Dortmund: die Großstadt, die meint, seit Jahrzehnten ohne Sozialpolitik auskommen zu können – SPD und DGB-Gewerkschaften im sozialpolitischen Dauerschlaf

Es scheint kein Zufall gewesen zu sein, dass Marco Bülow im letzten Jahr seiner SPD-Mitgliedschaft sich vor allem sozialpolitisch engagierte. Er gründete das Projekt „Sozialwende jetzt“, auch weil er bei der Dortmunder SPD das große sozialpolitische Defizit erkannte, durch das die Kommunikation mit den kleinen Leuten schon lange nicht mehr funktionierte.

Der SPD hatte es über Jahrzehnte gereicht, dass die sozialen Aufgaben in der Stadt irgendwie durch die von ihr durchdrungene AWO erledigt werden, deren Aktivitäten seit einiger Zeit durch die Überalterung der Mitglieder immer weniger wurden. Die anderen Wohlfahrtsverbände schauten, dass ihre Mitarbeiter in den Ausschüssen des Rates das Einwerben von öffentlichen Förderungen garantierten und das Wort Sozialpolitik mit Lobbyarbeit verwechselten.

Die Gewerkschaften versuchten seit Anfang des Jahrhunderts sich mit der Hartz Gesetzgebung zu arrangieren und verwalteten die Erwerbslosigkeit in der Stadt mit, ohne für eine kollektive Arbeitszeitverkürzung einzutreten, die einzig geeignet ist, die Erwerbslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen.

Die Initiative von Marco Bülow kam zu spät  und sie wurde von „Unterstützern“ begleitet, die überwiegend in Partei, Gewerkschaft und Verbänden das sozialpolitische Defizit nicht beseitigen können, weil sie selbst das Problem darstellen.

An fünf konkreten sozialpolitischen Negativentwicklungen soll im Folgenden der Finger in die Wunde der Dortmunder Sozialpolitik von SPD und Gewerkschaften gelegt werden.

Gerade Dortmund, als frühere SPD-Hochburg und „Herzkammer“ der Sozialdemokratie und mit ihren früher stolzen Gewerkschaften mit Kante, hätte bei der Bewältigung des Strukturwandels und neoliberaler Einflüsse sozialpolitische Alternativen entwickeln können, die auf das gesamte Bundesgebiet hätten ausstrahlen können. Doch Soziales wird seit langer Zeit, um mit Gerhard Schröder zu sprechen, als „Gedöns“ gesehen und der Mangel an innovativen sozialen Initiativen fällt der Stadt heute auf die Füße.

Anfang des Jahrhunderts wurde dann von SPD und Gewerkschaften in Dortmund die  HARTZ-IV-Gesetzgebung unterstützt und man war froh darüber, dass die erwerbslosen Menschen unter der Knute der Jobcenter standen und weniger gefördert, dafür aber mehr gefordert wurden.

So etwas rächt sich natürlich für eine sozialdemokratische Partei und den einst fortschrittlichen Gewerkschaften.

Bei den letzten drei Bundestagswahlen hat die SPD die drei schlechtesten Ergebnisse seit 1949 eingefahren. Der Vertrauensverlust ist enorm. Von über 20 Millionen Wählern im Jahr 1998 sind 2013 noch gut 11 Millionen und 2017 nur noch 9,5 Millionen übrig geblieben. Nur etwa jeder siebte aller Wahlberechtigten hat die SPD damals noch gewählt. Von 2000 bis Ende 2016 hat die SPD über 300.000 Mitglieder verloren. Das kurze Aufflackern vor 2 Jahren mit einem neuen Vorsitzenden, kurzfristig guten Umfragen und Parteieintritten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich sehr viele Menschen von der SPD abgewandt haben, vor allem die sogenannte kleinen Leute und die „Modernisierungsverlierer“.

1. Anstelle von Sozialem Wohnungsbau läuft man Investoren für die Wohnungsvermarktung hinterher – Wohnungsnot, auch weil die Wohnungen zur Beute und die Mieter in der Nordstadt nicht geschützt wurden

Nach den Sanierungen in der Nordstadt in den 1970er Jahren mit den Riesenkomplexen Hannibal und den Wohntürmen Nord II an der Heiligengartenstraße gab es in den 1980er Jahren in der Nordstadt wieder einmal einen Wohnungsmangel, sehr aktive Immobilienhaie und Hausbesetzungen. Der Zuzug von Aus- und Übersiedlern verstärkte den Wohnungsmangel und löste teilweise auch eine Wohnungsnot aus. Spekulanten aus dem süddeutschen Raum wurden zunehmend auf die Nordstadt aufmerksam. Sie wurden angezogen auch durch die heruntergekommenen und abgestoßenen Straßenzüge der Julius Ewald Schmitt GmbH an der Uhland-, Mallinckrodt- und Leibnizstraße. Die großen Vermieter, wie Hoesch Stahl und Veba Wohnen zogen sich aus der Nordstadt zurück und brachten ihre Häuser auf den Markt.

Die Stadt Dortmund zog es vor, sich von den aufgekauften Wohnungen in den Sanierungsgebieten zu trennen und diese an private Vermieter verkaufen. In den meist an Migranten vermieteten Wohnungen kam es zu menschenunwürdigen Zuständen. In einigen Häusern an der Mallinckrodtstraße froren im Winter die Abwasserrohre zu, platzten und führten zu Überschwemmungen. In der Uhlandstraße wurden von den Miethaien die Heizungsanlagen bewusst zerstört, um die noch verbliebenen Mieter zu vertreiben. Spekulanten gingen in den Konkurs, Wohnungsleerstände wurden angeprangert und schrittweise beseitigt. Die Stadt Dortmund und Wohnungsgesellschaften bebauten die letzten Reserveflächen der Nordstadt mit öffentlich gefördertem Wohnraum, mit entsprechenden Mietobergrenzen und Belegungsbindungen.

In den 1990er-Jahren wuchsen Aktienbestand und -handel noch nahezu in jedem Jahr. Wobei besonders Privatleute vom Börsenvirus infiziert wurden und in der falschen Annahme lebten, ihr Geld arbeiten zu lassen und den Grundsatz nicht kannten, dass nur Arbeit Werte schafft. So wurde damals auch mit der Ware Wohnen spekuliert, bei der unzählige Wohnhäuser vor allem im Dortmunder Norden in Eigentumswohnungen umgewandelt wuurden, flankiert von verbotenen Kombigeschäften, bei denen die Kredite gleich mitgeliefert  und den neuen Eigentümern Steuersparmodelle schmackhaft gemacht wurden.

Auch die kommunalen Immobilienunternehmen wollten nun mehr und nicht nur biedere Mehrfamilienhäuser für finanzschwache Mieter bauen. Sie begannen, sich in der Stadtplanung zu engagieren, Stadtteile zu entwickeln oder sprangen ein bei Bauprojekten, die von der Stadt nicht mehr aus eigener Kraft finanziert werden konnten.

In dieser Zeit stand fast täglich in der Tageszeitung im Lokalteil unter „Zwangsversteigerung“, dass in Kürze eine Wohnung, vorrangig in der nördlichen Innenstadt, versteigert wird. Man fragte sich, wo kommen die ganzen Eigentumswohnungen in der Nordstadt eigentlich her? Ist da nicht etwas in der Wohnungspolitik extrem falsch gelaufen?

Es geht nicht nur um die wahrscheinlich im dreistelligen Zahlenbereich angesiedelten „Problemhäuser“ der Nordstadt, sondern um die ganz gewöhnlichen Auswirkungen der Umwandlung in Eigentum seit den 1990ern Jahren. Diese Zockerei mit Wohnraum mit seinen fatalen Auswirkungen auf die Mieter in der Nordstadt ist auch eine der Hauptursachen für den Niedergang des Stadtteils insgesamt.

Die Situation für die betroffenen Mieter ist gekennzeichnet durch:

  • permanente Angst, die Wohnung und damit die vertraute Umgebung und soziale Kontakte zu verlieren
  • unklare Besitzverhältnisse
  • erhebliche Sicherheitsmängel, z.B. sind Haustür nicht mehr schließbar, fremde Personen laufen im Haus herum
  • über längeren Zeitraum die wenigen „regulären“ Mieter im Haus zu sein
  • Unsicherheit ob Mietkürzungen gerechtfertigt ist
  • fehlende Ansprechpartner
  • keine Reaktion auf Mängelanzeigen, Reparaturanliegen etc.
  • Stigmatisierung als die im Problemhaus verbliebenen Mieter
  • zeitweise unerträgliche, andauernde Umbaumaßnahmen mit Lärm und Schmutzbelästigung als altbekannte Methode der „Entmietung“
  • teilweise brutalen „Entmietungsmethoden“ ausgeliefert zu sein
  • ständige Drohungen seitens der Wohnungseigentümer/Objektverwaltung
  • unter „Zwangsverwaltung“ zu stehen
  • anstehende Zwangsversteigerung, das Mietverhältnis kann dann bei Eigenbedarf gekündigt werden

und

dass keine Investitionen im Haus und Umfeld mehr getätigt werden, alles verrottet und kaputt geht…

Für die betroffenen Mieter in den „Problemhäusern“ wäre es ganz wichtig gewesen, dass sie professionelle Hilfe und Unterstützung erhalten hätten. In solchen Situationen hätten sie von der Stadt gezielt aufgesucht werden müssen. Bei ihnen hätte angeschellt werden müssen, um sie vor Ort zu unterstützen, ihnen zu helfen, sich zu organisieren und sich zu wehren.

Hier hat man die Mieter den Untiefen des Wohnungsmarktes ausgeliefert.

 

2. Vom Kampf gegen Drogen zum Kampf gegen Drogendealer und Drogennutzern

Bis Anfang der 1970er Jahre verstand man in Dortmund unter Drogen nur Tabletten und Alkohol. Erst mit dem Auftreten der „Flower-Power-Generation“ erreichte LSD und „Berliner Tinke“, das war eine Opiummischung, eine überschaubare Zahl junger Menschen, die mit den Drogen auf die psychedelische Reise gingen. Sie nahmen keine Drogen, sie „experimentierten“ damit.

Als dann die Vermarktung in Dortmund begann, verschiedene „weiche“ Drogen angeboten wurden und immer mehr jungen Menschen Drogen nahmen, etablierte sich auch die Drogenhilfe in der Stadt. Um möglichst nah an den Hilfebedürftigen zu sein, wurde in der Kesselstraße in der Nordstadt eine Teestube eingerichtet.

Eine „Drogenszene“ gab es noch nicht. Der Begriff setzte sich erst durch, als Mitte der 1980er Jahre Heroin auf dem Dortmunder Drogenmarkt auftauchte und sofort fatale Folgen mit sich brachte. Das Experimentieren und Probieren funktionierten nicht mehr. Viele hatten noch gar nicht gelernt, auf anderem Wege, als mit Drogen ihre Probleme zu lösen. Diese neue Droge zog die jungen Menschen sofort nach unten, wo sie teilweise bis heute geblieben sind. Verelendung, Krankheit, Kriminalisierung, stundenlange Versuche legal oder illegal Geld zu beschaffen und Verfolgung durch Sicherheitskräfte bestimmten ihren Alltag.

Damals hatte die „Szene“ eine wichtige Funktion für den einzelnen Abhängigen. Auch für die Polizei, die Wert darauf legte, dass sich die Abhängigen öffentlich treffen konnten, damit sie besser zu beobachten und kontrollieren waren.

Nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) machten sich die Drogenkonsumenten strafbar und wurden strafrechtlich verfolgt.

Bis Anfang der 1990er Jahre traf sich die „Szene“ auf dem Platz von Leeds in der Innenstadt.

Parallel zu dieser Entwicklung wurde die Drogenhilfe in Dortmund ausgebaut. Das Café Flash und die Übernachtungsstelle Relax wurden eröffnet. Für viele Abhängige kam in ihrer elenden Situation nun oft noch eine HIV-Infektion dazu. Als die Drogenhilfe saubere Nadeln anbot, ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des „Verschaffens einer Gelegenheit zum Drogenkonsum“ gegen die Mitarbeiter.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) war schon damals für vieles gut und gab viel her.

Der Verfolgungsdruck auf dem Platz von Leeds wurde erhöht, Platzverweise ausgesprochen und die Leute auseinandergetrieben.

Der Druck der Kaufleute, der Kundschaft und auch der konservativen Sozialpolitiker führte dann zur konzeptionellen Neuausrichtung im „Kampf den Drogen“. Vom Platz von Leeds, über die Brückstraße, über die Katherinentreppe zum Nordausgang des Hauptbahnhofs wurde die „Szene“ vertrieben. Auch sollte sie in Bewegung gehalten und immer wieder aufgescheucht werden, damit sie sich nicht lange niederlassen konnte. Nach einigen Monaten wurden die Abhängigen vom Nordausgang des Hauptbahnhofs zum Nordmarkt vertrieben. Dort sollte dann die „Szene zerschlagen“ werden, so die Theorie.

Unterstützt wird und wurde dieses fragwürdige Vorgehen von der Nordstadt-CDU und einem Teil der Nordstadt-SPD.

Mittlerweile haben sich viele der Abhängigen aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sich dem Verfolgungsdruck beugen müssen. Kommt es zu größeren Ansammlungen wie derzeit auf dem Nordmarkt, dem Schleswiger Platz oder der Heroldwiese, wird sofort der Verfolgungsdruck wieder erhöht. Die Menschen sind dann den Drogenfahndern und Strafverfolgern mit ihren immer neuen grundrechteeinschränkenden Fahndungsmethoden, die das Betäubungsmittelgesetz und die Rechtsprechung bieten, ausgesetzt.

Man ist nicht mehr im „Kampf den Drogen“, sondern kämpft angeblich gegen die Dealer und die Drogenkriminalität.

Die sicherheitspolitische Offensive von Polizei und Stadt Dortmund nach dem Zuzug von Menschen aus Osteuropa in Verbindung mit den Möglichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes bei der „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ haben mittlerweile die Bewohner der Nordstadt unter Generalverdacht gestellt.

Das beginnt mit massiver Polizeipräsenz im Alltagsbild der Nordstadt, geht über martialische, überzogene Polizeieinsätze, auch schon bei Bagatelldelikten und endet bei den aggressiven Durchsuchungen und Totalabsperrungen ganzer Wohnquartiere mit Hunderten von Einsatzkräften.

Das ist aber nur das öffentliche Bild ihres Kampfes. Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten oder nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr.

Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertigt für sie alles, was sie machen und wie sie es machen.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hat in seiner jetzigen Form keine Berechtigung mehr

Nach dem Betäubungsmittelgesetz ist jeder Umgang mit Betäubungsmitteln (Rauschgiften) ohne behördliche Genehmigung strafbar. Der Besitz auch einer geringen Menge, beispielsweise von Cannabisprodukten, ist grundsätzlich strafbar. Bei einer geringen Menge, kann die Staatsanwaltschaft aber von der Strafverfolgung absehen. Eine Gewähr für die Einstellung des Verfahrens gibt es nicht. In jedem Fall hat die Polizei immer Strafverfolgungspflicht und führt in der Regel folgenden Maßnahmen durch: vorläufige Festnahme, körperliche Durchsuchung, Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Mitteilung an die Führerscheinstelle wegen Drogen im Straßenverkehr, Durchsuchung der Wohnung, bei Personen unter 18 Jahren die Durchsuchung der Wohnung der Eltern.

Eine Einstellung des Verfahrens ist beim Handel mit Betäubungsmitteln immer ausgeschlossen, wenn die Tat in Schulen, Jugendheimen, Kasernen etc. begangen wurde und die Tat Kindern und Jugendlichen Anlass zur Nachahmung geben könnte.

Ein Résumé nach 40 Jahren Betäubungsmittelgesetz:
  • Der Drogenkonsum ist unabhängig von strafrechtlicher Intervention. Die Konjunkturen des Drogenkonsums sind gänzlich unabhängig von gesetzlichen Regelungen.
  • Die Vorgängerregelung des BtMG (Opiumgesetze) sah als Höchststrafe drei Jahre Haft vor. Es gab zu Beginn der 1960er Jahre durchschnittlich drei Verurteilungen pro Woche in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Heute droht das Betäubungsmittelgesetz 15 Jahre Höchststrafe an und rund die Hälfte aller Untersuchungshäftlinge sind wegen Drogenvorwürfen in Haft.
  • Bezogen auf das geschützte Rechtsgut, die Gesundheit, hat sich das Gesetz als wirkungslos erwiesen.
  • Drogen hat es immer gegeben und die Lust darauf und die Genusssuche wird es immer geben. Im legalen Bereich z.B. bei Alkohol wird das nicht angezweifelt oder kritisiert. Es ist willkürlich bestimmt, dass einige Drogen illegal sind.
  • Mit nichts anderem ist die Justiz mehr beschäftigt, als mit der Drogenkriminalität. Dennoch ist kein erwünschter Effekt der Strafverfolgung, wie eine geringere Nachfrage nach illegalen Betäubungsmitteln oder ein geringeres Angebot erkennbar. Die Prohibition ist seit vier Jahrzehnten vollkommen unwirksam.
  • Die Drogenprohibition hat rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt. Die Justiz und der Gesetzgeber verweigern die kritische Bestandsaufnahme. Die Gerichte lassen im Regelfall grenzwertige oder rechtswidrige Ermittlungsmethoden der Polizei regelmäßig durchlaufen. Die Vernachlässigung der Kontrollfunktion der Gerichte wird damit gerechtfertigt, dass, je größer der Verdacht auf einen Drogenhandel ist, desto geringer ist die Voraussetzung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und Beschuldigtenrechte. Die Gesetzgebung versagt hier ebenfalls als Korrektiv: Im Betäubungsmittelbereich folgt das Gesetz der polizeilichen Praxis, nicht die polizeiliche Praxis dem Gesetz.
  • Die Beschaffungskriminalität ist eine weitere Folge der Prohibition. Jeder Mensch kann zum Opfern von Einbrüchen, Raubüberfällen und Betrug werden. Diese Delikte dienen dazu, die durch den Schwarzmarkt maßlos erhöhten Preise auch bezahlen zu können. Darüber hinaus ist eine weltweite Schattenwirtschaft mit riesigen Profitraten entstanden, das Geld wird gewaschen und fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück. Der wirtschaftliche Schaden ist immens.
  • Seit 40 Jahren werden die Menschen durch die Medien und die Politik falsch informiert. Einzelne Problemfälle, wie Drogentote, werden immer wieder massiv dramatisiert. Der Tod wurde immer der Droge zugeschrieben, er hätte aber vor allem dem Strafrecht als Ursache zugeschrieben werden müssen. Drogentote gibt es in der Regel durch Unkalkulierbarkeit der Dosis, durch Beimengungen und gesundheitlichen Risiken der Lebensumstände. Bei sinnvoller Aufklärung und durch eine Verschreibungspflicht von Drogen hätte es auf jeden Fall weniger Tote gegeben.
  • Junge Menschen werden unnötig der Kriminalisierung ausgesetzt. Sie werden als Kriminelle geführt, weil ein Genuss verfolgt wird, ohne dass sie jemand geschadet haben. Sie begehen opferlose Delikte, bei denen kein Rechtsgut verletzt wird. Jeder darf Drogen konsumieren, das ist an sich nicht strafbar und von der Verfassung her gedeckt, aber man kann eben nicht konsumieren, ohne sich strafbar zu machen, z.B. wegen des Besitzes.
  • Seit 20 Jahren wird schon auf die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur Straflosigkeit des Besitzes geringer Mengen Cannabis gewartet. Im Gegenteil, die Strafbarkeit im Betäubungsmittelrecht wird immer weiter verschärft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes reicht das ernsthafte Gespräch über ein Drogengeschäft zur Verwirklichung des Tatbestandes des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schon aus
  • Das Strafrecht erzielt seine Wirkung nicht, vielmehr zeigt es unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie den Schwarzmarkt mit all seinen Folgen z.B: dem Drogenkrieg in Mexiko, hunderttausend Tote und Finanzierung des Terrorismus weltweit durch Opiumhandel.

 

Vor einiger Zeit haben 122 deutsche Strafrechtsprofessoren eine Resolution unterzeichnet, in der sie eine Entkriminalisierung der Drogen verlangen.

Es ist ein Versuch, die ursprüngliche Funktion des Parlaments wieder zu wecken, da verfassungsrechtlich die Gesetze eigentlich wissenschaftlich begründet sein und überprüft werden müssen. Die Zielsetzung ist, unabhängig von der Frage, ob Drogen gefährlich sind oder nicht, dass die Politik sich mit der derzeitigen unhaltbaren Situation, die sich aus dem Betäubungsmittelgesetz ergibt, auseinandersetzt. Die Wissenschaftler bezeichnen die strafrechtliche Verfolgung als gescheitert, sozial schädlich und unökonomisch.

Rechtsstaatlich wäre es, ein solchermaßen nutzloses Gesetz wie das Betäubungsmittelgesetz abzuschaffen.

 

3. Anstelle der Schaffung von Arbeitsplätzen sitzen erwerbslose Menschen in der Hartz- und Maßnahmenfalle

Seit den 1980er Jahren sind in Dortmund aufgrund der hohen Zahl der erwerbslosen  Menschen eine Reihe von selbstorganisierten Initiativen, Gruppen und Vereine entstanden.

Allerdings wurde die Selbstorganisation der Betroffenen von den damaligen politischen Akteuren in Dortmund nicht gern gesehen.

Da es den Initiativen abgesprochen wurde, sich selbst für ihre Interessen einsetzen zu können, übernahm vor allem die Evangelische Kirche die Domestizierung in die Hand und machte in den 1980er Jahren die Arbeit/Arbeitslosigkeit zu ihrem zentralen Thema.

Gleichzeit verwehrte sie in ihren eigenen Reihen ihren Beschäftigten die gleichen Rechte, wie z.B. das Streikrecht und Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie im öffentlichen Dienst üblich, gänzlich.

Diese Einhegungspolitik hat mit dazu geführt, dass von den über 30 Initiativen in den 1980er Jahren in Dortmund derzeit noch 2 (Dortmunder Selbsthilfe, Arbeitsloseninitiative Dortmund ALIDO) übrig sind. Beide sind auch aus Altersgründen der aktiven Mitglieder allerdings nur noch bedingt arbeitsfähig. Den anderen ist, auch wegen der zu starken kirchlichen Umarmung, die Luft ausgegangen. Aber so hat man es geschafft, über die ganzen Jahre hinweg, jegliche Ansätze von Selbstorganisation und eigenständiger Artikulation der erwerbslosen Menschen in Dortmund im Keim zu ersticken.

Maßnahmenwildwuchs

In den vergangenen 40 Jahren sind in Dortmund aufgrund der hohen Zahl der Erwerbslosen, eine Reihe von Vereinen und Körperschaften entstanden, die in dem sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bereich eine immer größere Rolle spielen, denen aber in der Regel die demokratische Legitimation und gesellschaftliche Kontrolle fehlt bzw. sie agieren davon abgehoben.

Sie zeichnen sich durch eine gute Vernetzung bzw. Abschottung und eine nicht hinterfragte finanzielle Förderung mit eigener Dynamik aus und in der Regel werden den Beschäftigten kaum Arbeitsrechte und –schutzrechte, geschweige denn Mitbestimmgsmöglichkeiten eingeräumt.

Meist aus kleinen Initiativen oder Vereinen entstanden, haben sie sich z.B. in der nördlichen Innenstadt, in die sehr viele Fördermittel fließen, ausgebreitet und einige sind dort neben den Wohlfahrtsverbänden zu großen Sozialkonzernen mit ausgegründeten Unterbetrieben geworden.

Im Jahr 1991 haben sich diese selbsternannten Dortmunder Bildungs- und Beschäftigungsträger als Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen (ISB) zusammengeschlossen.

Die Mitglieder der Gemeinschaft haben vereinbart, dass sie sich der „ Koop-kurrenz“, (bezeichnet die Dualität von Konkurrenz und Kooperation auf Märkten) in einer für alle Mitgliedsorganisationen zufriedenstellenden Weise zu widmen und sich schon in der Planungsphase bei neuen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung abzustimmen.

Ein recht geschlossenes System also auf der Fördermittelnehmerseite.

Beispiele für die Auswüchse der Förderungspraxis
  • Es gibt Menschen in Dortmund, die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 10 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, wie z.B. die AGH/1Euro-Jobs, über AGH-Entgeltvariante, DOGELA und Jobperspektive und sind nun in der Öffentlich Geförderten Beschäftigung z.B. (FAV) gelandet. Flankierend wurden sie über den § 16 SGB 2 entschuldet. Vom ersten Arbeitsmarkt werden sie immer noch strikt ferngehalten, auch weil sie für die Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Arbeitnehmer sind.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat dazu geführt, dass der Maßnahme- bzw. Anstellungsträger Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechtem Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die „Programmkräfte“ erledigen lässt.
  • Diese Menschen werden dann noch in privaten Haushalten eingesetzt, die dann für eine Stunde Reinigungsarbeit 19 Euro zuzüglich Fahrtkosten, an den Maßnahme- bzw. Anstellungsträger zahlen müssen.
  • Wenn es der Betriebsablauf notwendig macht, werden bei den Arbeitsgelegenheiten auch mal Überstunden angeordnet, die dann großzügig mit 1,5 Euro, neuerdings mit 2 Euro, in der Stunde vergütet werden.
  • Bei einigen Maßnahmen werden monatlich pro Teilnehmer bis zu 500 Euro „Regiekosten“ an die Maßnahme- bzw. Anstellungsträger gezahlt. Wer diese Summe pro Träger und Teilnehmer zusammenrechnet und dann noch schaut, wie viele „Regisseure“ in Wirklichkeit tätig sind, sieht, wie lukrative diese Förderketten sind.
  • Da wundert es nicht, dass es, wie in anderen Städten schon geschehen, den Beschäftigten der Arbeitsverwaltung in den Fingern juckt, selbst Maßnahmeträger werden und ihre Kontakte und ihr know how nutzen können.
  • Es werden Menschen künstlich in der Statistik gehalten, die längst wieder Arbeit bekommen hätten. Für einen Fachlageristen, der im Jobcenter als jemand ohne Ausbildung geführt wird, wurden bisher mehrere Gutscheine an private Vermittler vergeben. Nach der befristeten Leiharbeit gab es einen neuen Vermittlungsgutschein. Das Ganze ging so lange gut, bis der Arbeitsvermittler wechselte und der neue Arbeitsvermittler erst einmal das Kreuzchen für „keine Berufsausbildung“ weg und ihn zum Facharbeiter gemäß seiner Ausbildung machte. Anschließend wurde er in eine Qualifizierungsmaßnahme geschickt, in der er seiner Ausbildung gemäß, seine Fähigkeiten aktualisieren kann und aus der „Drehtür Vermittlungsgutschein“ herauskommt.
  • Wenn die Zusätzlichkeit der Arbeit nach den etwas verschärften Kriterien nicht gegeben ist, müssen „Projektbezüge“ hergestellt werden.
  • Dann kann auch z.B. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für alle Gewerbe, die im Aktionsraum liegen, vom Einzelhandelsverband bereitgestellt und der Arbeitsverwaltung vorgelegt werden. Oder in Läden in denen Ware verkauft wird, eine Erklärung abgegeben wird, dass nur an Bedürftige verkauft wird oder für eine Zeit lang werden Waren nicht mehr verkauft, sondern gegen eine Spende ausgegeben.
  • Wenn einige geförderte Maßnahmen nicht anlaufen, kann man immer noch auf die Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV) umschalten.
  • Wenn es eng wird und alles nicht mehr gegenüber der Arbeitsverwaltung beeinflussbar ist, kann die Rettung dann eine Umwandlung des Ganzen in einen Integrationsbetrieb sein. Dass dieser Tipp nicht immer gut ist, wurde deutlich, als im August 2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Diakonischen Integrationsbetriebe Dortmund-Bochum-Lünen gGmbH eröffnet wurde. 34 Menschen, davon über die Hälfte mit Beeinträchtigungen, die in den „CAP-Märkten“ gearbeitet hatten, mussten entlassen werden. Die Folge von Missmanagement und vor allem mangelhafter Kontrolle der eigenen Aufsichtsgremien und öffentlicher Mittelgeber.
  • Einer jungen Frau wurde zur Arbeitsaufnahme noch kurz vor ihrem Insolvenzverfahren ein Kredit für die Anschaffung eines KFZ durch das Jobcenter gewährt, der Arbeitsplatz selbst wurde mit 75 Prozent Lohnkostenzuschuss gesponsert und der Arbeitgeber bestand frech auf dem KFZ, weil die Frau als Vertreterin für Medizintechnik Arztpraxen anfahren musste – so etwas geben die Richtlinien für die freie Förderung her. Das Arbeitsverhältnis wurde nach 3 ½ Monaten beendet.
  • Damit der Förderungsumfang für den einzelnen Träger nicht unverschämt hoch ausfällt, hält man sich in den einzelnen Maßnahmen zurück, weitere und notwendige Förderungen für den einzelnen Teilnehmer wie z.B. Schuldnerberatung zu beantragen.

Parallel zu dieser Entwicklung hat sich der reguläre Arbeitsmarkt völlig zersplittert, auch eine Folge der prekären Beschäftigung mit dem Niedriglohnsektor, befristeten Stellen, Leiharbeit und Tagelöhnerpraxis, die in Dortmund von Gewerkschaft und SPD schlichtweg ignoriert wurde.

Zersplitterung des Arbeitsmarkts

In Deutschland wurde mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes die Entstehung des Niedriglohnsektors gefördert. Auf dem World Economic Forum in Davos am 28. Januar 2005, äußerte der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen, und nicht nur mit den Berichten über die Gegebenheiten. Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“

Als Gerhard Schröder dies sagte, waren die Hartz Gesetze gerade in Kraft getreten und die Fakten und Voraussetzungen für den Niedrigsektor geschaffen. Auch in Dortmund wurde diese Linie von SPD und Gewerkschaften unkritisch übernommen und anschließend die langzeitarbeitslosen Menschen immer weniger gefördert, aber dafür mehr gefordert. Viele von ihnen sind gezwungen, als Tage- und Stundenlöhner ihre Arbeitskraft anzubieten.

Den Teil des Arbeitsmarkts, in dem sich die Tage- und Stundenlöhner verdingen, nennt man in Dortmund u.a. den „Arbeiterstrich“ und meint damit diejenigen Menschen, die in der nördlichen Innenstadt an der Straße stehen und auf einen „Arbeitgeber“ warten, der sie für einen Appel und ein Ei einige Stunden für sich schuften lässt. Dabei wird leicht übersehen, dass der Personenkreis viel größer ist, als die bis zu hundert Menschen, die dort sichtbar sind.

Kaum jemand weiß, dass es regelrechte Kolonien, wie z.B. im Hafengebiet gibt, in denen vor allem Menschen aus den östlichen Nachbarländern als „illegale“ Menschen unter Plastikplanen hausen und auf dem Stundenlöhnermarkt immer weniger konkurrenzfähig sind, da sie für die harte Arbeit gesundheitlich gar nicht mehr in der Lage sind.

Die zunehmende Anzahl von obdachlosen Menschen ist ebenfalls auf diese Art der Beschäftigung angewiesen, vorausgesetzt, das Pfandflaschensammeln lässt ihnen noch Zeit dafür. Die anderen Flaschensammler müssen stundenweise für ein Trinkgeld arbeiten, weil sie mit dem Geld vom Jobcenter nicht auskommen können oder durch Sanktionen nur noch einen Teil vom Regelsatz erhalten.

Die Zersplitterung des Arbeitsmarktes ist für die nicht abhängig Beschäftigten kaum sicht- und vorstellbar. Sie nehmen vielleicht ein oder zwei Gruppen wahr und haben keinen Einblick in die unteren Beschäftigtengruppen. Sie scheinen gar nicht mitbekommen zu haben, dass:

  • ein hoher Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen und der massive Ausbau des Niedriglohnbereichs sowie die prekäre, ungesicherte Beschäftigung dazu geführt haben, dass ein großer Teil der Marginalisierten sich abgehängt und überflüssig fühlt.
  • mittlerweile rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter zehn Euro in der Stunde arbeiten. In Ostdeutschland liegt ihr Anteil sogar bei 30 Prozent.
  • sich die Minijobs mit derzeit rund 7,5 Millionen geringfügig entlohnten Beschäftigten im Arbeitsmarkt fest verankert haben.
  • es inzwischen rund 50.000 Sklavenhändler gibt, die rund eine Million Arbeitskräfte verleihen, so viele, wie noch nie.
  • für Migranten fast nur der Niedriglohnsektor offen steht und dieser Niedriglohnbereich ein geschlossener Arbeitsmarkt ist, in dem die Beschäftigten kaum eine Chance haben, jemals eine Anstellung mit besseren Bedingungen zu erhalten.
  • am unteren Ende des Arbeitsmarktes sich die Tage- und Stundenlöhner wiederfinden, deren Lebenssituation einfach nur als elendig zu beschreiben ist.

 

Als die Auswirkungen dieser Politik immer mehr das öffentliche Bild, vor allem in der Nordstadt, zeigte, wurde anstelle einer innovativen Sozialpolitik auf hergebrachtes zurückgegriffen, nämlich der Politik der strafenden Stadt mit ihrem kruden Recht- und Ordnungsgefasel.

 

4. Recht und Ordnung anstelle von Sozialpolitik

Da die Stadt Dortmund mit ihrer Sozialpolitik in der „abgehängten“ Nordstadt gescheitert ist, schlägt sie nun brutal um sich und bekämpft im Verbund mit der Polizei nicht die Armut, sondern die Armen. Es wird Tag und Nacht „Präsens“ gezeigt und „konsequent, auch bei kleineren Verstößen“ durchgegriffen. Das beginnt mit massiven Polizeiaufgeboten im Alltagsbild der Nordstadt, geht über martialische, überzogene Polizeieinsätze, auch schon bei Bagatelldelikten und endet bei den aggressiven Durchsuchungen und Totalabsperrungen ganzer Wohnquartiere mit Hunderten von Einsatzkräften.

Immer mehr Menschen werden zu Opfern von Gewalt und Willkür der Ordnungskräfte.

Präsens zeigen

Es wird immer mal wieder die seit Jahren schon ständige Präsenz der Ordnungskräfte im Alltagsbild der Nordstadt erhöht und zwar so, dass sich die Einwohner der Nordstadt unter ständigen Verdacht gestellt fühlen.

Die Nutzer des Nordmarktes müssen es sich gefallen lassen, dass immer wieder Personenkontrollen bei ihnen durchgeführt werden, bei denen Einzelpersonen von bis zu 6 Ordnungskräften umringt sind, Befragungen ausgesetzt werden und sie  Platzverweise bekommen. Als friedliche Nutzer der Sitzbänke werden sie mal vom südlichen, mal vom westlichen Teil des Platzes verjagt und förmlich weggehetzt. Ganze Teile des Nordmarktes werden ohne Grund geräumt, die Sitzbänke sind leer, nur so.

Demonstratives Befahren des Nordmarktes von Polizei und Ordnungsamt sind Alltag. Die sogenannten Problemgruppen werden auf Trapp gehalten. Der Nordmarkt als letzter Rückzugsraum soll für sie unattraktiv gemacht werden, ihr Unerwünschtsein überhaupt soll demonstriert werden. Das Abriegeln ganzer Quartiere mit Personenkontrollen, keiner kommt rein, keiner geht raus, soll die Tatkraft der Ordnungskräfte unter Beweis stellen. Dazu gehört auch das martialische Auftreten von Polizei und Ordnungskräften und das öffentlichkeitswirksame Zelebrieren von Durchsuchungen mutmaßlicher Dealer.

Endlich können die Angestellten des Ordnungsamtes mit gestelzter Brust durch die Nordstadt gehen. Ihre neue Uniform haben sie bei der Polizei abgeschaut. Sie soll sie ernsthafter und gefährlicher erscheinen lassen. Die grünen Barette und das weiße Hemd waren doch viel zu harmlos. Freundlich wurden die AGH-Ordnungsamtsleute von den Nordstädtern noch „Rotkäppchen“ genannt.

Neuerdings sind Ordnungskräfte auch mit Schlagstöcken ausgestattet, angeblich zum Selbstschutz.

Regeln einhalten

Es gibt immer wieder Schwerpunkteinsätze der Ordnungs- und Polizeikräfte in der Nordstadt mit besonderem Fokus auf den Nordmarkt und der näheren Umgebung. Als Gründe dafür werden genannt, dass nach „überwiegend regelkonformen Verhalten“ der unterschiedlichen Nutzergruppen (Drogenkonsumenten, Alkohol trinkende Menschen, Zuwanderer aus Südosteuropa) das „Verhalten sich zunehmend verschlechtert“ hätte.

Bei so viel Bemühen, um eine Verhaltensänderung herbei zu führen und die vollkommene Rückendeckung durch die Politik, schießen die Ordnungskräfte schnell über ihr gesetztes Ziel hinaus.

Da schaukeln sich Stresssituationen zwischen Ordnungskräften und alten Menschen hoch zu einem Katz- und Mausspiel, wie das Beispiel der 78 –jährigen Frau zeigt, der förmlich aufgelauert wurde, um ihr immer wieder Ordnungswidrigkeiten vorzuwerfen, die da lauten: einen Hund verbotswidrig unangeleint ausgeführt zu haben, z.B. Kassenzeichen 5414301_ _ mit 48,50 € und Kassenzeichen 5450317_ _ mit 73,50 €. Ihr 16 Jahre alter Hund, alterserlahmt, war jedes Mal ohne Leine hinter der Frau zu ihrer Stammsitzbank auf dem Spielplatz getrottet. Als sie das Tier einige Zeit später ordnungsgemäß angeleint auf dem Bürgersteig führte, wurde dem Hund vorgeworfen, einen Unfall verursacht zu haben und ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 € (Kassenzeichen 2260055_ _) auferlegt. Der Grund: Sie hatte gegen die Ordnungsverfügung verstoßen, „ihren Hund mit mehr als die erlaubte 1,50 m Leinenlänge geführt zu haben, sodass der Hund ca. 3 Meter in Richtung Straße laufen konnte.“ Die Frau befindet sich im Insolvenzverfahren und muss ihre kleine Altersrente mit der Grundsicherung aufstocken.

Um die angeblichen Regelverstöße auf dem Nordmarkt zu unterbinden, kann der Nordstadtbewohner beobachten, wie Ordnungskräfte mit Hinweis-Tafeln auf rumänisch und bulgarisch ausgestattet über den Platz laufen. Falls die Angesprochenen des Lesens nicht mächtig sind, zücken sie Piktogramm-Tafeln. Die Darstellung von sich in der Öffentlichkeit entleerenden Menschen ist entwürdigend. So wird Vieh dargestellt. Menschen in der Nordstadt braucht man angeblich nicht würdevoll und anständig zu behandeln.

Selbst auf den Bürgersteigen wurden Platzverweise ausgesprochen. Die Personenansammlungen auf den Gehwegen der Mallinckrodtstraße wurden durch die Ordnungskräfte aufgelöst. Fußgänger aus den schrittfahrenden Bullis der Ordnungskräfte angesprochen und gemaßregelt und junge Migranten Personenkontrollen unterworfen, denen eine öffentlichkeitswirksame Körperdurchsuchung vorausging. Was hatten die Jungen verbrochen? Sie sind schneller als üblich gegangen – also scheinbar geflüchtet.

Neue Fahndungs- und Überwachungsmethoden in Dortmund

Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten und nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr. Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertigt für sie all das, was sie machen und wie sie es machen.

Im Juni 2014 wurde bekannt, dass die Überwachung mit „stiller SMS“ erheblich zugenommen hat. Dortmund ist Spitzenreiter in NRW: Unglaubliche, knapp 30.000-mal wurde diese umstrittene Methode in Dortmund im Jahr 2013 angewandt – wie viele Handy- Anschlüsse damit erreicht wurden, liegt im Dunkeln. Weder das Innenministerium in Düsseldorf noch der Polizeipräsident in Dortmund äußern sich dazu. Die Partei Piraten in Dortmund geht nach einer großen Anfrage allerdings davon aus, dass vom Polizeipräsidium Dortmund vom 01.01. bis zum 20.03.2014 allein 20 512 „stille SMS“ entsandt wurden.

Wie funktioniert das: Die Handynummer des Überwachten reicht aus, an dieses Handy eine SMS zu senden. Der Empfänger bekommt davon nichts mit, das Handy zeigt nämlich nichts an, aber es nimmt Kontakt zur nächsten Funkzelle auf – so ist dann ganz präzise der Standort bestimmt.

Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen und zwar eine Bilanz von der rechtsstaatlichen Art.

Es muss dringend einmal genau geprüft werden, inwieweit das Vorgehen gegen Bürger der Nordstadt mit Recht und Gesetz, mit der Verhältnismäßigkeit, sowie mit der aktuellen Rechtsprechung überhaupt in Einklang zu bringen ist.

 

5. In Dortmund wird nicht die Armut, sondern es werden die Armen bekämpft

Viele Menschen in Dortmund wissen gar nicht, dass fast alle Sozialleistungsträger mit ihren Verbänden und Stellen sowie die Anbieter von sozialen Leistungen auch eine Auskunfts- und Beratungspflicht haben. Wenn ihr Anliegen schroff abgewiesen wird, fühlen sie sich noch mehr als Bittsteller und entwickelt eine ohnmächtige Wut oder resignieren ganz.

Die Auskunfts- und Beratungspflicht dient dazu, die Betroffenen auf ihre Rechte und Pflichten hinzuweisen, dabei sollen die Träger dem Gebot der Sachlichkeit Rechnung tragen und sachangemessen und zutreffend informieren. Die betroffenen Ratsuchenden müssen davon ausgehen können, dass die jeweiligen öffentlichen Stellen sie rechts- und sachkundig informieren und beraten und sie deren Ausführungen vertrauen können. Deshalb sind die jeweiligen Stellen verpflichtet, zutreffende Auskünfte zu geben und ausführlich zu beraten, ungeachtet eines ggf. anderen eigenen Standpunkts.

Die Auskunfts- und Beratungspflicht gibt es praktisch gar nicht mehr. Die Rechte der Betroffenen werden verletzt, Unterlagen erreichen die Institutionen angeblich nicht und den Menschen wird mangelnde Mitwirkung unterstellt.

Die zunehmende „Verbetriebswirtschaftlichung des Sozialen“ hat mit dazu beigetragen, dass bei den Stellen oftmals die Auskunft und der Rat in der Art gegeben werden, um die Menschen davon abzubringen ihre Sozialleistung zu beantragen und beim Sparen des Trägers mitzuhelfen.

Berichte von Betroffenen

Krankenkasse: Das Krankengeld wird häufig nicht ausgezahlt, da die Krankmeldung nicht bei den eingereichten Unterlagen dabei gewesen sein soll. Eine Frau ist deshalb über 3 Wochen ohne Einkommen. Alle Unterlagen einschließlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wurden in einem Umschlag bei der Krankenkasse persönlich eingereicht. Dabei hat sie gar nicht dafür Sorge zu tragen, dass die AU vorliegt, da die Frau bei diesem sozialrechtlichen Vorgang keine Beteiligte ist, sondern der Arzt, der die AU ausstellt, müsste sie der Krankenkasse beibringen, bzw. die Krankenkasse bei ihm anfordern. Erst nachdem der Arzt die AU zur Krankenkasse gefaxt hatte, konnte die Auszahlung erfolgen.

Wohngeldamt: Die Wohngeldberechtigten werden im Gespräch bewusst falsch darüber informiert, dass sie keinen Anspruch haben, weil sie z.B. Studierende sind oder berufstätige Menschen angeblich monatlich zu viel verdienen, obwohl die Einkommensberechnung für den Jahreszeitraum gilt. Der Antrag wird erst gar nicht angenommen und damit wird kein Verwaltungsvorgang begründet.

Wohnraumsicherung: Diese Stelle schickt vermehrt Rat- und Hilfesuchende weg, mit dem Hinweis, dass viele Angestellte krank und zu wenig Personal vorhanden sei.

Der alleinerziehenden Mutter, der die Stromsperre droht, wird bedeutet, wenn sie die Energieschulden mit einem Darlehen der Stadt Dortmund bezahlen möchte, was ihr Recht ist, dann sollte man doch mal das Jugendamt über ihr „unwirtschaftliches“ Verhalten informieren. Einer „Mutter, die nicht haushalten könne, könne man auch die Kinder wegnehmen“. Die Frau verzichtete auf das Darlehen, sie lieh sich das Geld im Bekanntenkreis.

Jobcenter: Für Menschen, die Sozialgeld nach SGB II beziehen ist es normal geworden, dass ihre Unterlagen angeblich nicht beim Jobcenter vorliegen und sie wochenlang kein Einkommen haben, weil die Leistung nicht berechnet werden kann. Alle Beteuerungen und Zeugen helfen nicht, ihnen wird dazu unterstellt, dass sie nicht „mitwirken“, was zu Sanktionen d.h. weniger Geld führen kann. Obwohl die Bundesagentur im Juni 2018 „die Ausstellung von Eingangsbestätigungen“ befürwortet, wird diese wichtige Dokumentation im Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen und auf massive Beharrlichkeit ausgestellt. So musste der junge mittellose Mann persönlich zum Jobcenter fahren, um die Bearbeitung seines Antrags zu beschleunigen und nahm die öffentlichen Verkehrsmittel, wurde erwischt und anschließend mit einer saftigen Geldbuße überzogen.

Die Hauptursache für eine Überschuldung ist der Verlust des Arbeitsplatzes, für jeden fünften deutschen Schuldner war die Erwerbslosigkeit im vergangenen Jahr der Grund für die finanzielle Notlage. Ist das Jobcenter oder die Bundesagentur (BA) aber selbst Gläubiger, verhält man sich dort ganz anders. Nur in besonderen Härtefällen dürfen sie sich bei der Schuldenregulierung auf eine außergerichtliche Einigung einlassen. Damit ist bei allen verschuldeten, erwerbslosen Menschen, die auch bei der BA Schulden haben, ein Insolvenzverfahren vorprogrammiert, weil bei diesen außergerichtlichen Einigungen der Grundsatz gilt, dass alle Gläubiger mitmachen und auf einen Teil der Forderung verzichten. Die BA schickt damit die Menschen in die Insolvenz.

Kindertagesgebühren: Bei einer alleinerziehenden Frau hatten sich Kindertagesstättenbeiträge incl. Kosten und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 18.472,55 Euro angesammelt. Während des Erhebungszeitraums war die Frau zunächst im HARTZ -IV-Bezug und danach befand sie sich in einer Ausbildung mit einer Vergütung von 760 Euro netto. Dabei hätten die Kitafachkräfte die Frau darüber informieren müssen, dass sie einen Antrag auf Befreiung von den Beiträgen stellen kann und ihr bei der Antragstellung helfen können. Im Gegenteil, die Stadt Dortmund hat einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren gestellt und so die Frau in den „Konkurs“ getrieben.

 Öffentliche und gemeinnützige Institutionen

Stadt Dortmund: Bei der Eintreibung von rückständigen Gebühren oder im Rahmen der Amtshilfe wird sofort das gesamte Marterpaket ausgerollt – die Lohnpfändung, die Kontopfändung und die Vermögensauskunft werden verhängt, mit dem Eintrag in das Schuldnerverzeichnis – und das auch bei Forderungen von unter 100 Euro. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat der Bürger ein massives Problem, egal ob er wegen geringem Einkommen, Schussellichkeit oder Protest die Gebühren nicht abgeführt hat, er kommt an sein Geld auf der Bank nicht mehr ran, riskiert seinen Arbeitsplatz durch die Lohnpfändung und seine Vermögenssituation kann beim Amtsgericht Hagen im Schuldnerverzeichnis eingesehen werden.

So erging es auch einem Mann, der im Erhebungszeitraum mit seiner Partnerin und Hundehalterin zusammenlebte. Insgesamt fordert die Stadt 3.035,25 Euro Hundesteuer von ihm. Die „Steuersünder“ sind fassungslos, wenn sie zur Steuerzahlung herangezogen werden, obwohl ihnen der Hund in der Wohnung gar nicht gehört. Gemäß § 1 Abs. 2 Hundesteuersatzung sind alle im Haushalt lebenden volljährigen Personen Gesamtschuldner. Das bedeutet, dass jeder Gesamtschuldner für den gesamten Steueranspruch als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann. (Satzung zur zweiten Änderung der Hundesteuersatzung der Stadt Dortmund vom 08.10.2014)

Der Mann ist heute mit einer anderen Frau verheiratet. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, hat die Stadt Dortmund den Mann mit einer Lohn- und Kontopfändung überzogen. Der Hund, für den er vor über 10 Jahren satzungsgemäß hätte Hundesteuern zahlen müssen, ist mittlerweile verstorben, über den Aufenthalt seiner damaligen Partnerin ist ihm nichts bekannt.

Seit einem Jahr ist die Stadt Dortmund dazu übergegangen, für zahlungsunfähige Menschen, gegen die sie eine Forderung hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Für die betroffenen Menschen bedeutet dies unglaublichen Stress und Verunsicherung, da das Insolvenzgericht sie dann auffordert, innerhalb von 4 Wochen einen eigenen Insolvenzantrag zu stellen, was aber bei der Unterbesetzung der anerkannten Beratungsstellen nicht möglich ist und die verzweifelten Leute sich an kommerzielle Berater wenden und sich zusätzlich verschulden.

Erst nach überregionalen Protesten gegen die Praxis der Stadt Dortmund, mit Bußgeldern gegen obdachlose Menschen vorzugehen, weil „das Nächtigen unter Brücken, auf Parkbänken oder vor Schaufensternischen eine Ordnungswidrigkeit darstellt“, wurde dieses Vorgehen eingestellt. Allein in vier Wochen im Herbst 2018 wurden in Dortmund Obdachlose insgesamt 50 Mal vom Ordnungsamt verwarnt oder angezeigt. Jeder Verwarnung folgte auch ein Knöllchen über 20 Euro. Wobei allen Beteiligten klar war, dass diese Menschen um ihr tägliches Brot kämpfen müssen und meist keine 20 Euro besitzen. Wenn nun die 20 Euro von den Obdachlosen nicht bezahlt wurden, dann folgte den 20 Euro ein zusätzliches Bußgeld von 28 Euro, d.h. dann waren 48 Euro fällig. Bei Nichtzahlung, bedrohte man die Menschen mit einer Haftstrafe.

Spar- und Bauverein eG: Einer Frau, alleinerziehend, Vollzeit arbeitend, im Insolvenzverfahren, die eine Wohnung suchte, teilte der Spar- und Bauverein eG mit: „Wie wir erfahren haben, wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Wir nehmen vorerst von einer Neuvermietung an Sie Abstand und werden ihnen während der Wohlverhaltensphase keine Wohnung vermitteln“.

Dortmunder Gesellschaft für Wohnen – vormals: Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH (DOGEWO): Ein junger Mann, vollzeitbeschäftigt im unbefristeten Arbeitsverhältnis durchläuft das 3. Jahr im Insolvenzverfahren. Die DOGEWO teilte ihm mit, dass keine Vertragsverhältnisse bei einem „Schufa-Eintrag“ eingegangen werden und ebenso wird bei durchlaufendem Insolvenzverfahren gehandelt.

Dortmunder Stadtwerke AG (DSW 21): Einem Familienvater, als Leiharbeiter vollzeitbeschäftigt und im Verbraucherinsolvenzverfahren, wurde von den DSW 21 mitgeteilt; „Die Bonitätsprüfung ihrer Daten ergab leider kein zufriedenstellendes Ergebnis, somit ist kein Vertragsabschluss möglich“. Es ging um den Abschluss eines Jahresabonnements für ein Ticket. Da die DSW21 in Dortmund das Monopol der Personenbeförderung besitzt, ist diese Vorgehensweise nicht rechtens.

Immer mehr Menschen sitzen im Gefängnis, weil sie eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Sie wurden vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, die sie entweder nicht zahlen können oder manchmal auch nicht zahlen wollen. Das Delikt, das auch von der Stadttochter DSW 21 heftig geahndet wird, nennt man im Juristendeutsch „Erschleichen von Beförderungsleistungen“. Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. Schnell werden mal 1.500 Euro fällig, egal über was für ein Einkommen verfügt wird, auch HARTZ IV-Bezieher müssen zahlen. Zahlen diese Menschen nicht, müssen sie je nach Höhe der Geldstrafe die Schuld tageweise „absitzen“.

Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21): Einer jungen Frau, getrennt lebend, 2 Kinder, alleinerziehend, geringfügig als Krankenschwester beschäftigt und ergänzend Hartz-IV bezieht, drohte die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21) mit der Einstellung der Energieversorgung (Stromsperre) in der jetzigen Wohnung, weil die Energieschulden aus der früheren Wohnung, die gemeinsam mit dem früheren Ehemann angemietet war, nicht gezahlt wurden.

Krankenkassen: Immer mehr Menschen sind gezwungen, als Solo-Selbständige zu arbeiten. Die Mehrheit von ihnen wählte nicht eine private Krankenversicherung (PKV), wie es im dualen Kassensystem vorgesehen ist, sondern favorisierte eine freiwillige Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)-Mitgliedschaft. Mittlerweile sind etwa 71 Prozent der Selbständigen in der GKV und rund 51 Prozent der Selbständigen in der Privaten Krankenversicherung (PKV) Solo-Selbständige.

Weil sich das durchschnittliche Einkommen eines Solo-Selbständigen kaum vom Durchschnittseinkommen der abhängig Beschäftigten unterscheidet, in vielen Fällen sogar niedriger ist, wenden Selbständige mit den niedrigsten Einkommen rund 46,5 Prozent ihrer Einkünfte für eine Versicherung auf, unter den geringverdienenden Selbständigen, die in der PKV versichert sind, liegt dieser Wert sogar bei 58 Prozent.

Um überhaupt ihre Existenz abzusichern, sind sie auf eine flankierende Unterstützung, oft durch Familienmitglieder, angewiesen.

Sparkasse Dortmund: Die Sparkassenvorstände gehören zu den Topverdienern in Dortmund. Der Vorstandsvorsitzende der Stadttochter erhält jährlich 631.000 Euro und seine beiden Vorstandskollegen einmal 583.000 und 577.000 Euro. Die ärmeren Menschen in der Stadt haben seit einiger Zeit allerdings erhebliche Probleme mit dem städtischen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut. Sie sind als Kunden nicht gern gesehen, bekommen nur schwerlich ein Konto und wenn sie ein Pfändungsschutzkonto (P-Konto) bei der Sparkasse eingerichtet haben, auf dem ihre Sozialleistungen vor Pfändungen geschützt sind, werden ihnen systematisch Steine in den Weg gelegt, wenn sie an ihr Geld möchten.

Als reine Schikane muss man das Verhalten der Angestellten dieser Institution, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, bezeichnen, wenn bis zu 2 Wochen die Auszahlung verweigert wird und die Menschen ohne Bargeld dastehen. Beschwerden werden erst gar nicht entgegengenommen, sondern die erbosten Kunden werden aus den Geschäftsräumen verwiesen. Schlimmer ist noch, dass Beschwerden lautstark vor dem Publikum gekontert werden und den enttäuschten Kunden der Rat gegeben wird, keine Schulden zu machen, dann würden sie auch an ihr Geld kommen oder besser zu wirtschaften, dann könnten sie auch mit dem Grundfreibeträgen des P-Kontos auskommen.

Die Beispiele zeigen die Veränderung in unserer Gesellschaft, bekämpfte man früher noch die Armut und Erwerbslosigkeit, werden heute arme und erwerbslose Menschen  bekämpft.

 

Neoliberalismus braucht keine Sozialpolitik

Mittlerweile haben die einfachen Leute und auch die Mitglieder und Wähler/Unterstützer von SPD und Gewerkschaften in Dortmund am eigenen Leib erfahren, welchen Preis sie für die neoliberale Globalisierung gezahlt haben.

Sie haben erlebt, dass ihre Themen wie Wohnungsmangel, Armut- und Überschuldung, Pflege- und Bildungsnotstand, infrastrukturelle Unterversorgung, aber auch ihre Zukunftsängste bei SPD und Gewerkschaften nicht mehr ankommen und sie nehmen diese Organisationen als Teil des Establishments wahr. Sie vermissen bei SPD und Gewerkschaften eine Programmatik und konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer konkreten Arbeit- und Lebenssituation und mehr Biss, verbunden mit einer Rhetorik des radikalen Wandels.

 

Mehr Infos in Artikeln auf www.gewerkschaftsforum-do.de

Bildbearbeitung: L.N.