Kein Tarifvertrag, kein Betriebsrat. Germania-Management agierte ohne Korrektiv und fuhr den Laden beinahe mutwillig vor die Wand

von Elmar Wigand

In der der Nacht zu Dienstag, 5. Februar ging eine deutsche Flugline in die Insolvenz, die immerhin 4 Millionen Fluggäste im Jahr beförderte und im April 2018 vom Portal Trip-Advisor zur beliebtesten deutschen Airline gekürt wurde.1

Die Beliebtheit bei Fluggästen – die vor allem durch kostenlos servierte Sandwiches entstand – wurde von den Beschäftigten so nicht geteilt. Mit Germania verschwindet ein Unternehmen von der Bildfläche, das unter gewerkschaftlich organisierten Piloten und Flugbegleiter*innen sehr schlecht angesehen war.
In Sachen Mitbestimmung, Führungsstil und Arbeitsbedingungen lag ziemlich viel im Argen, manches war skandalös, einige Umstände – Überstunden, Arbeitsdruck und mangelnde Erfahrung der Crews – sogar beängstigend. Wer die Zustände hinter den Kulissen kannte, wollte dort lieber nicht mitfliegen. Gott sei dank ist bis zum Ende alles gut gegangen…

Union Busting schreckt Personal ab

Eine fast schon pathologische Ablehnung von Gewerkschaften und demokratischer Mitbestimmung dürfte die Krise des Unternehmens verschärft haben – einerseits fehlte der selbstherrlichen Verwaltung unter den CEOs Hinrich Bischoff, Andreas Wobig und Karsten Balke (in chronologischer Abfolge) ein Korrektiv; andererseits war Germania für Piloten nur zweite bis dritte Wahl.

Man unterschrieb dort zähneknirschend und ein bisschen resigniert über das eigene Los – immerhin, so der Trost, war man in Deutschland stationiert. In Zeiten des Fachkräftemangels bedeutete dieser schlechte Ruf ein zusätzlichen Wettbewerbsnachteil.

Geräuschloser Untergang: Trauer hält sich in Grenzen

Da Germania am Ende nur noch drei Boeing 727-700 ihrer 30 Flugzeuge starken Flotte selbst besaß, geht der Untergang der Airline ziemlich geräuscharm und reibungslos von statten. Die beteiligten Leasingfirmen, denen die übrigen 27 Flugzeuge gehörten, werden die Maschinen einfach umlackieren und an die Konkurrenz vermieten. Der Ferienflieger Sundair hat zwei A320-Maschinen, die an Germania verliehen waren, prompt anderweitig in Umlauf gebracht2 und übernimmt am Flughafen Dresden die Hälfte der Germania-Slots.3 Sundair-Chef Marcos Rossello kommentierte die Germania-Pleite ungerührt: „Wenn einer stirbt, ergibt sich für einen anderen immer ein Vorteil.“

Bitter ist die Pleite für 400 Piloten und – laut der Illustrieten  Stern – 582 Flugbegleiter*innen, die sich jetzt einen neuen Job suchen müssen. Vollkommen unvorbereitet trifft es auch sie nicht: Bereits im Januar 2019 zahlte Germania keine Gehälter, die Schieflage des Unternehmens war seit Jahren aus Geschäftszahlen und dem Verkauf von Flugzeugen ersichtlich.

Durchhalte-Parolen und Illusionen

Doch CEO Karsten Balke und seine Untergebenen täuschten ihr Umfeld mit Visionen und teils erfundenen Szenarien. Am Ende wurden Durchhalteparolen verbreitet. Das Wunder blieb ebenso aus wie ein NRW-Konsortium von weißen Rittern – im Gespräch waren ausgerechnet die Pleite-Manager Joachim Hunold (Air Berlin),4 Udo Stern und Jörn Hellwig (Blue Wings).5 6

Die Germania-Pleite bedroht das fliegende Personal mit harten familiären Einschnitten. Wer in einem Hamburger Vorort ein Häuschen gebaut hat, will nicht unbedingt bei Wizz Air in Budapest oder Etihad in Katar anheuern. Die Piloten und Flugbegleiter*innen haben Mitgefühl, Solidarität und Unterstützung verdient.7

Für die Geschäftsleitung und das Management des Unternehmens wären Mitgefühl und Solidarität jedoch verfehlt. Staatliche Hilfen zur Rettung, wie sie Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) konsequent ausschloss, erscheinen hier tatsächlich sinnlos. „Das ist ein Anwendungsfall von Marktwirtschaft“, erklärte er, ohne dabei allerdings genauer zu erklären, zu wessen Lasten der erbarmungslose Konkurrenzkampf geht, der im EU-Binnenmarkt stattfindet.8

Zerrieben in der optimierten Wertschöpfungskette

Für eine Germania-Rettung wären zurerst jene Reiseveranstalter prädestiniert, die 6 von 7 Sitzen des Germania-Kontingents buchten. Doch die Riege aus TUI, Thomas Cook, Schauinsland, DER, alltours und Konsorten zeigte keinerlei Interesse, einer deutschen Airline zu helfen, auf deren Charter-Dienste man jahrelang gern zurück gegriffen hat. Die Pauschal-Urlaubsindustrie wird ohne mit der Wimper zu zucken auf Billig-Flieger aus Osteuropa umsteigen.

Personalvertretung in der Luftfahrt ab 1. Mai möglich!

Es wäre spannend gewesen, wie sich die Fluglinie Germania nach dem 1. Mai 2019 entwickelt hätte. Dann tritt eine Reform des Betriebsverfassungsesetzes in Kraft, die es fliegendem Personal erstmals erlaubt, Personalräte zu wählen (§ 117 BetrVG, „Lex Ryanair„).9 Germania stand nach erfolgreichen Streikwellen bei Ryanair im Jahr 2018 als nächstes Ziel auf dem Zettel der Luftverkehrs-Gewerkschaften.

Das Germania-Management hatte gegenüber der Belegschaft noch Ende 2018 getönt, eher wolle man die Airline dicht machen, als sich über Personalvertretungen Gewerkschaftsbastionen ins Haus zu holen. Man produzierte ein aufwendiges Video,10 das die Piloten-Vereinigung Cockpit (VC) und die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo) als fünfte Kolonne der Lufthansa denunzierte.

Germania hingegen sei eine kleine familiäre Airline, die immer ein offenes Ohr für die Belange der Mitarbeiter habe. Die Lufthansa wolle Germania über Tarifverträge mit VC und UFO ruinieren…

Pleitegeier statt Dolchstoßlegende

Der Show-down mit den Gewerkschaften anlässlich demokratischer Wahlen bleibt nun aus. Für die geheime Tarifkommission, die VC-Gewerkschafter im März 2018 bei Germania gegründet hatten, bedeutet es womöglich sogar Glück im Unglück, dass Germania der Sudden-Death ereilte, bevor sie richtig aktiv werden konnten. Das Management hätte ab Mai höchst wahrscheinlich eine Dolchstoßlegende verbreitet, um den Gewerkschaftern die Schuld für die Insolvenz in die Schuhe zu schieben.

So geht Germania als warnendes Exempel in die Geschichtsbücher ein – für eine starrsinnige Geschäftsführung, die lieber 1.700 Beschäftigte mit in den Abgrund riss, als sich durch Personalvertretung, Tarifkommission oder auch einen Aufsichtrat in ihr Business reden zu lassen.

Karsten Balke war offenbar nicht nur gegenüber Gewerkschaften starrsinnig, sondern auch gegenüber potentiellen Investoren. Ein Luftfahrt-Mogul soll mit folgender Bemerkung seine Beteiligung an Rettungsaktionen abgesagt haben: „Sie wollen mein Geld, aber sie wollen nicht meinen Rat.“

Germania krankte an Kopf, Herz und Gliedern

Germania hatte sowohl ein strukturelles Problem – das Geschäftsmodell war in einem verschärften europäischen Verdrängungswettbewerb nicht tragfähig, in dem Ryanair die Preise diktierte – als auch ein konjunkturelles Problem durch Kerosinpreisschwankungen und sinkende Reiselust als Vorboten einer Weltwirtschaftskrise.

Germania hatte aber auch ein individuelles Problem in Person von Alleinherrschern wie CEO Karsten Balke, der sich für einen großen Luftfahrt-Admiral hielt aber doch nur ein Leichtmatrose war.

Ein Blick auf die Beschäftigtenzahlen lässt zudem vermuten, dass sich im Unternehmen gehöriger Wasserkopf gebildet hatte: Laut Angaben des Stern verteilten sich die 1.700 Germania-Beschäftigten auf 400 Piloten, 582 Flugbegleiter (die Zahl wirkt verdächtig niedrig) und eine 178 Personen starke Wartungscrew. Ihnen standen rechnerisch 542 weitere Angestellte gegenüber, von denen ein Großteil die Berliner Zentrale bevölkert haben dürfte.11

Wasserkopf in Berliner Zentrale?

Möglicherweise war rund um das obere und mittlere Management ein bürokratischer Wasserkopf gewachsen. Germania-Beschäftigte berichteten glaubhaft von deutlichen Mängeln bis hin zu Verschwendung in den Bereichen Flug-, Reise- und Einsatzplanung sowie Controlling. Solche Personalaufblähungen sind ein Merkmal aus dem Ruder geratener Management-Ebenen, die – nach Beobachtungen des Anthropologen David Graeber – ihre Macht in der Zahl persönlicher Untergebener bemessen und daher die Tendenz haben, in ihrem direkten Umfeld unproduktive Bullshit-Jobs für Lakaien zu schaffen.12

Doch das Kernproblem der Germania lag in ihrer Position im Gesamtgefüge: In der optimierten Wertschöpfungskette der europäischen Luftfahrt wurde Germania zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben. Auf der einen Seite die Veranstalter von Pauschalreisen, auf der anderen Seite die Verleiher von Flugzeugen.

Flugzeuge verscherbelt und teuer zurück gemietet

2016 hatte Germania laut Wirtschaftsbericht 32,2 Millionen Euro Verlust gemacht. Man begann das Tafelsilber zu verkaufen, um die Verluste auszugleichen. Das Unternehmen verkaufte fünf Boeing 737 für 22 Millionen; dennoch blieb 2017 ein Fehlbetrag von 8,3 Mio. Euro in der Kasse.

2018 verscherbelte man noch einmal sechs Jets, obwohl die eingesetzte Flotte im selben Jahr um sieben Maschinen auf 36 Jets vergrößert wurde.13 Gegenüber der Presse posaunte Karsten Balke, der nach der Air Berlin-Pleite offenbar Morgenluft witterte, Kampfansagen an die Konkurrenz, die im Rückblick entweder dreist oder beinahe größenwahnsinnig wirken.14

Zudem weigerte sich Balke offenbar, in einer Phase historisch niedriger Kerosin-Preise Termingeschäfte abzuschließen, um den Treibstoff für die Saison 2019 zu bunkern – auch das war ein deutliches Warnsignal, dass dem Unternehmen entweder die Puste oder der Sinn für die Realität ausging. Eine weitere Schrulle war sein Festhalten an den oben erwähnten kostenlosen Snacks für die Passagiere – obwohl die No Frills-Philosophie  der Low-Cost-Carrier (Ohne Schnick-Schnack) seit den 1990ere Jahren bewiesen hatte, dass Passagiere Extras zwar gerne nehmen, aber nicht darauf bestehen. Im Verkauf von Sandwiches und Getränken besteht sogar eine Möglichkeit zum Zusatzverdienst – der allerdings die Stewardessen gehörig nervt.

Mehr Umsatz bedeutet nicht mehr Profit

Gleichzeitig weitete Germania die eingesetzte Flotte sowie Passagier- und Umsatzzahlen beinahe verzweifelt aus. Das Brachenportal airliners.de schreibt: „Für 2017 weist die Germania-Gruppe mit Airlines in Deutschland, der Schweiz und Bulgarien eine Passagierzahl von drei Millionen aus, was einem Wachstum von 16,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.“ Das Umsatzplus soll gar bei 23,2 Prozent gelegen haben. 2018 beförderte Germania schon 4 Mio. Passagiere.

Da Germania am Ende nur noch drei Flugzeuge besaß, nur einen Bruchteil der Passsagiere selbst aquirierte, aber für alle Kosten rund um die Flüge verantwortlich war, fehlte der Airline jegliche Gestaltungs- und Marktmacht. Sie war zum Spielball von Abnehmern und Lieferanten geworden.

Die einzigen Stellschrauben, um Mehrwert zu schöpfen, blieben Löhne und Arbeitsbedingungen der Piloten und Flugbegleiter*innen. Auch das erklärt die harte Union Busting-Linie. Deshalb suchte Germania ihr Glück – wie viele andere – im Niedriglohn-Paradies Osteuropa. 2016 gründete Germania in Sofia die Tochtergesellschaft Bulgarian Eagle,15 die am 3. August ihre EU-Lizenz (AOC) erhielt, aber bis zur Pleite über den Betrieb von zwei Airbus A319 nicht hinaus kam.

Im November 2018 versuchte man noch Kabinenpersonal im Kosovo zu rekrutieren. Germania flog für Prishtina Air nach Zürich.

Gefährliche Nischen: Gambia, Nord-Irak, Libanon + Kosovo

Ein Alleinstellungsmerkmal der Germania waren Flüge in entlegene Regionen, die teils exotisch wirkten, mitunter gefährlich, bisweilen umkämpft waren. Die Germania-Tochter Gambia Bird, die von Banjul innerhalb Afrikas und nach Europa flog und größtenteils mit deutschem Personal betrieben wurde, stellte am 30. 12. 2014 den Flugbetrieb für immer ein, weil das Ebola-Fieber in der Region augebrochen war. Das Gambia Bird-Abenteuer schlug mit rund 30 Millionen Euro Verlust zu Buche.

Germania flog nach Beirut, Germania hielt eine Linie nach Erbil im kurdischen Nord-Irak aufrecht  – auch während die Kämpfe um das benachbarte Mossul im Frühjahr 2017 tobten. Der Flugverkehr wurde offenbar selbst nach einer offiziellen Empfehlung des Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes, den Flughafen Erbil zu meiden, nicht eingestellt. Die Warnung erfolgte aufgrund von Raketenbeschuss einer Militärmaschine beim Landeanflug.16

Airbus Flugverbindung Hamburg  – Toulouse

Neben Charter-Flügen und Nischen-Linien organisierte Germania den Transfer von Airbus-Mitarbeitern zwischen dem Produktionsstandort Hamburg-Finkenwerder und der Airbus-Zentrale in Toulouse. Hier verkehrten unter der Woche täglich zwei A319-Jets mit rund 140 Sitzplätzen in beide Richtungen.17

Crew-Gremium: Alternatives Vertretungsorgan statt Personalrat

Germania verfolgte eine Union Busting-Philosophie nach US-amerikanischem Vorbild. Nach einem Warnstreik der Vereinigung Cockpit im Dezember 2010,18 den die Germania-Piloten im Nachgang als erfolglos bis enttäuschend bewerteten, schien die Belegschaft eingeschüchtert, während das Management triumphierte. Bereits dieser Streik war entbrannt, weil die Piloten einen Personalrat gründen wollten, was damals nur im Rahmen eines Tarifvertrags möglich war. Germania feuerte die Rädelsführer, es folgten Kündigungsschutz-Verfahren vor dem Arbeitsgericht.19

Um Germania als gewerkschaftsfreie Zone dauerhaft abzusichern, installierte das Management 2011 ein alternatives Vertretungsorgan namens Crew-Gremium, das auf zweifelhaften Wahlen beruhte, keinerlei einklagbare Rechte besaß und tatsächlich ein reines Propaganda-Instrument der Geschäftsleitung war, um innerbetriebliche Demokratie kostengünstig zu simulieren. Das Crew-Gremium sollte Piloten mit rebellischem Potential einbinden, ein Ohr an der Belegschaft haben, Basis-Nähe suggerieren – und am Ende nichts machen, was den Profit geschmälert oder die unternehmerische Willkür eingeschränkt hätte.

Guter Draht zur Presse

Es ist im Nachhinein einigermaßen erstaunlich, wie gut sich die Airline doch aus den Schlagzeilen halten konnte, obwohl es unter dem Deckel brodelte und der Sud im Kessel moderte. Offenbar verstand es die Berliner Zentrale, die Gilde der Luftfahrt-Journalisten geschickt zu umgarnen.

Die überschaubare Szene der professionellen Schreiber*innen ist im elitären Luftfahrt Presse-Club (LPC) so eng gebündelt wie in kaum einer Branche. Die Journalisten sind eng mit Managern, PR-Spezialisten und Industrie-Lobbyisten verdrahtet, die neben der zivilen Luftfahrt auch aus Militär und Raumfahrt stammen.

LPC-Mitglieder durften die Germania CEOs Andreas Wobe und Karsten Balke einmal im Jahr ins Airbus-Werk Hamburg-Finkenwerder begleiten, ihnen dort Fragen stellen.20 Persönliche Tuchfühlung schafft Vertrauen und erhöht die Beißreflex-Hemmung. Als Germania 2016 ihren 30. Geburtstag feierte, lud man die Presse-Club-Mitglieder in die Berliner Firmenzentrale, Riedmannsweg 58 am Sauvignyplatz.21

Dennoch gab es zwei nennenswerte Aufreger:

Pay to fly: Ausbeutung von Co-Piloten

Im April 2014 enthüllte Dinah Deckstein im Spiegel, dass junge Co-Piloten bei Germania systematisch ausgebeutet wurden. Sie müssten für dringend benötigte Flugstunden, die sie für den Erwerb von Flugmustern brauchten, bei dem Germania-Sub-Unternehmer Cockpit4u 60.000 Euro bezahlen, um dann bei Germania für 1.500,- Euro pro Monat Praxis-Erfahrung sammeln zu können.25

Gefeuert wegen Interview im Focus

Im August 2005 feuerte Germania mit Heinz-Dieter Kellbach einen der bekanntesten deutschen Piloten, weil er dem Focus ein Interview gegeben hatte, in dem er sich zu furchterregenden Arbeitsbedingungen europäischer Airlines geäußert hatte.22 Anlass war der grauenhafte Absturz eines deutschen Piloten der zypriotischen Airline Helios am 14.8.2005 in Grammatiko bei Athen23 – Kellbach forderte damals eine Schwarze Liste für gefährliche Fluglinien, die Sicherheitsstandards unterlaufen. Eine vollkommen berechtigte Forderung, die von der EU 2006 auch umgesetzt wurde.24

Germania-Boss im Stern

Im Juli 2005 gab Germania-Gründer Hinrich Bischoff dem Luftfahrt-Experten des Stern Jan Boris Wintzenburg ein seltenes Exklusiv-Interview, das mit großspurigen Äußerungen gespickt war, die heute bizarr wirken.

Bischoff prognostizierte einen Untergang der Billig-Flieger: „Es geht nun mal nicht ohne Kosten deckende Flugpreise. Was sich bei den Preisen abspielt, ist kaum nachvollziehbar – 29 oder 19 Euro für einen Flug.“ Die Menschen in diesem Markt seien zum Teil „wirkliche Spinner. Da werden Geschäfte gemacht, die sind in anderen Branchen unmöglich.“

Damit lag er wohl falsch. Bischoff sagte außerdem einen Satz, der heute prophetisch klingt:

„Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“26

Elmar Wigand erforscht im Projekt Prekäre Piloten? Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe im Cockpit  >>mehr dazu

Bild: WDR.de

Fußnoten / Anmerkungen

1 Best Airline Germany: Germania erhält Travellers´ Choice Award 2018, PM Germania, 9.4.2018, https://www.presseportal.de/download/document/481538-180409-pm-best-airline-germany-germania-erh-lt-travellers-choice-award-2018.pdf

2 Sundair hat Germania-Maschinen bereits wieder untergebracht, airliners.de, 5.2.2019, http://www.airliners.de/sundair-germania-maschinen/48735

3 Sundair fängt in Dresden „etwa die Hälfte der Germania-Strecken“ auf, airliners.de, 8.2.2019, http://www.airliners.de/sundair-dresden-haelfte-germania-strecken/48784

4 Der Air Berlin-Gründer Joachim Hunold war ebenfalls ein notorischer Gewerkschaftsfeind. Er sollte laut SZ nach dem Tod des Germania-Gründers Hinrich Bischoff die Germania in sein Unternehmen integrieren, wurde aber von den Erben gehindert. 2011 musste er bei Air Berlin wegen hoher Verluste zurück treten. Quelle: Jens Flottau, SZ, 4.2.2019, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luftfahrt-hunold-erwaegt-germania-einstieg-1.4316003

5 Blue Wings wurde 2002 mit Sitz in Bocholt gegründet. 2009 entzog das Luftfahrt-Bundesamt der Airline die Lizenz, im Februar 2010 folgte die Insolvenz. Die Airline hatte 7 Flugzeuge. Zwei wurden an die Iranische Mahan Air verleast.

6 NRW-Investoren wollen Fluggesellschaft Germania retten, NRZ, 4.2.2019, https://www.presseportal.de/pm/58972/4184043

7 Gerade die Piloten stehen dabei unter besonderem Druck, da ihre Musterberechtigungen [ https://de.wikipedia.org/wiki/Musterberechtigung ] für einen Flugzeugtyp ablaufen, wenn sie nicht alle 12 Monate erneuert werden und eine bestimmte Anzahl von Flugstunden aufweisen.

8 Tatsächlich ist der Flugverkehr keinesfalls nur den Marktgesetzen unterworfen, sondern durch die Steuerbefreiung von Flugbenzin und ein Überangebot an staatlich-kommunal errichteten und betriebenen Flughäfen in Deutschland hoch subventioniert. Der Wettbewerb ist gegenüber der Bahn verzerrt.

Der freie Wettbewerb geht vor allem zu Lasten der Lohnabhängigen im Cockpit, der Kabine und am Boden, vor allem durch Auslagerungen nach Ost-Europa.

9 Der Bundestag änderte auf Initiative der SPD am 30.11. 2018 den §117 des Betriebsverfassungsgesetzes. Dieser hatte fliegendes Personal seit der Einführung des BetrVG im Jahr 1952 von dem Recht Betriebsrate zu gründen ausgenommen. Flugbegleiter und Piloten können ab dem 1. Mai 2019 nun auch ohne Tarifvertrag eine Personalvertretung gründen. Bislang konnten Flugbegleiter und Piloten lediglich einen Betriebsrat bilden, sofern es schon einen Tarifvertrag im Unternehmen gab. Wurde dies von Arbeitgebern verweigert, hatte das fliegende Personal keine Möglichkeit, ihre Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen.

Die kursiven Textstellen wurden in den §117 BetrVG eingefügt:

(1) Auf Landbetriebe von Luftfahrtunternehmen ist dieses Gesetz anzuwenden. Auf im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag nach Absatz 2 Satz 1 errichtet ist.

(2) Für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen kann durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden. Über die Zusammenarbeit dieser Vertretung mit den nach diesem Gesetz zu errichtenden Vertretungen der Arbeitnehmer der Landbetriebe des Luftfahrtunternehmens kann der Tarifvertrag von diesem Gesetz abweichende Regelungen vorsehen. Auf einen Tarifvertrag nach den Sätzen 1 und 2 ist § 4 Absatz 5 des Tarifvertragsgesetzes anzuwenden.

10 Germania Union Busting-Video, November 2018, https://www.youtube.com/watch?v=lqs3DuIpshE

11 Mögliche Übernahme? Germania-Insolvenzverwalter spricht mit Invstoreren, stern.de, 8.2.2019, https://www.stern.de/wirtschaft/news/moegliche-uebernahme–germania-insolvenzverwalter-spricht-mit-invstoreren-8571896.html

12 Elmar Wigand: Hauptsache Arbeit? Bullshit-Jobs!, nachdenkseiten.de, 30.9.2018, https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=46280

13 Germania verkaufte Flugzeuge für fast 22 Millionen Euro, airliners.de, 14.1.2019, http://www.airliners.de/germania-flugzeuge-22-millionen-euro/48423

14 Germania erweitert und erneuert die Flotte, airliners.de, 7.3.2018, http://www.airliners.de/germania-flotte/43941

15 Gemania: Pressmitteilung, 3.8.2019, Ausweitung ACMI-Geschäft: Germania-Ableger Bulgarian Eagle erhält AOC, https://www.flygermania.com/de-de/unternehmen/presse-medien/pressemitteilungen/pressemitteilung/ausweitung-acmi-geschaeft-germania-ableger-bulgarian-eagle-erhaelt-aoc/ , abgerufen 9.2.2019

16 Verbindungsstelle des Luftfahrt-Bundesamts beim Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes: Information Sharing Document: Iraq 07/17, 4.4.2017

17 Es wäre eine interessanten Neben-Recherche, womit dieser irrsinnig anmutende Aufwand betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen ist, der nach der Germania-Pleite selbstverständlich weiter gehen dürfte.

18 Piloten-Warnstreiks – Flüge bei TUIfly und Air Berlin fallen aus, spiegel.de, 8.12.2010, http://www.spiegel.de/reise/aktuell/piloten-warnstreiks-fluege-bei-tuifly-und-air-berlin-fallen-aus-a-733469.html

19 Dinah Deckstein: Fluglinien – Knausrig in der Nische, Der Spiegel, 28.4.2014, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-126717948.html

20 Wolfgang Horch: Fliegt Germania 2019 neue Ziele ab Hamburg an?, Hamburger Abendblatt, 24.5.2018, https://www.abendblatt.de/wirtschaft/article214373323/Fliegt-Germania-2019-neue-Ziele-ab-Hamburg-an.html , abgerufen 8.2.2019.

21 Wolfgang Will: 30 Jahre Germania, reisetravel.eu, 2016, https://www.reisetravel.eu/mobilitaet/air-bahn-bus-schiff/30-jahre-germania.html, abgerufen 8.2.2019

22 Tatjana Meier: Verunglückter Helios-Pilot“Rechthaberisch“ und „exzentrisch“. Interview mit Hans-Dieter Kellbach, Focus, 29.8.2005, https://www.focus.de/politik/ausland/deutscher-pilot_aid_98197.html | Tatjana Meier: Wer redet, fliegt!, Focus, 5.9.2005, https://www.focus.de/reisen/flug/fliegen-wer-redet-fliegt_aid_211419.html

23 14. August 2005 – Helios-Airways-Flug 522. Eine Boeing 737-300 der zypriotischen Airline Helios unter Leitung des ehemaligen Interflug-Piloten Hans-Jürgen Mertens stürzt auf dem Linienflug von Larnaka über Athen nach Prag ab. Alle 121 Insassen kommen ums Leben. Der Untersuchungsbericht des griechischen Verkehrsministeriums kam zu dem Schluss, dass die Gründe für den Absturz darin lagen, dass

  • weder bei der Vorbereitung des Fluges noch beim Abarbeiten der Checklisten vor und nach dem Start erkannt wurde, dass ein Drehschalter für die Kabinendruckregelung auf „manuell“ stand,
  • Warnhinweise nicht erkannt wurden und die Treibstoffvorräte nach dem Ausfall der Besatzung und der Steuerung durch den Autopiloten erschöpft waren.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Helios-Airways-Flug_522, abgerufen 9.2.2919

24 Unsichere Fluggesellschaften: Schwarze Liste der EU-Kommission, eu-info.de, http://www.eu-info.de/leben-wohnen-eu/schwarze-liste-flugzeugesellschaften/ , abgerufen 9.2.2019

25 Dinah Deckstein: Fluglinien – Knausrig in der Nische, Der Spiegel, 28.4.2014, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-126717948.html

26 Bischoff bezog sich auf sein Engagement bei der Pleite-Airline dba. Das SPD-Mitglied forderte auch hier eine harte Union Busting-Linie und zog sich zurück, als diese nicht durchgesetzt wurde. stern-Interview: Germania-Chef Hinrich Bischoff kritisiert Billigflieger, ots, 27.7.2005, https://www.presseportal.de/pm/6329/706158

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