DGB-Verteilungsbericht 2021 – Ungleichheit in Zeiten von Corona

Die Krise trifft alle, aber nicht alle gleichermaßen: Das ist das zentrale Ergebnis des neuen DGB-Verteilungsberichts. Während ärmere Haushalte die Hauptlast tragen und oft erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, können viele Superreiche trotz oder gerade wegen Corona ihr Vermögen vermehren. Damit wird die Pandemie zu einem Brennglas für ökonomische Ungleichheit.

Auch wenn sich die coronabedingten Auswirkungen in aller Deutlichkeit erst mit Zeitverzug in den Zahlen niederschlagen, zeigt sich schon jetzt, dass die Ungleichheit weiter zunimmt.

Superreiche können trotz oder vielmehr wegen Corona ihr Vermögen vermehren. Die Verteilung der Einkommen wie auch der Vermögen bleibt hierzulande weiter sehr ungleich. Langfristig betrachtet gibt es Zuwächse vor allem bei hohen Einkommen und Vermögen – trotz des momentanen Einbruchs bei den Kapitaleinkünften. Am anderen Ende der Skala gehen ärmere Haushalte weitestgehend leer aus. Beim Thema Ungleichheit steht Deutschland auch im internationalen Vergleich schlecht da.

DGB Verteilungsbericht 2021 – Die zentralen Ergebnisse

Gesamtwirtschaftliche Lohnposition: Lohnquote steigt krisenbedingt leicht
  • Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Arbeitnehmerentgelte gemessen am Volkseinkommen 72 Prozent. Im laufenden Jahr 2020 liegt die Lohnquote bei 74 Prozent. Der relativ starke Anstieg der Lohnquote ist auch auf den krisenbedingten Rückgang der Unternehmens- und Vermögenseinkommen zurückzuführen bei stabil bleibenden Arbeitnehmerentgelten.
  • Die Lohnquote in Deutschland liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Sie konnte seit der Jahrtausendwende etwas zulegen, wobei die Lohnquote in vielen anderen Ländern im gleichen Zeitraum stärker stieg.
  • Die nominalen Bruttolöhne je Stunde stiegen im Jahr 2019 mit einem Plus von 3,1 Prozent. Im 1. Halbjahr 2020 stiegen diese nochmals, jedoch sind die Verwerfungen durch die Corona-Krise hier noch nicht gänzlich sichtbar.
  • Der neutrale Verteilungsspielraum konnte im Jahr 2019 ausgeschöpft werden (1,8 Prozent). Auch für dieses Jahr zeichnet sich eine Ausschöpfung ab.
  • Seit dem Jahr 2010 konnte der Verteilungsspielraum im Durchschnitt gesamtwirtschaftlich ausgeschöpft werden.

Arbeitseinkommen: Gute Reallohnzuwächse bis zur Corona-Krise

  • Seit dem Jahr 2000 wuchsen die nominalen Bruttolöhne im Jahresdurchschnitt um 1,9 Prozent, seit dem Jahr 2010 um 2,5 Prozent. Damit liegen die Zuwächse der Löhne am aktuellen Rand höher als in früheren Jahren.
  • Die realen Bruttolöhne stiegen im letzten Jahr um 1,5 Prozent, im 1. Halbjahr 2020 sind diese coronabedingt um 2 Prozent zurückgegangen. Seit der Jahrtausendwende entwickelten sie sich durchschnittlich nur um 0,5 Prozent, seit 2010 um 1,2 Prozent.
  • Eine ähnliche Entwicklung ist bei den realen Nettolöhnen zu verzeichnen. Sie stiegen 2019 um 2 Prozent, seit dem Jahr 2000 im Jahresdurchschnitt um 0,5 Prozent.
  • Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland bei der realen Einkommensentwicklung im Mittelfeld.
  • Für das Jahr 2019 ergibt sich eine ausgeglichene Lohndrift, d. h., die gesamtwirtschaftlichen Effektivlöhne stiegen im Gleichschritt mit den Tariflöhnen. Für das Jahr 2020 zeichnet sich allerdings eine starke negative Lohndrift, mit höheren Tariflöhnen und geringeren gesamtwirtschaftlichen Effektivlöhnen, ab.
  • Das durchschnittliche Tarifniveau ostdeutscher Beschäftigter belief sich im Jahr 2019 auf 97,7 Prozent des westdeutschen Niveaus. Größere innerdeutsche Abweichungen sind allerdings bei den Effektivlöhnen zu verzeichnen. Durchschnittlich verdient ein/e Beschäftigte/r im Ostteil des Landes 85 Prozent des westdeutschen Niveaus. Damit stagniert die Ost-West Angleichung de facto seit 20 Jahren.
  • Die Lohnangleichung zwischen Ost und West ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Während Beschäftigte in Erziehung und Unterricht nahezu ähnliche Einkommen generieren, sind die Verdienstunterschiede im Verarbeitenden Gewerbe am größten.
  • Je höher das Anforderungs- und Qualifikationsprofil an den Arbeitsplatz, desto größer sind die Verdienstunterschiede zwischen Ost und West.
  • Gründe für die unterschiedliche Bezahlung zwischen Ost und West sind auch in der geringeren Tarifbindung ostdeutscher Beschäftigte und Betriebe zu finden.
  • Die zurückgehende Tarifbindung kostet der Allgemeinheit jährlich 75 Milliarden Euro; entstanden durch Mindereinnahmen bei der Sozialversicherung, der Einkommenssteuer und durch Kaufkraftverlust der Beschäftigten.
Kapitaleinkommen: Nach wie vor auf hohem Niveau, aber Krisenfolgen sind bereits erkennbar
  • Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen seit der Jahrtausendwende mit jahresdurchschnittlich 2,0 Prozent schwächer als die Arbeitnehmerentgelte (+2,5 %). Im letzten Jahr 2019 waren die Unternehmens- und Vermögenseinkommen gar rückläufig (-2,7 %). Für dieses Jahr zeichnet sich ein noch drastischer Einbruch der Kapitaleinkommen ab (-11 %).
  • Das Volkseinkommen wuchs seit dem Jahr 2000 im Mittel um 2,4 Prozent.
  • Real stiegen die Kapitaleinkommen seit der Jahrtausendwende um 13 Prozent, die Arbeitnehmerentgelte um 23 Prozent und das Volkseinkommen um 20 Prozent. Dabei sind die Entwicklungen aller drei Aggregate durch die Verwerfungen der Corona-Krise steil nach unten gerichtet.
  • Die Einkommen der Kapitalgesellschaften entwickelten sich recht unterschiedlich und entsprechend des Konjunkturverlaufes. Seit dem Jahr 2000 vermehrten sich ihre Gewinne durchschnittlich um 3,7 Prozent, wenngleich die Gewinne seit 2010 nicht mehr so stark wachsen und zuletzt sogar zurückgingen (- 5,6 %).
  • Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften erzielten in den Jahren seit 2000 durchschnittlich höhere Gewinne bzw. geringere Verluste als finanzielle Kapitalgesellschaften. Dieses Bild scheint sich jedoch am aktuellen Rand zu ändern.
  • Die Unternehmensgewinne der privaten Haushalte entwickelten sich seit dem Jahr 2000 mit plus 2,5 Prozent  im Durchschnitt geringer als die der Kapitalgesellschaften (+3,7 %).
  • Die Vermögenseinkommen der privaten Haushalte wuchsen im Mittel um 1,2 Prozent seit dem Jahr 2000.
Einkommensverteilung: Ungleichheit in Deutschland hoch, auch zwischen den Geschlechtern
  • Wenngleich die Einkommensungleichheit am aktuellen Rand nicht weiter zunimmt, liegt diese dennoch auf einem hohen Niveau.
  • Allerdings konnten insbesondere die unteren Einkommensgruppen in den vergangenen Jahren nominale Lohnzuwächse erzielen. Ein Grund ist hierbei auch beim gesetzlichen Mindestlohn zu finden, der vor allem in Ostdeutschland zu kräftigen Steigerungen im unteren Lohnsegment geführt hat.
  • Nichtsdestotrotz verschlechtert sich die relative Einkommenssituation der unteren Gruppe in der Langfristperspektive.
  • Die Einkommensarmut ist kein Randphänomen, sondern stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Derzeit gilt jede/r Sechste als einkommensarm.
  • Besonders Frauen sowie junge und ältere Menschen weisen ein erhöhtes Risiko auf, in Armut zu geraten.
  • Das Armutsrisiko fällt je nach Bundesland recht unterschiedlich aus. Das höchste Armutsrisiko gibt es in Bremen, das geringste in Bayern.
  • Auf der anderen Seite der Einkommensspirale sieht die Gegenwart hingegen rosig aus. Sowohl die Anzahl der Einkommensmillionäre als auch ihre Einkünfte stiegen stark an. Die meisten Einkommensreichen gibt es in Hamburg, die wenigsten in Sachsen-Anhalt.
  • Ein DAX-Vorstandsvorsitzender bezog im Jahr 2019 durchschnittlich das 74fache eines/-r Unternehmensmitarbeiters/-in. Der Gesamtvorstand eines DAX-Unternehmen konnte im Jahr 2019 durchschnittlich das 49fache eines Unternehmensmitarbeiters erzielen. Unter den DAX-Unternehmen gibt es große Unterschiede.
  • Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Einkommensungleichheit im oberen Mittelfeld. Ein Teil der Ungleichheit der Markteinkommen wird durch Umverteilung aufgefangen.
  • Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern (Gender Pay Gap) ist in Deutschland, auch im internationalen Vergleich, sehr hoch. Frauen verdienen im Schnitt rund 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Verdienstunterschiede fallen je nach Branche unterschiedlich aus.
  • Die geschlechtsspezifische Verdienstlücke hat auch Auswirkungen auf die Alterssicherung. Ein geringes Einkommen während des Erwerbslebens führt auch zu geringeren Rentenansprüchen im Alter. Die geschlechtsspezifische Rentenlücke, Gender Pension Gap, ist hierzulande sehr groß. So liegt die geschlechtsspezifische Rentenlücke in Deutschland bei über 37 Prozent.
Vermögensverteilung: Extrem ungleich
  • Das gesamte Nettovermögen in Deutschland hat sich seit der Jahrtausendwende nahezu verdoppelt.
  • Die Vermögen sind in Deutschland extrem ungleich verteilt. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über 65 Prozent, das wohlhabendste eine Prozent über mehr als 30 Prozent des Gesamtnettovermögens. 50 Prozent der Erwachsenen haben so gut wie kein Vermögen oder Schulden.
  • Das durchschnittliche Nettovermögen der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung beträgt rund 280.000 Euro. Das Medianvermögen in Deutschland beläuft sich auf etwa 23.000 Euro.
  • Reichtum ist oft männlich. Frauen gehören häufig zu der unteren Vermögensgruppe.
  • Die Vermögenskonzentration und -ungleichheit in Deutschland ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Hierzulande besitzen die vermögendsten 1 Prozent so viel wie 87 Prozent der Bundesbürger/-innen.
  • Seit dem Jahr 2010 ist die Ungleichheit der Vermögen, gemessen am Gini-Koeffizient, um fast 20 Prozent gestiegen.
  • Ungleichheit ist ein globales Problem. Weltweit verfügen 52 Millionen oder 1 Prozent der erwachsenen Bevölkerung über fast die Hälfte des gesamten globalen Vermögens, wohingegen 54 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung lediglich über 1,4 Prozent verfügen.
  • Insbesondere die Gruppe der Reichen und Superreichen konnte ihr Vermögen stetig mehren. Die Zahl der Millionäre und ihr aggregiertes Vermögen rangiert auf einem historischen Allzeithoch. Das vermögendste Prozent in Deutschland versammelt ein Vermögen in Höhe von 111 Prozent des jährlichen BIP.
  • Die Zahl der sehr reichen Personen ist erheblich. Unter 100.000 Bundesbürger/-innen gibt es durchschnittlich 10 Personen mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen US-Dollar. Ein/e Arbeitnehmer/-in mit einem durchschnittlichen Nettojahreseinkommen müsste für dieses Vermögen insgesamt 2.000 Jahre unentwegt arbeiten, ohne in der Zeit auch nur einen Cent ausgeben zu dürfen.
  • Das Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern ist in der Bundesrepublik sehr gering. Lediglich 2,7 Prozent des Gesamtsteueraufkommens werden aus vermögensbezogenen Steuerarten generiert. Deutschland befindet sich damit im internationalen Ranking in der Schlussgruppe.
  • Würde Deutschland ein Aufkommen aus vermögensbezogener Besteuerung des OECD-Durchschnitts generieren, ergäben sich für den Fiskus jährliche Steuermehreinnahmen von mehr als 30 Milliarden Euro.
Corona als Verstärker sozialer Ungleichheit
  • Corona ist zwar nicht ursächlich für die soziale Ungleichheit in Deutschland, wirkt aber als Verstärker.
  • Vor allem untere Einkommen haben in der Krise erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, während Besserverdiener weitestgehend unbeschadet durch die Pandemie kamen.
  • In jeder Krise gibt es auch Gewinner. Insbesondere Superreiche konnten ihr Vermögen im Jahr 2020 vermehren. Das Vermögen der Milliardäre beläuft sich derzeit weltweit auf über 10 Billionen Dollar und befindet sich somit auf einem Allzeithoch. In Deutschland beträgt dieses Vermögen 600 Milliarden
    Dollar trotz oder vielmehr wegen Corona.
  • Corona wirkt auch unter dem Gesundheitsaspekt ungleich. Ärmere Haushalte haben ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen Corona ins Krankenhaus zu müssen, als Besserverdienende.
  • Die Schulschließungen und der damit verbundene Wegfall des Präsenzunterrichts hat die soziale Schere im Schulsystem noch weiter geöffnet.
  • Gerade durch die weitgehend ungebrochenen Trends trägt der Wohnbereich zur Verschärfung der Ungleichheit bei. Denn während viele Menschen durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder wegbrechende Aufträge in der Corona-Krise enorme Einkommenseinbußen hinnehmen mussten, blieben ihre Mieten weiterhin auf sehr hohem Niveau.

 

 

 

Der komplette Report mit allen Ergebnissen, Grafiken und Forderungen an die Politik zum Download:

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Quelle: https://www.dgb.de/

Bild: kosova-aktuell.de