Ein weiteres Auslaufmodell für Beschäftigte: Nur noch jeder Zweite bekommt Weihnachtsgeld

Eine Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung mit 57.000 Befragten hat ergeben, dass in diesem Jahr nur noch 52 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Weihnachtsgeld erhalten. Dabei ist die Chance auf die Sonderzahlung am Jahresende für die Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben fast doppelt so hoch, wie in denen ohne Tarifvertrag. Das Statistische Bundesamt kam kürzlich sogar zu dem Ergebnis, dass sogar 87 Prozent aller Tarifbeschäftigten Weihnachtsgeld oder eine andere, zum Jahresende fällige, Sonderzahlung erhalten. So, wie die Unternehmen aus der Tarifbindung verschwinden, verschwindet auch die Zahlung des Weihnachtsgeldes.

Besonders bei den derzeit stark anziehenden Preissteigerungsraten bekommt das Weihnachtsgeld eine wichtige Funktion für die Einkommensstabilisierung und für einige Beschäftigte sogar die Möglichkeit für Sonderanschaffungen zum Jahresende.

Weihnachtsgeld

Weih­nachts­geld ist ei­ne zusätz­lich zum re­gulären Entgelt gewähr­te Gra­ti­fi­ka­ti­on aus An­lass des Weihnachtsfestes und wird meistens im No­vem­ber, manch­mal aber auch zu einem Teil im No­vem­ber und zum anderen Teil im De­zem­ber fällig.

Der Anspruch auf Weihnachtsgeld ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, aus dem Tarifvertrag der auf das Arbeitsverhältnis angewendet wird oder aus einer Betriebsvereinbarung.

Das Weih­nachts­geld ist ein normales, bei­trags­pflich­ti­ges Ar­beits­ent­gelt im Sin­ne der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten über die So­zi­al­ver­si­che­rung. Es wird aber nicht al­lein dem Mo­nat der Fällig­keit bzw. Aus­zah­lung zu­ge­rech­net, son­dern als sogenannte Einmalzahlung dem ge­sam­ten Jahr auch den vor­he­ri­gen Mo­na­ten, falls der re­guläre Lohn oder das Ge­halt zu­sam­men mit dem Weih­nachts­geld die mo­nat­li­chen Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen in den So­zi­al­ver­si­che­rungs­zwei­gen über­steigt. Dann ergibt sich die Zahlung des Weihnachtsgeldes auch noch aus dem Gewohnheitsrecht, immer dann, wenn sie bei mehrjährigen Wiederholungen verpflichtend geworden ist und als un­ge­schrie­be­ner Be­stand­teil des Ar­beits­ver­trags an­zu­se­hen ist.

Ein ar­beits­ver­trag­lich be­gründe­ter Weih­nachts­geld­an­spruch kann normalerweise we­der durch einen Ta­rif­ver­trag noch durch eine Be­triebs­ver­ein­ba­rung auf­ge­ho­ben oder geschmälert wer­den, da im Verhält­nis zwi­schen Ein­zel­ar­beits­ver­trag und Ta­rif­ver­trag bzw. Be­triebs­ver­ein­ba­rung das Güns­tig­keits­prin­zip gilt. Nach diesem Prin­zip de­fi­nie­ren Ta­rif­verträge und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen im­mer nur die Un­ter­gren­ze von dem, was dem Beschäftigten recht­lich zu­steht, d.h. in Ein­zel­ar­beits­verträgen ent­hal­te­ne Ab­wei­chun­gen von Ta­rif­verträgen oder Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen sind möglich, wenn die­se Ab­wei­chun­gen für den Empfänger güns­tiger  sind. Im Umkehrschluss kommt heraus, dass weder Ge­werk­schaf­ten noch Be­triebsräte die Be­fug­nis haben, ar­beits­ver­trag­lich be­gründe­te Rechts­ansprüche von Beschäftigten per Ta­rif­ver­trag bzw. Be­triebs­ver­ein­ba­rung nach un­ten hin zu be­gren­zen.

Große Unterschiede bei der Höhe des tarifvertraglichen Weihnachtsgeldes
  • Nach wie vor gibt es bedeutsame Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland bekommen 55 Prozent, in Ostdeutschland nur 40 Prozent der Befragten Weihnachtsgeld. Das hat auch damit zu tun, dass die Tarifbindung in Ostdeutschland deutlich niedriger als im Westen ist. Die Höhe der Zahlung liegt im Westen bei durchschnittlich 2.695 Euro, im Osten im Schnitt bei 2.554 Euro.
  • Frauen bekommen seltener Weihnachtsgeld als Männer. Bei den Frauen sind es 50 Prozent, bei den Männern 54 Prozent.
  • Die Vollzeitbeschäftigten erhalten zu 53 Prozent Weihnachtsgeld, die Teilzeitbeschäftigten nur zu 47 Prozent.
  • Noch größer sind die Unterschiede zwischen Beschäftigten mit einem befristeten oder einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Während nur 45 Prozent der Beschäftigten mit Befristung Weihnachtsgeld erhalten, sind es bei den Unbefristeten 53 Prozent.
  • Akademiker und Führungskräfte schneiden besonders gut ab, besonders hoch fällt das Weihnachtsgeld als Sonderzahlung bei Unternehmensberatern aus. Sie bekommen im Schnitt 3.900 Euro und ähnlich sind die Summen in der Pharmabranche, bei Banken und anderen Finanzdienstleistern.
  • Am Ende der Branchentabelle stehen der Lebensmittelhandel, Einzelhandel und die Handwerker. Sie bekommen laut Umfrage eine Zahlung in Höhe von etwa 1.400 Euro.
  • Die Beschäftigten in der Gastronomie und Veranstaltungsgewerbe werden in diesem Jahr wohl leer auszugehen.

In den meisten großen Tarifbranchen existieren gültige tarifvertragliche Bestimmungen zum Weihnachtsgeld oder einer ähnlichen Sonderzahlung, die zum Jahresende fällig wird.

  • Die Höhe der tarifvertraglich vereinbarten Sonderzahlung variiert sehr stark und reicht bei den mittleren Entgeltgruppen von 250 Euro in der Landwirtschaft bis zu 3.715 Euro in der chemischen Industrie.
  • Nur wenige Branchen haben einen Pauschalbetrag festgelegt. Meistens wird das Weihnachtsgeld als fester Prozentsatz vom Monatsentgelt berechnet.
  • In den Branchen, in denen Lohnerhöhungen vereinbart wurden, sind auch die Weihnachtsgelder entsprechend angehoben worden.
  • Die in den einzelnen Tarifverträgen festgelegten Prozentsätze beruhen in der Regel auf den langjährigen Vereinbarungen. In einer Reihe von Tarifbranchen wurden diese Prozentsätze auch in jüngster Zeit noch einmal angehoben
  • Große Unterschiede gibt es auch im Vergleich der Tarifbranchen. So erhalten die Beschäftigten im Bankgewerbe, in der Süßwarenindustrie, in der chemischen Industrie, in der Druckindustrie, bei der Deutschen Bahn AG, in der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie, im privaten Transport- und Verkehrsgewerbe (NRW) sowie in der Textilindustrie (Westfalen) ein relativ hohes Weihnachtsgeld, das zwischen 95 bis 100 Prozent eines Monatsentgelts liegt. In der Eisen- und Stahlindustrie werden sogar 110 Prozent gezahlt, hier wird aber das Weihnachts- und Urlaubsgeld zu einer Jahressonderzahlung zusammengelegt.
  • Der Anteil des Weihnachtsgeldes vom Monatseinkommen liegt im Versicherungsgewerbe bei 80 Prozent, beim Einzelhandel – West bei 62,5 Prozent und in der Metallindustrie allgemein bei 55 Prozent. Im öffentlichen Dienst – Gemeinden je nach Vergütungsgruppe zwischen 52 und 80 Prozent des Monatsentgehalts im Westen und im Osten zwischen 49 und 75 Prozent.
  • In den großen Wirtschaftszweigen sind Tarifbranchen ohne Weihnachtsgeld oder einer vergleichbaren Sonderzahlung die Ausnahme. Immer noch gibt es kein Weihnachtsgeld im Gebäudereinigerhandwerk und bei dem ostdeutschen Bewachungsgewerbe.
  • In einigen westdeutschen Gebieten wird das Weihnachtsgeld erst ab einer bestimmten Anzahl von Berufsjahren gezahlt.

An dem Beispiel der Zahlung des Weihnachtsgeldes wird noch einmal die Wichtigkeit von Flächentarifen und Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen deutlich.

Über das Jahr gerechnet machen sich Tarifverträge für die Beschäftigten in doppelter Hinsicht bezahlt, weil auch die Grundgehälter in tarifgebundenen Betrieben in der Regel über dem Niveau von vergleichbaren tariflosen Betrieben liegen.

Hier ist vor allem der Druck der Gewerkschaften auf die Politik gefordert, um die stetige Tarifflucht der Unternehmen zu beenden und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen wieder einzuführen.

 

 

 

 

 

Quellen: destatis, WSI/Hans-Böckler-Stiftung
Bild: IG Metall