Umsetzung der 2. Stufe des IG Metall-Tarifvertrag: Kritik bestätigt sich

Nach der Einigung in der Metall- und Elektroindustrie im Februar 2018 ging es Ende 2018 / Anfang 2019 um die Umsetzung des 2. Teils des Tarifvertrags. Aufgrund von betrieblichen Öffnungsklauseln gab es Handlungsbedarf. Für das tarifliche Zusatzgeld und die verkürzte Vollzeit mussten in den Betrieben Regularien zur Umsetzung vereinbart werden. 

Dabei macht hauptsächlich die Regelung, das tarifliche Zusatzentgelt in freie Tage umzuwandeln, etliche Probleme. Das tarifliche Zusatzentgelt, auch T-ZUG genannt, beträgt 27,5 Prozent eines Monatsverdienstes und ist zusammen mit einem tarifdynamischen Festbetrag von 400 € die Tariferhöhung für 2019. Eine Tariferhöhung auf die Monatsentgelte wurde nicht vereinbart. Das T-ZUG kann aber auch in besonderen Fällen in 8 freie Tage umgewandelt werden. Dies ist möglich für Beschäftigte in Schichtarbeit mit entsprechend vielen Betriebszugehörigkeits- und Schichtjahren, für Beschäftigte, die Angehörige pflegen oder mit Kindern bis zu 8 Jahren in häuslicher Gemeinschaft leben. Kritik gibt es, weil Pflegende und Erziehende nur 2 mal Geld in freie Tage wandeln können, das Alter der Kinder mit bis zu 8 Jahren doch sehr niedrig angesetzt ist und Teilzeitbeschäftigte keinen Anspruch auf die Wahloption freie Tage haben. Doch letztere sind es hauptsächlich, die Angehörige pflegen und Kinder erziehen.

Umsetzungsstand zeigt: Nur wenige profitieren von freien Tagen

Für 2019 haben 260.000 Beschäftigte die 8 zusätzlichen freien Tage beantragt. 242.000 – das sind 93 Prozent der Anträge – sind genehmigt worden. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der IG Metall unter Betriebsräten in über 2600 Betrieben. Von den genehmigten Anträgen für acht freie Tage kommen 55.000 Anträge von Beschäftigten, die Kinder betreuen. 17.000 stammen von Beschäftigten, die Angehörige pflegen. Und 170.000 Anträge sind von Schichtarbeitern gestellt worden. Über 4 Millionen Beschäftigte sind in der Metall- und Elektroindustrie in Deutschland beschäftigt. Diese Zahlenverhältnisse zeigen schon auf den ersten Blick, dass diese Regelung nur Wenigen kürzere Arbeitszeiten bringt – rund 6 Prozent, weil eben nur beschränkter Zugang für bestimmte Beschäftigtengruppen besteht und weil sich nicht alle, die Zugang haben, es sich leisten können, auf das tarifliche Zusatzentgelt zu verzichten. Ist es doch die einzige Tariferhöhung für 2019. Somit ist dieses Ergebnis weit entfernt von einer notwendigen kollektiven Arbeitszeitverkürzung für alle mit Entgelt- und Personalausgleich.

Positive Beispiele: zur Nachahmung empfohlen

In einigen Betrieben konnten über den Tarifvertrag hinaus bessere Lösungen vereinbart werden. So bei Stiebel Eltron (Eschwege), da konnte der Anspruch  auch auf Teilzeitbeschäftigte in Schichtarbeit (ab 32,5 Std.) erweitert werden. Bei Bosch hat der Konzernbetriebsrat mit der Geschäftsführung betrieblich geregelt, dass auch anspruchsberechtigte MitarbeiterInnen in Teilzeit die Möglichkeit haben, die freien Tage anstelle des Geldes zu wählen. Bei Audi in Neckarsulm wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten noch mehr ausgeweitet. So für Eltern mit Kindern bis 14 anstatt bis 8 Jahre. Bei Pflege genügen 6 Monate Betriebszugehörigkeit. Und es reichen 5 statt 10 Jahre Beschäftigung in Wechselschicht. Zudem haben alle Beschäftigten, die 2 Jahre im Betrieb sind, die Option auf 6 freie Tage. Teilzeitbeschäftigte können sich auf verkürzte Vollzeit umschreiben lassen.

Weitere Verbetrieblichung ist die Folge

All dies zeigt, dass es bei den Verhandlungen zum Regelungsbedarf anscheinend einigen Spielraum für ein gewisses „Mehr“ zugunsten der Beschäftigten gibt. Wichtig ist, dass er ausgenutzt wird, hängt aber auch vom betrieblichen Kräfteverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital ab. Das heißt, „schwächere“ Betriebe haben das Nachsehen. Das führt zu einer weiteren Differenzierung der Tarifverträge (Verbetrieblichung!) und letztlich zu einer weiteren Ausfranzung der Flächentarifverträge.

Unsere Kritik am Tarifabschluss bestätigt sich

Der Abschluss hat keine kollektiven Arbeitszeitverkürzungen gebracht. Für die wenigen, die kürze Jahresarbeitszeit haben werden, ist es eine im Wesentlichen selbstbezahlte Arbeitszeitverkürzung, denn für dieses Jahr werden sie keine Lohnerhöhung erhalten. Der Personalausgleich wurde nicht im Tarifvertrag geregelt. Es bleibt an den Betrieben hängen, ob sie dies durchsetzen können. So kann es sein, dass die zusätzlichen freien Tage zu einer Verdichtung der Arbeit führen, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Gesundheit. Der Tarifvertrag lässt auch weitere Verlängerungen der Arbeitszeiten auf 40 Stunden pro Woche zu, was zu einer weiteren Auffächerung der Arbeitszeiten führen wird und die 35-Stundenwoche konterkariert.

 

 

   Chr.Boissevain (Münchner Gewerkschaftslinken)