vermeintliche Pflicht.
Die Gewerkschaften sind also offenkundig längst in das Herrschaftssystem der Politik und des Kapitals eingegliedert. In der Folge bieten sie keine adäquate Antwort auf die vielfältigen Krisen, die sich teils schon seit Jahrzehnten verschärfen. So lassen sich die Arbeiter schon seit der Einführung der Agenda 2010 gegen die Arbeitslosen ausspielen, Privatisierungen, Leiharbeit, Reallohnverluste und damit ein Anstieg der Armut nehmen immer weiter zu. Obwohl sich die Gewerkschaften regelmäßig ein gutes Zeugnis ausstellen [29], vermögen sie doch nicht, sich diesen Trends der Ausbeutung entgegenzustellen. Auch auf dem Bundeskongress 2023 wurden angesichts der multiplen Krisen wie Inflation, Erhöhung der Energiepreise, grassierende Armut, ein Abbau der Gesundheitsversorgung, Personalmangel in vielen Einrichtungen und so weiter keine Beschlüsse gefasst, die sich der Verarmung, der weiteren Ausbeutung und den massiv ungleich verteilten Gewinnen, die hauptsächlich den Unternehmen und ihren Aktionären zugutekommen, entgegenstellen. [30] Damit sind sie zumeist kaum mehr als ein zahnloser Tiger.
Sind politische Streiks verboten?
Gewerkschaftliche Streiks beschränken sich zudem auf diese Tarifverhandlungen. Politische Streiks, wie sie in unseren Nachbarländern Frankreich oder Belgien [31] regelmäßig stattfinden, zuletzt etwa die große Streikwelle in Frankreich, um die Rentenreform zu verhindern, gibt es hierzulande nicht. Zwar ergibt sich das Streikrecht der Arbeiter aus Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes. Dieses findet aber, so der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, seine Grenzen, wenn der Streik aus politischen Gründen stattfindet. Dabei beruft sich der Dienst auf ein Urteil des Freiburger Landesarbeitsgerichts, das zwar kein explizites Verbot des politischen Streiks ausspricht, aber vielfach so interpretiert wird. [32] Allerdings stammt das Urteil aus dem Jahr 1952, und es ist nicht ausgemacht, dass Gerichte heute ebenso urteilen würden. Dennoch herrscht in Deutschland die Überzeugung, politische Streiks seien verboten, und dies wird von der Regierung auch immer wieder ins Feld geführt. Im Klartext: Streiken erlaubt die Obrigkeit nur dann, wenn es um tarifliche Belange geht. Die Arbeiter sollen aus der Politik ausgeschlossen werden, selbst dann, wenn sie durch die Politik die am stärksten Betroffenen sind, etwa, wenn wieder einmal das Renteneintrittsalter angehoben oder das Rentenniveau abgesenkt wird.
Und auch daran halten sich die Gewerkschaften, denn das Streikrecht steht nur Gewerkschaften zu. Diese wollen allerdings als Sozialpartner verlässlich sein und ernst genommen werden. Politische Unruhen wie in Frankreich, Belgien oder Großbritannien sind in Deutschland unerwünscht. Von Gewerkschaften, die sich mit der skandalösen Corona-Politik, der unbedingten Unterstützung für den Krieg der Ukraine gegen Russland oder Israels gegen Gaza gemein machen, ist ein politischer Streik auch nicht zu erwarten. Stattdessen unterstützen die Gewerkschaften mehrheitlich Waffenlieferungen. Das überrascht nicht, stärken diese doch die Rüstungsindustrie und sind für die Angestellten solcher Unternehmen von Vorteil, und sei es nur, weil sie durch die Produktion von Waffen und deren Handel einen sicheren Arbeitsplatz haben. Und diese Arbeiter wiederum sind auch in Gewerkschaften organisiert.
Damit befördern die Gewerkschaften aber auch das Eskalationspotenzial, das lokale Konflikte in der Ukraine oder im Gazastreifen haben. Diese können sich nämlich schnell auch zu europäischen oder globalen Konflikten ausweiten und gefährden damit auch die heimischen Arbeiter. Denn im Fall eines großen Krieges könnten Bomben bis hin zu Atomsprengköpfen auch auf Deutschland abgeworfen werden. Tatsächlich ist Deutschland ein entscheidendes militärisches Ziel, da hier nicht nur die Logistik für einen Krieg gegen Russland eine große Bedeutung hat, sondern sich auch strategische Kommandos der USA sowie US-amerikanische Atomwaffen auf deutschem Gebiet befinden. Damit wäre Deutschland eines der ersten Länder, die bei einem großen Krieg bombardiert würden. Die letzten beiden Weltkriege haben zudem gezeigt, dass eine Massenmobilisierung auf allen Seiten jeden betreffen kann. So wurden in beiden Weltkriegen ganze Jahrgänge an den Fronten ausgelöscht. [33] Damit sägen die Gewerkschaften, welche die Eskalationspolitik unterstützen und sich der Militarisierung nicht entgegenstellen, selbst an dem Ast, auf dem sie sitzen.
Gewerkschaften tragen die Regierungslinie mit
Schon jetzt spricht Verteidigungsminister Boris Pistorius davon, Deutschland „kriegstüchtig“ [34] machen zu wollen. Auch werden die Hilfen für die Ukraine in diesem Jahr von vier Milliarden auf acht Milliarden Euro verdoppelt [35], während im Inland nicht nur Corona-Hilfen zurückgezahlt werden müssen, sondern auch wieder einmal zum Angriff auf die Rente und das Bürgergeld geblasen wird. Die Rente soll durch ein Aktienmodell ergänzt werden, das nicht nur vollkommen unsicher ist, sondern auch einzig den großen Kapitaleignern nützt. [36] Beim Bürgergeld hingegen drohen Streichungen bis zu 100 Prozent für diejenigen, die vermeintlich faul sind, in Wahrheit aber einfach keinen adäquaten, würdevollen Job finden können, da sich Deutschland in einer Rezession befindet und daher überhaupt nicht genug Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Die deutschen Arbeiter befinden sich also in einer Zwickmühle. Einerseits erhöht sich der ökonomische Druck auf sie, die Bedingungen werden schlechter, Deutschland droht die Deindustrialisierung. Gleichzeitig haben sie mit einer Inflation zu kämpfen, welche das Leben immer schwieriger macht. Zudem droht Deutschland durch die US-hörige Politik der Regierung in einen Krieg hineingezogen zu werden, wobei es gleichzeitig ein zentrales Schlachtfeld wäre. Innenpolitisch arbeitet die Regierung seit Corona an einer zunehmenden Unterdrückung der Menschen, um sie dem Kapital auszuliefern. Es wurden ihnen Maßnahmen aufgezwungen, die keinerlei Nutzen hatten und gleichzeitig großen Schaden angerichtet haben. Andersdenkende werden vermehrt verfolgt und wirtschaftlich ruiniert.
Die Gewerkschaften, die das zentrale Organisationsorgan der Arbeiter darstellen sollten, tragen die Regierungslinie mit, beteiligen sich am Krieg im Außen und an der Totalitarisierung im Inneren. Gleichzeitig haben sie sich durch Sozialpartnerschaft und Friedenspflicht zu handzahmen Kooperationspartnern der ausbeutenden Klasse und des Staates entwickelt und halten am Mythos des Verbotes politischer Streiks fest. Damit vertreten sie nicht die Interessen der deutschen Bevölkerung und der Arbeiter, sondern haben sich zu Handlangern der Ausbeuter machen lassen. Dass sie seit Jahren Mitglieder verlieren, verdeutlicht, dass die Arbeiter mit dieser Entwicklung unzufrieden sind. Warum sollen sie auch noch Mitglied in einer Organisation sein, die ihre Interessen nicht vertritt, und dafür auch noch Beiträge zahlen?
Die Lücke wird teilweise zu füllen versucht, indem sich neue Gewerkschaften gründen. Diese, wie die Freie Arbeiter Union (FAU), sind jedoch in der Regel zu klein, um eine Wirkung zu entfalten. Die Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ [37] wiederum hat sich zwar mit einigem Erfolg lokal etabliert, ihr wird jedoch wegen ihres Gründers Oliver Hilburger als ehemaligem Mitglied der NPD eine Nähe zu diesem Milieu angelastet. [38] Dass es dieser Gewerkschaft gelungen ist, sich an einigen Stellen in Automobilbetrieben zu etablieren, verdeutlicht eines:
Es gibt ein großes Potenzial an Unzufriedenheit, das in einer neuen, branchenunabhängigen Gewerkschaft organisiert werden kann. Diese sollte den Bedürfnissen der Arbeiter wie würdige Löhne und Renten sowie menschliche Arbeitszeiten ebenso verpflichtet sein wie dem Frieden. Dazu sollte sie auch eine Bereitschaft für den politischen Generalstreik mitbringen und sich nicht scheuen, auf Konfliktkurs mit Arbeitgebern und Regierungen zu gehen. Die Gewerkschaften müssten also ihren kämpferischen Geist wiederfinden und sich zusammenschließen, um die Interessen der Arbeiter effektiv zu vertreten. Dabei müssen sie auch die Bereitschaft zum politischen Streik mitbringen, da die Rechte der Arbeiter auch außerhalb der Tarifpolitik der Betriebe durch die Politik unter Beschuss stehen und eine Verelendung der Arbeiter über andere Wege stattfindet.
Wäre es also an der Zeit, diese Tendenzen auch durch Generalstreik und politische Streiks zu bekämpfen, um der zerstörerischen Politik entgegenzutreten und sich für den Frieden einzusetzen?
Lebensbedingungen der Menschen verbessern
Auf diese Weise könnten die Gewerkschaften an die Streiks und Blockaden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert anknüpfen, die oftmals von Erfolg gekrönt waren. Sie könnten die Verhandlungsmacht der Arbeiter organisieren und als politisch gestaltende Kraft auftreten, nicht nur, um in der nächsten Runde der Tarifverhandlungen zu einem lediglich annehmbaren Ergebnis zu kommen, sondern um die Lebensbedingungen der Menschen insgesamt zu verbessern und den Kampf gegen ihre Ausbeutung, Unterdrückung und Verwertung in Krieg und Kapitalismus im Interesse des Kapitals wiederaufzunehmen, der viele Jahrzehnte geruht hat.
Erste erfreuliche Ansätze für eine solche Massenbewegung sind die Proteste der Landwirte, die bereits seit Ende Dezember anhalten [39] und Anfang Januar in große, bundesweite Demonstrationen gemeinsam mit Spediteuren und Handwerkern mündeten. [40] Die in diesen Branchen Beschäftigten stehen schon seit Jahren unter dem Druck der Politik und des Kapitals und sehen sich immer schlechteren Bedingungen ausgesetzt. Aus diesen Reihen gibt es sogar Aufrufe zum Generalstreik gegen die Politik der Bundesregierung. Zuvor haben schon Angestellte von Amazon in Deutschland [41] und Tesla in Schweden gestreikt. [42] Das ist deshalb wichtig, weil es sich bei beiden um internationale Konzerne handelt, die ihren Mitarbeitern nicht nur Tarifverträge verweigern, sondern auch für Umweltschäden und die Verdrängung des Mittelstandes verantwortlich sind. Diese Streiks haben das Potenzial, branchenübergreifend politische Wirkungen zu entfalten, wenn sie gemeinsam geführt werden. Bei solchen Streiks ist auch die internationale Vernetzung wichtig. Denn weltweit leiden die Menschen unter denselben, hegemonialen Konzernen, welche die Arbeitsbedingungen und die Politik diktieren. Daher ist ein großer, internationaler und branchenübergreifender Streik das mächtigste Mittel, um der Ausbeutung durch Staat und Kapital entgegenzutreten.
Ein solcher Streik könnte nicht nur die deutsche Bundesregierung zum Rücktritt bringen, sondern auch dazu führen, Investoren auf Renditejagd aus dem Bereich der Grundversorgung zu vertreiben, die diese durch Profitgier gefährden. Ein solcher Generalstreik, organisiert durch eine branchenübergreifende, im Idealfall internationale Gewerkschaft, hat das Potenzial weitreichender, gesellschaftlicher Veränderungen, welche die Lebensbedingungen aller Menschen verbessern könnten.
Denn „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ ist nach wie vor eine richtige Parole, die das Potenzial einer vereinten Arbeiter- und Bauernschaft auf den Punkt bringt.
Anmerkungen:
[«1] youtube.com/watch?v=NFy1dPzHnDA
[«2] bpb.de/themen/medien-journalismus/netzdebatte/219308/ein-bisschen-verboten-politischer-streik/
[«3] nachrichten.at/politik/aussenpolitik/corona-zweiter-protesttag-vor-hafen-triest;art391,3475783
[«4] kaernten.orf.at/tv/stories/3126731/
[«5] zeitungderarbeit.at/international/arbeiter-in-belgien-und-spanien-weigern-sich-kriegsmaterial-zu-verladen/
[«6] zeitungderarbeit.at/klassenkampf/britische-gewerkschafter-blockieren-ruestungsbetriebe/
[«7] zdf.de/nachrichten/politik/deutschland-ruestung-exporte-100.html
[«8] zeit.de/politik/deutschland/2023-03/waffenlieferung-ukraine-leopard-munition-scholz
[«9] zeit.de/politik/2023-01/ukraine-bundesregierung-marder-panzer-maerz
[«10] bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514
[«11] ohchr.org/en/news/2023/09/ukraine-civilian-casualty-update-24-september-2023
[«12] tagesschau.de/inland/israel-deutschland-ruestungsexporte-100.html
[«13] de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahlen-im-terrorkrieg-der-hamas-gegen-israel/
[«14] fr.de/politik/israel-krieg-gazastreifen-verluste-tote-zahlen-kinder-gesundheitsamt-hamas-zr-92662670.html
[«15] shz.de/deutschland-welt/hamburg/artikel/volksinitiative-unzulaessig-hamburg-bleibt-hafen-fuer-kriegswaffen-45424688
[«16] linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/waffenlieferungen-ueber-deutsche-haefen-bundesregierung-ahnungslos/
[«17] akweb.de/bewegung/verdi-ig-metall-waffenlieferungen-ukraine-wie-gewerkschaften-ueber-krieg-und-frieden-streiten/
[«18] wsws.org/de/articles/2023/11/09/gewe-n09.html
[«19] nachdenkseiten.de/?p=75050
[«20] sueddeutsche.de/politik/dgb-gewerkschaft-impfpflicht-hoffmann-1.5525544
[«21] land.nrw/pressemitteilung/ministerpraesident-armin-laschet-trifft-gewerkschaften-der-corona-krise
[«22] taz.de/Gewerkschaften-in-der-Coronapandemie/!5829690/
[«23] sueddeutsche.de/politik/gewerkschaften-mitglieder-schwund-1.5519717
[«24] nachdenkseiten.de/?p=76103
[«24a] deutschlandfunk.de/gdl-bahn-streik-tarifverhandlungen-100.html
[«25] de.wikipedia.org/wiki/Sozialpartnerschaft#Sozialpartnerschaft_in_Deutschland
[«27] bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32844/zukunft-der-sozialpartnerschaft-in-deutschland-essay/
[«28] juraforum.de/lexikon/friedenspflicht
[«29] nachdenkseiten.de/?p=74705
[«30] gewerkschaftsforum.de/vkg-ver-di-nach-dem-bundeskongress/#more-18113
[«31] deutschlandfunk.de/streikrecht-deutschland-frankreich-warnstreiks-generalstreik-100.html
[«32] bundestag.de/resource/blob/504094/1d4904d7a73bd1f00775b2406642f133/Grenzen-des-Streikrechts-data.pdf
[«33] youtube.com/watch?v=s50OdNO4c1g
[«34] german-foreign-policy.com/news/detail/9402
[«35] tagesspiegel.de/politik/von-vier-auf-acht-milliarden-euro-ampelkoalition-will-militarhilfe-fur-ukraine-2024-offenbar-verdoppeln-10769035.html
[«36] tagesschau.de/inland/innenpolitik/rentenpolitik-ampelregierung-100.html
[«38] deutschlandfunkkultur.de/zentrum-automobil-wie-rechtspopulisten-der-ig-metall-100.html
[«39] br.de/nachrichten/bayern/1-200-bauern-demonstrieren-in-hammelburg-gegen-agrarpolitik,U0EapqG
[«40] br.de/nachrichten/bayern/bauernproteste-werfen-ihre-schatten-voraus,TMEA5av
[«41] labournet.de/politik/alltag/gesundheit/macht_krank/warnstreik-bei-amazon-in-winsen-luhe-ab-sonntag-17-dezember-2023-um-1930-uhr-bis-montag-2315-uhr-gegen-krankmachende-arbeitsdichte-im-weihnachtsgeschaeft/
[«42] gewerkschaftslinke.hamburg/2024/01/01/parallelen-zwischen-tesla-und-amazon-und-unterschiede/
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Die Autoren:
- Felix Feistel, Jahrgang 1992, studierte Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Völker- und Europarecht. Seit seinem Staatsexamen arbeitet er hauptberuflich als freier Journalist und Autor. Er schreibt für manova.news, apolut.net, multipolar-magazin.de sowie auf seinem eigenen Telegram-Kanal.
- Dejan Lazić, Sozialökonom und Wirtschaftsjurist, Hochschuldozent (2002-2022), CEO einer internationalen Rechts- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft.
Der Beitrag erschien auf NachDenkSeiten – Die kritische Website - und wird mit freundlicher Genehmigung der Autoren hier gespiegelt. Bild: ver.di