Vielen Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) stieg die Zornesröte ins Gesicht, als sie von den korrupten Machenschaften der Kreisverbände in Frankfurt und Wiesbaden im Herbst 2019 erfuhren. AWO-Funktionäre hatten sich gegenseitig Honorare über zigtausende Euro zugeschanzt und sich einen „Dienst-SUV“ mit 435 PS genehmigt. Die Staatsanwaltschaften in Frankfurt und Wiesbaden ermitteln wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug in mehreren Fällen.
Besonders sauer reagieren auf solche Skandale diejenigen Beschäftigten, die ihre 4. oder 5. Überlastungsanzeige beim Anstellungsträger eingereicht haben und sich nichts ändert.
Der skandalöse und kriminelle „Sozialbetrug“ ist nur möglich, weil es im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich keine vernünftigen Kontrollen gibt, dafür aber personelle Netzwerke und Verflechtungen sowie mafiöse Strukturen, in denen man „über Leichen“ geht, ohne dass jemand aufschreit.
Wenn die Beschäftigten an die Öffentlichkeit gehen und auf diese Strukturen aufmerksam machen, laufen sie Gefahr, arbeitsrechtlichen Konsequenzen, Anschuldigungen wegen „Geheimnisverrat“ und Schadensersatzforderungen ausgesetzt zu sein.
Im Folgenden werden Beispiele einiger Skandale der Wohlfahrtsunternehmen aus den vergangenen 10 Jahren geschildert, die letztendlich ohne große Konsequenzen für die Verantwortlichen blieben.
Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat auch schon lange den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs- und Sozialeinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Beteiligten. Die neoliberale Gesellschaft produziert Individuen, die auf die Funktion des Konsumenten und Konkurrenten reduziert sind. Als Norm gilt nur die aktuelle Effizienz, das Ziel ist Gewinn und die Tugend ist Habgier. In ihr gibt es keinen fürsorgenden Staat und kein unabhängiges Individuum mehr. Die Instanzen, die früher helfen sollten, wie Beratungsstellen, Erziehungshilfe und das Gesundheitswesen sind selbst Teil des Wettbewerbs geworden und wollen die Ursachen dieser schrecklichen Entwicklung auch gar nicht mehr bekämpfen.
Der Staat zahlt den Wohlfahrtsunternehmen jährlich einige Milliarden Euro für die Beratung, Betreuung und Beschäftigung von Menschen. Er prüft allerdings nicht, ob die Gelder auch dem Bedarf und den Richtlinien entsprechend bestmöglich eingesetzt werden. Missbrauch und Betrug sind so Tür und Tor geöffnet, wobei immense Summen ganz einfach in die eigenen Taschen der Geschäftsführungen umgeleitet werden können. Für systematische Prüfungen der Mittelverwendung fehlt den Gemeinden, Kreisen und Kommunen Geld und das entsprechende Personal. Den eigentlich zuständigen Landesrechnungshöfen, die im Auftrag der Kommunen solche Prüfungen bei sozialen Trägern durchführen können, fehlt die Legitimation dazu.
Es kommt immer wieder zu Skandalen, die nicht durch die Aufsichtsinstitutionen und Kontrollgremien aufgedeckt werden, sondern die Sozialbehörden werden zum Teil nur „per Zufall“ auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam oder unter großer Gefahr durch die Beschäftigten in diesen Konzernen, Verbänden und Vereinen.
„Unregelmäßigkeiten“ bei der Verwendung von Mitteln der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein
Bei der Verwendung von Mitteln der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ist es in der Vergangenheit bei Trägern von Wohnheimen oder Werkstätten in Schleswig-Holstein zu massiven „Unregelmäßigkeiten“ gekommen. Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe machten im Jahre 2012 mit 606,2 Millionen Euro mehr als zwei Drittel des gesamten Sozialetats in Schleswig-Holstein aus.
- Prüfungen im Kreis Steinburg ergaben, dass über Jahre hinweg die Leitung einer Einrichtung bei Itzehoe durch deutlich überhöhte Belegung und zu wenig Betreuungspersonal einen Schaden von mehreren hunderttausend Euro verursacht hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des Betruges gegen einen Heimbetreiber. Um Rückforderungen geltend machen zu können, ist auf das Gebäude der Einrichtung eine dingliche Sicherung im Grundbuch eingetragen worden.
- In einem anderen Fall soll der Träger einer Einrichtung entgegen der vertraglichen Personalvereinbarung mit der Sozialbehörde nicht nur weniger Personal beschäftigt haben, dort wurde fast jede dritte Personalstelle mit Hilfskräften besetzt, obwohl der Einsatz von Fachkräften klar vereinbart war. Auch hatte der Träger über mehrere Jahre schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte über eine eigene „Sozialdienstleistungsgesellschaft“ eingesetzt.
- In einem weiteren Fall in Schleswig-Holstein musste der Träger einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen fast 200.000 Euro an den Kreis zurückzahlen und erhielt zugleich eine außerordentliche Kündigung der Leistungsvereinbarung. Bei einer vorangegangenen Prüfung war auch hier festgestellt worden, dass Personal weder in ausreichender Zahl noch mit der notwendigen Ausbildung eingesetzt worden war.
Maserati-Affäre bei der gemeinnützigen und hauptsächlich staatlich finanzierten Treberhilfe in Berlin
Der Geschäftsführer der gemeinnützigen und hauptsächlich staatlich finanzierten Treberhilfe in Berlin hatte die Beschäftigten regelmäßig unterbezahlt, dafür sich selbst ein Monatsgehalt von 35.000 Euro gegönnt und sich einen Dienstwagen der Luxusmarke Maserati geleistet. Bei der Treberhilfe war die Vermischung von operativem Geschäft und Aufsicht die Regel.
Das Ganze kam ans Licht, als der Geschäftsführer eine Geldbuße für ein Verkehrsvergehen mit seinem Dienstwagen nicht zahlen wollte und vor dem Verwaltungsgericht klagte. Dabei wurde auch bekannt, dass es noch weitere teure Autos und eine Villa am Schielowsee gibt.
Dann begannen, wie bei diesen Vergehen üblich, die langwierigen Untersuchungen und rechtlichen Auseinandersetzung um Fragen wie
– Verstoß gegen die Gemeinnützigkeit,
– reicht es für den Tatbestand der Untreue,
– darf man öffentliche Aufträge entziehen
und was passiert mit den obdachlosen und ratsuchenden Menschen.
Genervt und ohne rechtskräftige Entscheidungen ließ der Senat nach dem Rücktritt des Geschäftsführers bestehende Projekte der Treberhilfe auslaufen und vergab die Aufträge an andere Träger. Die ausbleibende Finanzierung führte dann dazu, dass das Unternehmen, das in den besten Zeiten 280 Mitarbeiter beschäftigte, im November 2011 Insolvenz anmeldete.
Hier wurde auch noch ein Systemfehler bei der sozialen Wohlfahrtspflege deutlich, der da lautet „Konkurrenz statt Transparenz“. Mittlerweile werden große Teile der sozialen Arbeit nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisiert, wobei die Träger einen festen Betrag pro Fall erhalten, unabhängig davon, welche Kosten ihnen tatsächlich entstehen.
Der WfbM-Skandal in Duisburg
Um die Vergütung der Geschäftsführerin ging es auch bei der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) in Duisburg.
Die gemeinnützige Duisburger Behindertenwerkstatt beschäftigt rund 1.300 Mitarbeiter, davon 1.100 mit Behinderung. In 8 Betrieben werden Montage- und Konfektionierungsarbeiten durchgeführt, dann gibt es noch eine eigene Fahrradwerkstatt und die Gastronomie. Die Stadt Duisburg ist an der Werkstatt zu 50 Prozent beteiligt, die Lebenshilfe e.V. und der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung mit jeweils 25 Prozent.
Der ehemaligen Geschäftsführerin und dem ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der WfbM werden Untreue vorgeworfen, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Zudem hat sich die Bezirksregierung Düsseldorf eingeschaltet und Unterlagen angefordert, um zu prüfen, ob die Stadt Duisburg rechtens gehandelt hat. Auf Wunsch des Oberbürgermeisters soll auch der städtische Rechnungsprüfungsausschuss in die Aufklärung einbezogen werden und der Aufsichtsrat will umgehend die Prüfung von Schadensersatzpflichten einleiten.
Begonnen hatte die Geschäftsführerin mit einer Vergütung von 85.000 Euro im Jahr 2009, 30.000 Euro zur Altersvorsorge oben drauf und noch einmal 24.000 Euro für Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen. Einen Dienstwagen gab es zusätzlich. Ein Jahr später wurde das Festgehalt auf 120.000 Euro erhöht, hinzu kam eine Extrazahlung von 15 Prozent. Das Festgehalt wurde 2013 auf 150.000 Euro erhöht, ebenso die Altersvorsorge auf 80.000 Euro. Beides wurde dann noch einmal 2016 auf 200.000 Euro bzw. 100.000 Euro erhöht. Zuletzt soll das jährliche Gehalt bei 376.000 Euro brutto gelegen haben.
Dem Aufsichtsrat, der sie nun fristlos entlassen hat, wurden zwar immer die Unterlagen zur Vertragsverlängerung, nicht aber die Gehaltserhöhungen vorgelegt.
Diakonischen IntegrationsBetriebe in die Insolvenz, in deren Folge 34 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben
Ein weiteres Beispiel für unkontrollierte Agitation in einer nicht mitbestimmten gemeinnützigen GmbH zeigt der Weg der Diakonischen IntegrationsBetriebe in die Insolvenz, in deren Folge 34 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Seit Jahren ist es in Dortmund ein eingespieltes Verfahren von Geben und Nehmen bei den Lohnkostenzuschüssen und der temporären Beschäftigung langzeitarbeitsloser Menschen, mit immer den gleichen gemeinnützigen und privaten Unternehmen und der Arbeitsverwaltung. Ganze Förderketten hat man geschmiedet und Unsummen in Arbeitsmarktprogramme und Maßnahmen gepumpt, ohne irgendwelche konstruktiven und nachhaltigen Ergebnisse zu erzielen.
Bei diesem fast geschlossenen System der Arbeitsförderung mit öffentlichen Mitteln und mangelhafter Kontrolle ist die Versuchung für die Akteure groß, mal an etwas größeren Rädern zu drehen.
Vor diesem Hintergrund wurde beim Diakonischen Werk Dortmund 2009 die Diakonischen IntegrationsBetriebe Dortmund-Bochum-Lünen gemeinnützige GmbH gegründet. Gesellschafter waren die Diakonie Ruhr Werkstätten und das Diakonische Werk Dortmund und Lünen. Zweck der Gesellschaft war laut Handelsregister die Förderung gemeinnütziger Zwecke in Form der Berufsbildung und des Wohlfahrtswesens. Dieser Zweck sollte insbesondere durch die Errichtung, den Betrieb und die Unterhaltung von Lebensmittelmärkten sowie weiteren Einrichtungen, die der Eingliederung von Schwerbehinderten, schwer Vermittelbaren und längere Zeit arbeitslosen Personen in den allgemeinen Arbeitsmarkt dienen. Das Stammkapital betrug 100.000 Euro.
Im Mai 2011 öffnete der neue CAP-Markt in Bochum-Laer. Ein Supermarkt, der nicht nur Arbeitsplätze für behinderte und nichtbehinderte Menschen schaffen, sondern auch den Stadtteil insgesamt aufwerten und dem Anwohner eine Fuß nahe Einkaufmöglichkeit bieten wollte. Ein Jahr nach der Eröffnung des CAP-Marktes in Bochum wurde ein zweiter Supermarkt in Lünen eröffnet. Auch hier hatte die örtliche Politik große Erwartungen an das Vorhaben. Nicht nur die Schaffung von 18 Arbeitsplätzen wurde begrüßt, sondern auch die Aufwertung des Stadtteils insgesamt. Nach einer ruhigen Aufbauphase kam dann der Paukenschlag. In einer Information für die Medien wurde bekannt gegeben, dass die beiden CAP-Märkt sich seit dem 05.05.2014 im vorläufigen Insolvenzverfahren befinden. Man sei bemüht, diese Zeit in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter für eine Übergabe an potenzielle Nachfolgebetreiber zu nutzen. Parallel zu diesen Bemühungen habe die Geschäftsführung verschiedene Aktivitäten entwickelt, um die Beschäftigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterzuvermitteln.
In einer weiteren kurzen Information für die Medien wurde im Juli 2014 verkündet, dass es keine Nachfolgelösung für die CAP-Märkte Bochum und Lünen geben wird, die Belegschaften über das endgültige Aus informiert wurden und beide Märkte ab sofort geschlossen sind. Es wurde der Hinweis gegeben, dass die Geschäftsführung ihre bereits begonnenen Aktivitäten zur Weitervermittlung der Beschäftigten konsequent fortsetzt.
Hier wurden erhebliche Summen an öffentlichen Mitteln regelrecht verbrannt:
- Das Stammkapital der gGmbH betrug 100.000 Euro, woher dies generiert wurde, ist öffentlich nicht bekannt geworden.
- Nach der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters beträgt die Masse 370.331,00 Euro.
- Nach Anzeige des Insolvenzverwalters betragen die Forderungen der Insolvenzgläubiger 522.774,62 Euro.
- Die Insolvenzverwalterkosten wurden nach vierjähriger Tätigkeit auf 63.844,66 Euro festgesetzt.
- Für die Verteilung an die Gläubiger steht ein Betrag von 94.508,90 Euro zur Verfügung.
Bei den gemeinnützigen GmbH´s im kirchlichen Bereich befinden wir uns in einem Graubereich zwischen Gemeinnutz und Privatwirtschaft. Nach Außen gibt es als Potemkin´sche Dörfer Kontrollinstanzen, die aber in der Regel nicht verhindern können, dass einzelne Personen weitgehende Entscheidungen treffen können, ohne Rechenschaft abgeben und Verantwortung übernehmen zu müssen.
Die Beschäftigten in den Wohlfahrtsunternehmen
Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat auch den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs- und Sozial- und Gesundheitseinrichtungen schon lange erreicht, mit fatalen Folgen für die Beschäftigten.
Die Beschäftigten mussten und müssen ungeheuerliche Änderung über sich ergehen lassen, die nicht nur Auswirkungen auf die tag tägliche Arbeit haben, sondern ihre gesamte Lebenssituation beeinflussen.
Es geht hierbei nicht nur um ein Unbehagen, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, als Verkäufer sozialer Produkte auftreten zu müssen, bei der das eigentlich Menschliche zu einem Wettbewerbsfaktor der Markt- und Konkurrenzwirtschaft wird, in der Zuneigung, Aufmerksamkeit, Hilfe, Sicherheit, Ehrlichkeit und Authentizität zu verkaufen bzw. zu erwerben sind. Es hat sich ein Geld-Hilfe-Geld Verhältnis entwickelt, bei dem sich alle Beteiligten dem Diktat der betriebswirtschaftlichen Kenn- und Schlagzahlen unterwerfen und vor allem geht es um Entfremdungsprozesse, die die Beschäftigten völlig zerstören können.
Die Beschäftigten in diesem Sektor sind einem System ausgesetzt, in dem z.B.
- die Produktion von sozialer Dienstleistung den Dialog zwischen Klient und Mitarbeiter in versachlicht und einer zeitlichen Ergebnisrealisierung geschuldet ist.
- der Face-to-Face Bezug als Prozess der pädagogischen bzw. sozialen Arbeit zum marktkonformen Standard und der Andere zum bloßen Gegenstand wird.
- die Kosten-Nutzen-Analyse und der Wirtschaftsplan den persönlichen und sozialen Sinn der Realisierung des Arbeitsprozesses dominieren.
- der Hilfeakt bzw. der pädagogische Dienst Geschäft-Vertrag-Standard wird und verhindert den Aufbau nachhaltiger Beziehungen. Gemessen wird alles in psychotechnischen Verfahren wie BSC, EFQM, DIN-En-Iso, die als aktualisierte Methoden aus dem Fordismus entwickelt wurden und konkret den Arbeitsablauf und Arbeitstakt vorgeben.
- die Flexibilität als positives Markenzeichen zu gelten hat und die Bereitschaft verlangt wird, sich (selbst) zu instrumentalisieren.
- der Prozess des Auf- und Absteigens innerhalb der Gesellschaft als normaler Vorgang bewertet und dem individuellen Fleiß oder der Risikobereitschaft des Einzelnen zugeordnet wird.
- das Privatkapital auf den Sozialmarkt drängt, der staatlich alimentiert und in Zeiten der Krise sichere Anlagemöglichkeiten verspricht.
- die Gentrifizierung städtischen Wohnraums Gewalt gegen Senioren, Behinderte und „Normalverdiener“ ausübt, in dem Gettoisierung der Lebensverhältnisse und Unbezahlbarkeit von Gesundheit, Bildung und Teilhabe und Sicherheit für die Mehrheit der Bürger vorherrscht
und in dem die Sozialraum-Philosophie da endet, wo schlicht die Lebenskosten für die Menschen die Ausgrenzung bedingen und sie in die Klassenschranken verweist.
Für den Einzelnen in den Hilfeinstitutionen sind diese Prozesse schwer zu erkennen, da sie sich schleichend entwickeln, gepaart mit einer Salamitaktik der Anstellungsträger und begleitet mit ihren verlogenen „Leitbildern“.
Bei dieser konkreten Lebens- und Arbeitssituation müssen die Beschäftigten z. B. aushalten, dass
- trotz eklatanter Unterbesetzung, die Stellenpläne nicht eingehalten werden müssen,
- durch den Personalmangel die Klienten und Patienten schlecht oder gar nicht versorgt werden können,
- das Geld, das der Kostenträger für Personal bereitstellt beim Anstellungsträger auf die hohe Kante oder in „Rückstellung“ gelegt wird
und der Kostenträger augenzwinkernd öffentlich kundtut, dass der Anstellungsträger auch einen finanziellen Anreiz für die Durchführung der Aufgabe benötigt und nicht abspringt bzw. das System von Geben und Nehmen verlässt.
Die so erlebte Entmündigung der Beschäftigten im Care-Bereich führt in der Berufspraxis dann häufig zu spontanen und situativ ausgerichteten Widerständen, die schnell eskalieren und regelmäßig in nicht steuerbare Konfliktsituationen münden.
Da der Konkurrenzkampf auch unter den Beschäftigten herrscht, wird der Konflikt von allen Beteiligten schnell individualisiert, denn dort wo der Markt herrscht, herrscht auch die Vorteilsnahme auf Kosten anderer. Es gilt der Wettbewerb, Konkurrenz und die brutale Durchsetzung von Eigeninteressen, als Voraussetzung für persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg. Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit gewinnen die Oberhand. Mitgefühl, Empathie, Kooperation und Solidarität sind fehl am Platz. Das gesamte Kommunikationssystem kommt ins Wanken.
Alles was den Beschäftigten früher als Kleinkinder von der Familie oder in den pädagogischen Einrichtungen und auch in ihrer Fachausbildung als Norm vermittelt wurde, steht nun den tatsächlichen Rahmenbedingungen, Normen und Werten und sogar Gesetzen völlig entgegen.
Sie empören und schämen sich, wenn berechtigte Interessen oder Ziele der ihnen anvertrauten Menschen nicht berücksichtigt werden, deren Gefühle verletzt und ihnen in der Not Hilfe verweigert wird.
Die Gewerkschaften
Die Arbeit in den Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereichen ist, wie die Care-Arbeit insgesamt, eingebettet in ein System korporatistischer Regulierung und marktlich-wettbewerblicher Steuerung, mit vielfältigen horizontalen und vertikalen Arenen der Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.
Die isolierten Arbeitsrechtssysteme, Akteursstrukturen, Verhandlungsszenarien und Handlungsroutinen haben nicht nur eine aufgesplitterte Landschaft tariflicher Abschlüsse und Vereinbarungen hervorgebracht, sondern dieses verbändegeprägte Institutionensystem trägt dazu bei, dass die Verhandlung und Durchsetzung arbeitspolitischer Interessen in der Care-Arbeit gegenüber der Politik, aber auch gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen, zurzeit erheblich erschwert ist. Das System der Arbeitsbeziehungen ist historisch gewachsen und letztlich das Ergebnis einer zwischen Staat, Wohlfahrtsverbänden und Wirtschaft verhandelten Ordnung.
Die Gewerkschaften haben tatenlos zugeschaut, als das Kapital antrat, sich in die Care-Wirtschaft einzukaufen und sie durch betriebswirtschaftliches Management, Budgetierung und Pflegesatzverhandlungen aufzuwerten, mit dem Preis der Abwärtsspirale bei Entgelten und Arbeitsbedingungen. Die Ökonomisierung von Care-Arbeit ist aber nicht allein das Ergebnis der Einführung marktlich-wettbewerblicher Mechanismen in den Sozialsektor, sondern die Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen wurde auch durch das Zusammenwirken von branchenspezifischer Regulierung und Steuerung möglich, sie war immer schon eingebettet in einen fragmentierten und desorganisierten institutionellen Rahmen zur Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.
Das wichtigste Anliegen der Gewerkschaften ist es und war es immer schon, den Faktor Arbeit zu kartellieren und Vollbeschäftigung zu erreichen und dabei sollte es um jede Stelle gehen, die, wenn möglich, mit einem Mitglied besetzt ist. Für den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich bzw. dem gesamten Care-Bereich scheint das nicht mehr zu gelten. Obwohl die zuständigen Gewerkschaften die Ausbeutung und Überlastung der Beschäftigten anprangern, lassen sie es zu, dass Betrügereien mittlerweile systematisch ablaufen können. Ihnen ist bekannt, dass in den einzelnen Einrichtungen Stellen nicht besetzt sind und die meist öffentliche Finanzierung dafür weiterläuft, mit Wissen und Duldung der Beteiligten.
Die Gewerkschaften scheuen sich, dieses kriminelle Vorgehen der Arbeitgeber zu skandalisieren und die Aufsichtsgremien und -behörden zu informieren. Sie haben Angst, dass die Betriebe, die zu Unrecht kassierten öffentlichen Personalkosten zurückzahlen müssen und die Einrichtung in die Insolvenz gehen muss, mit dem größeren Verlust von Arbeitsplätzen als bei der Nichtbesetzung. Sie haben seit vielen Jahren dabei nur zugeschaut, wenn der Anstellungsträger schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte über eine eigene Sozialdienstleistungsgesellschaften eingesetzt und den Konflikt dahin ausrichten, darüber intern zu streiten, ob die outgesourcten Beschäftigten zu ihrer oder einer anderen Gewerkschaft gehören.
Die Gewerkschaften lassen ihre Mitglieder im Regen stehen, die immer wieder mit Kündigung, Geschäftsgeheimnisverrat und Schadensersatzleistungen von den Arbeitgebern bedroht werden, wenn sie als Whistleblower die zuständigen Stellen informieren oder an die Öffentlichkeit gehen.
Quellen: Monitor, RN, K.P. Schwarz, WAZ, Amtsgericht Dortmund-Insolvenzgericht Bild: flickr.de